LEBENSTHEMEN und SCHLÜSSELBEGRIFFE

LEBENSTHEMEN und SCHLÜSSELBEGRIFFE

Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

«Ich glaube an Gott, den Vater, DEN ALLMÄCHTIGEN»

Was heißt das eigentlich?

Zuerst bekennen wir unseren Glauben an Gott, den Jesus uns als liebenden Vater kennen lehrte, und dann erst nennen wir Gott den ALLMÄCHTIGEN. Diese Abfolge ist für den Sinngehalt wichtig. Wir beginnen nicht mit dem Begriff von Allmacht, sondern mit dem Bild eines liebenden Vaters. Was allmächtig bedeutet, ist in diesem Zusammenhang vom philosophischen Begriff göttlicher Allmacht unterschieden. Nur als liebendem Vater spricht das Credo Gott Allmacht zu. Nichts ist allmächtig, außer Liebe.

Lebenserfahrung lehrt uns, dass Liebe die Macht hat, selbst die verfahrensten Situationen in Ordnung zu bringen, indem sie ihnen einen neuen, tieferen Sinn gibt.

Wir dürfen die Einsicht des hl. Augustinus «Ordo est amoris», so verstehen, dass die Weltordnung ‒ die uns oft so chaotisch, ja absurd anmutet ‒ durch die Allmacht der Liebe doch letztlich Sinn hat.

Wer mit Überzeugung bekennen kann, «Ich glaube an Gott, den Vater», der drückt damit auch schon letztes Vertrauen aus auf die Allmacht von Gottes väterlicher Liebe.

Woher wissen wir das?

Es muss zunächst als offensichtlicher Widerspruch erscheinen, dass Gott zugleich liebend und ALLMÄCHTIG sei. Muss uns angesichts des Leidens, das wir in uns und um uns herum erfahren, Gottes Liebe nicht als aller Macht beraubt erscheinen? Oder noch ärger: Wäre ein allmächtiger Gott, der solches zulässt, nicht ein maßlos grausames Ungeheuer?

Diese Unvereinbarkeit kann niemals aus unpersönlicher Hubschrauberperspektive gelöst werden. Aus persönlicher Erfahrung aber wissen wir genug, um über den Widersinn hinauszukommen.

Was lehrt dich deine eigene Lebenserfahrung? Wonach sehnst du dich mehr, nach einer leidlosen Existenz oder nach einer sinnvollen? Ist nicht das ärgste Leid die Sinnlosigkeit?

Wir können härtere Entbehrungen überleben, als wir uns je zugetraut hätten, wenn aber das Leben für uns seinen Sinn verliert, geben wir auf und kommen um.

Was ist es aber, das dem Leben letztlich Sinn gibt?
Die Antwort lautet: Liebe.

Gillt das nicht ganz persönlich auch für Dich? Darüber müssen wir weiter nachdenken.

Liebe, die ihren Namen verdient, ist immer freies Geschenk; sie kann weder erkauft noch erzwungen werden. Das ist der springende Punkt. Nur Liebe gibt unserem Leben Sinn; Liebe aber setzt Freiheit voraus. Unsere Menschenwürde wurzelt in unserer Freiheit.

Wir können leider diese Freiheit missbrauchen und so Leid verursachen. Aber können wir Leid vermeiden, indem wir unsere Freiheit aufgeben?

Ohne Freiheit keine Liebe;
ohne Liebe kein Sinn im Leben;
ohne Sinn im Leben,
das größtmögliche Leid:
Sinnlosigkeit.

Der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse führt in die entgegengesetzte Richtung: Unsere Freiheit so zu gebrauchen, dass wir durch Liebe dem Leid Sinn geben ‒ und es so überwinden.

Es gibt ein lebensbejahendes Leiden
und ein lebensverneinendes.
Wir können sozusagen «gegen den Strich» leiden ‒ widerwillig;
oder mit dem Strich ‒ aus Liebe willig.

Was können wir aber denen sagen, die nicht im Stande sind, ihrem Leid durch Liebe Sinn zu geben?

Sagen können wir meist nichts, denn das wäre ehrfurchtslos angesichts solchen Leidens. Wir können ihnen nur schweigend zur Seite stehen und wissen: Wenn ein Kind leidet, so leiden Mutter und Vater noch mehr.

Die philosophische Konstruktion eines leidensunfähigen Gottes bricht da offensichtlich zusammen, sie löst sich schon in einer einzigen Kinderträne auf.

