Interview mit David Steindl-Rast OSB von Marietta Schürholz

dankbark macht eine fuetterung zumCopyright © - pixabay

Wir befinden uns global in einer bedrohlichen Krise, die sich auf fast allen Ebenen zeigt. Es bedarf enormer Anstrengungen ein neues Bewusstsein zu entwickeln, das den großen Zusammenbruch des Ökosystems und gesellschaftlicher Systeme abwenden könnte. Das Thema Ernährung ist dabei, gerade weil es so existenziell ist, wichtig. Deshalb möchte ich mit ihnen vor dem Hintergrund der Bedrohung über eine aus der Religion inspirierte Haltung dem Essen gegenüber sprechen. Sie stehen gleichsam für die Verbindung von unterschiedlichen religiösen Traditionen, sind Benediktiner Mönch und haben sich zugleich intensiv mit dem Zen Buddhismus beschäftigt. Was hat die Begegnung mit dem Buddhismus für Sie bedeutet?

Eine ziemlich ähnliche Frage habe ich einmal Thomas Merton gestellt: «Glaubst Du, dass Du über das Christentum sagen könntest, was Du sagst, wenn es nicht im Licht des Buddhismus wäre?» Und Merton hat geantwortet: «Ich glaube, dass ich das Christentum nicht so verstehen könnte, wie ich es verstehe, wenn es nicht im Licht des Buddhismus wäre.» Merton ging es nicht um theologische Aspekte. Für ihn war die Einsicht zentral, dass es auf eine persönliche Beziehung zu «den letzten Dingen» ankommt. Es kommt nicht auf eine Lehre an, auf etwas, das man glaubt oder nicht glaubt. Es kommt nicht auf äußere Formen an. Es kommt eine persönliche Beziehung zum Grund an. Das ist zugleich sehr buddhistisch und auch sehr christlich, urchristlich. Alan Watts, der den Buddhismus in Amerika bekannt machte, sah die Tatsache, dass sich das Christentum und der Buddhismus getroffen haben, als die wichtigste historische Entwicklung des 20igsten Jahrhunderts an.
Ich sehe das genauso. Diese Begegnung ist ein ganz wichtiger Auslöser für einen Bewusstseinssprung, den wir machen müssen. Ich vergleiche das immer mit einem Sprung, den die Natur gemacht hat. Es gab eine Zeit in der Evolution, da hat es nur äußere Skelette gegeben, so wie wir sie jetzt noch von Käfern und Krabben kennen. Die haben ihr Skelett außen. Und dann plötzlich hat die Natur ein inneres Skelett erfunden. Und jetzt haben wir eine Wirbelsäule und Rippen und können uns dadurch natürlich ganz anders bewegen.
Was von uns als Menschheitsfamilie verlangt ist, um den notwenigen Bewusstseinssprung zu machen, lässt sich vergleichen mit der Erfindung des inneren Skeletts. Wir erleben heute psychologisch das Zusammenbrechen des äusseren Skelettes. Alles, was uns von unseren Eltern und ganz besonders unseren Großeltern und von da an unseren Ahnen von außen her Halt geboten hat, zerbricht. Darum fühlen wir uns haltlos auf der Sinnsuche. Was uns Halt gibt, das müssen wir von Innen her erarbeiten. Im Buddhismus ist das von Anfang an sehr klar.
Diese Arbeit von Innen ist in der Lehre des Christentums genauso vorhanden, nur wird sie in der Praxis in keiner Weise gefördert, vielmehr von den religiösen Institutionen unterdrückt.

Was Sie «von Innen her erarbeiten» nennen ist ja auch ein sehr individuelles Tun.

Genau, aber die Institution will gebraucht werden. Deshalb sieht sie Mystiker nicht gerne, denn die haben den direkten Weg. Aber in meinen Augen ist das die Aufgabe der Institution jeden Menschen zu diesem eigenen Weg zu führen und jeden Menschen zu dem Mystiker werden zu lassen, der er oder sie ohnehin schon ist. Denn wir sind alle Mystiker, wir haben alle die Offenheit für Begegnungen mit der letzten Wirklichkeit. Und im Buddhismus, zumindest im Zenbuddhismus ist das ganz klar gesehen und wird sehr stark gefördert. Im Christentum wird jemand, der auf eigenen Füßen stehen will, sehr misstrauisch beäugt.

