Interview über Moneten und Meditation im Fußball mit David Steindl-Rast OSB von Antje Luz
Bruder David, wie ist Ihre Beziehung zu Fußball?
Als Kind in der Volksschule haben wir gespielt (seine Augen leuchten).
Zu der Zeit gab es ja das österreichische Wunderteam mit Sindelar.1 Wir haben sogar einmal gegen England gewonnen!2 Ich erinnere mich genau, wie wir das am Radio angehört haben. Und jetzt, wenn ich auf meinen vielen Reisen bin und überall Kinder sehe oder sah, die Fußball spielen, das ist weltverbindend. Auch die Friedensmöglichkeiten im Fußball, die kommen mir immer mehr zu Bewusstsein. Zum Beispiel hätte ich mir vorgestellt, wie es die Europäische Union hätte stärken können – das ist ja ganz schief gegangen, die Wirtschaft und die Finanzen sind mit der Idee davongelaufen –, man hätte daraus unbedingt eine kulturelle Macht machen müssen und das wäre am besten so gegangen, dass man nach außen hin als ein Land aufgetreten wäre, genauso wie die Vereinigten Staaten. So hätte man innerhalb Europas Meisterschaften haben können und nach außen hin gemeinsam als Europäische Union auftreten. Das hätte die Weltgeschichte verändern können.
Die Geschichte der WM begann mit der päpstlichen Enzyklika von 1891. Sie besagte, dass soziale Themen keine wirtschaftlichen, sondern moralische seien. Sie prägte den WM-Gründer Jules Rimet, der um die Jahrhundertwende den Fußball für soziale Gerechtigkeit nützte. Menschen aus allen sozialen Schichten sollten spielen und Geld verdienen können. Können Sie uns mehr zu dieser Enzyklika sagen?
Das war die Rerum Novarum von Papst Leo XIII. Sie war für mich eine der allerwichtigsten Enzykliken der Neuzeit, vielleicht die wichtigste, weil sie sich als erste ausdrücklich mit sozialen Themen befasst hat. Und das wichtigste Thema darin ist für mich das Prinzip der Subsidiarität als Mittel für soziale Veränderung. Papst Leo XIII. hat es da zuerst formuliert und Papst Pius XI. hat es in der darauffolgenden Enzyklika, das war die Quadragesimo Anno, aufgenommen und verfeinert.
Was besagt das Prinzip der Subsidiarität?
Jede Entscheidung soll auf der niedrigsten Ebene getroffen werden, die dazu fähig ist. Also eine Strukturierung der Organisation von unten nach oben. Das erlaubt Selbstbestimmung und war wirklich ein ganz wichtiger Impuls, den Papst Leo XIII. da gesetzt hat. Die Tragik ist, dass es weder in der Kirche noch in der Gesellschaft richtig aufgegriffen wurde. Also wenn die Kirche das seit 1891, seit über hundert Jahren, verwirklicht hätte, dann wären wir in der Entwicklung weit voraus.
Inwiefern?
Unsere Zivilisation hat von Anfang an eine Machtpyramide aufgebaut, die sich derzeit im Zusammenbrechen befindet. Wenn es jemand jetzt noch nicht merkt, da muss er schon sehr borniert sein. Ich habe durch meine Tätigkeit die Gelegenheit, mit sehr einflussreichen und gut informierten Menschen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medizin und anderen Disziplinen zu sprechen, und jede und jeder sagt eindeutig: «So kann es nicht weitergehen!». Und das bezieht sich letztlich auf diese Machtpyramide. Das Prinzip der Subsidiarität ist die Lösung, denn es ersetzt die Machtpyramide durch ein Netzwerk. Die Zukunft unserer Welt ist entweder ein Netzwerk von Netzwerken oder wir haben überhaupt keine Zukunft. Der große Denker Raimon Panikkar3 hat das sehr schön ausgedrückt. Er hat gesagt: «Unsere Zukunft ist kein neuer Turm, ganz gleich wie hoch, sondern unsere Zukunft liegt in wohl ausgetretenen Pfaden von Haus zu Haus.» Das ist das Netzwerk. Und in dem Sinn könnte natürlich auch Sport ein Netzwerk von Netzwerken sein. Es ist ja jetzt schon mehr darauf angelegt als der Rest unserer Gesellschaft. Es gibt keinen Sportpapst…
…einen Kaiser schon…
(lacht) Ja. Das Geld ist halt dahinter und spielt eine große Rolle.
Zum honorarlosen Amateurfußball können wir nicht zurück. Aber wohin könnte man sich entwickeln, um von den enorm hohen Summen im Profifußball heute wegzukommen?
