AUDIO Vorträge

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Würde in der Gesellschaft (2019)
Mitschrift des gleichnamigen Audios,
identisch mit dem Vortrag Menschenwürde (2019) (16:40-22:27)
Audio und Mitschrift bearbeitet von Hans Businger


«Und im Allgemeinen bin ich noch in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Mann sich seiner Würde bewusst war. Und ich sage ausdrücklich MannFrau war ein ganz anderes Kapitel ‒, und Tiere erst recht. Aber man konnte noch fraglos an Würde appellieren: ‹Das ist doch nicht menschenwürdig› war das Schlimmste, was man sagen konnte.

Im Allgemeinen ‒ es hat sicher viele Ausnahmen gegeben ‒, hat die Gesellschaft ein Bewusstsein gehabt: So verhält man sich andern gegenüber und das gehört zur eigenen Würde. Das hat es gegeben, das gibt es heute nicht mehr.[1]

Man konnte, wenn man eine Reparatur gebraucht hat, sicher sein, dass der Mann, der repariert hat, sein Bestes tut, nicht immer erfolgreich, aber jedenfalls, dass er sich wirklich bemüht. Und heutzutage leider nicht, sondern sehr häufig kann man nur sicher sein, dass er sehr viel dafür verlangt, aber so schnell wie möglich etwas hingepfuscht hat.[2]

Und in dieser Gesellschaft hat jeder ‒ da kommen wir wieder zu diesem ursprünglichen Doppelaspekt ‒, gewusst: Ich habe meine Stellung ‒ das war eine pyramidale, ganz klar strukturierte Gesellschaft ‒, das ist meine Aufgabe im Leben, und ich gehöre dazu, denn diese Aufgabe ist mir aufgetragen, und ich mache sie so gut, wie ich kann. Und das hat Menschen Menschenwürde gegeben, die vom heutigen Standpunkt aus gar nicht in menschenwürdigen Verhältnissen gelebt haben.

Ein Onkel von mir hat in Kärnten einen großen Bauernhof gehabt und da waren viele Knechte und Mägde, und die waren eigentlich, was man heute Sklaven nennen würde: Sie haben das aber ganz anders erlebt. Sie mussten zum Beispiel fragen, ob sie heiraten dürfen. Und es war keine Selbstverständlichkeit, dass sie auch die Bewilligung bekommen ‒ also menschenunwürdig vom heutigen Standpunkt aus ‒, sie haben aber mit viel mehr Würde gelebt als die meisten Menschen heute leben, weil sie gewusst haben ‒ das war ihr Bewusstsein ‒, das ist meine Aufgabe im Leben, und ich erfülle sie gut und bin stolz darauf.

Also man kann sich kaum mehr hineindenken in diese Situation. Ich bin unersetzlich für das Ganze, das war das Bewusstsein jedes anständigen Menschen damals. Und ich gebe mein Bestes. Das gibt’s heute auch noch. Ich habe kürzlich in den Salzburger Nachrichten einen kleinen Aufsatz gefunden über eine Toilettenfrau, die einen jungen Mann einführt in ihre Arbeit. Vielleicht stand die Nachricht in der Zeitung, weil ausnahmsweise ein Mann diesen Beruf ausübt. Aber wie sie ihn eingeführt hat: eine solche Würdigkeit, wie diese Frau gezeigt hat, wie sie dem jungen Mann gesagt hat, was er alles tun kann für die Leute, mit völliger Selbstsicherheit: Ich weiß meinen Platz, das ist mein Beruf und den will ich so gut wie möglich ausüben. Also man hat wirkliche Ehrfurcht vor dieser Frau, wenn man diesen Beitrag gelesen hat.[3]

Oder ich habe auch von einem Baggerfahrer gehört, der sich so bemüht, der beste Baggerfahrer zu sein, dass er mit der Schaufel des Baggers ein Feuerzeug anzünden kann. Dieser Stolz! Er fährt viel und weiß, wie er auf den Millimeter genau diese Schaufel senken kann. Das gibt es heute noch: Menschen, die ihren Beruf gefunden haben und stolz sind: Das ist mein Beitrag für die Gesellschaft. Und darum geht’s.

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[1] Bruder David zu Beginn im Video Der Sinn des Lebens und die Dankbarkeit (2024) und die Mitschrift im Interview:

«Bruder David, Du wirst im Juli 2024 98 Jahre alt. Wenn Du auf die Entwicklung der Welt während deines Lebens zurückschaust: Was hat sich da geändert?»

«Das Wesentlichste, was sich verändert hat ist, dass die Ehrfurcht verloren gegangen ist. Ehrfurcht bedeutet, dass man vor dem Leben Achtung hat. In meiner Kindheit war diese Haltung fraglos, es war das Wasser, in dem wir als Fische geschwommen sind. Man hat damals auch wie selbstverständlich von ‹Gott› gesprochen und damit das gemeint, was uns als Menschen verbindet und wovor man Ehrfurcht hat. Ich bin nicht dafür, von Gott zu sprechen, das führt nur zu Missverständnissen.»

«Du bist 1926 in Wien geboren, wurdest im Zweiten Weltkrieg eingezogen, hast acht Monate gedient, bist dann untergetaucht – und sagst trotzdem: ‹In meiner Zeit gab es mehr Ehrfurcht vor dem Leben.› Ausgerechnet in der Zeit des Zweiten Weltkrieges?»

«Zusammengebrochen ist das erst im Laufe meines Lebens, und erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch Hitler hat in jeder seiner Reden Gott erwähnt. Wir haben uns darüber geärgert, weil wir ihm gegenüber kritisch eingestellt waren, aber den Massen ist nicht aufgefallen, dass er das als Mittel verwendet. Wenn heute jemand in einer politischen Rede Gott erwähnte, würden sich die Leute nur wundern: Wovon redet der eigentlich?»

[2] Siehe auch Gespräche im Lehrgang «Geistliche Begleitung» (2018): Erstes Kamin-Gespräch mit Bruder David; transkribiert in Übersicht über das Gespräch mit Kurzvortrag von Bruder David und die Zusammenstellung von Texten, Videos und Audios zum Thema Würde in Würde, Rückgrat, Scham

[3] Siehe auch das Interview: Was gibt einer Toilettenfrau ihre Würde?

 

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