Inspirierend und motivierend zugleich

Interview mit Bruder David OSB in schon genial  von Dr. Bernhard Marckhgott und Dr. Alfred Fiedler

1Alle Fotos Copyright - © Michael Maritsch (l.) Dr. B. Marckhgott, (r.) Dr. A. FiedlerKurz vor seinem 98. Geburtstag treffen Dr. Bernhard Marckhgott und Dr. Alfred Fiedler im Sommer Bruder David im Europakloster Gut Aich in Sankt Gilgen und stellten dabei schon genial – der weltweit ersten «Intercorporate Social Responsibility» Initiative für eine positive Grundstimmung in der Gesellschaft – vor. Gemeinsam. Unabhängig. Zum Wohle aller. Positives sichtbar und bewusst machen und dabei das Gemeinsame vor das Trennende stellen, das ist kurz umrissen die Initiative unternehmensübergreifender sozialer Verantwortung.

Alfred Fiedler: Ein zentrales Thema in deinem Leben und Wirken nimmt die «Dankbarkeit» ein. Du hast auch «Dankbarkeitskreise» ins Leben gerufen. Erst vor kurzem schwärmte eine Bekannte, Sibylle Eisenburger, davon, die von dir inspiriert, selbst Dankbarkeitskreise ins Leben ruft. Sie lässt dich auch herzlich grüßen.

Bruder David:  Aha. Ich freue mich immer, wenn ich so höre von diesen Dankbarkeitskreisen an verschiedenen Orten.

Bernhard Marckhgott: Dieses Wort DANKE, was macht das mit den Menschen? Dass du so daran glaubst, an diese Heilsamkeit oder Wirksamkeit? Das Positive dieses Wortes DANKE – Wie bist du zu dieser Einsicht gekommen?

Bruder David:  Es geht gar nicht um das Danke sagen. Das ist einfach eine Frage der Höflichkeit. Es geht um eine Lebenshaltung der Dankbarkeit. Und um über diese zu sprechen, muss man beim Vertrauen beginnen, und zwar vom Lebensvertrauen. Für unsere Großeltern hat es Gottesvertrauen geheißen, für uns heißt es heute Lebensvertrauen. Da ist wirklich kein Unterschied, vom christlichen Standpunkt aus: Gott ist der Gott des Lebens. Ob man es dann Lebensvertrauen nennt oder Gottvertrauen, ist egal. Ich fasse es lieber unter Lebensvertrauen zusammen, weil das Wort Gott sehr missbraucht wird und missverstanden wird. Und Lebensvertrauen fehlt sehr vielen Menschen heute. Sie haben Angst.

Bernhard Marckhgott: Und wie soll man das Wort Gott verwenden?

2Bruder David:  Es ist nicht notwendig. Es kommt nicht darauf an, jemanden zu überzeugen, diese oder jene Sprache zu verwenden. Es kommt nur darauf an, eine Haltung zu erlernen und zu vermitteln. Die Haltung ist die des Vertrauens, und ich beginne eben mit Lebensvertrauen, weil man darüber mit jedem Menschen sprechen kann, ob die jetzt Gott sagen wollen oder nicht.

Über Lebensvertrauen kann man mit jedem Menschen sprechen. Und man kann jedem Menschen zeigen, dass die einzige vernünftige Haltung eines Menschen das Lebensvertrauen ist. Vernünftig! Denn jeden Augenblick, jede Sekunde erneuern sich 2 Millionen roter Blutkörperchen in unserem Körper. Jede Sekunde: 2 Millionen sterben und 2 Millionen entstehen. Kein Wissenschaftler kann überhaupt ein rotes Blutkörperchen bis zur letzten Einzelheit darstellen, geschweige denn herstellen. Und das ist nur eine von tausenden von Funktionen, die in uns walten.

Es ist viel richtiger zu sagen, das Leben lebt uns, als zu sagen, dass wir das Leben haben. Das Leben lebt uns und wir tragen Verantwortung. Und aus diesem Lebensvertrauen, also wenn ich dem Leben vertraue, muss ich auch dem anderen Menschen vertrauen. Das Leben schickt mir ja den anderen Menschen.

Daher kommt als nächster Schritt: Jeden Augenblick hinhorchen. Jeden Augenblick hat das Leben eine Gabe für mich. Und du fragst dich, was schenkt mir jetzt das Leben? Das Leben schenkt mir auch eine Aufgabe! Wenn wir das erfüllen, haben wir alles erfüllt, was die christliche Lehre oder irgendeine andere Religion sich wünschen kann. Und wir haben eine friedliche Welt.

