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Was am Ende wirklich zählt (2022)
Transkription des Vortrages  von Bruder David,
bearbeitet von Hans Businger

David Steindl-Rast im Video-Interview mit Johanna Schury im Rahmen des Online-Kongresses ÄLTESTENRAT (24. März 2022)

Vorspann mit David Steindl-Rast: «Wenn man wach wird und einsieht, dass auch in den Schwierigkeiten eigentlich nur eine neue Gelegenheit für Wachstum und größere Lebendigkeit liegt, dann kann man dankbar leben. Lebensvertrauen ist wahrscheinlich das wichtige Thema, das dahintersteht.»

Isha Johanna Schury begrüßt, stellt Bruder David Steindl-Rast vor und geht auf seine Lebensthemen ein.

(02:41) «Bruder David, ich würde gleich einsteigen bei einem Thema, das mir sehr am Herzen liegt und das dir auch so wie ich gelesen habe und gehört habe, am Herzen liegt:

Was spielt Dankbarkeit im Leben für uns als Menschen für eine Rolle bzw. für alle, nicht nur für uns Menschen: Hol uns ein bisschen herein in das Thema Dankbarkeit».

David Steindl-Rast: «Also für mich persönlich war lebenslang das Thema Dankbarkeit ein sehr zentrales Thema. Denn man könnte sagen: Die Spiritualität der benediktinischen Mönche ist Dankbarkeit, wenn man es in einem Wort zusammenfassen möchte.

Da darf man nicht denken, wenn einem was Nettes passiert, dass man halt dann dankbar ist dafür, sondern es ist eine Haltung dem Leben gegenüber. Es geht nicht um hie und da mal danke zu sagen, sondern um dankbares Leben, um eine ganze Lebenshaltung.

Und wenn man bedenkt, dass uns alles geschenkt ist, dass wir uns unsere Existenz ja nicht verdient haben oder erkauft haben, oder dass in jedem Augenblick das Leben neue Gelegenheiten schenkt, zu wachsen, uns zu freuen, zu bewundern, zu rühmen ‒ jeden Augenblick ‒, dann ist es einfach eine Lebenshaltung, dafür dankbar zu sein.

Das erscheint mir das Entscheidende: Zu unterscheiden zwischen nur dankbar sein und dankbar leben. Nicht hie und da dankbar sein, sondern das zu einer Lebenshaltung zu machen.

Und dahinter steht natürlich noch etwas größeres als Dankbarkeit, nämlich Lebensvertrauen.

Das macht die Dankbarkeit erst möglich. Denn wenn wir dem Leben nicht vertrauen, dann schenkt es uns in dem Augenblick vielleicht ‒ ich weiß nicht, was man sich da vorstellen soll ‒ Strafen oder nur Schwierigkeiten. Aber wenn man wach wird und einsieht, dass auch in den Schwierigkeiten eigentlich nur eine neue Gelegenheit für Wachstum und größere Lebendigkeit liegt, dann kann man dankbar leben.

Lebensvertrauen ist wahrscheinlich das wichtige Thema, das dahintersteht.»

Isha Johanna Schury: «Ich verstehe. Bruder David: Wie können wir denn das Vertrauen in uns finden, wenn wir es nicht spüren, wenn wir das Gefühl haben: Ach, wir haben die Verbindung zu diesem Vertrauen gar nicht so richtig. Wo können wir das denn finden?»

David Steindl-Rast: «Für viele Menschen ist das eine große Schwierigkeit. Weil es ihnen vielleicht genommen wurde durch schwere Erlebnisse und so. Aber wenn wir zurückschauen auf unser Leben ‒ und dazu brauchen wir gar nicht so besonders alt sein, wenn wir zurückschauen auf unsere Lebenserfahrungen, dann sehen wir, dass auch das Schlimmste, das uns zugestoßen ist, von dem wir gedacht haben: Also das ist jetzt wirklich das Ende und das ist nur schrecklich, dass auch das immer zum Besten war.

Also, dass Leben auch aus den größten Schwierigkeiten immer das Beste hervorbringt.