Im Bild des ALLMÄCHTIGEN Vaters ist inbegriffen,

dass immer und überall,
wo Leid ‒ und nicht nur menschliches Leid ‒ erlitten wird,
Gott selbst leidet.

Diese Einsicht schafft das Leiden nicht aus der Welt, aber sie nimmt ihm den Stachel, denn sie gibt ihm Sinn.

Warum ist das so wichtig?

Indem wir Gott unseren Vater nannten, begannen wir uns selbst und die ganze Welt als Gottes Haushalt in einem neuen Licht zu sehen: im Licht der Liebe.

Indem wir nun diese Liebe allmächtig nennen, bekennen wir gläubig, dass ihr Licht nicht nur in die Finsternis hinein, sondern «i n  Finsternis leuchtet» (Joh 1,5) ‒ im Leiden, im Widersprüchlichen, im letztlich Unverständlichen.

Liebe ist ALLMÄCHTIG, weil sie
die Finsternis zum Licht machen kann,
indem sie ihr Sinn gibt.

Ein solcher Glaube erschließt ganz neue Möglichkeiten, mit der Schattenseite der Wirklichkeit schöpferisch umzugehen.

All das hier Gesagte bleibt billiger Trost, solange wir Denken nicht umsetzen in Tun ‒ in unseren eigenen dunkelsten Stunden und den Dunkelstunden der Menschheit.

Da kommen uns vielleicht Namen in den Sinn von Menschen die uns als Pioniere diesen Weg vorangegangen sind ‒ Hildegard von Bingen, Elisabeth von Thüringen, Vincenz von Paul Florence Nightingale, Albert Schweitzer, Dietrich Bonhoeffer, Mutter Teresa ...

Diese Frauen und Männer ‒ und gar erst ihr Vorbild Jesus Christus ‒ waren auf der geschichtlichen Ebene am Ende doch die Unterlegenen.

Dadurch warnen sie uns auch: Wir dürfen die ALLMACHT Gottes nicht als höchste Steigerungsstufe der Macht der Mächtigen missverstehen. Das Machtsystem der Welt ist ja eine Hauptursache der Leiden. Sie standen auf der Seite der von diesem System Unterdrückten und Ausgebeuteten, und sie unterlagen.

Trotzdem sind sie strahlende Zeugen dafür, dass die ALLMACHT Gottes, die das Credo meint, nämlich die ALLMACHT der Liebe, das Leid überwindet, indem es dem Leben Sinn gibt.

Liebe ist allmächtig, selbst in der Niederlage.

Persönliche Erwägungen

Das Wort ALLMACHTIG kann leicht irreführen, weil es uns dazu verleitet, die Macht der Mächtigen in der Weltgeschichte zum Maßstab dafür zu nehmen, was wir Macht nennen.

Alle spirituellen Traditionen der Welt kennen aber einen anderen Maßstab. Paulus drückt ihn so aus:

«Die göttliche Schwachheit ist stärker als die Menschen sind» (1 Kor 1,25).
«Wenn ich schwach bin, bin ich stark», sagt er (2 Kor 12,10).

Diese Wahrheit zeigt sich meist erst nach und nach als letztgültig.

Vielleicht sollten wir Gott daher lieber
«letztmächtig» nennen als ALLMÄCHTIG.

Vor 2500 Jahren schon schrieb Laotse im Tao Te King:[1]

«Auf der ganzen Welt
gibt es nichts Weicheres und Schwächeres als das Wasser.
Und doch in der Art wie es dem Harten zusetzt,
kommt nichts ihm gleich.
Es kann durch nichts verändert werden.

Dass Schwaches das Starke besiegt
und Weiches das Harte besiegt,
weiß jedermann auf Erden,
aber niemand vermag danach zu handeln.»

(Übersetzung von Richard Wilhelm; Abschnitt 78)

Warum vermögen wir nicht danach zu handeln?

Weil das viel von uns verlangt. Und was es verlangt, das sagt Jesus im Lukasevangelium (22,25f): «Die weltlichen Könige üben Gewalt aus, und die Machthaber nennt man gnädige Herren. Bei Euch aber soll das nicht so sein! Der Größte unter euch soll sein wie der Geringste, und der Vornehmste wie ein Diener».

Das entscheidende Merkmal göttlicher Macht
ist es, dass sie nicht  ü b e r mächtigt,
sondern  e r mächtigt.

Wir alle haben mehr Macht, als wir meinen.

