Br. David Steindl-Rast OSB
01 Einführung, das «MEHR» und vier Fragen
Beginn mit einem Augenblick der Stille
Vielleicht ist es angemessen, bei dem Thema «Wie das Göttliche in uns wächst» mit einem Augenblick der Stille zu beginnen, in dem Sie sich selber auf das einlassen, was Sie unter Göttlichem verstehen.
[Eine halbe Minute Stille. Bruder David:]
Danke! — Ursprünglich dachte ich, dass ich den Vortrag in Englisch halten würde.
Und mein Thema war: «The emerging God view.»
Und das wurde übersetzt als: «Wie das Göttliche in uns wächst» —
eine der vielen möglichen Übersetzungen. —
Das entscheidende, für mich das entscheidende Wort, ist:
IN UNS.
IN UNS ruft die eigene Erfahrung
Denn ich werde aus meiner eigenen Erfahrung sprechen und mich an Ihre ganz persönliche Erfahrung wenden.
Ich appelliere sozusagen an Ihre Erfahrung und über so ein Thema kann man nur erfahrungsgemäß sprechen.
Ich hoffe also, dass Sie immer aus Ihrer eigenen Erfahrung immer überprüfen, was ich hier sage.
Und wir können uns dann im Gespräch nachher darüber unterhalten, ob da Unstimmigkeiten entstanden sind oder Fragen usw. Aber jedenfalls kommt sehr viel darauf an, dass aus ihrem Erleben Sie dazu beitragen.
Was ist mit GOTT und das GÖTTLICHE gemeint?
Das GÖTTLICHE: Ich möchte den Titel einmal durchgehen Wort für Wort.
Mit dem GÖTTLICHEN meine ich, was Dorothee Sölle das «MEHR» nennt — mit h, das MEHR:
MEHR und immer mehr, mehr auf allen Dimensionen.
Das Wort GOTT und GÖTTLICH ist so belastet, dass wir eigentlich ein anderes Wort finden müssen.
UND MEHR passt sehr gut:
Nicht nur mehr auf derselben Ebene, sondern mehr auf immer neuen Ebenen, in immer neuen Dimensionen.
Dieses MEHR ist es, worauf wir als Menschen angelegt sind:
Wir wollen Sinn finden und nur wenn wir uns mit dem MEHR einlassen, mit diesem MEHR, können wir Sinn finden.
Das meine ich mit dem GÖTTLICHEN.
MEHR (Dorothee Sölle) trifft den Wandel der Gottanschauung
IN UNS bedeutet persönlich in jedem von uns und gesellschaftlich, denn nicht in allen Teilen der Welt gleichmäßig, aber doch in allen Teilen der Welt überschreiten wir zur Zeit eine Schwelle, eine Schwelle eines neuen Verständnisses dieses Mehr.
Etwas ganz Neues bricht da durch.
Und darum wird es uns auch zum Teil hier gehen. —
Was das «Wachsen IN UNS» betrifft: Wie kann dieses MEHR IN UNS wachsen?
Bewusstwerden und sich einlassen:
Spiritualität und Religion
Durch unser Bewusstsein dieses MEHR, und dessen bewusst Werdens,
und unserer Beziehung dazu, uns darauf einlassen.
Also zweierlei:
Uns bewusstwerden und uns darauf einlassen.
Das eine: das Bewusstsein, ist mehr der Bereich der Spiritualität.
Das sich darauf Einlassen ist mehr der Bereich der Religion.
Ich werde dazu mehr zu sagen haben:
Die beiden sind natürlich untrennbar, denn das Bewusstsein und das dazu in Beziehung Treten gehört engstens zusammen.
Aber Spiritualität und Religion können unterschieden werden:
Sie können nicht getrennt, sondern unterschieden werden.
Und daraus ergibt sich nun auch schon unser Vorgehen.
Vier Fragen
Ich werde dieses Thema unter vier Gesichtspunkten versuchen in Angriff zu nehmen: Zunächst:
- Was ist Spiritualität?
- Was ist das Verhältnis von Spiritualität zu Religion?
- Was hemmt oder hindert das Wachstum dieses MEHR IN UNS —
des GÖTTLICHEN IN UNS?
- Wie können wir dieses Wachstum fördern? —
Was können wir bewusst dazu tun, um dieses Wachstum in uns zu fördern?
02 Spiritualität, volle Lebendigkeit
und Peak Experience (Maslow)
Also nun zum ersten Punkt: Was ist Spiritualität?
Da würde ich vorschlagen, wir gehen von dem Wort Spiritualität aus, das auf das Wort «Spiritus», «Geist» im Lateinischen zurückgeht, aber Geist im Sinne von «Lebensatem».
Spiritus bedeutet ursprünglich «Windhauch», «Lebensatem, genauso wie «Pneuma» — das griechische Wort, das dem vorausgeht — und «Ruach», das hebräische Wort, das dem vorausgeht,
bedeuten alle «Lebensatem» und im übertragenen Sinn dann «Lebendigkeit»:
Leben, Lebendigkeit.
So sehe ich Spiritualität als gesteigerte Lebendigkeit an.
Und zwar auf allen Lebensgebieten:
Eine Erweiterung der Bandweite unserer Lebendigkeit. —
Wir sind nicht immer im gleichen Maße lebendig:
Die meisten von uns sind am Morgen weniger lebendig als am Abend.
