Br. David Steindl-Rast OSB

eng ist der weg titelCopyright © - pixabay

Die Menschen, welche die Evangelien des Neuen Testaments aufschrieben sahen, dass die Herrlichkeit, welche sie in Jesus erkannten, nicht das Gegenteil von Leiden ist: sie ist die Frucht des Leidens. Diese Wahrheit sollten wir begreifen, denn der Kreuzweg gehört nicht nur zum Leben Jesu. Wenn wir in der Nachfolge von Jesus leben - dieses kontemplative Leben, welches den Blick ununterbrochen auf die Schau richtet und dann diese Schau täglich in die Tat umsetzt - werden wir unvermeidbar beim Kreuz enden. Vielleicht akzeptieren wir dies nur widerwillig, aber tatsächlich führt daran kein Weg vorbei. Dies ist wirklich ein Grund-Gesetz des Lebens.

In einem Essay mit dem Titel «Die Freude im Gedanken, dass es nicht der Weg ist, welcher eng ist, sondern die Enge ist der Weg» vertritt der christliche Existentialist Sören Kierkegaard (1813-85) die Auffassung, dass die spirituelle Reise nicht getrennt ist vom Weg, der zurück-gelegt wird. Den Weg gibt es nicht im selben Sinn wie es die Straße gibt, unabhängig davon, ob jemand ihn benützt oder nicht, erst das «Wie» macht ihn zum Lebenspfad. Wenn wir über das Leben als einen Weg sprechen, ist die eigentliche Frage, wie soll ich auf diesem Weg gehen, wie soll ich mein Leben leben. Kierkegaard zitiert Jesus: Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng und der Weg dorthin ist schmal (Mt 7,14). Nochmals: «eng» ist kein Adjektiv, welches den Pfad beschreibt, eng ist der Pfad. Der Name des Pfades ist «eng». Daher wissen wir, wenn das Leben eng ist, ist es der Lebenspfad. Ein alternativer Ausdruck dazu, der oft in der Bibel verwendet wird, ist «Tribulation» (Mühsal, Beschwernis), was wortwörtlich «das Korn dreschen» heißt. Die Spreu fliegt weg und das Korn fällt heraus. Wir können das Gedreschtwerden nicht vermeiden, wir können die Enge nicht vermeiden. Es ist eine Freude, dies zu wissen, weil wir dann wissen, was wir tun müssen: wir müssen leiden. Und nach Kierkegaard leiden wir nach und nach immer mehr.

Ich möchte nun eine Passage aus dem Prolog der Benediktsregel zitieren, die vielleicht auf den ersten Blick Kierkegaard zu widersprechen scheint. Der hl. Benedikt schreibt:

«Wir wollen deshalb eine Schule für den Dienst des Herrn gründen. Bei ihrer Einrichtung möchten wir nichts Hartes, nichts Schweres anordnen. Wird aber aus einem angemessenen Grund zur Läuterung von Fehlern und zur Erhaltung der Liebe eine etwas strengere Forderung gestellt, sollst du nicht, von plötzlicher Angst verwirrt, vor dem Weg des Heils zurückschrecken, der am Anfang nichts anders als eng sein kann. Wer aber im religiösen Leben und im Glauben voranschreitet, dem weitet sich das Herz, und mit der unsagbaren Freude der Liebe eilt er voran auf dem Weg der Gebote Gottes.»

Ist der Weg nur am Anfang eng oder wird er zunehmend schwieriger wie es Kierkegaard nahe legt? Ich glaube, dass dieser Widerspruch nur ein oberflächlicher ist, denn wenn wir einmal entdeckt haben, dass die Enge der Weg ist, nehmen wir teil an der Freude des Verstehens, dass es so ist, was auch «die unsagbare Freude» ist, auf welche der hl. Benedikt verweist.

Leben ist ein Geschenk. Wir haben es weder gekauft noch verdient. Deshalb haben wir die Wahl zwischen zwei Haltungen, von denen beide schmerzvoll sind. Wir können entweder Angst empfinden, weil wir nicht darauf vertrauen, dass das Leben ein gutes Geschenk ist, oder wir können diese Angst mit einer positiven Art des Leidens austauschen, den wachsenden Schmerz. Letzteres ist Leiden aus Mitleid, welches das freudige Leiden auf dem Weg des Kornes ist, das Erkennen, dass es die Enge ist, welche zum Leben führt.

Als Seine Heiligkeit der Dalai Lama 1981 die USA besuchte, fragte ihn in einer kleinen Gruppe jemand, wieso es kommt, dass Buddhisten einen so wunderbaren Pfad entwickelt hätten, das Leiden zu überwinden, währenddem Christen seit 2000 Jahren im Leiden wateten. Der Dalai Lama antwortete, indem er sagte: «So leicht ist es nicht. Leiden wird nicht dadurch überwunden, dass man die Schmerzen einfach hinter sich lässt; Leiden wird überwunden, indem man den Schmerz für andere trägt.» Und dies ist eine von diesen Antworten, welche sowohl christlich wie buddhistisch ist. Es ist eine grundlegende Aussage, die aus der Tatsache kommt, dass die Enge der Pfad ist.



Quelle: Gratefulness (2005) (Übersetzung aus dem Amerikanischen Englisch  von Eve Landis)
Der Prolog der Benediktsregel wurde dem gleichnamigen Buch von Abt em. Georg Holzherr entnommen.

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