AUDIO Vorträge

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Beten – mit dem Herzen horchen (1988)
Vortrag von Bruder David in der Fragerunde «Das Urwesen des Christlichen zurückgewinnen»
Mitschrift bearbeitet von Hans Businger

 Teil II

00:00        Gott mütterlich

Jemand fragt: «Was Sie so sagen, setzt irgendwie den gütigen Gott voraus. Mir ist aber immer so der strenge und strafende Gott — steht so hinter mir und schreckt mich: Was ist dazu zu sagen?»

Bruder David: «Ich greife das besonders auf, weil das so oft so vielen Christen so geht. Und ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass Gott in der Bibel immer als der Vater und immer als männlich vorgestellt wird:

In der Bibel und im biblischen Zusammenhang heißt das etwas anderes als es für uns heißt. Das ist sehr wichtig das festzuhalten:

Wir dürfen nicht unsere Vorstellung vom Vater, der so gar nicht mütterlich ist, jetzt auf die Bibel zurückprojizieren. Und das könnte man aus der Bibel selbst beweisen, dass das ganz falsch ist. Aber jedenfalls tun wir das unwillkürlich und daher haben wir jetzt die Vorstellung von Gott als dem Vater, und was wir in unserer Kultur weitgehend mit Vater verbinden, ist die Vorstellung, dass der Vater uns bedingungsweise liebt, während die Mutter uns bedingungslos liebt. Der Vater liebt uns, wenn wir so und so das tun oder das nicht tun, die Mutter liebt uns unter allen Umständen.

Und Gott wird in der hebräischen Bibel, schon in dem, was wir das Alte Testament nennen, viel mütterlicher dargestellt als wir uns die Mutter vorstellen.

Die Liebe Gottes, schon im Alten Testament: Das hebräische Wort dafür kommt von derselben Wurzel wie der ‚Mutterschoß‘, was wir mit ‚Gottes Barmherzigkeit‘ übersetzen ins Deutsche. — Das hebräische Wort ist rachamím, der Plural von ræchæm, und ræchæm heißt der ‚Mutterschoß‘.

Also die Barmherzigkeit Gottes ist — fast wörtlich übersetzt — die Mütterlichkeit Gottes. Das haben wir eben verloren.

Und wenn wir uns das mehr zum Bewusstsein bringen könnten, und immer wieder uns daran erinnern — das ist schwer, wenn man immer von Gott als ‚Er‘ spricht —, aber wir müssen irgendwie versuchen, uns das zurück zu gewinnen.

Und natürlich dann auch im Neuen Testament: Oft wird darauf angespielt, umso mehr natürlich:

Die wichtigste Stelle, in der die ganze Botschaft Jesu zusammengefasst wird, in

Mk 1,15: Jesus kommt nach Galiläa und verkündet die Frohbotschaft und sagt:

‚Die Zeit ist erfüllt, jetzt, das Reich Gottes ist zur Hand, hier, nahe, zur Hand: Bekehrt euch und glaubt der frohen Botschaft.‘

Und die frohe Botschaft ist — das hat Paulus schon lange vor Markus, die frühen Paulusbriefe kommen ja vor den Evangelien, vorher schon gesagt:

‚Aus Gnade seid ihr erlöst, aus Gnade, nicht durch irgendwelche Werke‘

(Eph 2,8f.).

Wir haben es uns nicht verdient!

Das ist die frohe Botschaft, dass wir uns nichts verdienen müssen:

Aus Gnade und bedingungslos liebt uns Gott.

‚Und jetzt lebt dementsprechend‘, das ist dann das Nächste, das gehört schon auch dazu.

Also ich glaube, wenn wir uns wirklich auf die Botschaft Jesu zurückbesinnen, auf die wirkliche Botschaft Jesu, und das ernster nehmen als den Rahmen, in dem uns Religionsunterricht oder unsere erste Religionsausbildung erteilt wurde, wenn wir das ernster nehmen, dann können wir das ein bisschen überwinden. Aber schwierig bleibt es.»

