Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

augenblicke wach im jetzt titelCopyright © - Norbert Kopf

Die Hymne der Prim beginnt mit den Worten: «Die Sonne ist aufgegangen»[1]. Die ersten beiden Stunden waren eher besinnlich. Jetzt ist die Bühne bereit für die Handlung. Die Prim ist die Stunde der Arbeitsverteilung. Dabei richtet sich das Augenmerk auf einen angemessenen Beginn. Es ist wesentlich, dass die Anforderungen und Beschäftigungen des Tages aus ganzem Herzen und mit Begeisterung angefangen werden.

Der Ort der Prim ist der Kapitelsaal, wo die Mönche zusammenkommen, um die praktischen Fragen der Gemeinschaft zu besprechen. Die Arbeit wird gemeinschaftlich verteilt. Und auch wenn wir Mönche oft tagsüber lange Zeit allein arbeiten, so ist es dennoch eine gemeinsame Arbeit.

Robert Frost drückte dies sehr schön aus, als er sagte, dass Menschen immer zusammenarbeiten, «ob sie gemeinsam arbeiten oder getrennt».

Frost berichtet von einem Landarbeiter, der frühmorgens hinausgeht, um das Heu zu wenden. Der Mäher hatte seine Arbeit bereits viel früher am Morgen getan und war längst weggegangen. Und nun fühlt sich dieser Mann beim Heuwenden etwas verlassen und einsam und sagt sich: «Ich muss allein sein ‒ genauso wie der andere es war, wie alle es sein müssen», so sinniert er in seinem Herzen, «ob sie zusammenarbeiten oder getrennt.»

Dann aber wird seine Aufmerksamkeit von einem Schmetterling auf ein Blumenbüschel gelenkt, das der Mäher stehengelassen hat, weil es zu schön war, um abgemäht zu werden. Das gemeinsame Erlebnis der Schönheit dieser Blumen bewegt ihn, sich anders zu besinnen: «Und gleichsam träumend unterhielt ich mich brüderlich mit jemandem, den ich nicht einmal in Gedanken zu erreichen hoffte.»

«Menschen arbeiten gemeinsam», sagte ich ihm von Herzen, «ob sie zusammen arbeiten oder getrennt.»

Seine plötzliche Einsicht machte ihm klar, dass Arbeit immer Gemeinschaftsarbeit ist, ob wir das nun erkennen oder nicht. Alle Arbeit ist miteinander verflochten.[2]

Natürlich gibt es Arbeit, die sich eigentlich nicht lohnt. Aber selbst wenn es sich nur um Handgriffe an einem Fließband handelt, dürfen wir doch hoffen, dass sie Menschen irgendwo in der Welt helfen, mit denen wir in Gemeinschaft arbeiten, obwohl wir ihnen nie begegnen werden.

Auch dieser Gedanke ist wiederum mit dem Choral verknüpft: Man singt ja gemeinsam mit anderen, und gerade deshalb ist der Gesang so schön. Es ist nicht nur eine Stimme, die singt, sondern da singt eine Gemeinschaft. Und die Gemeinschaft singt nicht einfach nur, sondern sie singt ganz bewusst mit der gesamten Schöpfung, mit den Vögeln, den Bäumen, dem Wasser und den Engeln, mit der sichtbaren und unsichtbaren Kreatur.

Die Arbeit frisst uns mit ihren Forderungen auf, wenn wir sie nicht bewusst angehen. Dann werden wir zu Sklaven, ganz egal, wie weit oben auf der Leiter wir stehen! Nur wenn wir lernen, bewusst zu beginnen mit Anhalten, Hinschauen und Vorangehen, kann uns die Arbeit nicht unterjochen. Mönche wenden sich bewusst der Arbeit zu, so wie der Augenblick es erfordert; und sie lassen alles stehen und liegen, wenn die Glocke erklingt. Sie beweisen damit, dass sie nicht dem Gesetz der Arbeit unterstehen, sondern frei sind, sie immer dann loszulassen, wenn die Zeit gekommen ist.

Gehen wir nicht absichtsvoll und achtsam mit unserer Arbeit um, werden wir zu ihrem Sklaven und fühlen uns schließlich entfremdet und leer. Sogar Arbeit, die wir nicht gerne verrichten und für sinnlos halten, kann Sinn gewinnen, wenn wir uns bewusst und oft daran erinnern, warum wir sie tun.

Solange wir unsere Arbeit aus Liebe tun für diejenigen, die uns etwas bedeuten, macht sie Sinn. Die Liebe ist der beste Grund für unsere Mühsal. Liebe verwandelt alles, was wir tun und erleiden, zu einer Musik, die sich erhebt und weit hinaufschwingt wie ein Lobgesang.[3]

Diese Erde ist uns gegeben worden, damit wir mit ihr arbeiten. Wenn wir sie bebauen, erlangen wir ein tieferes Verständnis der göttlichen Wirklichkeit, die jeden Teil der Schöpfung erfüllt.