Wie enorm fruchtbar die Perspektive eines Buddhisten auf die christliche Lehre sein kann, habe ich einmal bei einem Gespräch erlebt, das Thich Nhat Hanh und die evangelische Theologin Dorothee Sölle im Jahr 2000 in der Gethsemane-Kirche in Berlin führten. Es ging um die Erzählung des Emmausmahl, denn für Dorothee Sölle war diese Stelle, in der es um tiefe Fragen des Glaubens, Zweifelns und Erkennens geht, sehr zentral. Thich Nhah Hanh führte aus, dass die Jünger Christus an der Art erkannten, wie er das Brot brach. Mir wurde da klar, wie in der Präsenz das Göttliche wohnt, wie Gegenwärtigkeit im Tun zu Gott führt.

Dieses Tun kommt aus einem Fühlen. Und dieses Fühlen ist ein Verstehen, das ganz tiefe körperliche Wurzeln hat, ein verkörpertes Verstehen. Das Fühlen ist ein verkörpertes Verstehen. Das Denken ist ein entkörpertes Verstehen. Es wird um so besser, je mehr man vom Körper weg kommt. Das kann man natürlich nie ganz, aber man kann versuchen vom Körper weg zu kommen. Während im Gefühl versucht man vom Körper mehr und mehr in das Verstehen hinein zu nehmen. Und Theodor Heckel hat gesagt: Das Schöne fühlt sich im Fühlen.

Wenn das Schöne sich im Fühlen fühlt, dann gibt es eine Möglichkeit das Wahre, das Stimmige, das Richtige zu erfassen?

Ja, weil das Schöne, das Wahre und das Gute eines sind. Dazu gehört auch das Mitfühlen. Erst, wenn wir wirklich fühlen können, sind wir auch offen für das Mitgefühl, das ja im Buddhismus und im Christentum so zentral ist. Nicht nur Mitleid, sondern auch Mitfreude, Mitgefühl, dem dann das Tun entspringt … das Tun, um den anderen zu helfen, das Tun, damit sie sich selber helfen können. Wir haben uns zuviel eingemischt. Jetzt geht es eher darum sich weg zu nehmen und den anderen auch leben zu lassen. Das Mitgefühl müsste sich heute darin ausdrücken, dass wir den weniger Bemittelten nicht etwas geben, sondern, dass wir ihnen weniger weg nehmen. Hier im Westen und im Norden des Erdballs benützen wir ja viel viel mehr als uns zusteht. Wir könnten lernen, dass die Lebensqualität gesteigert wird, wenn wir weniger Quantität verbrauchen. Das ist ungeheuer wichtig.

Welche Lebensqualität wird dann gesteigert?

Die Freude, nur schon die Freude. Denn mit der Dankbarkeit ist das so: Je kleiner das Gefäß ist, das sich füllt, je früher fliesst es über. Und erst, wenn es überfliesst glänzt es und glitzert es und schenkt uns Freude. Und wir machen es immer größer und größer und nie fliesst es über. Wir geben ihm gar nicht die Gelegenheit überzufliessen.

Und weil uns jederzeit alles zur Verfügung steht, können wir in unserer Kultur auch kaum mehr ein Mahl schätzen. Wie kommen wir zu einem Fühlen, das uns in einer anderen Weise Essen genießen lässt?

Wie wir das Mahlhalten lernen können? Ich weiß nur einen Zugang und das ist Dankbarkeit. Sie ist ja immer schon ein bisschen da und steigt in uns auf, wenn uns etwas sehr Angenehmes und Schönes passiert. Aber sie zu einer Grundhaltung im Leben zu machen, das ist dann Übung, und die kommt nicht von selbst. Übung heißt, sich immer wieder zu erinnern. Erst die Dankbarkeit macht eine Fütterung zum Mahl. Dankbarkeit feiert, ist eine feiernde, eine teilende, eine schenkende Haltung. Ein Mahl, das geteilt wird, ist ein offenes Mahl. Das muss es sein, sonst ist es kein richtiges Mahl. Denn zu einem Mahl sind grundsätzlich alle eingeladen. Nachdem das natürlich nicht möglich ist, muss immer eine gewisse Traurigkeit sein, dass nicht alle dabei sein können. Diese Traurigkeit gehört zu der Freude des Mahles dazu. Beim Ostermahl in der jüdischen Tradition wird ja immer ein Gedeck frei gehalten für Elijas, der erwartet wird. Jeder Bettler, der zum Tor kommt, ist möglicherweise Elijas in Verkleidung und wird eingeladen und setzt sich dazu. Dieser offene Platz gehört auch zu unserem Mahl.