Wir können eine persönliche Beziehung haben zum Leben – das ist sehr geheimnisvoll.

In der christlichen Sprache heißt es: «In Gott leben, weben und sind wir.» (das ist aus einem Paulusbrief). Zu diesem Leben können wir auch eine persönliche Beziehung haben, wenn wir sagen, das Leben schenkt uns etwas – dann ist das nicht nur eine Vermenschlichung, eine Metapher, sondern es ist wahr – es wird uns wirklich etwas geschenkt. Und dafür steigt in uns eben auch Dankbarkeit auf. Und das ist eine Haltung: Dass man in jedem Augenblick fragt, was schenkt mir jetzt das Leben. Und wenn es ein freies Geschenk ist – darauf zu vertrauen, dass es ein gutes Geschenk ist. Und dann kann ich mir gar nicht helfen, dann bin ich schon dankbar, dann steigt schon die Dankbarkeit hoch.

3Das Geschenk innerhalb von jedem Geschenk ist die Gelegenheit!

Es ist nicht dieses Glas Wasser (zeigt auf das vor ihm stehende Glas Wasser). Dieses Glas Wasser könnte auch da draußen stehen und für mich unerreichbar sein. Es steht aber hier vor mir und ich bin dankbar, dass es hier steht und ich es trinken kann. Für die Gelegenheit bin ich dankbar!

Das einzige Geschenk in jedem Geschenk, wofür man dankbar sein kann, ist immer die Gelegenheit. Gelegenheit – meistens - sich zu freuen. Das übersieht man ganz. Aber wenn man mal einmal damit beginnt, findet man es heraus: 90% der Zeit ist Gelegenheit sich zu freuen. Das ändert das Leben ganz und macht es freudiger.

Das hat man auch schon wissenschaftlich herausgefunden. Dass Menschen, die jeden Tag einen Satz niederschreiben, ein Ding wofür sie dankbar sind, sind gesünder. Wissenschaftlich haben wir diese Belege.

Gelegenheit ist manchmal nicht so leicht zu finden. Wenn ich jetzt vor dem Fernseher sitze und entsetzliche Verbrechen, Krieg und so weiter, sehe, was ist da die Gelegenheit dankbar zu sein? Dass ich darauf aufmerksam gemacht werde, damit schenkt mir das Leben eine Frage oder eine Herausforderung. Das ist die Gelegenheit etwas zu tun. Und wenn ich im ersten Moment denke, ich kann gar nichts tun, dann kann ich mich fragen, was kann ich tun? Das ist auch schon etwas.

Alfred Fiedler: Dass bereits der Impuls die Gelegenheit für die Frage bietet, was kann ich tun, ist ein bestechender Gedanke.

Bernhard Marckhgott: Siehst du die heutige Zeit stärker vom Egoismus und dem ICH geprägt als frühere Zeiten? Und wie kommen wir zu einem WIR? Ich denke, dass das wichtig wäre, weil ein WIR immer stärker und sozialer ist als ein ICH.

Bruder David: Da hast du vollkommen recht – unsere Zeit ist vom ICH-Denken geprägt. Die große Herausforderung ist, ein WIR-Denken zu entwickeln. Aus einem ganz einfachen Grund: Weil wir die Herausforderungen vor denen wir stehen, nur gemeinsam lösen können. Es geht nicht um meine Ideen, meine Vorteile, sondern darum, gemeinsam auf das Anliegen zu schauen. Also nicht streiten oder, was auch immer man mit dem Gegenüber macht – auch ein auf die Schulter klopfen ist überflüssig – sondern gemeinsam auf das Problem schauen. Nur wenn wir alle gemeinsam auf das Problem schauen, können wir es lösen. Weil es ein Problem ist, dass uns alle berührt. Und das gilt für jedes Problem: Umwelt. Erziehung. Artifical Intelligence. Krieg. Was auch immer.

Bernhard Marckhgott: Zitiere ich dich richtig: Ich habe mal gehört, dass du gesagt hast «Unsere Systeme haben ein Ende erreicht». Wie hast du das gemeint, in welchem Zusammenhang?