Ich habe das schon öfters erlebt, dass, wenn man Menschen einlädt, einmal zurückzuschauen und zu sehen, ob sich das in ihrem eigenen Leben bewahrheitet, dann alle sagen, auch die jungen: ‹Ja das ist schon eigentlich wahr, auch was mir die größten Schwierigkeiten gemacht hat, wurde schließlich doch eine Quelle neuen Lebens und neuer guter Erfahrungen›.

Dass wir aufs Leben vertrauen können und dürfen, ist eine Lebenserfahrung. Wenn wir nur still werden und darüber nachdenken.

Außerdem kann man sich auch fragen: Wenn ich ohne Lebensvertrauen lebe, was ist dann das Gegenteil?

Es ist Furcht. Es ist beständige Furcht. Das ist ja kein Leben. Das ist ja wie Tod, so hinzuleben, so mit ständiger Furcht.

Und leider leben viele Menschen mit dieser Furcht. Und darum ist es eine ganz wichtige Aufgabe, auch eine Aufgabe für ältere Menschen, den jüngeren Lebensvertrauen irgendwie zu vermitteln.

Das meiste vermittelt man durch sein Beispiel natürlich. Aber auch es verständlich zu machen, darin sehe ich auch für mich eine große und wichtige Aufgabe.»

Isha Johanna Schury: «Oft ist es ja schon den Eltern schwergefallen, Vertrauen in ihrem Leben zu finden. Und diese Festigkeit und diese Bewusstheit. Und so können sie es auch schwierig an die Kinder weitergeben.

Was würdest du denn sagen, Bruder David: Was ist ein ganz wichtiges Werkzeug, um das in sich zu erschaffen, wenn es nicht schon da ist oder wenn wir es einfach nicht sehen können. Ich denke, so Viele wünschen sich ja diesen Zustand des Vertrauens und der Liebe und der Dankbarkeit und sich Wohlfühlen. Sie erahnen, wie schön das wäre, wenn es in ihnen wach wäre und finden trotzdem nicht dahin. Gibt es ein Werkzeug?»

David Steindl-Rast: «Und da kommt wieder die Dankbarkeit herein. Und die Übung der Dankbarkeit und die Übung der Dankbarkeit ist ein ganz einfacher Dreischritt:

Stop ‒ Look ‒ Go.

Also ein Innehalten, Innewerden und dann Tun.

Und das heißt immer wieder im Laufe des Tages ‒ und das kann man üben ‒, immer wieder innezuhalten, einen kleinen Augenblick der Stille dieses automatische Dahinleben unterbrechen und einen Augenblick lang still zu werden, und in dieser Stille, die es schafft, jetzt Raum zu sehen. Und zwar hinzuschauen: Was gibt mir jetzt das Leben in diesem Augenblick für eine Gelegenheit? Das ist das ‹Look›.

Jetzt kommt das ‹Go›: Das ‹Go› heißt: Mach jetzt etwas aus dieser Gelegenheit. Und meistens ‒ das glauben viele Menschen gar nicht ‒, aber wenn sie es beginnen zu üben, sehen sie es ja bald, meistens ist es die Gelegenheit, uns zu freuen, uns an etwas zu freuen. Uns daran zu freuen, dass wir atmen können. Das nehmen wir einfach so als gegeben hin, das ist leider für unzählige Menschen keine solche fraglose Gegebenheit.

Wir können atmen, wir können sehen, wir können hören. Alle unsere Sinne werden lebendig, wenn wir Hinhorchen und Hinfühlen und Hinriechen auch ‒ ein so vernachlässigtes Geschenk des Lebens.

Also, wenn wir einmal hinschauen, sehen wir schon, wie viele Gelegenheiten uns das Leben gibt, uns daran zu freuen.

Und dann eben auch die schwierigen Gelegenheiten, für die man auch gar nicht dankbar sein kann. Man kann nicht dankbar sein für schlechte Nachrichten, den Tod eines Freundes oder die Kriegsgefahren oder Pandemie: Dafür kann man nicht als solches dankbar sein, aber man kann sich immer fragen ‒ und immer auch mit den ganz schwierigen Gelegenheiten ‒ gibt das Leben uns zugleich Gelegenheit, irgendetwas daraus zu machen. Das macht die Dankbarkeit ungeheuer kreativ.

Es ist nicht ein Hinnehmen, sondern es ist ein Hinhorchen: Wozu ist es jetzt Zeit, um das zu tun.