Bei dem vielen Geld, das mit Sport überhaupt verbunden ist, da wäre es sehr schön und ganz wichtig, wenn man einen Teil davon immer für notleidende Menschen zur Seite stellen würde. Wenn man das im Sport allgemein und besonders im Fußball zu einem Teil der Freude daran machen könnte: Bei diesem Spiel ist so und so viel hereingekommen und sogar für die armen Kinder oder Tiere – da kann man ja auch wechseln. Oder man könnte den Gästen beim Spiel einen Wahlzettel geben und fragen, «Wem sollen wir das heute spenden?». Und danach deutlich machen, dass dabei so und so viel herausgekommen ist. Da ließe sich schon etwas machen. Es würde die Menschen auch stolz machen: «Heute war ein großartiges Spiel und es hat noch den Eisbären geholfen.» Oder den Tigern.
Die Regula Benedicti schlägt als Maßstab für intelligentes Wirtschaften «das rechte Maß» vor. Ließe sich das auch auf den Umgang mit enormen Summen im Fußball übertragen?
Es stimmt vollkommen und ließe sich ganz entschieden auf den Fußball übertragen: als tiefe Einsicht. Aber das ist etwas Anderes als es in die Ausführung umzusetzen. Es wird wohl jeder zustimmen, wenn es nicht das rechte Maß ist, ist es das falsche Maß und das falsche Maß ist nie gut für uns. Aber wie lässt sich das rechte Maß praktisch durchführen? Erzwingen lässt es sich nicht... (denkt nach) Es muss einen Anreiz dafür geben und der Anreiz müsste auch wieder etwas Spielerisches sein. Die Leute, die zum Fußball gehen, gehen ja zum Spiel. «Wie viel Geld können wir durch dieses Fußballspiel für die wirklichen Probleme der Welt zusammenbringen?» Das in ein Spiel umzusetzen, das schiene mir die Richtung, in die man gehen müsste.
Fußball ist durch die finanzielle Seite zunehmend in Verruf geraten. Dabei liegen ihm zentrale Ideale wie Zugehörigkeit, Freude und Freundschaft zugrunde. Wie könnte man Fußball wieder an diese sozialen Werte anbinden?
Man könnte hervorragende Fußballgrößen aus der ganzen Welt einladen, sich zu einer Art Gremium zusammen zu schließen. Die Fans kennen ja die Namen und wenn die besten Namen sich zusammenschließen und darüber sprechen, «Wie können wir das tun?», das könnte etwas bewirken. Ich glaube, es müsste aus den Besten des Fußballs selber heraus kommen. Die haben natürlich nicht viel Zeit, aber sie könnten sich treffen.
Die WM könnte eine Gelegenheit dafür sein.
Ja, oder sie könnten jedenfalls miteinander in Verbindung treten – es gibt ja heute so viele Möglichkeiten – und sich fragen, «Wie können wir Fußball zum Besseren verändern?». Es gibt da wirklich auch menschlich sehr große Persönlichkeiten darunter und die könnten einen enormen Einfluss haben auf ihre Fans und überhaupt auf die Welt.
Es gibt gläubige Fußballspieler, die sich beim Betreten des Spielfeldes oder nach einem Tor bekreuzigen. Kann man im Fußball Gottes Nähe erleben?
Selbstverständlich. Überhaupt kann man und soll man Gottes Nähe in allem, was man tut, erleben. Ganz besonders etwas, das man mit Begeisterung tut und überhaupt im Spiel. Gottes Nähe kann man also überall erleben. Ob man sich auf dem Fußballplatz bekreuzigen soll… (lässt den Satz unvollendet). Ich respektiere es selbstverständlich, wenn es ein Ausdruck zur Nähe Gottes ist, aber mir persönlich liegt das nicht, meine Religiosität öffentlich darzustellen. Ich bekreuzige mich nicht einmal in einem Restaurant, obwohl ich natürlich vor dem Essen bete, aber es kommt mir immer so vor, als ob man dann immer jemanden anderen beleidigen könnte, der sich religiös anders ausdrückt.
SH Dalai Lama sagte einmal über Interreligiosität, dass man dabei «das Verständnis über andere erweitern, (deren Haltung) aber nicht selbst adoptieren, sondern den gegenseitigen Respekt vergrößern» könnte. Könnte man das auf WM-Mannschaften übertragen?