04:47        Kreuz und Auferstehung ist nur vom Leben Jesu her zu verstehen

Bruder David: «Alles steht und fällt im Christentum mit der Auferstehung. Das sagte schon Paulus:

‚Wenn Christus nicht auferstanden ist, dann sind wir die elendesten aller Menschen‘ (1 Kor 15,19).

Was ich eigentlich zu Kreuz und Auferstehung zu sagen habe, und zwar nur deshalb, weil es nicht genügend betont wird, ist, dass wir das Leiden und Sterben und die Auferstehung Jesu — das gehört alles zusammen — nicht, wie das so oft getan wird, abgetrennt von seinem Leben betrachten dürfen.

Man kann es vielleicht so ausdrücken: Es waren ja drei gekreuzigt. Stellen Sie sich vor, dass nicht Jesus auferstanden ist, sondern einer von den beiden, die mit ihm gekreuzigt waren. So, am dritten Tag ist er nicht mehr tot, sondern er lebt. Was heißt das? Wem bedeutet das etwas? Was ist daraus zu schließen? — Nichts!

Warum ist es so entscheidend, dass Jesus lebt?

Weil dadurch denen, die mit ihm gelebt haben, klar wird, dass das, wofür Jeus steht — der Name Jesu, wie wir vorher gesagt haben —, das wofür Jesus sein ganzes Leben gelebt hat, eben nicht weggeräumt werden kann durch den Tod, sondern lebt, auch wenn es gestorben ist — und wirklich gestorben ist, und wenn er für seine Überzeugung gestorben ist. Er ist wahrhaft gestorben, das Lamm ist geschlachtet und siehe, es lebt, er lebt, er ist lebendig:

Das ist das Entscheidende!

Und dann müssen wir uns fragen: Was ist dann dieser Geist Jesu, der nicht getötet werden kann — nicht Geist in dem Sinn von Gespenst —, was ist diese Lebensüberzeugung Jesu, auf die es uns ankommt, wenn wir von der Auferstehung sprechen?

Und das ist: Aus dem Herzen leben.

Er richtet sich auch immer an das Herz seiner Hörer und nicht an ihren Verstand und nicht an ihre religiösen Überzeugungen, sondern immer an ihr wirkliches Leben, an den mystischen Kern, aber das natürlich können wir hier nicht weiter ausführen.

Aber das Wichtige ist, dass wir, wenn wir das Glaubensbekenntnis beten: Wir springen von ‚Empfangen von der Jungfrau Maria‘ zu ‚Gelitten unter Pontius Pilatus‘.

Um Himmelswillen, da liegt ja etwas dazwischen!

Und das müssen wir mit unserem Glauben wieder gewinnen, was dazwischen liegt: Dass Jesus auf eine ganz gewisse Weise gelebt hat, für uns gelebt hat, sonst könnten wir nicht sagen, er ist für uns gestorben, sein Kreuz ist ja nicht so etwas, was so zufällig vom Himmel fällt.

Warum ist er denn gekreuzigt worden?

Weil er in einer gewissen Weise gelebt hat, aus einer Lebensquelle heraus: Wenn man aus dieser Lebensquelle heraus lebt und aus dieser Überzeugung, wird man möglicherweise auch heutzutage gekreuzigt werden oder so etwas ähnliches. Darauf kommt es an:

Auf die Lebensüberzeugung Jesu, nicht auf irgendetwas Magisches: Das sind Überstrukturen, das sind Theorien, die nicht unbedingt falsch sind, aber heutzutage viele Menschen irreführen.

Wenn man über den Tod und die Auferstehung spricht, ohne über das Leben Jesu zu sprechen, das ist sehr gefährlich.»

08:29        Reinkarnation, Wiedergeburt

«In letzter Zeit hört man viel von Reinkarnation und Wiedergeburt: Hat es einen Platz im Christentum?»