(Humorvoll:) Aber es gibt auch immer die, die schon am Morgen springlebendig sind und die anderen zur Verzweiflung bringen.
Es ist ganz verschieden, wie lebendig wir sind.
Wir sind zu verschiedenen Lebenszeiten ganz verschieden lebendig.
Wenn wir in jeder Hinsicht lebendig sind — und es gibt Momente in unserem Leben, wo wir so wirklich völlig lebendig sind, dann haben wir einen Vorgeschmack dessen, was voll gelebte Spiritualität bedeuten könnte.
Und diese Augenblicke ereignen sich in ganz verschiedenen Situationen, ganz unvorhersagbaren Situationen, ganz verschieden, uns immer überraschend.
Wir können uns darauf vorbereiten, sie sind immer überraschend.
Abraham Maslow nennt mystische Erfahrung «Peak Experience»:
Gipfelerfahrung, Erfüllungserlebnis
Und da muss ich auf Abraham Maslow zu sprechen kommen, der den meisten durch seine Hierarchien der Werte bekannt ist.
Aber er hat eine Entdeckung gemacht, die noch viel wichtiger ist.
Und das ist, was er «Peak Experience», nennt — auf Deutsch «Gipfelerlebnis.
(Bruder David wendet sich zum anwesenden Prof. Fischer:)
Wie hast Du vorgeschlagen? — Hier ist mein Experte für —
(Prof. Fischer:) «Ein Erfüllungserlebnis»?
(Bruder David:)
Ein Erfüllungserlebnis!
Und es ist die Mühe wert, hier einen kleinen Exkurs zu machen und zu sagen, wie Maslow in der Mitte des 20. Jahrhunderts diese Entdeckung gemacht hat.
Er war außerordentlich beeindruckt von zweien seiner Lehrer — Margaret Mead, die Anthropologin, war eine davon — und er hat sich die Frage gestellt:
Was macht diese Menschen so lebendig?
Was macht sie so schöpferisch?
Was macht sie so gesund,
so zu richtigen Menschen,
wie man sich den Menschen wünscht?
Und da sagt er: «Nichts in meiner psychologischen Ausbildung hatte mich darauf vorbereitet, diese Frage zu beantworten.
Wir waren immer nur mit geistigen Krankheiten beschäftigt und nie darauf eingestellt:
Was macht denn einen Menschen so gesund?»
Und da hat er dann Jahre dazu verwendet, dieser Frage nachzugehen und ist zu einem sehr, für ihn äußerst überraschenden, Ergebnis gekommen:
Nämlich, dass alle diese Menschen — und er hat Lebende und auch, aus ihren Schriften, Verstorbene da untersucht —, dass ihnen allen eines gemeinsam ist,
nämlich:
Sie haben mystische Erlebnisse.
Also das ist in der psychologischen Literatur nicht sehr gut angekommen und da hat er es schnell geändert auf:
«Peak experience».
(Gelächter im Saal). —
Aber er hat sein ganzes Leben lang daran festgehalten, dass man absolut keinen Unterschied machen kann zwischen Peak Experience und mystischer Erfahrung.
Es handelt sich um dasselbe.
Peak Experience ist uns allen zugänglich
Nun: Was ist das Entscheidende an einem solchen Peak Experience?
Und da würde ich Sie jetzt bitten, einen Augenblick lang sich an ein eigenes solches Erlebnis sich zu erinnern:
Wir haben sie alle!
Denn Maslow hat dann auch im Lauf seiner Untersuchungen festgestellt, dass das sich nicht nur auf ganz außergewöhnliche Menschen beschränkt, sondern dass alle Menschen, soweit man in der Psychologie verallgemeinern kann, diese Erfahrungen haben,
aber, dass die meisten das irgendwie dann unterdrücken.
Oder manche der von ihm Befragten, haben dann auch gesagt:
«Ja, ich hab das noch nie jemandem erzählt, ich hab das für einen Augenblick des Wahnsinns gehalten.»
Und Maslow hat so ein bisschen eher durschauen lassen:
«Das war vielleicht der einzige, nicht wahnsinnige Augenblick.»
(Entspanntes Lachen im Saal). —
Jetzt bitte ich Sie, an ein solches Gipfelerlebnis sich selber zu erinnern:
— Es muss nicht ein ganz besonders hoher Gipfel sein,
es kommt darauf an, wie hoch das Plateau ist, von dem Sie ausgehen —
(Heiterkeit, Lachen im Saal) — scheint vielleicht gar nicht so hoch,
damit sie in ihrem eigenen Leben einen Beziehungspunkt haben.
03 Peak Experience, mystische Erfahrung, vier Kennzeichen
Nun werde ich vier Punkte nennen, die zutreffen sollten. —
(mit humorvollem Ton:)
Machen sie sich keine Sorgen, wenn’s bei ihnen nicht zutrifft — können wir später darüber sprechen, aber diese Punkte wären typisch.
Und das Erste ist:
Die Zeit steht still.
Das kann heißen: Eine Stunde ist vergangen und es erschien mir wie wenige Minuten.
Es kann auch sein, dass es nur einige Sekunden gedauert hat und darin etwas sich ereignet hat, das wie Stunden Ihnen erscheint.
