Filme, Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

kreuz b kraehmer titelCopyright © - Georg Stahl

Mehr als früher hatte ich in meinen 70er-Jahren auch Gelegenheit, Menschen kennenzulernen, die in den USA und anderswo an führenden Stellen unserer Gesellschaft standen und von denen ich daher auch annehmen durfte, dass sie gut informiert waren. Immer wieder hörte ich gerade von Wohlinformierten das Sätzchen:

«So kann es nicht weitergehen! ‒ nicht in Politik, nicht in der Wirtschaft und auch in keinem anderen wichtigen Bereich.»

«Und warum nicht?», fragte ich.

«Weil wir im Begriff sind, uns selbst zu zerstören.»

(Dabei gab es damals noch viele, die Natur und Umwelt bedenkenlos ausbeuteten, den Klimawandel ein grünes Hirngespinst nannten und sich doch für sachkundig hielten.)

Durch Gewalt, Rivalität und Habgier standen wir nun vor der Selbstvernichtung. Und der sind wir in den 30 Jahren seither noch bedeutend näher gekommen. Zugleich sind in derselben Zeitspanne aber auch mehr und mehr Menschen aufgewacht zu der Erkenntnis, dass in Gewaltfreiheit, Zusammenarbeit und Teilen alle Hoffnung für die Zukunft liegt.

Pyramide und Netzwerk erwiesen sich auch als hilfreiche Modelle für das Verständnis meiner persönlichen Erlebnisse in diesem Lebensabschnitt.[1]

Johannes Kaup: «Bei ihrem Begriffspaar Kontemplation und Revolution haben Sie Revolution neu definiert, nämlich als Ende der Machtpyramide und als Aufstieg von Gemeinschaften, die sich netzwerkartig organisieren. Das klingt auf den ersten Blick sehr sympathisch. Ich glaube auch zu verstehen, welche Netzwerke Ihnen da vor Augen stehen. Aber ich werde zur Klärung ein kritisches Gegenargument bringen und missinterpretiere Sie jetzt als ‹Advocatus diaboli› bewusst: Auch eine subversive Nichtregierungsorganisation wie die Mafia organisiert sich neuerdings netzwerkartig. Selbst eine Terrororganisation wie der sogenannte Islamische Staat ist mit schlanken, autonom agierenden Zellen und Netzwerkstrukturen bei Attentaten in Belgien, Frankreich und der Türkei höchst erfolgreich. Wenn in einem Netzwerk Vertrauen nach innen herrscht, sagt das noch nichts über die Ethik der Netzwerkorganisation aus, sondern mehr über ihre Effektivität. Also an der Organisationsform alleine, fürchte ich, ist der neue Geist, den Sie im Sinn haben, nicht festzumachen?»

Bruder David: «Nein, nicht an der Form der Organisation, sondern am Gebrauch der Macht. Die Frage ist: Wird die Macht zur Ermächtigung aller in ihrer Eigenständigkeit verwendet? Das ist wichtig. Es muss für alle gelten, also grundsätzlich alle Menschen einschließen, nicht nur eine bestimmte Gruppe.»

Johannes Kaup: «Das heißt, die Netzwerke, die Ihnen vorschweben, sind universalistisch ausgerichtet.»

Bruder David: «Universalistisch und von Respekt für jeden einzelnen Menschen getragen. Aber Respekt ist vielleicht ein zu blasser Begriff. Es geht um tiefe Achtung vor dem Nächsten, vor allen anderen Menschen und vor dem Leben in all seinen Formen. Diese große Achtung, diese Ehrfurcht vor dem Leben muss zentral sein.»

Johannes Kaup: «Also das, was Albert Schweitzer einmal gesagt hat:

«Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.»

Bruder David: «Genau so. Das wäre die Spiritualität der Netzwerke, von denen ich spreche, und das unterscheidet sie fundamental von den Netzwerken der Mafia oder von Terroristen.»