Schon dass uns das Leben Zeit gibt, ist ja ein ungeheures Geschenk. Und eben je älter man wird, umso mehr weiß man auch, dieses Geschenk zu würdigen.»

Isha Johanna Schury: «Ich höre jetzt ganz viel heraus. Zum Beispiel: Wir denken ja immer, wir müssen erst irgendwas haben, um zu …: Wir müssen dies haben, um glücklich zu sein, wir müssen das werden, um gut zu sein. Immer haben wir irgendwie das Gefühl: Wir müssen erst …, dass Leben geschehen kann.

Aber was ich bei dir jetzt heraushöre, ist, dass es unabhängig von dem äußeren Umstand immer mein inneres Jetzt gibt, und das innere Jetzt kann ich jederzeit mit Freude, mit erkennender Freude füllen, indem ich zulasse, zu erkennen, dass ich bereits beschenkt bin, weil ich schon atmen darf, weil meine Augen sehen dürfen, weil meine Ohren hören dürfen, und ich einfach hier sein darf und diesen Moment jetzt erleben darf. Verstehe ich das richtig?»

David Steindl-Rast: «Darum ist es so entscheidend, dass wir innehalten und dann horchen: hinhorchen: Was will jetzt das Leben von mir.

Es gibt mir eine Gabe, immer die Gelegenheit, die das Leben jetzt mir schenkt, ist eine Gabe, aber wie es heißt: In jeder Gabe ist eine Aufgabe enthalten und sehr häufig kommt es vor, dass unsere Ideen, was wir jetzt werden müssen oder sollen oder was wir noch aus uns machen sollen usw. Das hat sehr wenig damit zu tun, was das Leben von uns will.

Und das ist eine der großen Schwierigkeiten: Nicht seine eigenen Ideen zu haben, sondern hinzuhorchen …

Wenn ich sage: Das Leben ‒ das sind die ganzen Umstände, in denen ich mich jetzt zurzeit befinde ‒, und dahinter steht natürlich das große Geheimnis des Lebens selber, ist uns ein unauslotbares Geheimnis.

Wenn ich sage ‹Geheimnis, dann meine ich nicht irgendwie so was wie Geheimnistuerei oder etwas Verschwiegenes. Ich meine etwas ganz Konkretes:

Wir sind im Leben immer wieder konfrontiert mit einer Wirklichkeit, die hinter allen anderen Wirklichkeiten steht, eine Wirklichkeit, die wir nicht begreifen können. Wir können sie nicht in den Griff bekommen, aber wir können sie verstehen, wenn wir hinhorchen.

Das ist ein großer Unterschied zwischen Begreifen und Verstehen.

Unser Begreifen ist sehr begrenzt. Ganz gleich, wie groß unsere Hände sind, sie können immer nur einen verhältnismäßig winzigen Teil der Wirklichkeit in den Griff bekommen.

Und was wir intellektuell in den Griff bekommen, ist ein sehr kleiner Teil der Wirklichkeit, aber die ganze Wirklichkeit spricht immer wieder zu uns und das können wir verstehen, wenn wir hinhorchen.

Ein gutes Beispiel für den Unterschied zwischen Verstehen und Begreifen ‒ es ist ein sehr wichtiger Unterschied ‒, ist für mich immer die Musik. Wir können die Musik nicht begreifen. Wer kann Musik begreifen, in den Griff bekommen, intellektuell und konzeptionell irgendwie darstellen, das Wesen der Musik?

Aber wenn wir hinhorchen auf die Musik und sie uns ergreift, dann können wir sie verstehen.

Wenn wir auf das Geheimnis, das hinter allem steht, hinhorchen, und uns davon ergreifen lassen, diese Ergriffenheit: darin liegt das Wesen des Verstehens.

Und das ist eine große Aufgabe im Leben, Ergriffenheit zu lernen, sich ergreifen zu lassen.

Dazu gehört natürlich wieder das Lebensvertrauen.

Es spielt eines ins andere. Es hängt alles mit einander zusammen.

Aber wie schön ist doch Ergriffenheit, wie freuen wir uns, wenn wir von etwas ergriffen sind: von der Schönheit, von der Güte eines Menschen, vor der Wahrheit einer Einsicht. Das sind große Geschenke des Lebens.

