Interview mit Br. David Steindl-Rast OSB von Gisela Remler

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Bruder David, Sie haben keine Berührungsängste mit anderen Religionen. Das scheint hier bei uns in Mitteleuropa schon beinahe merkwürdig.

Nein, für mich ist das sicher nicht so. Der moderne Mensch hungert danach, Rituale zu pflegen, und wenn wir dorthin finden, wo alle Traditionen zusammenhängen, dann sehe ich darin auch keine Schwierigkeiten. Das Wichtige ist für mich nicht der Ausdruck einzelner Religionen, sondern das, was ausgedrückt wird. Wenn wir tief genug eindringen, dann können wir einen gemeinsamen Urgrund erschließen. Ich meine, man kann die Bibel wörtlich nehmen oder ernst. Man glaubt als Christ nicht an die Glaubenssätze, sondern daran, worauf sie sich beziehen. Ich denke oft an alle Engel, die im Alten Testament als Boten erschienen sind. Zuerst sagten sie: «Fürchte dich nicht.» Das gilt für uns heute noch immer, wir brauchen keine Angst zu haben.

Im Vortrag in Mariatrost haben Sie von einer entscheidenden Übergangszeit für die Menschheit gesprochen. Was ist damit gemeint?

Ja, dieser Übergang wird sich in jeder Hinsicht dramatisch gestalten. So etwas hat sich das letzte Mal abgespielt, als ungefähr vor 4000 bis 5000 Jahren Käfer ein inneres Skelett zu entwickeln begannen. Zuerst wurden Tiere noch nicht von innen aus ihrem Körper heraus gestützt, sondern von aussen. Wir stehen nun an einer Schwelle. Moderne Menschen entwickeln ein ganz neues Bewusstsein. Die aktuelle geistige und psychische Entwicklung ist mit der der Tiere beinahe vergleichbar. Der Einzelmensch hat begonnen, sich aus der Gemeinschaft herauszulösen, ihm fehlt mittlerweile jegliches Bewusstsein von Einheit. Als Kind wurde er noch von aussen gestützt, und plötzlich muss er anfangen, sich von innen heraus selbst zu tragen. Ein «Das tut man» gibt es eigentlich nicht mehr, und auch die Gotteserfahrung wird immer stärker persönlich geprägt.

Sie werden oft als «Pionier des interreligiösen Dialogs» bezeichnet, wie ist es dazu gekommen?

Das hat sich eben so ergeben, obwohl ich das ursprünglich gar nicht so gesucht habe. Ich war immer der Meinung, dass es in unserer eigenen christlichen Tradition genug an Ansätzen gibt. Aber dann wurde ich von meinem Abt in ein buddhistisches Kloster geschickt, und diese Erfahrungen haben mich natürlich stark geprägt. Denn Dankbarkeit ist für die Buddhisten zentral und das Bewusstsein, dass alles Geschenk ist.

In Ihrem letzten Buch haben Sie versucht, das Stundengebet der Benediktiner zu erschliessen. Was können sich Menschen für ihren Alltag herausholen?

Zeiten, die man einzuhalten versucht, wo man mit diesem «Rhythmus der Stille» Bereiche und auch eine Tür zur Ewigkeit finden kann. Wenn ich etwa in den Nachtstunden, noch bevor es dämmert, diese Musik der Stille, so heißt das Buch, höre, weiß ich, dass ich nicht allein bin, und kann einen Aufbruch in den Tag beginnen. Wenn ich Ausschau halte nach den verborgenen Gaben des Tages, dann weiß ich, dass andere mit mir warten.

Sie sagen: Alle Menschen sind als Mystiker angelegt. Manche fühlen sich da vielleicht ein bisschen überfordert. Wie ist es möglich, diesen Urgrund der Mystik für moderne Menschen zu erschliessen?

Wenn wir Ausschau halten nach großen Erfahrungen und uns für sie öffnen, dann können wir sie auch in den Alltag einfliessen lassen, wenn wir ihnen vertrauen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Mystiker angelegt sind. Ein Bekannter hat mir das einmal erzählt, dass er eine seiner mystischen Erfahrungen beim Zahnarzt hatte.

Unter «Wort Gottes» verstehen Sie nicht nur die Bibel, sondern etwas Umfassenderes. Was genau meinen Sie damit?

Alles, was mich umgibt, ist Wort Gottes, ich muss mich ihm nur öffnen, dann kann ich es erfahren.

Drei Bereiche haben Sie in Ihrem Vortrag näher erklärt, wo Sie meinen, man kann vom Wort Gottes leben...

Das Wort Gottes hat mit allem zu tun. Aber es gibt drei Bereiche, wo wir vom Wort Gottes leben können. Der erste Bereich ist Wort-vom-Worte-Gottes-Leben, was bedeutet, alles spricht uns an, was uns umgibt. Das zweite ist das Gebet der Stille, was bedeutet, wir sind ruhig durch die Ruhe, die ich in Gott finde. Ich habe in letzter Zeit sehr oft erlebt, dass Menschen ein großes Bedürfnis haben nach dieser Ruhe. Sie erzählen mir, dass sie sich hinsetzen und einfach nur sind. Dann kann ich Gott im Tun finden. Contemplatio in Actione bedeutet, alles, was ich tue, kann zum Gebet werden. Liebe zu Gott ist, ohne Unterlass zu beten. Meine Mutter hat mir immer Socken und Pullover gestrickt, und die Liebe Gottes ist da in die Socken gegangen.

Was ist das Spirituelle einer Lebenshaltung?

Ich übersetze spirituell mit lebendig, denn der Heilige Geist ist der «Lebensatem, die Wurzel alles Lebendigen».

Ein zentrales Thema für Sie ist Dankbarkeit. Heute macht es den Eindruck, dass viele Menschen echte Dankbarkeit nicht mehr aufbringen.

Wir sind heute eine ziemlich undankbare Gesellschaft. Wir wollen immer noch besitzen, aber glücklich sind wir natürlich nicht geworden. Dankbarkeit kann man lernen, wenn man sich vergegenwärtigt, was man nicht besitzt. 42 Millionen Menschen auf der Erde sind blind. Ich bin einmal aus Afrika zurückgekommen und habe plötzlich bemerkt, welches Geschenk es ist, dass wir Wasser zu trinken haben. Dankbarkeit bedeutet eine Veränderung für das ganze Leben. Sie bedeutet auch mehr Glück für einen selbst. Wenn ich das nicht kann, muss ich mich vielleicht fragen, warum nicht, was ist los in meinem Leben? Hier hat es einiges an Initiativen gegeben: etwa eine Homepage, wo man sein Herz und sich selbst für Überraschungen öffnen kann.

Quelle: SONNTAGSBLATT für Steiermark, 41/2009, 11.10.2009

und 3 Audios in der Sendung LOGOS, Das Gottesbild des modernen Menschen
und 3 Audios in der Sendung LOGOS, Spiritualität der Dankbarkeit
Quelle: YouTube

 

 

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