Interview mit David Steindl-Rast OSB in KLEINE ZEITUNG von Manuela Tschida-Swoboda 

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Eigentlich müssten wir «streiken!», sagt Bruder David über den Zustand der Welt «aber nicht die Hoffnung verlieren».

Sie kamen 1926 in Wien auf die Welt, der Erste Weltkrieg war vorbei, der Zweite stand vor der Tür. Im Juli wurden Sie 97:
Wie haben Sie sich Ihren Optimismus erhalten?

Wie heißt es so schön: Pessimisten sind Optimisten mit besserer Information. Ich will weder Optimist noch Pessimist sein. Ich habe aber immer versucht die Hoffnung zu erhalten. Hoffnung heißt, für Überraschung vertrauend offen zu bleiben. Denn Offenheit für das Leben trägt uns durch.

Die letzten Jahre waren zehrend: erst die Pandemie, dann der Krieg mitten in Europa. Wie soll man da die Hoffnung nicht verlieren?

Wenn man die Hoffnung verliert, hat man alles verloren. Es ist besser, sie nicht zu verlieren. Wie macht man das? Nicht aufgeben! Auch wenn die Weltlage heutzutage entsetzlich ist, denn der Menschheit ist die Ehrfurcht vor dem Leben verloren gegangen und damit zugleich auch die Ehrfurcht vor anderen Menschen. Auch der Sinn des Lebens ist verloren gegangen.

Warum?

Warum-Fragen sind sehr schwer zu beantworten. Ich habe keine Antwort darauf.

Was raten Sie einem jungen Menschen, damit er nicht verzweifelt?

Der Lauf der Welt steht ja nicht in unserer Hand. Ich wünsche mir auch vieles, was ganz anders wäre, aber es liegt nicht in meiner Hand. Man macht sich psychisch und physisch nur krank, wenn man etwas will, was nicht möglich ist. Man kann mit dem Kopf nicht durch die Wand. Aber man kann auch inmitten des Zusammenbruchs ein erfülltes, sinnvolles Leben haben, indem man sich auf den Augenblick konzentriert und hinhorcht: Was will das Leben von mir und was schenkt es mir?

Horchen ist mitunter schwierig, in unserer lauten Zeit: Erträgt der Mensch die Stille nicht?

Menschen, die die Stille nicht ertragen, wollen abgelenkt sein. Wovon? Letztlich von Gott. Es ist typisch für eine ehrfurchtslose, oberflächliche Gesellschaft, immer Lärm und Wirbel zu wollen, um nur ja von Gott abgelenkt zu werden, der uns begegnen will. Und wo begegnet uns Gott? In jedem Augenblick, wenn wir nur still werden und hinhorchen mit allen Sinnen. Durch alles, was es gibt, spricht Gott zu uns. Durch diese Rose hier auf dem Tisch sagt Gott zu uns durch Auge und Nase: «Ich hab dich lieb». Und tausendmal am Tag sagt Gott: «Freu dich dran.» Manchmal aber verlangt Gott auch etwas Schweres – Geduld, Vertrauen, Vergebung – und weil wir das nicht hören wollen, horchen wir nicht hin und versäumen die vielen Gelegenheiten uns zu freuen. Unser Leben glückt, unsere Gesellschaft wird gesund nur durch Stillwerden und Hinhorchen.

Im Berufsalltag nicht einfach.

Ich habe einen Arzt gekannt, der auch Künstler war. Er war ein Schüler von Albert Schweizer, ist also schon etwas her. Auch damals waren Ärzte gehetzt und belastet. Dieser Mann hat vom ersten Tag in seiner Praxis gesagt: Ich arbeite nur drei Tage in der Woche. Ich verdiene zwar auch weniger, aber an den anderen Tagen kann ich Künstler sein. Man darf nicht mit den Wölfen heulen, nur weil alle hetzen und schuften. Sonst wird man weggeschwemmt. Wer innehält, hat schon den ersten wichtigen Schritt getan und kann hinhorchen: Was sagt das Leben mir?

Sie gehen seit je auf Menschen zu, treten aber auch zurück und haben als Eremit gelebt. Was hat Sie das Alleinsein gelehrt?