Also das Zeitbewusstsein ist ihnen irgendwie ausgewischt.
Das Entscheidende ist:
Wir sind JETZT im Augenblick,
wir sind völlig gegenwärtig, JETZT im Augenblick.
Das ist ein wichtiger Punkt dieser Peak Experiences.
Zweitens — und das ist nicht in dieser Reihenfolge, ganz gleich, welche Reihenfolge wir da verwenden:
Wir haben ein unbegrenztes Zugehörigkeitsgefühl —
nicht nur zu allen Menschen, sondern zu den Tieren, den Pflanzen, den Steinen, den Sternen, dem Meer.
Wenn wir — und das ist ja öfters der Fall, wenn wir so ein Erlebnis in der Natur draußen haben,
verfließen wir einfach mit den Wolken und den Bäumen:
Wir sind eins mit der Natur.
Wo immer wir das erleben:
Wir fühlen uns vereint mit allem.
Die engen Grenzen des Ich sind gesprengt oder verwischt oder ausgelöscht.
Drittens: In diesen Augenblicken sagen wir so etwas wie ein unkonditionelles
JA
zu allem, was ist, wie es ist.
Urteilsfrei — wir urteilen nicht, wir sagen einfach JA.
Wir schauen alles an, was wir sonst gut nennen, was wir sonst böse nennen.
Ich kann es alles anschauen —
es bleibt gut, es bleibt böse, aber wir können Ja dazu sagen, was ist.
Wir sagen JA zu dem, was ist.
Und schließlich: Wir sind von einem äußersten Glücksgefühl erfüllt:
Mehr als Glück — Glück ist, wenn sich etwas Gutes ereignet. —
Das ist unabhängig davon, was sich ereignet.
Und manchmal haben wir diese Erlebnisse auch mitten in furchtbaren Situationen:
Gewöhnlich nicht, aber manchmal auch in furchtbaren Situationen:
Mitten in einem Bombardement oder bei einem Todesfall oder sonst, ist auch möglich.
Trotzdem: ein Glücksgefühl, das mit dem, was wir für gewöhnlich Glück nennen, kaum mehr etwas zu tun hat, weil es das so weit überschreitet.
Also das also sind meine Punkte:
Die Zeit steht still
JETZT
Völlig gegenwärtig
Im gegenwärtigen Augenblick
Unbegrenzte Zugehörigkeit
Ein JA zu allem, was ist, wie es ist,
urteilsfrei und
Äußerstes Glücksgefühl.
Und das ist auch typisch, wie Maslow feststellt, für das mystische Erleben, das typische mystische Erleben.
Nun brauchen Sie sich aber gar keine Sorgen zu machen: «Ich bin ja kein Mystiker oder so etwas.»
Der Mystiker ist kein besonderer Mensch,
sondern jeder Mensch ist ein besonderer Mystiker!
Sie sind Mystiker!
Was uns von großen Mystikern unterscheidet
Worin unterscheiden sich dann die großen Mystiker von der Allgemeinheit?
Dadurch, dass sie dieses Erleben jetzt einfließen lassen in alles, was sie tun.
Und die Andern vergessen es entweder sofort wieder oder unterdrücken es oder es wird sonst irgendwie vernachlässigt.
Wenn man das Mystische pflegt und einfließen lässt in das Leben, dann gestaltet es das Leben und das ist dann eigentlich die Spiritualität im vollen Sinn. —
Sie können sich vorstellen, sie wissen das selber auch:
In dem Maß, in dem wir diese Erfahrung, diese All-Eins-Erfahrung einfließen lassen in unser tägliches Leben, in dem Maß sind wir wirklich lebendig und froh und gegenwärtig — strahlend.
04 Die Mystische Erfahrung ist religionsschöpferisch
Die Frage: Wie kommt man von der lebendigen Spiritualität zur Religion?
Und die Antwort: Unvermeidlich!
Nun kommen wir zum zweiten Punkt:
Wie kommt man von dieser Lebendigkeit,
von dieser beglückenden Lebendigkeit der Spiritualität,
zu der oft bedrückenden und alles andere als lebendigen Religion?
(Heiterkeit im Saal und langer Applaus im Saal und Bruder David dazu:)
Ihr Applaus freut mich, aber ich hoffe, dass Sie meine Antwort ebenso freuen wird.
(Die Zuhörer lachen laut dazu). —
Ich beantworte diese Frage nämlich mit einem einzigen Wort und das Wort ist:
Unumgänglich!
Wir kommen von der Spiritualität zur Religion unumgänglich.
zuerst: die Religion — erst später: die Religionen
Nun sage ich aber nicht: zu dieser oder jener Religion. Ich habe hier nicht von den Religionen gesprochen. Ich spreche von der Religion.
Und jeder Mensch hat diese Religion. Ich werde jetzt versuchen, Ihnen jetzt aufzuzeigen, wie der im Appell an Ihr eigenes Erleben, wie dieser Vorgang vor sich geht:
Wie man vom mystischen Erleben zu Religion kommt und dann von dort vielleicht zu den Religionen, aber zunächst zu Religion.