Bruder David: «In der frühesten Zeit des Christentums bis Origines, also das war so Mitte des 3. Jh. war das sehr weit verbreitet, aber man kann nicht sagen, es hat zum christlichen Glauben gehört, aber man hat jedenfalls keinerlei Widerspruch gesehen zu dem christlichen Glauben. Dann wurde Origines — seine Schriften — von der offiziellen Kirche zurückgewiesen, nicht so sehr wegen irgendwelchen Fehlern, die er selber gemacht hat, sondern wegen Übertreibung so seiner Jünger und seiner Nachfolger. Und damit wurde auch das in Bausch und Bogen hinausgestoßen und nie wieder eigentlich rehabilitiert. Und die Frage hat sich dann nicht mehr so gestellt.

Heute stellt sich die Frage nach Reinkarnation und: Ist dieses Leben das einzige Leben? usw. dadurch, dass wir mit östlichen Religionen in Verbindung kommen, in denen das eine wichtige Rolle spielt. Wir müssen also die Frage ganz neu durchdenken. Und das ist heute noch nicht geschehen.

Aber ein so großer und unbedingt orthodoxer Theologe wie Karl Rahner hat gegen Ende seines Lebens — er hat erst gegen Ende seines Lebens begonnen, sich mit östlichen Religionen auseinanderzusetzen —, hat er einen Aufsatz geschrieben, und ich habe es selber gelesen, über das, was wir die letzten Dinge nennen: Tod, Gericht, Fegefeuer, Himmel, Hölle. Und im Zusammenhang mit Fegefeuer hat er geschrieben — die Reinigung — das ist ja auch nur ein Bild natürlich, eine bildliche Vorstellung des Fegefeuers:

‚An diesem Punkt müssten wir die Reinkarnation neu durchdenken, da passt sie wahrscheinlich herein‘ oder so ähnliche Worte[1]

Und da stehen wir jetzt. Es ist eine Frage, die sich in unserer Zeit aufgeworfen hat, die Theologen noch nicht durchgedacht haben und die jedenfalls in diesen Bereich hinein passt.

Mit anderen Worten: Die Lehre von der Reinkarnation, die ja auch nur eine Symbolsprache ist, das ist nicht historisch zu nehmen, in den Kleinbüchern wird das manchmal so dargestellt, aber von den Lehrern der großen Traditionen ist das nicht so dargestellt: ‚Ich war einmal das und jetzt werde ich das sein oder so‘.

Wer bin denn ich?

Das ist schon die Frage zum Beispiel in dem Zusammenhang. Was ist denn dieses Ich, das einmal das war?

Das ist sehr kompliziert philosophisch und theologisch.

Aber jedenfalls: Es ist eine Bildsprache, die auf dieselben Fragen grundsätzlich antwortet, auf die wir mit Fegefeuer antworten in der christlichen Tradition.

Nämlich: Was sollen wir sagen von einem Menschen — das war schon in der frühesten Kirche eine Frage —, der stirbt und von dem man von uns aus gesehen nicht sagen kann, dass er wirklich ausgereift ist zur Fülle seines Menschseins, zur Anschauung Gottes —, andererseits aber auch nicht ein völliges Versagen da war, ein völlig verfehltes Leben? Was soll man von dem sagen?

Und unser Herz sagt ganz spontan: Ja, dem wird Gott noch eine andere Gelegenheit geben. Und da sagen wir: Aha, also zwischen dem Tod und der Anschauung Gottes ist eine Gelegenheit zur Läuterung für die, die grundsätzlich in der richtigen Einstellung sind, aber noch nicht völlig geläutert.

Und der Osten sagt jetzt: Ja, da sind so viele Lebensspannen, die da hineinpassen und in jedem Leben werden wir mehr geläutert. Und wir können nur darüber sagen: Wir wissen es nicht. Wir haben darüber nicht nachgedacht — und wer kann es schon wissen?

Und einmal nach einer — ich hatte das Glück gehabt, viele Gelegenheiten zu haben mit buddhistischen und auch mit hinduistischen Lehrern auch darüber zu sprechen —, und einmal nach einer stundenlangen Diskussion mit einem Hindu Swami über Reinkarnation hat er dann alles zusammengefasst mit den Worten: ‚Ja, wenn es wirklich so wichtig wäre, dann hätte uns Gott sicher größere Klarheit darüber geschenkt‘ — (Lachen im Saal): Das war von der Hinduseite.