Also lernen, sich ergreifen zu lassen. Ergriffenheit lernen, das ist auch eine große Aufgabe.»

(18:43) Isha Johanna Schury: «Sehr berührend deine Worte, ich habe mir jetzt gedacht, Bruder David, es sind ja so oft so viele Stimmen in mir. Es spielt eine gewisse Musik in mir. Da gibt es Stimmen, die wollen etwas und die brauchen etwas. Und dann gibt es Stimmen, die fühlen etwas. Und du sagst ja, dass es entscheidend ist, in sich hineinzuhören, was das Leben jetzt von mir will.

Aber das, was du jetzt zum Schluss gesagt hast: Sich ergreifen lassen. Es ist letztendlich auch das, was ich mir schenken lassen darf und muss, um die ruhige Stimme des Lebens auch erkennen zu können.

Denn woher weiß ich, welche Stimme gerade auf mich einspricht? Ich will sie unterscheiden, dass ich auch wirklich höre: Welche Stimme ist jetzt das wirkliche Leben und welche Stimme ist vielleicht mein Ego oder mein Brauchen, mein Wollen, meine Angst?»

David Steindl-Rast: «Vielleicht meine Güte und mein Mitleid. Wer heute nicht mit tiefem Mitleid und Schmerz auf die Welt schaut, dem fehlt etwas.

Wenn man wirklich wach ist, musss man heute schon an der Welt leiden, leider.

Aber im gegebenen Augenblick ein gutes Glas Wasser zu haben, was Millionen Menschen fehlt, und einfach jetzt dieses Glas Wasser mit Freude und Genuss zu trinken …

Alle diese Ängste und Schmerzen für die Welt sind im Augenblick nicht wichtig für dich. Was für dich dir das Leben jetzt schenkt, ist dieses Glas Wasser und an dem darfst du dich vollkommen freuen und es genießen.

Darum ist dieses Eine jetzt wichtig und das Andere ist natürlich im großen Bild viel wichtiger, aber für dich jetzt ist etwas wichtig, was dir jetzt das Leben sagt.

Wenn du dich übst darin, darauf zu antworten, dann wirst du auch die richtige Antwort geben, wenn die Gelegenheit kommt, etwas gegen den Hunger in der Welt zu tun oder etwas gegen den Krieg zu tun. Wir alle können kleine Dinge tun, wir sehen vielleicht die Zusammenhänge gar nicht. Aber wo immer wir zum Beispiel gegen Aggression in uns selbst und in unserer Umwelt einen kleinen Schritt zur Versöhnung tun, haben wir gegen den Krieg und gegen das Unrecht in oder Welt beigetragen. Wir haben einen Beitrag geleistet. Aber das können wir nur tun, wenn wir wirklich aufmerksam sind und bewusst tun, was in diesem Augenblick das Leben von uns verlangt.»

Isha Johanna Schury: «Wie du gerade gesagt hast, haben wir gegen Ungerechtigkeit und gegen das Schlechte was Gutes und gleichzeitig für die Liebe und für das Geschenk der Göttlichkeit in unserem Leben. Denn letztendlich wohnt ja das Glück eh in allem. Es ist an uns, es erkennen zu können, so wie du es jetzt auch so wunderschön beschreibst.

Mir kommt jetzt natürlich der Begriff Achtsamkeit, den wir so jetzt noch nicht erwähnt haben. Ich glaube zwar, dass du die ganze Zeit auch schon von Achtsamkeit sprichst in dem, was du sagst, aber wollen wir auch die Achtsamkeit nochmals so ein bisschen betonen: Wie wichtig es ist, dass wir mit allem so gut es uns geht auch achtsam umgehen: mit uns selbst ‒ mit unserem Sein ‒ und gleichzeitig mit jedem und allem, was uns begegnet: Tiere und Pflanzen.»

David Steindl-Rast: «Da hast du vollkommen recht. Alles, wovon wir bis jetzt gesprochen haben, hat mit Achtsamkeit zu tun. Also nicht durchs Leben so schlafwandelnd zu gehen, sondern eben aufzuwachen:

Das Stop ‒Look ‒ Go ist auch ein Aufwachen, ist ein Prozess des Aufwachens und des wachen Tuns. Und du hast auch völlig recht, dass das alles mit Liebe zu tun hat. Nur verwende ich das Wort Liebe sehr vorsichtig, weil es so viele Missverständnisse darüber gibt.

