Br. David Steindl-Rast OSB

fuenf schritte um dankbar zu leb titelCopyright © - Christiane Liptak

Jede Dankbarkeit ist ein Ausdruck von Vertrauen. Jedes Misstrauen führt dazu, noch nicht einmal ein Geschenk als solches zu erkennen – wer könnte denn sicherstellen, dass es nicht ein Köder, ein Bestechungsversuch, eine Falle ist? Dankbarkeit hat den Mut zu vertrauen und überwindet so die Angst. Die Atmosphäre ist in diesen Tagen mit Furcht aufgeladen, mit einer Furcht, die von Politikern und den Medien genährt und manipuliert wurde. Hier liegt die größte Gefahr für uns: Furcht lässt Gewalt fortbestehen. Mobilisiere den Mut deines Herzens, wie es die wahrhaft Erwachten tun. Sage heute ein Wort, das einer ängstlichen Person Mut gibt.

Da Dankbarkeit Mut ausdrückt, verbreitet sie Ruhe. Diese Art von Ruhe ist durchaus mit tiefen Gefühlen vereinbar. In Wahrheit verrät die grassierende Massenhysterie eher Verwirrtheit als tiefes Fühlen, eher oberflächliche Betriebsamkeit als einen tiefen Strom von Mitgefühl. Schließe dich den wahrhaft Mitfühlenden an, die ruhig und stark sind. Aus der Stille im Zentrum deines Herzens wende dich nach außen. Halte heute ganz ruhig jemandes Hand und verbreite Ruhe.

Wenn du dankbar bist, ist dein Herz offen – offen gegenüber anderen, offen für Überraschung. In den Tagen seit dem Weckruf haben wir bemerkenswerte Beispiele für diese Offenheit erlebt: Fremde helfen Fremden oft in heldenhafter Weise. Andere wenden sich jedoch ab, isolieren sich, trauen sich sogar weniger als sonst, einander anzublicken. Gewalt beginnt mit Abgetrenntheit. Brich dieses Muster auf. Knüpfe Kontakt, zumindest Augenkontakt, zu Menschen, die du normalerweise nicht beachtest: mit dem Angestellten am Schalter, mit dem Parkwächter, mit jemandem im Lift. Blicke heute einem Fremden in die Augen und erkenne, dass es keine Fremden gibt.

Du kannst entweder Dankbarkeit oder Abneigung fühlen, aber nicht beides zur selben Zeit. Dankbarkeit vertreibt Abneigung; es gibt keinen Raum für beides im selben Herzen. Wenn du dankbar bist, weißt du, dass du zu einem Geflecht von Geben und Nehmen gehörst, und du bejahst diese Zugehörigkeit. Dieses Ja ist das Wesentliche der Liebe. Du brauchst keine Worte, um es auszudrücken; ein Lächeln genügt, um dein Ja wirksam werden zu lassen. Lass es für dich unwichtig sein, ob der andere zurücklächelt. Schenke heute jemandem ein unerwartetes Lächeln und trage so deinen Teil zum Frieden auf Erden bei.

Was deine Dankbarkeit für dich bewirkt, ist genauso wichtig wie das, was sie für andere bewirkt. Dankbarkeit stärkt dein Zugehörigkeitsgefühl. Dein Zugehörigkeitsgefühl stärkt wiederum deinen gesunden Menschenverstand, den Common Sense. Dein Ja stimmt dich auf die allen Menschen gemeinsamen Interessen ein. Nach dem Weckruf macht nichts anderes Sinn als Common Sense. Wir haben nur einen einzigen Feind, unseren gemeinsamen Feind: Gewalt. Der gesunde Menschenverstand lehrt uns, dass wir Gewalt nur stoppen können, indem wir aufhören, gewalttätig zu handeln. Krieg ist kein Weg zum Frieden. Höre heute die Nachrichten und prüfe bei zumindest einer Meldung, was der gesunde Menschenverstand dazu sagt.

Die fünf Schritte, die ich hier vorschlage, sind klein, aber wirkungsvoll. Dass sie klein sind, ist hilfreich: Jeder kann sie tun. Stell dir ein Land vor, dessen Bürger – vielleicht sogar dessen Führungspersönlichkeiten – unerschrocken, ruhig und offen füreinander sind; ein Land, dessen Bewohner erkennen, dass alle Menschen als eine Familie zusammengehören und so auch handeln müssen; ein Land, das von Common Sense regiert wird. In dem Maß, wie wir uns nicht hasserfüllt, sondern dankbar zeigen, wird diese Vorstellung wahr. Wer hätte vorhersehen können, dass in diesen dunklen Tagen die Dankbarkeit in solch neuem Glanz erstrahlen würde? Möge sie unseren Weg erhellen.



Text von Bruder David (2002), erschienen auch im Buch Wofür soll ich dankbar sein?

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