Und das können wir Christen auch sagen: Wir wissen nichts. Und das ist ein sehr wichtiger Punkt für uns alle, dass wir lernen zu sagen: Wir wissen es nicht. In der Religion muss man nicht alles wissen. Religion ist nicht die Instanz, die alles weiß und über alles antwortet. Nur über das Wesentliche.»

13:52        Bruder Davids Einsichten in den Buddhismus

Bruder David: «Das stimmt, dass ich das Glück gehabt habe, verschiedenen anderen Religionen schon als Mönch ausgesetzt zu sein, von meinem Kloster dorthin geschickt. Ich habe mehrere Jahre z.B. bei Zen Mönchen gelebt und dort praktiziert.

Die wichtigste Erfahrung ist natürlich die, dass im Letzten kein Widerspruch besteht.

Ich bin nicht hingegangen mit dieser Überzeugung. Ich bin einfach hingegangen mit Offenheit, zu sehen, wie es dort steht. Und immer mit der kritischen Offenheit, die ich auch hier vorgeschlagen habe. Man öffnet sich, aber man öffnet sich nicht unkritisch. Man frägt immer, man hinterfrägt immer. Mit dieser Haltung habe ich mehr als drei Jahre nicht nur über Buddhismus nachgedacht oder über Buddhismus gelesen, sondern mit buddhistischen Mönchen gelebt, und bin zu der Überzeugung gekommen, dass im Tiefsten kein Widerspruch besteht. In oberflächlichen Sachen

bestehen ja auch Widersprüche zwischen Benediktinern und Jesuiten oder Dominikanern und Franziskanern. Aber im Tiefsten bestehen keine Widersprüche zwischen Christen und Buddhisten.

Und dass man dadurch — und das gehört dazu — durch die Begegnung mit anderen Religionen unter Umständen, wenn alles gut geht, neue Horizonte seiner eigenen Religion sehen kann, die vorher gar nicht in den Blick gerückt sind. Es werden da Fragen erhoben, die man, solange man nur mit sich selber spricht, nie erhebt, es werden ganz neue Fragen gestellt: Man muss sie jetzt beantworten. Und durch diese Gegenüberstellung: Man kann nicht mehr im eigenen Privatjargon sprechen wie zu Hause. Man muss das jetzt mit allgemeinmenschlicher Sprache aussprechen.

Dadurch kann diese Religionsbegegnung für uns sehr wichtig und für uns sehr hilfreich sein. Allerdings werden die Meisten von uns dem nicht ausgesetzt sein. Aber dadurch, dass heutzutage schon mehr und mehr Menschen in dem Religionsgespräch stehen, wirkt das auch auf uns alle so im übertragenen Sinn dann weiter.

Das Wichtigste war eigentlich, dass kein Widerspruch entsteht und dass man dabei sogar noch tiefer in seinen eigenen Glauben hinein kommt — kommen kann.»

Eine Teilnehmerin: «Was war dann der mystische Kern bei den Buddhisten?»

Bruder David: «Christlich gesprochen — und das würde ich nicht den Buddhisten jetzt auflasten, die würden das nicht so sagen —, aber christlich gesprochen: Der Vater. Und zwar ist der Vater das Schweigen, aus dem das Wort kommt. Und wenn Zen-Buddhisten auf ihrer Matte sitzen, dann beten sie in unserem Sinn, indem sie sich ständig in dieses Schweigen fallen lassen.»

17:02        New Age und ‚Selbsterlösung‘

Eine letzte Frage: «Was würden Sie zu New Age sagen? Und sehen sie da eine Frage zu ‚Selbsterlösung‘?»

Bruder David: «New Age ist ein sehr vager Begriff und wird gewöhnlich verwendet von Leuten, die sich gegen das Neue so im Allgemeinen wehren und vor dem Neuen im Allgemeinen Angst haben, und das jetzt projizieren in diese fast Personifizierung von New Age, als ob das so eine Art Club wäre oder eine Sekte oder so etwas, die sich so zusammengetan haben und irgendwie zusammengehören, und da werden dann alle möglichen Sachen hineinprojiziert, nämlich zum Beispiel die Idee von der Selbsterlösung usw., auf die ich gleich zurückkommen werde.