Wenn ich Liebe sage, meine ich das gelebte Ja zur Zugehörigkeit und wenn man genau hinschaut, sieht man, dass sich das eigentlich ‒ so wie eine Definition ‒ auf alle Formen der Liebe anwenden lässt.

Es ist das gelebte Ja zur Zugehörigkeit. Wenn wir das üben ‒ das ist natürlich das Entscheidende am ganzen Leben ‒ die Liebe ist das Entscheidende.

Ein großer Denker ‒ Otto Mauer, ein Wiener Priester, Mitte des 20. Jh., hat das wunderschön ausgedrückt:

‹Der Mensch stirbt nicht am Tod, sondern an ausgereifter Liebe›.

Also das ist die Aufgabe des ganzen Lebens: die Liebe ausreifen zu lassen.

Alle Beziehungen, Zugehörigkeit, ausreifen zu lassen.»

Isha Johanna Schury: «Br. David, wenn du sagst, die Liebe ist das Ja zur Zugehörigkeit, existiert Liebe dann ausschließlich im Wir ‒ wohnt Liebe in der Gemeinsamkeit … oder kann ich sie trennen? Wahrscheinlich nicht.»

David Steindl-Rast: «Zur Liebe gehören mindestens zwei, aber wenn es wirklich Liebe ist, dann ist es niemals begrenzt. Oder es grenzt nicht aus. Die Form und auch die Intensität des Gefühls usw., das ist natürlich ganz verschieden, ob ich jetzt meinen Hund liebe, oder meine Braut oder mein Vaterland. Das sind schon recht verschiedene Formen der Liebe. Aber in allen Teilen ‒ und das ließe sich auf jede Form anwenden ‒, geht es darum, ein gelebtes Ja zu sagen, es nicht mit dem Mund zu sagen, sondern mit dem Leben zu sagen, ein Ja: Wir gehören zusammen und wir sind letztlich eins.

Also, jede Liebe zielt letztlich auf die größte Gemeinschaft und das ist nicht einmal nur die menschliche Familie, die Menschheit, sondern die Tiere gehören dazu, die Pflanzen gehören dazu, es ist eine kosmische Gemeinschaft.

Die ist, wo immer wir Liebe wirklich üben ‒ ich wollte sagen: fühlen, aber fühlen ist viel zu wenig ‒, es ist ein Üben, ein Tun, das Leben, das Ja sagt zur Zugehörigkeit.

Wenn wir Liebe leben, dann sind wir immer auch durch die kleine Pforte, auf die sich unsere gerade bezieht, sind wir durch diese kleine Pforte auf das ganze Universum bezogen und auf das große Geheimnis, das hinter allem steht oder in allem zum Ausdruck kommt.»

Isha Johanna Schury: «Warum haben wir immer so das Gefühl, etwas zu versäumen, Bruder David?

Die Menschen haben immer das Gefühl, sie versäumen etwas und landen nie in ihrem Jetzt, sind immer entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft, und wenn doch Liebe im Leben nur im Jetzt stattfindet, warum versäumen wir dann so gern oder so oft unser Leben?»

David Steindl-Rast: «Die Frage geht über das Thema Liebe eigentlich hinaus. Es ist wieder die Frage: Können wir im Jetzt wirklich leben, können wir uns Üben, im Jetzt zu leben?

Und wenn wir dankbar leben, wenn wir im Augenblick ‒ in jedem Augenblick idealerweise ‒ hinhorchen, ganz da sind, für das, was das Leben uns zuspricht in diesem Augenblick und es dann versuchen zu tun, der Aufgabe gerecht zu werden: Wenn wir das tun, dann leben wir im Augenblick.

Und im Augenblick hat dieses Gefühl, etwas zu versäumen überhaupt keinen Platz, wird sind ja so beschäftigt mit dem, was wir jetzt tun, dass uns das gar nicht in den Sinn kommt.

Ich verstehe schon, was du damit meinst: immer das Gefühl haben, ich versäume etwas, aber das kommt nur davon, dass wir eben nicht wirklich im Jetzt leben.