Nicht nur könnte, das müsste man sogar übertragen! In dem Sinne, dass es ja nicht darum geht, den anderen zu besiegen, sondern den anderen zum bestmöglichen Spiel anzureizen. Und selber zu gewinnen, wenn möglich. Aber wenn´s ein richtig gutes und faires Spiel ist, dann ist auch das Verlieren gar kein Verlust, sondern auch noch ein Gewinn. Einer muss ja verlieren.
Wofür könnte ein Verlierer dankbar sein –Dankbarkeit ist eines Ihrer Hauptthemen–, zum Beispiel die Italiener oder Niederländer, die nicht zur WM 2018 nach Russland reisen?
Dankbarkeit richtet sich immer auf die Gelegenheit, die uns eine gewisse Situation bietet. Und die Gelegenheit, die uns das Verlieren eines Spieles bietet ist: «Wir haben gelernt, was uns noch fehlt. Wo können wir jetzt noch besser werden?» Dann geht die ganze Energie nicht in das Betrauern, dass es uns diesmal nicht gelungen ist, sondern die ganze Energie – es darf ja nichts verloren gehen – muss gleich hineinkanalisiert werden in ein «Wie machen wir es das nächste Mal besser?» Denn Dankbarkeit ist immer ganz praktisch, sie ist auch ein Erfolgsprinzip!
«Angriff», «Sturm», «Verteidigung», «Fußballgott», «göttliches Tor», und so weiter: Fußballsprache benützt Kriegs- und Religionsvokabular. Wie wirkt das auf Sie als Benediktinermönch?
Besonders dieses Kriegsvokabular ist nicht gut, wenn man es ins Spiel einfließen lässt, weil ja doch eine kriegerische statt spielerische Mentalität entsteht. Das Hauptgut an Spielen wie Fußball ist ja, dass man nicht kriegerisch miteinander umgeht, sondern miteinander spielt! Im Orchester spielen ja die ersten Geigen auch nicht gegen die Cellos. So sollte man das auffassen. Wir spielen gemeinsam. Spielen gegen, das gibt es nicht. Man stachelt den anderen an, noch besser zu werden, aber nicht, um ihn zu besiegen. Schon, um zu gewinnen, aber das ist wieder etwas Anderes als ihn zu besiegen. Da muss man sehr vorsichtig sein.
Als Tellerwäscher im Kloster haben Sie Ihrem Nachfolger ein Zitat des Hl. Benedikt hinterlassen: «Man soll Töpfe und Pfannen genauso ehrfürchtig behandeln wie die sakralen Altargefäße». Ließe sich das Zitat auch auf den säkularen Fußball- Alltag übertragen?
Aha! (lacht auf). Aus dem Stegreif würde ich sagen, dass alle Fußballspieler den Fußball so ehrfürchtig behandeln sollten, wie die Weltkugel, die uns als Menschen anvertraut ist.
WM-Gründer Jules Rimet wurde 1873 in eine Börsenkatastrophe hineingeboren, danach kam die Lange Depression, er diente als Leutnant im Ersten Weltkrieg. Sie wurden 1926 geboren, kurz darauf Börsencrash und Weltwirtschaftskrise, Sie waren im Zweiten Weltkrieg: Wie stark wirkt Biographisches aufs Leben?
Es ist mir erst kürzlich bewusst geworden, dass mich die Große Depression der frühen 1930er Jahre sehr beeinflusst hat: Armut ist mir immer ein Thema gewesen und Sparsamkeit auch. Mein häufigstes tägliches Leid ist, wie verschwenderisch wir sind. Wenn ich zum Beispiel bei Freunden eingeladen bin und im ganzen Haus das Licht brennt, aber kein Mensch in den Zimmern ist. Oder auch leider im Kloster, wo Mönche wie Schlafwandler herumgehen. Was auch mit meiner Biographie zu tun hat, ist, dass ich als Jugendlicher gegen die Nazis rebellierte, die damals an der Macht waren. Ich war zwölf Jahre alt, als sie gekommen sind und 19, als sie endlich zusammengebrochen sind. Das war ja die äußerste Übersteigerung einer Machtpyramide. Daher bin ich auch sehr sensibel für alles, was Machtpyramide ist, in Kirche und Gesellschaft.
Zum Beispiel?
Das Schöne an unserem Papst Franziskus ist, dass er als Einzelgänger diese Machtpyramide abbaut. Aber er lebt natürlich immer noch in einer Kirche, die das nicht oder noch nicht verändert hat. Ich wünsche mir sehr und bete dafür, dass es dem Papst gelingt, es nicht nur persönlich, sondern auch gegen den ganzen riesigen Widerstand in der Kirche, der ja da ist, kirchenrechtlich zu verankern. So wie Papst Johannes XXIII., der durch das Konzil viel verändert hat. Diejenigen, die das nicht erlebt haben, können sich gar nicht vorstellen, wie es vorher ausgeschaut hat. Die Sensibilität für diese Dinge kommt aus meiner Biographie heraus. Und ich glaube, für uns alle ist unsere Biographie sehr vorzeichnend für das, was wir später machen.