Auch bei der sogenannten Ganapuja, einer Praxis des tibetischen Buddhismus werden Teller für diejenigen bereitet, die nicht dazu kommen können. Offenheit und Dankbarkeit und die Einladung an alle Wesen gehören auch hier zusammen.

Je dankbarer wir sind, umso mehr wird uns bewusst, dass alles Gnade, dass alles Geschenkt ist. Dadurch wächst unsere Freude und das macht Dankbarkeit, macht ein dankbares Leben zu einem so anziehenden Weg der Spiritualität. Hier gibt es immer gleich eine Belohnung. Beim Yoga und auch beim Zen braucht es recht lang bis die Belohnungen wirklich spürbar werden. Aber bei einem dankbaren Leben kommen die Belohnungen sofort. Es ist die größere Freude, wachsende Freude.

Feste sind ja auch häufig Ausdruck der Freude und der Dankbarkeit. Und immer gehört ein Essen dazu. In Indien habe ich verstanden, wie religiöse Feste ständige Reinszenierungen von Ereignissen sind, wo sich das Göttliche gezeigt und offenbart hat. Diese Erinnerung an das, was uns ja eigentlich immer umgibt, bindet uns zurück. Das Zeitliche wird dann auf das Überzeitliche hin transparent. Aber irgendwie geht uns hier so häufig die Essenz des Feierns verloren. Wie können wir Feste wieder feiern?

Sie haben das eigentlich sehr schön ausgedrückt und ich kann dem kaum etwas hinzufügen. Das große Ereignis, was das ist, was da gefeiert wird, das große Ereignis ist ein Durchbruch des Jetzt in die Zeit, ist ein Durchbruch der Ewigkeit. Ewigkeit ist ja das Jetzt, das nicht vergeht, ist ein Einbruch der Ewigkeit in die Zeit. Und was Sie Inszenierung nennen, ist ein uns Vorbereiten darauf, dass wir wieder in dieses Jetzt eintreten dürfen.

Dieses Eintreten ins Jetzt ist uns ja immer möglich.

Ja, immer, aber zu besonderen Zeiten, an besonderen Orten ist es viel leichter. Darum feiern wir Feste. Auch wenn es gemeinsam getan wird, hat es ganz neue Dimensionen. Es wird dadurch gefeiert, dass man sich erinnert. Die Erinnerung geht nach Innen, Er-innerung und im Innersten finden wir dieses Jetzt. Wir finden zurück zu diesem Jetzt, zu dem, was dort geschehen ist. Der Erinnerung helfen äußere Gesten, auch Gebetsgesten. Nur Knien kann schon helfen, ohne irgendetwas zu sagen. «Ich steh an Deiner Krippe hier, oh Jesus, Du mein Leben». Man hat eine kleine Krippendarstellung und steht davor, wie man als Kind davor gestanden ist. Aber man steht nicht wie man als Kind gestanden ist, man steht als Kind davor. Das ist schon eine Geste, nicht wahr, die uns zur Verfügung steht? Aber wer tut es? Dann ist da noch das Mahl, das immer zentral für jede Feier ist. Und das sich erinnern. Die Geste, das Mahl, die Erinnerung und die Geste, des Stehens, des Kniens, des Anschauens, des auch irgendetwas Tuns, z.B. Brauchtum, das mit den Festen verbunden ist. Ich glaube, da sehen Sie etwas ganz Wichtiges.
Ich weiß nicht, aber ich glaube, dass man vom tibetischen Buddhismus manches lernen könnte. Oder es ist wieder etwas was wir beitragen, dieser gemeinsamen, sich entwickelnden Tradition beitragen. Aber wir haben es selber schon fast verloren.

Was mir als wichtige Inspiration aus dem tibetischen Buddhismus geschenkt wurde, auch wenn ich nicht weiß, ob ich es im dortigen traditionellen Sinne richtig verstanden habe, ist das sehr wörtliche Erfahren vom Bedeutungssinn der Worte zur Eucharistie: «Dieses Brot ist mein Leib». In den sogenannten Gana Chakras, werden die Gaben als ein Mandala verstanden, das stellvertretend für alles Manifeste dargebracht wird und zu dem dann noch das Bewusstsein segnend dazu kommt. Der Teller mit den Speisen, die Welt, so wie ich auch, sind die Opfergabe. Und die esse ich dann. Was für mich dabei stattfand, war für eine kurze Weile vollkommenes Einswerden, ungetrennt. Durch diese Erfahrungen im Rahmen einer tibetischen Puja habe ich angefangen zu ahnen, was in der Eucharistie auch stattfinden könnte.