Die Übung der Dankbarkeit ‒ Dankbarkeit als ein spiritueller Weg, das ist er ja ‒, auf diesem Weg zu gehen, ist eigentlich ein sehr sicheres Mittel, nicht in diese Angst zu verfallen, etwas zu versäumen.»

Isha Johanna Schury: «Jetzt hast du ja bestimmt auch viel mit Sterbenden schon in deinem Leben zu tun gehabt, mit Menschen, die am Ende ihres Lebensweges sind. Ich könnte mir vorstellen oder vielleicht kannst du uns sagen, was ist es denn, was diese Menschen am Ende unzufrieden macht, warum sie dann am Ende vielleicht doch irgendetwas bereuen. Was äußern sie, was sagen sie, was benennen sie?»

David Steindl-Rast: «Also ich muss zugeben, ich habe nicht sehr viel Erfahrung mit Sterbenden, Sterbehilfe oder so, das habe ich nicht gemacht. Ich war am Tod von Menschen dabei, aber alte Menschen, die sich irgendwie vor dem Tod fürchten, denen bin ich natürlich begegnet und dieses Gefühl, dass man etwas versäumt hat oder dass man etwas schlecht gemacht hat oder so, das ist schon oft ein Problem. Wie soll man damit umgehen?

Ich kann es mir nur so vorstellen, wie man mit Schuldgefühlen überhaupt im Laufe des Lebens umgehen kann, ganz gleich, wie nahe man dem Tod ist.

Und mein Rat ist immer, einerseits die Schuld anzuerkennen: Da war ich mir nicht selber treu, da war ich einem Andern nicht treu, da hab ich etwas versäumt, was ich tun hätte können, und es zunächst einmal eingestehen, dann mit festem Entschluss gleich aus diesem Gefühl, es ist ja ein ungutes Gefühl, eine Energie, diese Energie gleich verwenden, um zu sagen, nächstes Mal mache ich es besser, und von dem Augenblick an keinerlei Energie mehr in dieses Erlebnis einfließen zu lassen, denn das ist alles verschwendete Energie, über meine Fehler nachzudenken, sondern von da an nur vorwärts und alle Energie ‒ : Jetzt besser machen.

Das ist das Entscheidende. Und ganz gleich, wie nahe man dem letzten Augenblick steht, ich kenne keine andere Methode, damit umzugehen.

Wenn dann jemand sagen wird, ja, die Ärzte sagen mir, ich habe nur noch ein paar Tage oder ein paar Stunden zu leben, dann würde ich sagen, in den paar Stunden alles, Menschen und Tiere und Pflanzen dir vorzustellen und Ja zu sagen und dankbar zu sein dafür und das Leben zu rühmen und zu preisen und nicht auf meine kleinen Fehler überhaupt einzugehen.

Das Leben ist viel großzügiger als wir es sind.

Sogar in der christlichen Bibel, im Neuen Testament, das ja sonst sehr verrufen ist, diese Schuldgefühle immer wieder aufzubringen und den Menschen aufzuladen, sogar dort steht ganz ausdrücklich:

‹Wenn dein Herz dich anklagt, Gott ist größer als dein Herz.›

Die Vergebung Gottes ist immer größer. Darauf kann man sich sogar als Christ verlassen.»

Isha Johanna Schury: «Das heißt, die Begrenzungen, die sind immer eh nur von uns selbst gemacht, weil das Leben eigentlich nicht begrenzt ist und Gott nicht begrenzt ist.»

David Steindl-Rast: «Da hast du vollkommen recht. Begrenzungen sind von uns gemacht und beginnen damit, dass wir unser Interesse und unser ganzes Denken auf unser kleines Selbst beschränken und alles Übrige ausblenden. Je mehr wir unser Ich-Bewusstsein auf ein Wir-Bewusstsein ausweiten, um so glücklicher werden wir im Leben.

Und wir müssen lernen, und das ist die große Aufgabe denke ich unserer Zeit. Wir leben in einer Zeitenwende und die größte Aufgabe scheint mir, vom Ich-Denken zum Wir-Denken überzugehen. Das verlangt das Leben jetzt glaube ich von uns allen.»