Papst Franziskus ist Fußballfan. Der Vatikan hat ein Fußballteam, das den «Clericus Cup» ausspielt. Dort gibt es neben der Gelben und Roten auch eine Blaue Karte wegen Schimpfens (Sanktion ist eine Zeitstrafe). Nach dem Spiel beten die Spieler gemeinsam. Was könnte die WM davon lernen?
Ich würde keineswegs irgendwelche explizit religiösen Rituale vorschlagen, schon gar nicht für die WM, aber so ganz große Spiele haben schon etwas Religiöses an sich. So wie die großen Dramen in Griechenland, wenn sich so viele Menschen versammeln. Bei einem Drama ist es offensichtlicher, aber auch beim Spiel spielt das Große Geheimnis, mit dem wir als Menschen konfrontiert sind, herein. Ich würde den Namen «Gott» in diesem Zusammenhang nicht verwenden, aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass man vor einem Spiel regelmäßig eine Schweigeminute hält. Das wäre der Konzentration der Spieler zuträglich – große japanische Sportler machen das4, große Musiker und Dirigenten machen es manchmal auch für einen Augenblick. Ich könnte mir auch sehr gut vorstellen, dass die ganze Idee von einem Augenblick des Schweigens, bevor man sich auf etwas Neues einlässt, von Abertausenden mit nach Hause genommen wird. Das würde ich wirklich sehr gerne sehen.
Sie sind nicht nur katholischer Mönch, sondern auch ZEN-Student. Wie könnte Achtsamkeit im Fußball aussehen?
Darüber haben wir gerade gesprochen (lächelt). Ich glaube, dass gute Trainer sowieso mit der Mannschaft über solche Dinge sprechen, aber man könnte es noch mehr betonen. Achtsamkeit ist auch immer auf den anderen bezogen, mit dem man spielt, Fairness kommt da herein, überhaupt Achtsamkeit dem Leben gegenüber, das scheint mir ein wichtiger Aspekt des Ganzen zu sein.
Gibt es einen Fußballspieler, zu dem Sie eine besondere Beziehung haben?
Lionel Messi, das muss ein guter Mensch sein. Wir haben im Kloster eine sonderbare Verbindung zu Messi, weil wir gehört haben, dass er an Nierensteinen leide. Wir haben hier ein Zentrum für Hildegard-Medizin und ein Rezept, das ihm sicher helfen würde. Das ist ein sehr gutes, uraltes Mittel. Wir haben ihm auch ein paar Mal geschrieben und versucht, ihm das anzubieten, aber er ist so umgeben von Ärzten, die für Alternativmedizin sehr wenig übrig haben, dass wir nicht zu ihm durchgedrungen sind. Jetzt beten wir halt für seine Nierensteine, dass sie sich auflösen (lacht).
Lionel Messi verdient im Fußball viel Geld. Dem kann man gegenüber stellen: «Losgelöstheit macht uns bedürfnisloser. Je weniger wir haben, umso leichter ist es das, was wir haben, zu würdigen.» …
…sehr schön.
Das ist von Ihnen aus «Achtsamkeit des Herzens»…
Ach, von mir (beide lachen).
…Als Benediktinermönch verzichten Sie bewusst auf Besitz. Wie könnten Verzicht und Genügsamkeit im Fußball Platz finden angesichts immer höherer Gehälter, Transfersummen, TV-Gelder und Siegesprämien?
Indem Verzicht zur Freude gemacht wird! Man müsste Wege finden, die ganz offensichtlich sind. Also wenn man jemandem helfen kann und sieht, wie die Hilfe wirklich ankommt, dann ist es eine Freude. Für jeden Menschen. Wenn man von dem Geld einen Teil auf gute Zwecke umleiten und dann auch zeigen könnte, wie einflussreich und wie wirksam das war, dann würden sich die Leute freuen und es gerne tun. Denn je mehr man seine eigenen Bevorzugungen einbringen kann in so ein Projekt, umso wirksamer wird es natürlich sein, weil man selber wählen oder mitbestimmen kann.
Ihnen ist wichtig, Menschen und Dinge zu würdigen. Dem WM-Gründer Jules Rimet lag die Würde des Menschen auch sehr am Herzen. Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Würde im Fußball?