Aus dem Alleinsein lernt man immer. Eremit und Nicht-Ablenkung gehören zusammen. Aber nicht jeder muss Eremit werden, man kann sich auch, wenn man im Getriebe steht, sagen: Statt dass ich jetzt den Fernseher einschalte, ruhe ich mich aus oder lese etwas.

Fehlt unserer Gesellschaft das In-die-Luft-schauen?

Natürlich, das wird jedem schon als Kind ausgetrieben. Da heißt es dann: ,Was sitzt denn da und schaust in die Luft?!’ Was sonst soll ein Kind denn tun? Bei amerikanischen Indianern heißt es: Ein wohlerzogenes Kind soll sitzen können und schauen, wenn nichts zu sehen ist, und horchen, wenn nichts zu hören ist. Daran sollte man denken, wenn man Kinder hat. Man soll ihnen Gelassenheit schenken.

Ich kenne keinen einzigen Menschen, der gelassen ist.

In einem Altersheim findet man manchmal gelassene Menschen. Es beginnt immer damit, dass man lässt. Das fängt bei den Eltern an, das beginnt bei den Lehrern: lassen, lassen, lassen.

Es heißt, dass man immer öfter an seine Kindheit denkt, wenn man älter wird. Ist das so?

Ja, das auch. Aber auch die Hilflosigkeit im Alter ist wie bei einem Kind. Ich erinnere mich noch, als ob es gestern wäre, als ich sagen konnte: Ich kann mir schon die Schuhe zubinden allein. Und jetzt kann ich mir nicht mehr die Schuhe allein zubinden. Es geht jetzt wieder zurück an den Anfang.

Ist das schwierig für Sie?

Natürlich, das ist für jeden Menschen schwierig. Aber auch jetzt heißt es hinhorchen: Was will das Leben jetzt von mir? Das Leben will, dass ich so weit wie möglich auch nicht nachgeb’ und den anderen nicht zu sehr zur Last falle, aber wo es notwendig ist, muss ich mich fügen und daran lernen und Hilfe dankbar annehmen.

Eine Frage, die wir uns alle immer stellen: Wie kann Gott es zulassen, dass es soviel Leid und Elend in der Welt gibt?

Das kommt davon, dass man sich Gott als jemanden vorstellt, der da oben sitzt und lenkt. Gott ist das Leben und lebt in uns. Er braucht Menschen. Richtigerweise muss die Frage somit heißen: Wie können wir das zulassen? Sie und ich leben in einer Welt, in der in jeder Sekunde die tödlichsten Waffen in enormen Quantitäten erzeugt werden, die Vereinigten Staaten sind da Spitzenreiter. Aber die gesamte Welt rüstet auf. Wozu? Um andere zu töten. Soviel Geld wie heute ist seit Jahrzehnten nicht mehr für militärische Zwecke verwendet worden. Eigentlich müssten wir streiken! Die Mütter müssten sagen: Keine Waffenfabriken! Die Männer müssten sagen: Keine Waffenfabriken!

Fehlt in unserer Zeit der Widerstandsgeist?

Ja, und vermutlich weil jeder in diesem Strudel von schnell, schnell, schnell und viel viel viel steckt, kommen wir gar nicht zur Besinnung. Ich habe in meinem Leben sehr viel demonstriert.

Wogegen?

Atomwaffen vor allem und gegen den Vietnam-Krieg.

War es für Sie immer klar, dass Sie ins Kloster gehen?

Ich habe spaßhalber immer gesagt: Ich wähle das richtige Kloster, oder das richtige Mädchen.

Das Mädchen ist nicht aufgetaucht?

Naja, aber nicht genügend überzeugend.

Haben Sie es nie bereut?

Nein, überhaupt nicht. Aber es ist uns auch ganz richtig gesagt worden beim Mönch-Werden: Du glaubst, du hast Gott etwas versprochen, aber eigentlich hat Gott dir versprochen, dass es auf diesem Weg gehen wird. Wir waren da gut dran.

 

Quelle: KLEINE ZEITUNG - 13. August 2023

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