Isha Johanna Schury: «Wenn ich das Kongressbeispiel nehme, wo es auch so darum geht: den Lebenssinn finden, sein Potenzial entfalten, dann bekomme ich mehr und mehr das Gefühl, dass es darum wahrscheinlich nicht geht. Es geht wahrscheinlich nicht darum, meinen Lebenssinn in der Form ‒ egoistisch geprägt ‒ zu entdecken oder zu entfalten oder das Potential in mir zu suchen, wahrscheinlich würde die Antwort des Lebens eh kommen, wenn ich Ja zu allem um mich herum sagen würde. Oder dann würde das Leben darauf antworten mit dem, was ich ja eh in mir trage ins Leben.»

David Steindl-Rast: «Und wir erleben immer wieder, dass das Leben es besser meint und besser weiß als wir. Das Leben ist weiser als unser kleiner Verstand.»

Isha Johanna Schury: «Ja! Das heißt, wir könnten uns dieses ganze Tamtam schenken mit ‹Finde deinen Lebenssinn, finde dies, finde jenes›: Macht das Sinn? Wahrscheinlich nicht so viel, oder?»

David Steindl-Rast: «Es ist schon eine sehr gute Frage: ‹Wie kann ich meinen Lebenssinn finden›? Und die Antwort ist: ‹Nicht dadurch, dass ich in mir grüble und mir selber Pläne mache ‒ das ist ja ein winziger Teil des ganzen Lebens ‒, sondern ich kann den Sinn meines Lebens dadurch finden, dass ich auf das Leben selber, wie es mir gerade jetzt in diesem Augenblick begegnet, hinhorche und antworte.»

Isha Johanna Schury: «Ja.»

David Steindl-Rast: «Und das ist, wie du sagst, ohne viel Tamtam.»

Isha Johanna Schury: «Ja, vielleicht nehmen wir Vieles in unserem Kopf, was da so unterwegs ist, zu wichtig und sollten die Wichtigkeit da rausnehmen, sondern das einfache Ja ‒ ein Ja ist ja etwas ganz Einfaches: Wir machen ja das Ja und das Nein, das besetzen wir selbst immer mit so etwas Großem, aber wahrscheinlich wohnt die Einfachheit da drin und die müssen wir vielleicht wieder finden.»

David Steindl-Rast: «Das ist schon auch etwas, was man im Alter lernt: vereinfachen.

Man kann nicht früh genug anfangen, das Leben zu vereinfachen. Es ist schwierig genug.

Aber einfach eine große Vereinfachung ist, dass man die ganze Last von seinen eigenen Schultern abnimmt und einfach Augenblick für Augenblick das tut, was das Leben und die Umstände des Lebens uns nahelegen.

Also eine andere Form das zu sagen: aufs Leben hinzuhorchen. Und das heißt dann auch, auf alle anderen Menschen sehr gut hinzuhorchen, auf ihre Nöte, auf ihre Bedürfnisse, auf ihre Begabungen. Von jedem Menschen kann man so viel lernen, und nicht nur von den Menschen, sondern auch von den Tieren.

Ich glaube, wenn wir von unseren Hunden und Katzen ein bisschen lernen würden, dann wäre die menschliche Gesellschaft auch schon besser dran.»

Isha Johanna Schury: «Vor allem die Genügsamkeit, die lerne ich von meiner Katze. Die will ein bisschen fressen, ein bisschen schnurren, ein bisschen streicheln, ein bisschen spielen und alles ist gut.»

David Steindl-Rast: «Richtig. Und die Gelassenheit der Katzen. Ich glaube, es könnte Ernst Jünger gewesen sein, der gesagt hat: ‹Die Faulheit ist eine paradiesische Tugend, die die Katzen aus dem Paradies mitgebracht haben und die wir von ihnen lernen können›. Die Faulheit der Katzen: ich würde es nicht Faulheit nennen, das hat eine negative Belastung, sondern die Gelassenheit der Katzen.»

Isha Johanna Schury: «Ja, diese Energie des Lernen Wollens, das ist auch ein Geschenk, ich trage das ganz stark. Deswegen hatte ich auch den Impuls für diesen ÄLTESTENRAT-Kongress, weil ich es wunderschön finde, von dieser Weisheit und von dieser Erfahrung lernen zu dürfen. Da wohnt so viel ‒ großes Geschenk für mich drin. Viele von uns haben so das Gefühl, sie müssen nichts mehr lernen, sie wissen schon alles, aber lernen ist doch eine große Freude und trägt mich schon ein ganzes Stück weiter.»