Wo hast du persönlich Ermächtigung erfahren oder gespendet? In deiner Familie? Wie würde dein Arbeitsplatz aussehen, wenn jeder Übergeordnete sich als Diener der Untergeordneten verstünde? Und warum ist das nicht wirklich so? Erinnerst du dich an ein Erlebnis, in dem etwas Schwaches dich mit Macht bewegte?

Dichtung kann das, worum es hier geht, eindrücklich sagen, ohne es ausdrücklich sagen zu müssen: In einem Gebet, in dem er Gott als «Du grenzenlose Gegenwart» anspricht ‒ unbegrenzt also auch an Mächtigkeit ‒ beschreibt Rainer Maria Rilke wie er Gott als den Mächtigen, ja Übermächtigen feiern und darstellen würde: als großes Fest, als prunkendes Juwel, als Berg, als Brand, als Sandsturm in der Wüste. Aber das sind alles begrenzte menschliche Machtvorstellungen.

Die wahre Macht grenzenloser Gegenwart offenbart sich ihm am Ende des Gedichtes ‒ in Schwachheit.

«Wenn ich gewachsen wäre irgendwo,
wo leichtere Tage sind und schlanke Stunden,
ich hätte dir ein großes Fest erfunden,
und meine Hände hielten dich nicht so,
wie sie dich manchmal halten, bang und hart.

Dort hätte ich gewagt, dich zu vergeuden,
du grenzenlose Gegenwart.
Wie einen Ball
hätt ich dich in alle wogenden Freuden
hineingeschleudert, dass einer dich finge
und deinem Fall
mit hohen Händen entgegenspringe,
du Ding der Dinge.

Ich hätte dich wie eine Klinge
blitzen lassen.
Vom goldensten Ringe
ließ ich dein Feuer umfassen,
und er müsste mirs halten
über die weißeste Hand.

Gemalt hätt ich dich: nicht an die Wand,
an den Himmel selber von Rand zu Rand,
und hätt dich gebildet, wie ein Gigant
dich bilden würde: als Berg, als Brand,
als Samum, wachsend aus Wüstensand –

oder
es kann auch sein: ich fand
dich einmal ...
                       Meine Freunde sind weit,
ich höre kaum noch ihr Lachen schallen;
und du: du bist aus dem Nest gefallen,
bist ein junger Vogel mit gelben Krallen
und großen Augen und tust mir leid.
(Meine Hand ist dir viel zu breit.)
Und ich heb mit dem Finger vom Quell einen Tropfen
und lausche, ob du ihn lechzend langst,
und ich fühle dein Herz und meines klopfen
und beide aus Angst.»

[Credo: Ein Glaube, der alle verbindet (2010): ‹Ich glaube an Gott, den Vater, DEN ALLMÄCHTIGEN›, 46-51]

[Ergänzend:

1. Audios

‹Wenn ich gewachsen wäre irgendwo …› (Rilke: Das Stunden-Buch)

1.1. Lebendige Spiritualität (2015) mit Texten von Rainer Maria Rilke
Wort:
(01:01:13) Dass unsere Hände wären, wie unsere Augen sind (Schmargendorfer Tagebuch) – Gedenkt euch der Hände (Die zweite Elegie) – Meine Hand ist dir viel zu breit (Wenn ich gewachsen wäre irgendwo, Das Stunden-Buch) – Ich habe dich bei deiner Hand gefasst (Jes 42,6)
Der Doppelbereich:
(22:56) ‹Und ich fühle dein Herz und meines klopfen und beide aus Angst› (‹Wenn ich gewachsen wäre irgendwo›, Das Stunden-Buch) / (26:31) Meine Kraft kommt in Schwachheit zur Vollendung (2 Kor 12,9 und 12,10 /1 Kor 1,25) / (27:11) Im Gespräch mit P. Johannes: Ich bin bei ihm in seiner Not (Psalm 91,15) – Furcht und Angst

1.2. Spiritualität im Alltag in Dienten (1994)
Gespräch:
(14:49) Wo immer man ernstlich auf dem Weg ist, muss man sich plagen: ‹Über die Freude, dass es nicht der Weg ist, der eng ist, sondern die Enge, die der Weg ist› (Sören Kierkegaard) / (16:26) Die Allmacht Gottes verstehen als Allmacht der Liebe und die Liebe macht sich schwach und macht sich verwundbar: Die Liebe kann noch aus dem größten Elend etwas Besseres hervorbringen als wenn das Elend nicht geschehen wäre / (19:54) ‹Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark› (2 Kor 12,10) ‒ ‹Und ich fühle dein Herz und meines klopfen und beide aus Angst› (Rilke: Das Stunden-Buch: ‹Wenn ich gewachsen wäre irgendwo›