Aber der erste Punkt ist, dass es dieses New Age als eine klar ausgeformte Bewegung nie gegeben hat und auch jetzt nicht gibt. Es gibt nur Menschen, die dem Neuen offener sind und andere, die sich vor dem Neuen fürchten und oft auch dem Neuen verschließen. Und die nennen dann diese Welle, die sich jetzt in vielen, vielen Gebieten zeigt:

Das Neue bricht durch, wir sind in einer Zeit, in der das Neue aufbricht, ‚jede Stunde, die hingeht wird jünger‘ (Rilke, Sonette an Orpheus 2. Teil, XXV), es ist

eine Vorfrühlingszeit, es ist eine Zeit des Neuen, des Aufbruches und des Umbruches, eine Wendezeit — in dieser Zeit darf man sich dem Neuen nicht verschließen.

Man muss aber auch zugeben, dass im Neuen, wie im Alten, Verirrungen stattfinden, und Selbsterlösung kann falsch verstanden werden.

Es handelt sich hier nicht um die Frage: Kann ich mich selbst erlösen, so mit dem eigenen Schuhriemen aus dem Sumpf ziehen oder so etwas? Oder muss ich mich auf jemand anderen verlassen? Sondern es handelt sich hier, wenn ich es richtig verstehe, um einen Hinweis von Menschen, die sehr wach sind für etwas, was wir in

der traditionellen Kirche oft übersehen haben, dass es nach der strengsten Lehre der christlichen Tradition unser Erlöser einer von uns ist.

19:44        Erlösung in biblischer Schau

Das ist das Urwesen des Christlichen, dass Gott uns nicht so von außen erlöst, sonst müsste man ja diese ganze christliche Geschichte gar nicht haben, sondern, dass die Erlösung von innen kommt, durch einen, der uns gleich ist in allem. Das ist ausdrücklich gesagt von Christus:

Jesus Christus ist uns in allem gleich außer in dieser Entfremdung, in der Sünde — richtig verstanden — in der Vereinzelung, in der Verelendung, in der inneren Abspaltung von unserem göttlichen Kern, von unserem innersten göttlichen Wesen.

Man kann es auch so ausdrücken — und das ist der Sprache der Bibel sehr nahe: Gott hat uns Menschen — das ist jetzt biblische Bildersprache — so erschaffen, dass was unser Leben durchdringt — der Lebenshauch, den wir atmen —, das göttliche Leben ist.

Das ist schon nach der ersten Seite der Bibel: Gott erschafft uns Menschen und atmet uns seinen eigenen Lebensgeist ein.

Wir sind die Geschöpfe, die mit Gottes eigenem Lebensgeist lebendig sind. Und dann fallen wir von unserem eigenen wahren Selbst ab in unser kleines Selbst hinein.

Unser wahres Selbst ist das göttliche Selbst und endlich nach Jahrtausenden kommt dann einer: Das ist eben Christus in der christlichen Schau, Jesus Christus, der endlich das wird, was Gott mit dem ersten Menschen schon beabsichtigt hat, mit uns allen.

Und er ist nicht von uns getrennt: Das muss man auch so betonen. Das ist nicht etwas, was sich so halt in Jesus dort vor langer Zeit einmal begeben hat, sondern in der biblischen Schau hängen wir alle zusammen.

AdamMensch, bedeutet nicht einen Menschen, bedeutet nicht den ersten Menschen. Adam in der Bibel heißt: Mensch — wir alle.

Und Jesus ist einer von uns allen und der, der deshalb für uns alle, an unserer Stelle das wird, was wir werden sollten, nämlich völlig göttlich. Und ich sage: ‚Er wird es‘ — das war auch eine frühe Ausdrucksweise des neuen Testamentes.

22:24        Die ursprüngliche Christologie

Im Neuen Testament finden wir viele verschiedene Christologien, eine neben der anderen, wahrscheinlich deshalb, damit man nicht den Eindruck gewinnen soll, dass man mit einer Christologie alles richtig aussprechen kann.