Religion, wie das Wort «Religio» andeutet — nicht ganz gesichert die Etymologie, aber es scheint zu bedeuten, und ich gebe dem Wort gerne diesen Sinn: Eine «Rückbindung» — «religare» — «wiederverbinden» — eine Wiederverbindung mit der mystischen Wirklichkeit.
Die mystische Erfahrung ist religionsschöpferisch.
Und das möchte ich Ihnen jetzt versuchen ein bisschen aufzuzeigen.
Der Intellekt fragt
oder der Weg vom Erlebnis zur Lehre
in den Formulierungen von Mythos und Theologie
Also nehmen wir jetzt Ihr persönliches mystisches Erleben, Ihr Peak Experience:
Was ereignet sich einen Augenblick später?
In diesem Erlebnis selbst sind wir einfach gegenwärtig.
Wir denken nicht, wir wollen nichts.
Wir fühlen diese Seligkeit, wir sind einfach gegenwärtig.
Im nächsten Augenblick kommt schon unser Intellekt und sagt:
Was war denn das? —
Unerlässlich, unausweichlich.
Das können wir nicht verhindern!
Und darauf geben wir eine Antwort.
Darauf gab man ursprünglich eine mythische Antwort.
Noch keine logische, sondern eine mythische, mit einem Bild:
Wir antworten mit einem Bild:
Der Mythos geht der Theologie weit voraus.
Aber wir antworten in irgendeiner Weise mit unserm Intellekt auf die Frage:
Was hat sich hier ereignet?
Und wenn Sie mit Religion überhaupt nichts zu tun haben wollen, dann behandeln sie das auch in irgendeiner Weise.
Ihr Intellekt stellt sich Rede für das, was Sie hier erlebt haben. — Das ist unausweichlich.
Und damit kommen wir zur Lehre, zur Doktrin — noch nicht hoffentlich zur Doktrin verhärtet, aber zur Lehre.
Auch der Mythos ist schon Lehre, oft — immer — viel reichhaltiger als dann die Theologie.
Ich sehe das Verhältnis zwischen Mythos und Theologie so irgendwie wie zwischen Dichtung und Literaturkritik:
(Heiteres Lachen). —
Wir wissen alle, dass die Literaturkritiker nach einiger Zeit sich weniger für die Dichtung interessieren als für die anderen Literaturkritiker, und so ein Selbstgespräch führen.
(Zustimmendes Lachen und Applaus im Saal). —
Das Entscheidende bleibt aber, dass Sie auch, wenn Sie nur Ihre Privatreligion haben, das mystische Erlebnis irgendwie intellektuell verarbeiten und daher schon den Ansatzpunkt dafür haben, was in den Religionen dann zur Lehre wird.
Der Wille verpflichtet
oder der Weg vom Erlebnis zur Moral
Nun kommt aber noch ein weiteres dazu:
Ihr Wille, ihr Wille, kommt auch gleich ins Spiel und sagt:
«Ja, das will ich: So verbunden zu sein mit allen, so glücklich zu sein, so eng verbunden zu sein mit allen, wirklich dieses Zugehörigkeitsgefühl, nach dem wir uns ja zutiefst sehnen: Das will ich, so muss man leben, so will ich leben.»
Und mit diesem kleinen Satz haben Sie schon die Moral —
ist schon die Ethik hier, ist schon da. —
Wir sagen immer: Oh ja, die verschiedenen Völker in der Welt haben alle ihre eigene Moral und zeigt eben, dass Moral etwas von uns Gemachtes und Fabriziertes ist. —
Das stimmt nur sehr oberflächlich:
Wenn man genau hinschaut, sagt jede Moral, ob sie jetzt ganz primitiv oder ganz verfeinert und ausgearbeitet ist, überall dasselbe.
Nämlich: So verhält man sich denen gegenüber, mit denen man zusammengehört.
Und da ist der Ursprung dieses Zusammengehörigkeitsgefühl:
So verhält man sich!
Der Unterschied zwischen den Moralsystemen ist nur:
Wer dazugehört?
Und zuerst ist es ein ganz kleiner Teil, wenn man es eben nur mit der Familie oder Großfamilie zu tun hat:
Die sind die Menschen!
Und die Namen, die Stammesnamen — sagen wir in Afrika oder Lateinamerika — sind gewöhnlich die Namen für «Mensch».
Das heißt «Mensch» in dieser Sprache und die andern sind die «Andern», nicht die «Menschen»:
Also den «Menschen» gegenüber verhält man sich so.
Und wir haben heute eine Schwelle überschritten — ich glaube zu meiner Lebenszeit — es ist schwer zu sagen wann die Menschheit eine Schwelle überschreitet, das ist nicht so genau.
Aber wir haben kürzlich eine Schwelle überschritten — nach der man diese Grenze der Zugehörigkeit nirgends mehr ziehen darf.
Sie ist unbegrenzt.
Unsere Zugehörigkeit ist unbegrenzt.
Und jede Grenze, die wir ziehen ist unmoralisch.
Bis vor kurzem durfte man das noch, jetzt kann man es nicht mehr.
Nicht einmal mehr die Tiere dürfen mehr ausgegrenzt werden.
Der ganze Kosmos muss eingeschlossen werden in diese Zugehörigkeit.
Nur so kann eine neue Moral wirklich uns weiterhelfen oder gerechtfertigt sein.