Johannes Kaup: «Sie beschreiben, wie Sie in den 90er-Jahren als Lehrender[2] am legendären Esalen Institute in Big Sur diese unterschiedlichen Organisationsformen ‒ also Pyramide versus Netzwerk ‒ selbst gut beobachten konnten, samt den Konsequenzen, die das nach sich zog. Die Gemeinschaft, die sich in und um Esalen herum gebildet hatte[3], wollte genau dieses innovative, unterstützende, ermächtigende Netzwerk leben. Letzten Endes hat sich aber dann ein traditionelles Modell durchgesetzt mit einem Aufsichtsrat für den Wirtschaftsbetrieb. Wirken da vielleicht allzu menschliche Motive stärker als der altruistisch kooperative Geist? Brauchen diese Netzwerke, die Sie vorhin charakterisiert haben, nicht auch einen reformierten Menschen im weitesten Sinn oder Voraussetzungen für das menschliche Zusammenleben, die man nicht von vornherein in unserem Gesellschaftssystem mitbringt?»

Bruder David: «Ich glaube, wir brauchen ein neues Bewusstsein, um die notwendigen Veränderungen zu verwirklichen. Der Druck des Alten, der Machtdruck des Alten ist sehr groß. Es bedarf großer Anstrengung, uns gegen diesen Druck zu wehren. Und in Esalen ist das leider nicht geglückt.»

Johannes Kaup: «Warum?»

Bruder David: «Es gelingt leider nicht immer. Mut und Kraft reichen nicht immer aus.» [4]

(Film): Ein Teilnehmer: «Br. David: In den vielen Ausführungen, die ich von Dir gelesen und gehört habe, ist immer wieder ein Begriff vorgekommen, der mich sehr berührt hat und zwar, dass Dankbarkeit eine Revolution ist, die so revolutionär ist, dass sie selbst das Konzept der Revolution revolutioniert. Also dieses Wortspiel schon allein hat mich sehr berührt. In diesem Zusammenhang sprichst Du von einem Netzwerkt von kleinen Netzwerken. Kannst Du uns vielleicht zu diesen Netzwerken etwas mitteilen?»

Bruder David: «Ich versuche nur die Verbindung zu finden … Die Verbindung besteht eigentlich darin, dass das Leben eine Vernetzung ist. Leben ist ein Netzwerk aus Netzwerken. Das ist sowohl das Leben als dieses große Geheimnis, als auch unser Lebenslauf. Man wird als Individuum geboren und wird zur Person, indem man Verbindungen aufnimmt, Beziehungen. Je länger man lebt und je intensiver man lebt, umso mehr Beziehungen, also das Netzwerk von Beziehungen.

(26:53) Wir haben aber seit ungefähr 6000 Jahren Zivilisation dem Leben sozusagen übergestülpt. Zivilisation ist auf einem ganz anderen Prinzip aufgebaut als ein Netzwerk von Netzwerken. Leider, leider ist die Zivilisation, die wir kennen ‒ die einzige Zivilisation, die wir aus Erfahrung kennen ‒, eine Pyramide, eine Machtpyramide.

Das Netzwerk von Netzwerken wird durch Vertrauen aktiviert. Die Pyramide durch Furcht:

Das haben wir schon gesehen, das ist genau das Gegenteil von ‹Netzwerk›:

Die an der Spitze sitzen fürchten alle, weil ja sonst jeder eine Gefahr ist, selber an die Spitze zu kommen, und müssen sich daher durch Gewalt verteidigen. Diese Gewalt kann verschiedene Formen annehmen, aber es ist immer Gewalt.

Die etwas weniger hoch oben sind, die wollen hinaufkommen, sie müssen also die Ellbogen verwenden und mit den Füßen nach unten treten und nach oben buckeln, wie ein Radfahrer, und das ist Rivalität.

Also auf der Mittelschicht ist Rivalität.

Für alle besteht die Furcht, dass nicht genug da ist. Da kommt Habsucht herein. Wenn nicht für Alle genug da ist, dann muss ich so viel wie möglich an mich reißen.

(29:09) Also: Furcht von oben bis unten charakterisiert die Machtpyramide. Wir stehen leider an einem Punkt, an dem wir die Machtpyramide so weit ausgebildet haben, wo alles die ganze Zivilisation in Anspruch nimmt, dass wir uns selber zerstören. Furcht zerstört sich selbst, Furcht bringt immer das herbei, was wir fürchten, löst das aus, was wir fürchten.