Ich bin nicht genügend mit dem Fußball heute vertraut, das kann ich nicht sagen. Aber dass die Betonung der Menschenwürde im ganzen Sportbetrieb und besonders im Fußball, also dass da wirklich ein Hebel für Menschenwürde liegt, das scheint mir schon sehr klar. Dafür gibt es viele Beispiele. Kennen Sie den Film «The Cup»5? Dieser Film ist über ein tibetanisches Kloster, dessen junge Mönche das WM-Finale sehen wollen und wie sie sich einen Fernsehapparat verschaffen, um es anzuschauen.
Die Begegnung mit dem Buddhismus hat sie zu Ihrem Hauptthema der Dankbarkeit angeregt: «Horchen. Staunen. Dankbarkeit.» sind Ihre zentralen Anliegen. Passen diese auch zum Fußball? Wenn ja, wie?
(denkt nach) Ich sage jetzt lieber «dankbar leben», damit die Menschen verstehen, dass es nicht nur ums Danke-sagen geht. Zum Dankbar-leben gehört das Horchen, das heißt, dass man hinhorcht: Was ist jetzt die Gelegenheit, die das Leben mir in diesem Augenblick bietet? Staunen ist dann die Frucht: Wie erstaunlich, dass mir auch in dieser Situation wieder eine Gelegenheit geboten wird. Und das passt natürlich zum Fußball: Wir fangen jetzt an und keiner weiß, was sich in den nächsten 90 Minuten und innerhalb des Rahmens dieser Regeln ergeben wird. Schon im ersten Augenblick muss der Spieler genau darauf reagieren, was das geheimnisvolle Leben, dem er und wir in diesem Augenblick begegnen, also was das Große Geheimnis des Lebens ihm in dieser halben Sekunde bietet und dann richtig darauf antworten. Daraus entsteht dann der nächste Augenblick und im kürzesten Augenblick muss er oder jemand anderer wieder darauf reagieren. Wenn man Dankbarkeit versteht als das Hinhorchen und das Richtig-reagieren auf die Gelegenheit, die dieser Augenblick jetzt bietet, dann ist das ganze Spiel eine Serie von diesen völlig unvorhergesehenen Gelegenheiten, für die man sich dankbar erweist, indem man sie am Schopf ergreift. Und wenn man sie nicht erwischt, weil man abgelenkt war, weil man nicht oder nicht richtig hingehorcht hat, dann geht´s schief. Man könnte sagen: Wir schauen uns jetzt an, wie dankbar dieses Team spielen wird!
Ist die Glückseligkeit nach einem Tor eine Form der Gotteserfahrung?
Ich würde sagen, jede Glückseligkeit ist eine Gotteserfahrung, nur würde ich es auf ein Tor bezogen wahrscheinlich nicht so ausdrücken. Aber wenn es im Neuen Testament heißt, dass Gott die Liebe ist und die Liebe die Freude, dann ist jedes Eintreten in so eine ganz große Freude auch ein Eintreten in die Liebe. «Liebe» nicht in einem romantischen Sinn, sondern Liebe definiert als «das gelebte Ja zur Zugehörigkeit». Und eine Freude in einem Spiel ist Ausdruck dieses «Ja, wir gehören zusammen, wir spielen zusammen». Man kann ja nicht allein ein Tor schießen, das ist ein Ausdruck des Zusammenlebens und der Liebe.
12 Vorschläge von Br. David zur Achtsamkeit im Fußball aus dem Buch Das Geheimnis der Goldenen Göttin und hier als Manifest
©Antje Luz und Wolfbach Verlag Zürich / Roßdorf (2018)
Anmerkungen
[1] Matthias Sindelar war Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft; mehr zu seiner Geschichte s. S. 72 f.
[2] Am 06.05.1936 im Wiener Praterstadion, Endstand 2:1. Schiedsrichter war der Belgier John Langtenus, der auch das erste FIFA-WM-Finale der Geschichte 1930 in Montevideo zwischen Uruguay und Argentinien leitet. s. S. 53.
[3] Raimon Panikkar i Alemany (1918-2010) war ein spanischer Priester und Gelehrter.
[4] In vielen japanischen Sportarten, z.B. beim Bogenschießen, trainiert man die Konzentrationsfähigkeit im Sinne einer Fokussierung des Geistes auf den Augenblick.
Quelle: Das Geheimnis der Goldenen Göttin, Dankbarkeit ist ein Erfolgsprinzip von Antje Luz, erschienen im Wolfbach Verlag Zürich, Basel, Roßdorf sowie Manifest (2018)