Die Gefühle feiern
oder der Weg vom Erlebnis zum Ritual
Nun ein Dritter Punkt. —
Der Intellekt interpretiert.
Der Wille verpflichtet uns —
nicht von außen her, von innen her:
Wir verpflichten uns freudig:
So will ich leben!
Zugehörigkeit, das will ich!
Und Drittens: Die Gefühle — die Gefühle kommen herein:
Die Gefühle feiern.
Die wollen das feiern.
Und da kommen wir zum Ritual.
Das Ritual ist diese Feier.
Und Sie selbst auch wieder in ihrer eigenen Privatreligion, wenn Sie wollen, feiern Sie Ihre mystischen Erlebnisse.
Nehmen wir an, Sie haben so ein mystisches Erlebnis auf einem bestimmten Berg erfahren, ein Gipfelerlebnis:
Es ist sehr leicht möglich, dass Sie immer wieder einmal — sagen wir zu einem besonders festlichen Anlass — zu diesem Berg zurückwandern.
Sie wollen das wiedererleben.
Sie können es vielleicht nicht einmal mehr wiedererleben, aber Sie machen eine Pilgerfahrt oder sie erinnern sich an diesen Tag:
Haben sie schon einen rituellen Kalender begonnen:
Es ist nur der Beginn, aber der Beginn ist da. —
05 Das Herz der Religion ist die Religion des Herzens
Von der mystischen Erfahrung des Gründers
zur Verhärtung im Laufe der Zeit
Und jetzt:
Jede Religion beginnt mit einem mystischen Erleben des Gründers.
Man kann in manchen Fällen — so wie im Fall von Jesus und im Fall von Buddha — kann man klar auch noch hinweisen auf dieses mystische Erlebnis.
In den meisten anderen Fällen kann man es nicht so klar herausstellen, aber wir wissen, dass jede Religion mit einem mystischen Erlebnis des Gründers oder der Gründer beginnt und jetzt sich dann entfaltet in Lehre, in Ethik und Moral und im Ritual.
Und jetzt vergeht Zeit — und jetzt wird dieses Erlebnis getragen von Gemeinschaft:
Zur Religion gehört Gemeinschaft: Wir erleben ja wie schön es ist und wie wunderbar es ist, wenn wir dazugehören.
Also gehört die Gemeinschaft dazu.
Und diese Gemeinschaft und diese Zeit, wenn es lang genug weitergeht, verändert das Ursprüngliche.
Diese Gemeinschaft verändert im Laufe der Zeit das Ursprüngliche.
Das Bild, das für mich dahintersteht, ist das von — sagen wir — von lebendigem Wasser wie in einer Fontäne, das hervorbricht in diesem mystischen Erlebnis: lebensspendendes Wasser.
Aber das Klima ist sehr kalt und das Wasser gefriert. Und je länger es dauert, umso mehr ist es eingefroren.
Und die Lehre friert ein zum Dogmatismus. —
Die Moral oder Ethik friert ein zum Moralismus.
Das Ritual friert ein zum Ritualismus.
Da haben wir diese starre, gefrorene —
Religion vom Herzen her erneuern
Was können wir damit tun?
Immer wieder zu unserem eigenen mystischen Erlebnis zurückgehen,
zu der Herzenswärme dieses Erlebnisses,
und diese gefrorene Struktur von innen auftauen.
Denn die Struktur gibt uns viel. Sie kann uns viel geben.
Ich versteh es völlig — wie heute die Religionen ausschauen, die Religionen, die sich da von dieser Religion, die so die Matrix ist, die der Grundboden ist, aus dem die Religionen da herauswachsen:
Ich versteh es völlig, wenn jemand die zurücklässt und zurückweist, aber ich muss aus meinem eigenen Erleben sagen, sie können uns auch sehr viel geben: Halt, Stabilität, Kraft, Verbundenheit mit der Vergangenheit, Führung in der Jugend, in der Kindheit — schwer zu ersetzen.
Aber wir müssen sie halt immer wieder vom Herzen her erneuern und erwärmen und beleben:
Das Herz jeder Religion ist die Religion des Herzens.
Darauf kommt es an!
Wir dürfen daher nicht von Religion erwarten, dass wir da einsteigen und sie wird uns irgendwo hinführen, so wie man in die Eisenbahn einsteigt, wenn man zu einem Ziel will.
So geht das nicht. —
Wir müssen auf dem Wasser gehen —
wir müssen lernen, auf dem Wasser zu gehen
ohne zu sinken.
Dieses Bild kommt dem schon näher:
Statt bewegt zu werden, müssen wir uns selbst bewegen.
06 Was hindert gesundes spirituelles Wachstum?
Bruder David nennt vergiftende Fehlentwicklungen
in der Lehre(«Gottanschauung), in der Moral und im Ritual:
GOTT als der Ferne, von uns getrennt, strafender Machthaber
Nun die nächste Frage — der dritte Punkt —: Was hindert uns daran, dass das GÖTTLICHE in uns wächst?
Und das ist sehr häufig das Gottesbild oder die Gottanschauung, die uns eine gewisse Religion gibt — unsere Religion gegeben hat.
Und das ist das Traurige, dass die Religion, die die Spiritualität unterstützen sollte, oft ihr den Weg verbaut.