David Steindl-Rast: «Ich war noch ein recht junger Mann, als ich eines Abends in New York City in einen kleinen Zoo hineingewandert bin ‒ damals hat es den Zoo noch gegeben, den gibt es heute nicht mehr, das muss eine Art Kinderzoo gewesen sein im Central Park. Da war kein Mensch drinnen, es war eben Abend, kurz vor dem Absperren ‒ stell ich mir vor. Da ist auf dem Dach seiner Hütte ein Orang-Utan gesessen. Der ist nur so dort gesessen und ich bin lange Zeit vor dem gestanden. Der hat mir eine Weisheit übermittelt, die mir für das ganze Leben wichtig war. Ich kann es natürlich nicht in Worte fassen, aber das war ein weises altes Lebewesen. Dafür bin ich immer noch dankbar. Das ist mindestens schon 60 oder 65 Jahre her.»

Isha Johanna Schury: «Wunderschön, wunderschön. Diese Weisheit strahlt einfach, die so ein älteres, gelebtes, erfahrenes Wesen in sich trägt. Und so Vieles kann man nicht mit Worten ausdrücken, was einfach die Worte übersteigt.»

David Steindl-Rast: «Wäre das ein guter Augenblick, unser Gespräch zu beenden, und hast du sonst noch wichtige Fragen?»

Isha Johanna Schury: «Nein, ich hätte dich jetzt gefragt, ob sich aus dir noch etwas mitteilen möchte, abschließend für unser Gespräch, wo du das Gefühl hast, das möchte noch hinaus?»

David Steindl-Rast: «Vielleicht den Gedanken, den Tod allzeit vor Augen zu haben.

Das ist ein Satz aus der Regel des hl. Benedikt, der mich schon bevor ich Benediktiner geworden bin, sehr berührt hat, und ich habe erkannt ‒ damals war ich so ungefähr 19 oder 20 Jahre, höchstens ‒, dann habe ich erkannt, dass unser ganzes Leben bis dahin dadurch geprägt war, dass wir den Tod allezeit vor Augen hatten. Das war ja mitten im Krieg und unsere Freunde sind immer wieder gefallen an der Front, die Bomben sind gefallen links und rechts, also, wir hatten den Tod allezeit vor Augen.

Und rückblickend, damals habe ich gesehen: ‹Ah, darum waren wir so glücklich!

Darum waren wir so freudig! Weil wir ‒ damals hätte ich das nie so ausdrücken können ‒, weil wir im Jetzt leben mussten.

Wenn man den Tod vor Augen hat, muss man im Jetzt leben.

Warum ich dann Mönch geworden bin und Benediktiner, hat viel damit zu tun, dass ich wirklich den Tod täglich vor Augen halten wollte. Und ich muss sagen, wenn ich auch sonst Vieles besser machen hätte können. Aber das ist mir jedenfalls gelungen. Ich bin vollkommen überzeugt, dass es keinen Tag in meinem Leben gegeben hat, an dem ich nicht viele Male den Tod vor Augen hatte.

Und darum muss ich sagen, ich hatte wirklich ein sehr freudiges Leben. Dafür bin ich auch sehr dankbar.»

Isha Johanna Schury: «Und ich bin auch sehr dankbar, dass du heute diese Weisheit und diese Fülle an Lebendigkeit und alles, was du transportiert hast, hier mit uns geteilt hast, das ist wirklich ein großes, großes Geschenk und ich wünsche mir, dass viele Zuschauer davon profitieren werden und Dankbarkeit in uns allen wohnen darf, dass wir das auch hinaustragen können und endlich wieder Ja ‒ wie war dein Satz? ‒ Ja zur Zugehörigkeit, dass wir alle da wieder rein finden. Dann machen wir es uns alle sehr viel leichter und einfacher und wir wieder bei dem Wort einfach wären.»

David Steindl-Rast: «Das wünsche ich dir und das wünsche ich allen Zuhörern ganz von Herzen, allen»

Isha Johanna Schury: «Danke schön, danke lieber Bruder David, danke. Eine gute Zeit und viel Gesundheit »

David Steindl-Rast: «Ja, danke!»

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