Und in allen Bereichen haben wir leider ‒ das ist die große Schwierigkeit unserer gegenwärtigen Situation ‒ den Punkt erreicht, wo es so nicht weitergehen kann.

Daraus ziehe ich den Schluss, dass eben eine Revolution notwendig ist, die diese Pyramide umbaut in ein Netzwerk von Netzwerken. Aber natürlich nicht die Art von Revolution, die wir aus der Geschichte kennen, denn da handelt es sich ja immer nur darum, dass die, die an der untersten Schicht dieser Pyramide sind, jetzt an die Spitze kommen und dort dasselbe machen, was die andern früher gemacht haben. Es ändert sich nichts. Aber wir wagen die ganz andere Revolution. Es gibt schon viele, viele Netzwerke, ungezählte Netzwerke, aber sie sind noch nicht vernetzt. Das ist das Entscheidende.»[5]

(Die Quellenangaben zum obigen Text in Anm. 1, 4f.)

[Ergänzend:

1. Konkurrenz, Wettbewerb, Rivalität

2. Film Impuls zur Selbstfindung (2017); siehe auch Transkription:

(23:29) Wir leben in einer Gesellschaft, die eben durch das Ego geprägt ist, und die daher eine Art Pyramide ist. Der Stärkste ‒ zugleich auch wahrscheinlich der, der am meisten Furcht hat, das macht ihn so aggressiv ‒, ich sage  i h n, das ist eine sehr männliche Haltung, aber es kann auch Frauen passieren:

Wer am meisten Angst hat, der kommt am höchsten hinauf, weil er die Andern am stärksten tritt. Und da baut sich diese Pyramide auf und jeder ‒ auf jeder Schicht ‒, buckelt nach oben und tritt nach unten, wie ein Radfahrer.

So baut sich diese Machtpyramide auf.

Das Gegenteil ist eine Welt, nicht der Pyramide, sondern der Vernetzung.

Eine Vernetzung, etwas Horizontales, eine vernetzte Gemeinschaft: Idealerweise kennt jeder jeden, das muss ein kleines Netz sein. Und eine Welt, die ein Netzwerk aus kleinen Netzwerken ist, das ist auch das Ideal, dem wir nachstreben dürfen für die Zukunft.

Die Machtpyramide ist ja in unserer Zeit ‒ und das charakterisiert unsere Zeit ‒ im Zusammenbrechen.

Besonders die, die an der Spitze stehen, sagen: ‹So kann’s nicht weitergehen.›

Wir haben einen Endpunkt erreicht.

Ob das jetzt in der Wirtschaft ist oder in der Politik: Auf vielen Gebieten, wo diese Machtpyramide so betont wird: sie bricht vor unsern Augen zusammen.

Und Raimon Panikkar, ein ganz großer Denker des 20. Jahrhunderts, hat gesagt:

‹Wir sollen die Zukunft nicht in einem neuen Turm von Babel suchen, wieder so einen Turm bauen und bis zum Himmel kommen, sondern in wohlausgetretenen Pfaden von Haus zu Haus.›

Das ist die Zukunft, das ersehnen wir uns: ‹wohlausgetretene Pfade von Haus zu Haus.›

Und das ist die Welt des Selbst, wo wir alle zusammengehören, obwohl wir ‒ und gerade darum ‒ unsere individuelle Selbständigkeit und Einzigartigkeit betonen dürfen und können. Und die Andern unsere Begabungen schätzen.›