Was meine ich mit diesem Gottesbild oder Gottanschauung — ich verwende dieses Wort «Gottanschauung» so, wie wir das Wort «Weltanschauung» benützen:
Unsere Weltanschauung besteht aus vielen ganz unübersichtlichen und unhinterfragten Annahmen, und doch ist unsere Weltanschauung ganz entscheidend für unser Leben.
Und so besteht auch unsere Gottanschauung aus sehr viel unhinterfragten Annahmen und bestimmt auch unser Leben.
Sowohl das Leben derer, die diese Gottanschauung annehmen, als auch derer, die sie zurückweisen.
Und das Entscheidende an unserer Gottanschauung heute ist, dass wir GOTT als von uns getrennt annehmen.
Dazu muss ich mehr sagen:
In der Lehre interpretieren wir das MEHR, dem wir in unserer mystischen Erfahrung begegnet sind.
Und das kann leicht und wurde sehr weitgehend als Macht interpretiert:
Wir sind da etwas Mächtigem begegnet — Übermächtigem — in diesem MEHR.
Und das wird jetzt als Macht im menschlichen Machtverständnis interpretiert, im Sinne von Herrschaft.
Und GOTT wird dann der Machthaber, der da oben irgendwo sitzt über uns, getrennt von uns:
Der «Ganz andere»: MEHR wird auch als «anders» verstanden: Hier wird dann Gott der «Ganz andere», ganz von uns Getrennte:
Wenn das passiert — und das ist sehr weitgehend passiert — haben wir ein giftiges, vergiftendes Gottesbild, das unsere Moral ganz abwegig macht:
Sünde juristisch und nicht entwicklungsgeschichtlich verstanden
Das IN UNS und um uns, was nicht mit dem Mehr, nicht mit unserer mystischen Erfahrung einstimmig ist, die Sünde — ein sehr gefährliches Wort, aber ich verwende es in dem Sinne:
Es bedeutet: Die Absonderung — Sünde und sondern gehören sprachlich zusammen:
Die Sünde sondert uns ab von unserem eigenen wahren Selbst, von den Anderen, von dem MEHR.
Die wird nun juristisch verstanden. Denn wenn da so ein Machthaber oben sitzt, dann muss das juristisch interpretiert werden.
So wird die Sünde zur Schuld und muss bestraft werden.
Wir dürfen diese Sünde aber auch entwicklungsgeschichtlich verstehen, in unserer eigenen persönlichen Entwicklung
als das noch nicht Geglückte.
Und dann — statt Strafe: lernen, nachlernen — etwas ganz Anderes!
«Hof»-Zeremoniell statt Dienst am Leben mit Feiern und Arbeit
Und dann das Ritual? Ritual wird jetzt zu einem göttlichen Hofzeremoniell,
anstatt im wahrsten Sinne Gottes-Dienst zu sein und zwar
Dienst als Dienst am Leben: durch Feier und durch Arbeit.
In beidem Sinne Dienst am Leben: Feier ist Dienst am Leben und Arbeit ist Dienst am Leben.
Résumé und Machtpyramide
Durch diese Vergiftung des Gottesbildes werden wir daran gehindert,
das MEHR
immer tiefer zu verstehen,
immer williger zu verwirklichen,
immer freudiger und schöpferischer zu feiern.
Und das verbindet sich dann noch mit religionspolitischer Machtpolitik.
Denn es schafft dann eine Pyramide, nicht wahr? Oben ist dieser Machthaber und diese Pyramide geht herunter und weiter und weiter herunter und jeder bemüht sich, ziemlich hoch auf dieser Pyramide oben zu sein, je höher, umso besser — nicht wahr? — und wir fühlen uns dann ein höher als die Andern, die da weiter unten sind.
Ist etwas außerordentlich Gefährliches und sie finden diese Pyramide bildlich abgebildet auf einer Dollarnote.
Auf der Dollarnote ist diese Pyramide — sie ist oben abgeschnitten und dann kommt das Auge Gottes oben:
Da ist dieser himmlische Polizist, der uns überall sieht und uns — bestraft, und die Pyramide.
Das ist giftig und vergiftend.
07 Was fördert gesundes spirituelles Wachstum?
oder:
Wie dieses Mehr
immer tiefer verstehen,
immer williger verwirklichen,
immer freudiger und schöpferischer feiern?
Sich einlassen auf die Erfahrung dieses Mehr
Nun kommen wir zum letzten Punkt:
Wie können wir unser gesundes spirituelles Wachstum fördern?
Und die Antwort liegt auf der Hand:
Durch ein entgiftetes Gottesbild, durch eine entgiftete Gottanschauung.
Und wie können wir die erreichen?
Dadurch, dass wir unsere Gottanschauung immer wieder — täglich, wenn nötig — durch lebendige Gotteserfahrung korrigieren.
Wir haben diese Gotteserfahrung.
Wir haben diese Erfahrung des Mehr.
Und sie steht uns immer offen.
Wir müssen sie nur kultivieren
und dadurch unsere Gottanschauung immer wieder korrigieren.
«Ein Spielen von reinen Kräften» (Rilke)
Und wie erleben wir dieses MEHR?