Ich glaube das sehen Sie ganz richtig. Diesen Dreischritt des Opfers findet man, wo immer Opfer dargebracht werden. Der erste Schritt ist, dass die Gaben abgesondert werden als Repräsentativ für alles. Das Brot und der Wein, in unserem Fall, als Früchte der Erde, Natur und Werk menschlicher Hände, beides. Kultur und Natur, das ist Brot und Wein, repräsentiert alles was es gibt. Dann wird es aufgehoben in der Wandlung, die Geste des Aufhebens genügt schon, und dann wird es geteilt.

Das Aufheben steht für das Empfangen eines Segens, eine Darbringung?

In der Mitte des Opfers steht immer die Konsekration, die Wandlung nennen wir es auf Deutsch, die Heiligung des schon Heiligen, des uns Bewusstwerden des Heiligen. Und nachdem wir die höheren Werte uns immer als oben vorstellen, ist das Aufheben oft in dieser Phase. Und das Dritte ist dann immer das gemeinsame Mahl. Das Konsekrierte wird jetzt geteilt unter allen. Oft ist das eine ganz kleine Geste. Im fernen Osten nehmen die Menschen vor jeder Mahlzeit mit drei Fingern ein paar Körner Reis aus der Schale. Diese drei Körner Reis sind schon die Opferung. Diese drei Körner Reis stehen für alle Speisen und für alles, was uns geschenkt wird. Dann heben sie es ein bisschen auf, das ist die Konsekration, und dann essen sie es, das ist die Kommunion. Oder in Griechenland, bevor jemand ein Glas Wein trinkt, werden ein paar Tropfen Wein vergossen, das ist die Opferung, diese paar Tropfen stellen die ganze Lebensfreude dar, die in dem Wein enthalten ist, sie werden zur Erde, dem geheimnisvollen Grund, aus dem der Wein herauswächst, gegeben: das ist die Konsekration, und die Kommunion ist, wenn man aus dem Becher trinkt – immer wieder dieselbe Form.

Nur um uns dessen bewusst zu werden – da hilft uns die Begegnung der Religionen, denn Sie haben das in diesem tibetischen Ritus entdeckt und hätten es vielleicht nie in der christlichen Eucharistie verstanden. Aber da ist es, ganz klar.

Meinen Sie, dass dies so gemeint ist?

Selbstverständlich. Das ist doch nur eine andere Art zu sagen: Das ist Leib und Blut Christi.

Ist das dann der kosmische Christus?

Ja, dass es nicht der Leib und das Blut Jesu ist, das ist theologisch ziemlich klar und wird nur manchmal von Laien verwirrt. Aber nachdem Christus im christlichen Glauben die Christusnatur, die in uns allen ist, verwirklicht hat, kann man auch sagen, es ist der Leib Jesu Christi, genauso wie es der Leib unserer verstorbenen Großmütter oder wer immer war, die auch aus diesem Christus heraus gelebt haben. Wir verbinden uns in der Kommunion mit allen, die ihre Buddhanatur, um jetzt herüber zu springen, verwirklicht haben.

Wie schön. Da gibt es so eine große Gemeinsamkeit zu der Erfahrung des «Einen Geschmacks» in einer Ganapuja, diese Erfahrung vollkommen Eins zu sein mit dem Ganzen, untrennbar.

Ja, und da gibt es dann kein zu wenig mehr. Denken sie an die Brotvermehrung. Da wird aus dem Wenigen so viel gemacht, dass am Schluss noch viel übrig ist. Auch ein wunderbarer Mythos, viel wahrer vielleicht als … ich habe das selber erlebt wie Brot sich vermehrt hat, wie es nicht für alle reicht und dann auch noch ein Duzend mehr dazu kommt. Und plötzlich ist genug da für alle. Man kann das ja im Leben erleben. Ob das Brot sich dann physikalisch vermehrt hat – wahrscheinlich kaum – ist nicht so wichtig.



Quelle: BUDDHAS BANQUET

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