3. Audios

3.1. Das glauben wir (2015)
Vortrag in Themen des Abends aufgeteilt:
(01:32) ‹Der verleugne sich selbst› ‒ das Kreuz:
‹Das Kreuz war zur Zeit Jesu die Todesstrafe für Menschen, die die Gesellschaftsordnung unterminiert haben. Und das waren davongelaufene Sklaven und Revolutionäre. ‹Wer mir nachfolgen will, muss das Kreuz auf sich nehmen› heißt im Klartext: ‹Wir sind daran, die Gesellschaftsordnung von Grund auf zu unterminieren, und daher gehen wir auf das Kreuz zu›. Laut den Weissagungen in den Evangelien war vorauszusehen, dass Jesus gekreuzigt wird, weil er der gesellschaftlichen Machtpyramide, aufgebaut auf Furcht, Gewalttätigkeit, Rivalität, Habsucht, nicht eine andere Pyramide entgegenstellt, sondern ein Netzwerk ‒ ‹in IHM leben, weben und sind wir› (Apg 17,28) ‒, ein Netzwerk der Furchtlosigkeit, der Gewaltfreiheit, der Zusammenarbeit und des Teilens. Immer wieder in der Geschichte, wenn Menschen diese Lebensform propagiert haben ‒ etwa Franziskus mit seinen Brüdern ‒ sind sie mit der Machtpyramide in Konflikt gekommen. Und leider auch mit der Machtpyramide, insofern die Kirche selbst diese Machtpyramidenstruktur angenommen hat. Der jetzige Papst Franziskus unterminiert die Pyramidenstruktur der Kirche ‒ endlich einmal ‒, so wie Jesus es gemacht hätte. Und man muss nur hoffen, dass er nicht auch gekreuzigt wird.›

3.2. Audio Wie das Göttliche in uns wächst (2005)
Was hindert gesundes spirituelles Wachstum?; siehe auch (
Mitschrift):
(05:14) Gott als Machthaber getrennt von uns: ‹Durch diese Vergiftung des Gottesbildes werden wir daran gehindert, das MEHR immer tiefer zu verstehen, immer williger zu verwirklichen, immer freudiger und schöpferischer zu feiern. Und das verbindet sich dann noch mit religionspolitischer Machtpolitik. Denn es schafft dann eine Pyramide: oben ist dieser Machthaber und diese Pyramide geht herunter und weiter und weiter herunter, und jeder bemüht sich, ziemlich hoch auf dieser Pyramide oben zu sein ‒ je höher, umso besser ‒ und wir fühlen uns dann ein bisschen höher als die andern, die da weiter unten sind.

Das ist etwas außerordentlich Gefährliches. Auf der Ein-Dollar-Note finden Sie diese Pyramide oben geschnitten und über ihr das Auge Gottes: Das ist dieser himmlische Polizist, der uns überall sieht und uns bestraft. Das ist giftig und vergiftend.›

4. Die meisten Menschen würde ich als Schlafwandler bezeichnen (2017): Interview von Anne Voigt mit Bruder David:

«Revolution ist für Sie ein wichtiger Begriff, der allerdings aus Ihrer Sicht revolutioniert werden müsste. Bisher wurde die jeweilige Machtpyramide immer einfach auf den Kopf gestellt. Die ehemaligen Revolutionäre stiegen von unten nach oben, ansonsten blieb alles wie bisher. Ihnen schwebt stattdessen ein Netzwerk vor. Was verstehen Sie darunter?»

«Die Idee ist, die Hierarchie der Macht abzubauen, also die Pyramide der Ausbeutung und Unterdrückung, und sie in ein Netzwerk umzuwandeln. Auch ein Netzwerk kommt keineswegs ohne Autorität aus, aber Autorität ist nicht Machtbefugnis. Das ist ein völliges Missverständnis, aber das ist oft die erste Bedeutung, die man heutzutage diesbezüglich im Wörterbuch findet. Autorität ist ursprünglich Grundlage für rechtes Wissen und Handeln. Und da gibt es Menschen, die auf einer höheren Bewusstseinsebene stehen und deswegen verlässlicher sind, wenn es darum geht zu klären, was man tun soll und wie. Es wäre wichtig, diesen Menschen auch in einem Netzwerk die Autorität einzuräumen. Was wir brauchen, ist eine Vernetzung von Netzwerken. Denn gewisse Probleme sollten nur auf der untersten Ebene gelöst werden. Und nur, wenn dort keine Lösung gefunden werden kann, sollte das Problem auf der nächsten Ebene behandelt werden. Hinter der Idee von einem Netzwerk von Netzwerken stehe ich, aber es muss mit Autorität höheren Bewusstseins verbunden sein.»