Ich lese Ihnen da ein paar Zeilen von Rilke vor aus den Sonetten an Orpheus:
Aber noch ist uns das Dasein verzaubert; an hundert
Stellen ist es noch Ursprung. Ein Spielen von reinen
Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.
Das gilt!
Das gilt auch heute noch — trotz allem —
trotzdem dieses Gedicht beginnt mit den Worten:
ALLES Erworbene bedroht die Maschine.
Trotzdem gilt das noch!
An allen Stellen ist noch das Dasein verzaubert, ist noch Ursprung:
Ein Spielen von reinen
Kräften, die keiner berührt, der nicht kniet und bewundert.
Und auf diese Kräfte dürfen wir uns einlassen.
Dankbares Leben — die Antwort auf
dieses MEHR, dieses Es, das alles gibt
Und zwar gibt es da einen spirituellen Weg, der mir persönlich am nächsten liegt.
Und das ist «dankbares Leben», einfach dankbar zu leben.
Wir werden uns bewusst, dass dieses MEHR das ES ist von allem, was ES gibt, die Quelle von allem.
Wir sagen immer: ES gibt das und es gibt das. Alles, was es gibt, gibt es.
Und dieses «ES» ist selbst nicht etwas,
sondern ist das Nichts,
aus dem alles fließt,
ist die göttliche Quelle,
ist die Mutterquelle,
der Muttergrund von allem, was ES gibt:
Das Geheimnis,
von dem wir kommen und zu dem wir gehen —
Geheimnis.
Wir erleben uns selbst als Geschenk:
Gegenüber dieser Quelle, die alles schenkt, sind wir ja auch etwas, was Es gibt:
Wir sind uns selbst geschenkt. —
Wir haben uns nicht gekauft, eingehandelt.
(Bruder David humorvoll, die Anwesenden lachen aufgeräumt mit:)
In unseren schlechtesten Augenblicken wollen wir uns gar nicht.
Aber ob wir uns wollen oder nicht, sind wir uns geschenkt.
Und wenn wir uns geschenkt sind, dann gibt es nur eine richtige Antwort darauf — eine stimmige Antwort darauf, und das ist: Dankbarkeit.
Und in dieser Dankbarkeit finden wir immer wieder etwas, was ES gibt:
Das Leben, die Liebe, das Wissen, die Freude, die Musik.
Das ist unser Dank und dieser Dank fließt zurück zu dem Nichts, das Es ist, das alles gibt.
Und diesen Strom lebendig zu halten IN UNS, ist ganz leicht:
Einfach dankbar zu sein, einfach im Augenblick zu leben.
Wenn wir das Wasser aufdrehen, uns bewusst zu sein, was für ein Geschenk das ist.
Wenn wir das Licht einschalten, zu bedenken, was für ein Geschenk das ist. —
Wenn wir manchmal in Gegenden leben, wo es kein gutes Wasser gibt und kein elektrisches Licht, dann wird uns das erst so richtig bewusst, die anderen als Geschenk zu sehen: Das ist dankbares Leben.
Ein Gedicht von Rilke, zugleich Gebet an das Mehr
— lese ich Ihnen noch ein kurzes Gedicht von Rilke vor, weil es mit dem Wort «Stille» beginnt, und mit dem Wort «Dank» endet.
Und das weist darauf hin, dass wir dieses dankbare Leben eigentlich nur finden können, wenn wir uns auf Stille einlassen.
WENN es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre
verstummte und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen —:
Dann könnte ich einem tausendfachen
Gedanken bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken
wie einen Dank.
Das ist ein Gedicht an das MEHR, ein Gebet an das MEHR.
08 Schweigen — Wort — Verstehen
im Erfahrungsraum von Gebet und Religionen
Das Gebet der Stille
«Vom Worte GOTTES leben»
GOTT im Tun finden
Und Gebet hat eben diese drei Bereiche, diese drei Welten:
Das eine ist die Stille, das Gebet der Stille.
Darüber können wir nichts sagen, sollen wir nichts sagen, wir dürfen uns nur hinablassen
Wir dürfen uns nur hinablassen in diese Stille.
Dann begegnen wir in dieser Stille dem Mehr.
Und je tiefer wir uns hinablassen: mehr und immer mehr.
Das können wir, das können Sie, das kann jeder von uns.
Eine andere Welt des Gebetes, die uns mehr vertraut ist im Westen, ist:
«Vom Worte GOTTES leben» heißt es.
Und das ist so zu verstehen, dass alles was es gibt: — Wort ist.
Denn ES gibt und so spricht ES.
Das Nichts drückt sich aus in allem, was es gibt.
Und alles, was es gibt, ist daher göttliches Wort.
Und wir können uns auf dieses Wort einlassen
in allen möglichen verschiedenen Arten.
Wo immer wir uns auf «Wort» einlassen,
auf etwas, was es gibt,
und damit umgehen — ehrfürchtig damit umgehen —
JA antworten auf das Wort,
dieses vorbehaltlose Ja,
«Adsum», hier bin ich:
Dann nährt uns dieses Wort.
Alles kann uns nähren, wenn wir uns darauf einstellen.
Und die dritte Welt, die vielen von uns als solche reflektiv unbekannt ist, obwohl wir ständig drin leben, ist, was in der Tradition
«contemplatio in actione» heißt:
«Gott im Tun finden».
Und wir finden ständig GOTT im Tun.