4 geschnittenBruder David: Ich habe damit das System gemeint und was wir heute unter System meinen, ist schwierig in aller Kürze darzulegen. In meinem Buch Orientierung finden habe ich alle diese Stichworte erläutert. Wir sprechen umgangssprachlich vom ‚System‘, als dem, was alles stört. Vom Bösen eigentlich. Das ‚System‘ ist eigentlich das Böse, in unserer Sprache.

Ein Lehrer beschwert sich über das System, ein Arzt beschwert sich über das System, Bürger beschweren sich über das System.

Ich sage immer: Nicht das System mit der Medizin verwechseln, nicht das Erziehungssystem mit Erziehung verwechseln. Das ‚System‘ ist das, was falsch geht, so meinen wir das ja. Und das ist nicht etwas, das so eine Kraft haben sollte, dass es alles zerstört.

Es ist ein Loch, ein Fehlen – das ist das ‚System‘. Es fehlt etwas. Alles, was da ist, an Erziehung, an Medizin, usw. ist gut. Was da ist, ist gut. Nur was fehlt, ist schlecht – und das muss ersetzt werden. Das Schlechte ist nicht etwas in der Welt, was existiert – ein Teufel, der herumläuft. Das ist auch strengste katholische Theorie:

Das Böse ist nichts, als das Fehlen des Guten, das dort sein sollte. Wie soll ich mir das vorstellen? Ein Beispiel das leicht nachzuvollziehen ist: Ein Flugzeug und alles daran funktioniert tadellos, eine einzige kleine Schraube im Motor ist locker fällt heraus und das ganze Flugzeug mit 250 Personen stürzt ab. Was war schuld? Nichts, eben das Fehlen einer Schraube.

Bei allem, was je in der Welt schief geht, geht es nur um das Fehlen. Und man fragt sich dann, wie kommt dieses Fehlen zustande und baut sich zu so einer Macht auf, die eigentlich nur ein Loch ist, wo was fehlt.

Darum ist es so wichtig zu sehen, wo wir was tun können!

Noch ein Beispiel: Du gehst jeden Tag und kaufst dir die Zeitung. An einem Tag aus Geistesabwesenheit nimmst du die Zeitung und sagst nicht ‚Guten Morgen‘. Der Mann, der dir die Zeitung verkauft hat, ist verstimmt. Der nächste, der zu ihm kommt, wird von ihm unangenehm behandelt. Und der gibt das weiter. Und so setzt sich das fort beim nächsten und übernächsten. Das wächst an, quadratisch und so entsteht das Böse. Aber wir haben die Wahl: Wir können auch freundlich sein und das setzt sich auch weiter fort, auch exponentiell.

Alfred Fiedler: Die Initiative #schongenial setzt genau bei dieser Überlegung an:  Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Anerkennung der Leistungen, die tagtäglich vollbracht werden und ein respektvoller Umgang miteinander. Wertschätzung als zentrales Element des täglichen Lebens.

Bruder David: Wo etwas fehlt, beginnt das Böse, wo etwas da ist, beginnt das Gute. Es sind nicht zwei Mächte, die miteinander kämpfen. Wo etwas da ist, was sein sollte, beginnt das Sein zu blühen, wo etwas fehlt, beginnt es zu verwelken.

Alfred Fiedler: Das ist für mich eine großartige Bestätigung. Bei #schongenial haben wir drei Grundsätze: Das Gemeinsame in der Gesellschaft vor das Trennende zu stellen. Positives sichtbar zu machen und bewusst zu machen. Und das Engagement für mehr Wertschätzung im Alltag. Würdest du dem etwas hinzufügen?

Bruder David: Nein, das ist wunderbar. Aber ich würde nur betonen, dass es nicht Überschriften bleiben, die da draußen stehen und Slogans. Sondern, dass man aus jedem dieser drei Worte sehr vorsichtig herausholt und betont, was jeder einzelne Mensch tun kann – heute früh.

Alfred Fiedler: Das entspricht dem Grundsatz von Mahatma Gandhi: Sei du die Veränderung, die du dir von dieser Welt wünscht. Wir haben auch bewusst diese Initiative so angelegt, dass sie von unten wächst. Ist das eine gute Idee?

Bruder David: Ja, eine sehr gute Idee!

Alfred Fiedler: Also, deinen spirituellen Segen haben wir! [lacht]

Bruder David: Ich danke euch herzlich!

Bernhard Marckhgott: Wir sagen Danke!



Quelle: schon genial, vom 18.10.2024

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