5. Kirche als Machtpyramide

5.1. Brücken statt Mauern: Bruder David zu Ostern 2017:

«Furcht baut Mauern,
Vertrauen baut Brücken.

Beides ‒ und das ist die Tragik der Kirchengeschichte ‒ finden wir innerhalb der einen Kirche. Sie wurzelt in der Predigt Jesus vom Reich Gottes, verweltlicht aber zur Machtpyramide und baut Mauern von Furcht, Ausgrenzung und Habsucht.»

5.2. Osterbrief 2023:

«Eine katastrophale Entwicklung war es, dass die Kirche schon bald von der Netzwerkstruktur des ‹Reiches Gottes› auf die der Machtpyramide Roms zurückfiel. In ihr aber sprangen immer wieder Gruppen auf, die das ursprüngliche Ideal verwirklichten.»

5.3. Dankbarkeit ist ein Erfolgsprinzip (2018): Interview von Antje Luz mit Bruder David:

«Die Geschichte der WM begann mit der päpstlichen Enzyklika von 1891. Sie besagte, dass soziale Themen keine wirtschaftlichen, sondern moralische seien. Sie prägte den WM-Gründer Jules Rimet, der um die Jahrhundertwende den Fußball für soziale Gerechtigkeit nützte. Menschen aus allen sozialen Schichten sollten spielen und Geld verdienen können. Können Sie uns mehr zu dieser Enzyklika sagen?»

«Das war die ‹Rerum Novarum› von Papst Leo XIII. Sie ist für mich eine der allerwichtigsten Enzykliken der Neuzeit, vielleicht die wichtigste, weil sie sich als erste ausdrücklich mit sozialen Themen befasst hat. Und das wichtigste Thema darin ist für mich das Prinzip der Subsidiarität als Mittel für soziale Veränderung. Papst Leo XIII. hat es da zuerst formuliert und Papst Pius XI. hat es in der darauffolgenden Enzyklika, das war die ‹Quadragesimo Anno›, aufgenommen und verfeinert.»

«Was besagt das Prinzip der Subsidiarität?»

«Jede Entscheidung soll auf der niedrigsten Ebene getroffen werden, die dazu fähig ist. Also eine Strukturierung der Organisation von unten nach oben. Das erlaubt Selbstbestimmung und war wirklich ein ganz wichtiger Impuls, den Papst Leo XIII. da gesetzt hat. Die Tragik ist, dass es weder in der Kirche noch in der Gesellschaft richtig aufgegriffen wurde. Also wenn die Kirche das seit 1891, seit über hundert Jahren, verwirklicht hätte, dann wären wir in der Entwicklung weit voraus.»

«Inwiefern?»

«Unsere Zivilisation hat von Anfang an eine Machtpyramide aufgebaut, die sich derzeit im Zusammenbrechen befindet. … Das Prinzip der Subsidiarität ist die Lösung, denn es ersetzt die Machtpyramide durch ein Netzwerk. Die Zukunft unserer Welt ist entweder ein Netzwerk von Netzwerken oder wir haben überhaupt keine Zukunft. Der große Denker Raimon Panikkar hat das sehr schön ausgedrückt. Er hat gesagt: «Unsere Zukunft ist kein neuer Turm, ganz gleich wie hoch, sondern unsere Zukunft liegt in wohl ausgetretenen Pfaden von Haus zu Haus.» Das ist das Netzwerk. Und in dem Sinn könnte natürlich auch Sport ein Netzwerk von Netzwerken sein. Es ist ja jetzt schon mehr darauf angelegt als der Rest unserer Gesellschaft. Es gibt keinen Sportpapst…»

5.4. Bruder David berichtet von seiner Romreise 2018:

«Nach Jahrhunderten von immer mehr ins einzelne gehender Gleichschaltung – die zwischen Christianisierung und Europäisierung nicht unterscheiden konnte – zeigt sich heute, dass das bei einer Weltkirche überhaupt nicht mehr möglich ist. Dem Papst setzt aber bei jedem Versuch die Machtpyramide in ein Netzwerk zu verwandeln der vatikanische Machtapparat Widerstand entgegen. Da könnte es ihm eben helfen, sich auf das Subsidiaritätsprinzip zu berufen, dem schon seine Vorgänger Ansehen und Gewicht verliehen haben.