Da ist die Christologie von unten: ‚Er wird‘, ‚Gott hat ihn erhöht‘, ‚Gott hat ihn auferweckt‘. Da ist eine andere, von oben: ‚Das Wort ist Fleisch geworden‘, aber die ursprüngliche, die frühere, und die, die von allen übrigen vorausgesetzt wird, ist die Christologie von unten:

‚Einer von uns ist völlig Mensch geworden‘ und daher völlig göttlich. Denn das ist es, was ursprünglich Menschsein heißt.

Und daher: Das wahre Selbst von uns allen ist Christus.

In unserem innersten Herzen haben wir Zugang zu dem Herzen der Welt, zu dem, in dem wir alle eins sind, weil wir im Herzen allen zugehören:

Im Herzen sind wir alle eins, und das ist das göttliche Herz. Und daher ist die Frage von der Selbsterlösung gar nicht so einfach:

Im richtigen Sinn verstanden ist unser wahres Selbst Jesus Christus, in dessen Bild und Gleichnis wir erschaffen sind, und er hat uns erlöst. Und dieser kleine Punkt wird oft von Leuten gesehen, die sonst dem Glauben fernstehen, und von anderen als Selbsterlösungsglaube gebrandmarkt. Das ist eine schwierige theologische Frage, die sich dahinter verbirgt. Und ich fürchte, ich konnte Ihnen den entscheidenden Punkt, um den es geht, so aus dem Stegreif heraus nicht genügend klar darstellen. Aber wenn ich es wenigstens andeuten konnte, vielleicht auch, wenn Sie mir mit weiteren Fragen weiterhelfen.

Worauf es hinausläuft: Es läuft darauf hinaus, dass nach dem orthodoxen christlichen Glauben, nach der christlichen Rechtgläubigkeit, die Trennung zwischen Gott und uns, mit der wir anfangen, wenn wir von der Erlösung sprechen, schon ein falscher Anfang ist. Da kann man gar nicht anfangen.

Gott ist nicht von uns getrennt, Gott ist das Selbst unseres Selbst, wir leben mit Gottes eigenem Lebensatem. Nur leben wir nicht danach. Und einer lebt danach, einer von uns, und daher haben wir es geschafft, sozusagen.

24:59        ‚Ich bin‘ — Werden, was er ist

Immer wieder legt Johannes Jesus diese Worte in den Mund: ‚Ich bin‘. Und das ist zugleich eine göttliche Aussage: Gott, der zu Moses sagt: ‚Ich bin‘. Und so sagt Jesus: ‚Ich bin‘: Also, es ist dasselbe Wortspiel.»

Eine Teilnehmerin: «Auf uns alle?»

Bruder David: «Ja, nach dem Johannesevangelium ist es auf uns alle übertragbar, und es ist ein sehr wichtiger Punkt:

Im Prolog des Johannesevangeliums, der heutzutage also hunderte Male analysiert wurde, und ganz im Zentrum des Interesses steht, ist der Mittelpunkt und die Hauptaussage — das sieht man aus der Struktur — nicht, was wir annehmen würden, dass ‚das Wort Fleisch geworden ist‘ (Joh 1,14) — das ist ungeheuer wichtig.

Aber die Hauptaussage im Prolog ist:

‚Und all denen, die an ihn glauben, gab er Kraft, Kinder Gottes zu werden‘

(Joh 1,12f.):

Nämlich das zu werden, was er ist, in ihm und durch ihn und mit ihm: Es ist ja nicht ihm gegenüber. Dieser Individualismus ist der Bibel völlig fremd.

Weil er es geworden ist, haben wir die Möglichkeit, es zu sein.

Er hat es für uns getan, er ist das Haupt, wir sind die Glieder. Wir sind gar nicht abgetrennt voneinander.»

Bruder David schließt mit der Bemerkung:

«Es lässt sich das alles mit dem orthodoxen christlichen Glauben völlig vereinbaren, wenn man vorsichtig ist. Aber das ist so wie Hirnoperation selbst ausgeführt.»

 

[1] http://www.christian-reincarnation.com/Rahner.htm

 

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