1.3. Retreat-Woche in Assisi (1989)
‹Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn›:
(21:06) ‹Wenn ich
gewachsen wäre irgendwo› (Rilke, Das Stunden-Buch): Gott, der Verwundbare

‹Am Abend unseres Lebens werden wir gemäß der Liebe gerichtet werden.› (Johannes vom Kreuz)

1.4. In der Liebe gedeihen – Eine Begegnung mit David Steindl-Rast (2025): Maria Harmer trifft Bruder David kurz vor seinem 99. Geburtstag in Wien:
(00:20) Gott ein strenger Richter: Diese Vorstellung hat viele Menschen verletzt: Gemeint ist ‹richten› im Sinn von: ‹Er richtet, was zerbrochen ist, wie Kinder sagen: Der Papa wird’s schon richten› (09:21) Auf seine eigene Endlichkeit angesprochen, antwortet Bruder David mit einem Wort des hl. Johannes vom Kreuz (1542-1591): ‹Am Ende unseres Lebens werden wir von der Liebe gerichtet werden. Die Liebe wird uns zurechtrichten: alles, was noch nicht richtig da war, was uns nicht ganz gelungen ist im Leben. Also wir erwarten nicht einen strengen Richter, sondern einen liebenden Zurechtrichter.›

2. Texte

2.1. Im Buch Credo: Ein Glaube, der alle verbindet (2010): ‹Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten›, 181:

«Kannst du selber dich an Ereignisse erinnern; die dir halfen, dein Leben nach einer ihm innewohnenden göttlichen Ordnung aus-
zu  r i c h t e n ?

Hat dich eine solche Erfahrung wie ein Hammerschlag getroffen, oder eher wie Tauwetter innerlich zum Schmelzen gebracht?

Wie wirkt auf dich dieses Wort des hl. Johannes vom Kreuz (1542-1591), neben Theresa von Avila (1515-1582) der größte spanische Mystiker:

‹Am Abend unseres Lebens werden wir
gemäß der Liebe gerichtet werden.»

«En el atardecer de nuestras vidas
seremos juzgados en el amor.›»

2.2. Und im Credo:Hinabgestiegen in das Reich des Todes›, 151f.; siehe auch Reich Gottes ‒ ‹auferstanden:

«Zu wissen, wofür Jesus lebte und sein Leben hingab, bedeutet, Gottes Weisheit und Macht darin zu erkennen.

Diese Weisheit ist aber nach weltlichem Ermessen Torheit, diese Macht Schwachheit. In der Sprache Martin Luthers:

‹Die göttliche Torheit ist weiser,
als die Menschen sind;
und die göttliche Schwachheit ist stärker,
als die Menschen sind›
(1 Kor 1,25).

Gottes Autorität lässt sich aber nicht auf immer ignorieren. Es ist ja die Autorität der Liebe, um die es hier geht, und wir wissen im Innersten, dass dies die letztgültige Autorität ist.

Früher oder später ‒ am dritten Tag ‒ muss es sich erweisen:

Liebe ist stärker als der Tod.

Wir wissen das in unserem Herzen, schon bevor das Zeugnis der Jünger von der Auferstehung es uns von außen her bestätigt.

Wie weit die Auferstehungstexte der Evangelien geschichtliche Berichte sein mögen, wie weit Bildersprache für etwas Unbegreifliches, ist diskutabel. Eines wissen wir jedenfalls:

Die Jünger erlebten das, was sie seine Auferstehung nannten als ein Ereignis, das ihr Leben von Grund auf veränderte.

Durch den Tod Jesu zerschmettert und mutlos gemacht, setzen sie sich kurze Zeit später (vielleicht nicht genau ‹am dritten Tag›) unbeirrt für die Ideale Jesu ein. Sie stehen vor den Obrigkeiten, die ihn zum Tod verurteilt hatten und sagen unerschrocken, ja, fast tolldreist:

‹Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der Gott unserer Väter hat Jesus, den ihr ans Kreuz gehängt und umgebracht habt, auferweckt. ... Und wir sind Zeugen dieser Ereignisse› (vgl. Apg 5,29-32).»]

_________________________ 

[1] Der Fließweg: Gedanken zum Daodejing des Laozi (2024)



Quellenangaben

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.