TEXTE über David Steindl-Rast

TEXTE über David Steindl-Rast

Artikel in SN von Josef Bruckmoser über das neue Buch HerzWerk von David Steindl-Rast und Alexandra Kreuzeder

Seine Mutter hat ihm mit zwölf Jahren «Das Stundenbuch» von Rainer Maria Rilke geschenkt. «Seither hat mich seine Dichtung immer begleitet als Licht und Leitstern», sagt Bruder David Steindl-Rast. Diese lebensbegleitende Erfahrung ist jetzt in ein Buch über Rilkes «Die Sonette an Orpheus» eingeflossen, das der Mystiker und Mönch gemeinsam mit der Achtsamkeitstrainerin und Rilke-Rezitatorin Alexandra Kreuzeder geschrieben hat.

Die Auswahl ist auf diese Sonette gefallen, weil mit ihnen zwei grundlegende Themen von Rilkes Werk in den Blick kommen: zum einen die Dichtung, zum anderen die Religiosität im Sinne der Ergriffenheit vom großen Geheimnis des Seins. Diese Religiosität fasst Steindl-Rast im Bild von der unterirdischen Wasserader, aus der die jeweiligen Religionen in ihren verschiedenen Brunnen Wasser schöpfen. So unterschiedlich auch die Brunnen – die Lehrgebäude und Glaubenssätze – sein mögen, so fließe doch aus allen das eine Grundwasser. «Diese uns Menschen angeborene Religiosität ist unsere Fähigkeit, vom großen Geheimnis des Seins berührt zu werden.» Sie könne sich der Bildsprache jedweder Religion bedienen. Und jeder Mensch sei fähig, sie in Gipfelerlebnissen und Augenblicken höchster Lebendigkeit zu spüren.

Um solche Erfahrungen aber in Worte zu fassen, brauche es die Dichter. Denn die Ausdrucksweise, die etwa die christliche Religion für dieses Geheimnis habe, sei heute vielen nicht mehr verständlich. «Rilke leistet uns hier einen unschätzbaren Dienst: Er verleiht der Religiosität eine für unsere Zeit gemäße Sprache», so Steindl-Rast. Neben dem Wort des Dichters bedürfe der Mensch darüber hinaus der Bilder. Genau das hätten die großen Mythen der Menschheit und mythische Elemente im Werk großer Dichter gemein: «Sie weisen durch Bilder auf Unsichtbares hin, durch Worte auf Unaussprechliches.»

Rilke geht dabei dem Empfinden vieler heutiger Menschen voraus, indem er jede konfessionelle Enge leidenschaftlich ablehnt. «Dieser Zwang zu Gott hat keinen Platz, wo einer mit der Entdeckung Gottes begonnen hat, in der es kein Aufhören mehr gibt.» Gleichzeitig hat er auf allen seinen Reisen eine Bibel bei sich. Denn «unter den alten Büchern, die mich zu neuen kaum kommen lassen, ist die Bibel das vorzüglichste.» Rilke sehnte sich danach, das gemeinsame religiöse Grundwasser in allen Religionen zu entdecken. Er wollte in seinem Herzen diejenige Stelle finden und beleben, «die mich in Stand setzen würde, in allen Tempeln der Erde mit der gleichen Berechtigung das jeweils dort Größeste anzubeten».

Hochaktuell ist im Hinblick auf das Schwinden der Religionen in den westlichen Gesellschaften auch ein Zitat von Rilke, auf das Alexandra Kreuzeder hinweist: «Es wechseln immer drei Generationen: Eine findet Gott, die zweite wölbt den engen Tempel über ihn und die dritte verarmt und holt Stein um Stein aus dem Gottesbau, um damit notdürftig kärgliche Hütten zu bauen. Und dann kommt eine, die Gott wieder suchen muss.»

In den «Sonetten an Orpheus» sind es zwei Themen, um die das spirituelle Denken des Dichters kreist: das Rühmen und der Doppelbereich. «Unsere höchste Aufgabe als Menschen ist es ja, alles, was es gibt, zu rühmen.» Aber kann dieses Rühmen auch für das Leiden, die Vergänglichkeit, die Schrecken unseres geschichtlichen Augenblicks gelten? Auf diese Frage antwortet Steindl-Rast, dass Rilke mit Rühmen nicht so sehr den Lobpreis Gottes mit Hymnen und Liedern meine, sondern vor allem die Lebensfreude. «Die erreichen wir in einem Dreischritt: Lebensvertrauen ist die Grundlage. Ihr entspringt Lebensmut. Und dieser blüht auf in Lebensfreude. Dankbare Lebensfreude selbst ist schon Rühmen.» Zwar werde sich unser Klagen nicht in Jubel verwandeln können, wohl aber in eine staunende Bewunderung des «uns von Gott Zugetrauten».

Rilke selbst habe diese Haltung der dankbaren Lebensfreude tief verinnerlicht, betont Alexandra Kreuzeder. Bis ans Ende seines Lebens, als er schon krank war. Mitten in großen Schmerzen habe er seiner Vertrauten Nanny Wunderly-Volkart gesagt: «Vergessen Sie nie, das Leben ist eine Herrlichkeit.»

Wieder sei Rilke hier den heutigen Menschen näher als das traditionelle Christentum, sagt dazu Steindl-Rast. «In der christlichen Botschaft wurde das Leid zunehmend überbetont und die Freude, die ja der Mittelpunkt der Frohbotschaft sein sollte, vernachlässigt.» Das Leiden gehöre zu unserem vergänglichen Leben in der Zeit. «Es vergeht. Die Rühmung aber nimmt schon jetzt Anteil am Unvergänglichen.»

Damit ist das zweite wesentliche Thema angesprochen: «Dem Doppelbereich trauen», wie es in dem Sonett «Nur wer die Leier schon hob» angesprochen ist. Der Überzeugung trauen, dass das Leben hier und jetzt nur eine Seite ist und dass es eine andere gibt, die dahinter liegt und die uns trägt. Der Doppelbereich meint das hiesige und das jenseitige Leben zusammen, als zwei Wirklichkeiten, die im menschlichen Bewusstsein ineinander verwoben sind. In Rilkes Worten: «Die wahre Lebensgestalt reicht durch beide Gebiete, das Blut des größeren Kreislaufs läuft durch beide: Es gibt weder ein Diesseits noch ein Jenseits, sondern die große Einheit.»

Rilkes Sonette kreisen um ein ganzheitliches Daseinsbewusstsein, das die Zusammengehörigkeit von Werden und Vergehen als große Einheit sieht. «Blüht ein Baum, so blüht so gut der Tod in ihm wie das Leben», sagt der Dichter. Liebende «sind voller Tod, indem sie voller Leben sind». Der Tod sei die uns abgekehrte, von uns unbeschienene Seite des Doppelbereichs. «Wir müssen versuchen, das größeste Bewusstsein unseres Daseins zu leisten, das in beiden unabgegrenzten Bereichen zu Hause ist, aus beiden unerschöpflich genährt.»



Quelle: Salzburger Nachrichten
  vom 24. Mai 2025

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