Ich habe also in kürzester Form – in nur vier Zeilen auf Spanisch – mein Anliegen aufgeschrieben: die Bitte an Papst Franziskus, darüber zu sprechen, wie das Subsidiaritätsprinzip praktisch in der Kirche angewendet werden könnte.»

5.5. Weihnachten geht nicht nur uns Christen an (2016): Interview von Josef Wallner mit Bruder David:

«Als Benediktiner sind Sie ein Mann der Kirche. Warum tun sich viele Menschen mit der Kirche so schwer? Schmerzt Sie das?»

«Ja, es tut mir weh, aber ich tu mir ja selber mit der Kirche schwer. Die Krise der Kirche – das ist wiederum so ein Engpass, durch den wir mit Gottvertrauen durchgehen müssen. Der Engpass lässt sich kurz so umreißen: Jesus hat zu seinen Lebzeiten das Reich Gottes auf Erden damit angebahnt, dass er arme Menschen inspiriert hat, noch ärmeren zu helfen. Das kann man historisch ganz überzeugend rekonstruieren. Kirche hat ursprünglich mit kleinen Gemeinden begonnen. Paulus spricht von der Kirche im Haus von Nympha oder von Priscilla and Aquila. Die Kirche war eine konkrete kleine Gemeinschaft. Nur abstrakt konnte man von der Kirche im Allgemeinen sprechen, von der Vernetzung der kleinen selbständigen Netzwerke zum Zweck gegenseitiger Hilfe. Durch Kaiser Konstantin wurde aus dem Hilfsnetz eine Machtpyramide. Das ist die Katastrophe.

Mit der Kirche als Machtpyramide haben viele von uns große Schwierigkeiten. Aber diese Form von Kirche ist am Zusammenbrechen. Ob wir es wollen oder nicht. Man braucht schon gar nicht mehr daran rütteln. Wir müssen uns vielmehr bemühen wieder Netzwerke zu schaffen, damit die Botschaft vom Reich Gottes nicht verstummt, wenn die Machtpyramiden-Kirche verschwindet. Gott sei Dank haben wir in Franziskus einen Papst, der um eine neue Form von Kirche bemüht ist – um die ursprüngliche, soweit das in seinen Händen liegt. Er setzt auch ganz klare Zeichen, die zeigen, dass er nicht an der Spitze einer Machtpyramide stehen will. Papst Franziskus ruft vielmehr zur Zusammenarbeit und zum Miteinander auf. Ich bin sehr dankbar für unseren Papst.»]

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[1] Ich bin durch Dich so ich (2016): 8. Kontemplation und Revolution, 1996-2006, 157f.

[2] Wie «gratefulness» nach Europa kam (2020)

[3] Ebd. 158-160 geht Bruder David auf die Geschichte von Esalen ein und fasst zusammen:

«Rückblickend scheint mir, dass sich hier der Gegensatz von Netzwerk und Pyramide in Kleinformat darstellte. Im Bereich von Programmen für Unternehmer hat Esalen sich zwar verdient gemacht und ich durfte selbst an Konferenzen teilnehmen, bei denen Geschäftsleute und bahnbrechende Vordenker aus dem Bereich der Ökonomie neue, humanere Modelle der Betriebsführung vorstellten. Verwaltungsmässig aber folgt Esalen dem herkömmlichen Modell und die Hoffnungen von Dick Price [der 1961 mit Mike Murphy das heutige Esalen gründete] und dem Netzwerk der ursprünglichen Kommune gehören der Vergangenheit an.»

[4] Ich bin durch Dich so ich (2016): 8. Dialog, 166-168

[5] Film Aus Dankbarkeit kraftvoll führen (2019), siehe auch Mitschrift des Vortrages, 6f.


Quellenangaben

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