Denken Sie nur an Mütter, denken Sie an Lehrer, denken sie an Systemaufsteller.
Wir finden ständig das MEHR im Tun.
Und das ist eine Welt des Gebetes, eine seit Jahrhunderten bekannte Welt des Gebetes:
Im Tun das MEHR finden.
Nun zeigt sich hier — und damit möchte ich abschließen — wie heilend ein solches Eindringen in das MEHR sein kann.
Wie heilend es sein kann, wenn wir versuchen:
dieses MEHR immer tiefer zu verstehen,
immer williger zu verwirklichen,
immer freudiger und schöpferischer zu feiern. —
Wir finden nämlich, dass die ganze Welt daran beteiligt ist, dass alle Religionen daran teilnehmen.
Schweigen — Wort — Verstehen:
im Erfahrungsraum der Religionen
Jeder, der den Buddhismus auch nur ein bisschen kennt, weiß, wie zentral im Buddhismus die Stille ist und das Schweigen.
In meinen eigenen Studien des Buddhismus habe ich manchmal im Gespräch mit meinem Lehrer — wenn ich glaubte, jetzt verstehe ich aber etwas — zu ihm gesagt:
«Also, jetzt muss ich das aber genau sagen: Ist das so?»
Worauf er dann immer zu lachen angefangen hat und hat gesagt: «Vollkommen richtig! Aber wie schade, dass du es sagen musst.»
(Bruder David und alle Anwesenden schmunzeln und lachen, Bruder David fährt fort:)
Wir müssen es sagen.
Wir gehören zu den «Amen»-Traditionen, zum Judentum, Christentum, Islam.
Wir gehören zu denen, die völlig auf das Wort bezogen sind.
Uns gehört das Wort.
Das ist gut! Das ist auch ein Bereich der Begegnung mit dem Mehr.
Das ist unser Bereich.
Und der dritte Bereich, ist der des Verstehens.
Das ist der Hinduismus.
Im Hinduismus geht es nicht um das Wort in erster Linie und nicht um das Schweigen, sondern es geht um das Verstehen.
Yoga heißt —wie das Wort «Joch» — «verbinden».
Yoga «verbindet».
Und wie Swami Venkatesananda sagt:
«Yoga ist Verstehen».
Yoga verbindet: Die spirituelle Praxis in allen ihren Formen von Yoga — nicht nur Hata-Yoga, den die meisten von uns kennen:
Die spirituelle Praxis des Hinduismus verbindet
das Wort und das Schweigen
im Verstehen.
Denn was heißt denn Verstehen? —
Dass wir uns so dem Wort hingeben,
das aus dem Schweigen kommt,
dass es uns hinführt,
woher es kommt:
in das Schweigen
— ist eine Bewegung:
Wenn wir uns dem Wort hingeben
und uns vom Wort in das Schweigen führen lassen,
verstehen wir.
Dreieinheit von «Das ist es»:
Wir Christen — Buddhisten — Hindus
Und so in unserem «Peak Experience», in unserem mystischen Experience — um wieder darauf zurückzukommen, sagen wir:
Das ist es jetzt. — Das ist es.
Darauf haben wir gewartet —
Wie wenn wir unser ganzes Leben lang nur darauf gewartet hätten:
Das ist es jetzt.
Und wir betonen das «Das»:
Das ist es — das ist das Wort.
Was immer es gibt:
Das ist es, das ist es.
Die Buddhisten sagen:
Das ist ES.
Und das ist auch ES.
Und das auch ES —
Es ist alles im Schweigen enthalten,
ist alles im Nichts, aus dem alles kommt.
Und die Hindus sagen:
Warum streitest ihr euch?
Das ist es.
(heiteres Lachen im Saal). — Und nur so verstehen wir es.
So kann ich also, und mit diesem Bild möchte ich schließen, mir das als einen Reigentanz vorstellen, in dem wir alle tanzen.
Das ist es,
wie immer wir es betonen — Hindus, Buddhisten, Christen, Juden, Islamiten, alle, und die Naturreligionen — wir tanzen alle!
Der eine Reigentanz der Religionen
in der Außen- und Innenperspektive
Und von außen gesehen gibt das keinen Sinn.
Da sagt man immer: Schau dir das doch nur an!
Die, die mir da näherstehen, die gehen in dieser Richtung, und die, die ferner stehen, gehen genau in der entgegengesetzten Richtung, wenn die da so im Reigen tanzen.
Wir können es erst sehen, wenn wir Hände halten und eintreten.
Dann merken wir plötzlich, die gehen alle im gleichen Sinn.
Es ist alles ein Tanz.
Und das, diesen Tanz brauchen wir, das brauchen wir heute in der Welt.
Schlusswort: Wir im Horizont einer neuen Gottanschauung
Und daher brauchen wir eine neue Gottanschauung:
Eine Gottanschauung,
in der GOTT nicht mehr von uns getrennt ist,
sondern in der wir völlig einbezogen sind,
völlig eingetaucht.
GOTT IN UNS, wir in GOTT —
Das ist das Gottesbild.
Danke! (und langer Applaus).
Audio-Mitschrift und Überschriften von Hans Businger, siehe auch Audio-Vortrag und Gespräch,
Publizierte Niederschrift des Vortrages