Rilke sagt in einem seiner Gedichte an Gott: «Du wirst nur mit der Tat erfasst.» Das Wort «erfassen» beinhaltet sowohl, etwas in Händen zu halten, zu fassen, als auch mit der Hand in etwas hineinzugreifen, wie beispielsweise beim Formen von Ton. Nur auf diese Weise erfassen wir die göttliche Wirklichkeit.

Manche glauben, dass wir das Göttliche umso mehr erfassen, je weiter wir uns von der Materie entfernen. Der Schöpfungsgeist betont jedoch zu Recht, dass wir das Göttliche im Materiellen entdecken. So wie das Blumenbüschel der Punkt war, an dem der Mäher und der Mann, der das Heu wendete, miteinander in Berührung kamen, ist die Materie unser Berührungspunkt mit dem Göttlichen.

Im Kloster ist es wichtig, die Arbeit als Herausforderung anzunehmen und nicht nur als eine Haushaltspflicht. Es ist nie dieselbe Aufgabe wie gestern: Heute ist ein neuer Tag, eine neue Herausforderung und eine neue Gelegenheit.

Im Kloster lernen wir, unsere Arbeit zu genießen, während wir sie tun ‒ wir tun sie um ihrer selbst willen und nicht einfach, damit sie getan ist oder damit wir sie erledigt haben.

Wir müssen lernen, unserer Neigung zu widerstehen, uns in die Dinge zu stürzen und unsere Beschäftigungen im Eilzugstempo hinter uns zu bringen. Unsere Zivilisation lehrt uns: «Zeit ist Geld»; sie fasst Arbeit als ein notwendiges Übel auf, lediglich ein Mittel zum Zweck. Wir wollen sie hinter uns bringen. Wenn wir die Stunden zusammenzählen, die wir in unserem Leben damit verbracht haben, etwas hinter uns zu bringen, dann macht das wohl leicht die Hälfte unseres Lebens aus.

Die mönchische Haltung aber besteht darin, gezielt etwas anzugehen und alles, was wir tun, in einem bedächtigen, gemessenen Tempo und mit voller Aufmerksamkeit zu vollbringen. So arbeiten Handwerkmeister, Weber, erfahrene Bauern und andere verständige Arbeiter. So können auch schwierige Aufgaben gemächlich, freudig und um ihrer selbst willen gelöst werden. Und somit werden sie zu Lebensspendern.

Wenn während der Prim die Arbeit verteilt wird, heißt das zugleich die Arbeit zu segnen als auch sie zuzuweisen. Wir bitten darum, dass Gott unsere Handlungen lenken möge. Wenn wir unsere Arbeit so tun, wird alles zu einem Gebet. Das ist keineswegs eine engstirnige, fromme Anschauung. Um mit Rilke zu sprechen:

«Es gibt im Grunde nur Gebete,
so sind die Hände uns geweiht,
dass sie nichts schufen, was nicht flehte;
ob einer malte oder mähte,
schon aus dem Ringen der Geräte
entfaltete sich Frömmigkeit.»
[4]

Alles, was wir im Angesicht Gottes tun, ist Gebet. Auf diese Weise werden unsere Hände geheiligt und gesegnet. Sie können nichts schaffen, was nicht betet.

«Ob einer malte oder mähte», fährt der Dichter fort, «schon aus dem Ringen der Geräte entfaltete sich Frömmigkeit.» Wird etwas richtig begonnen und unsere Handlungen mit unseren besten Absichten in Einklang gebracht, dann ist alles, was wir tun, Gebet. Die Prim ist jene Stunde des Tages, in der wir nicht darum beten, etwas hinter uns zu bringen, sondern darum, dass alles, was wir tun, zum Gebet werde.

Alle Experten für Zeitmanagement raten uns, damit zu beginnen, den Tag zu planen. Wenn wir tatsächlich innehalten und uns Zeit nehmen, vorauszudenken und gezielt vorzugehen, dann werden wir die Prioritäten deutlich erkennen und können uns mit Erfolg einsetzen.

Die Prim ermöglicht uns, die Gelegenheit wahrzunehmen, im Voraus unser Gewissen zu erforschen und darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist. Wir setzen die Prioritäten, so wie sie unseren innersten Gefühlen entsprechen. Wir können uns nochmals daran erinnern, was wir gestern Abend zur Komplet aus der Tagesrückschau gelernt haben und was wir besser machen wollten.[5]

[Die Quellenangaben zum obigen Text in Anm. 2f., 5]

[Ergänzend:

1. ‹Ora et labora›:

1.1. Dem Welthaushalt freudig dienen (2011)
Spiritualität und Ökonomie:
(50:58) Würde der Arbeit und des Arbeiters: ‹Ora et labora› ‒ Fest für die Straßenarbeiter in Tassajara (Zen Mountain Center)

1.2. Dankbarkeit als Schlüsselwort benediktinischer Spiritualität (2019); siehe auch Sakramentales Leben:

«… Darum scheint mir manchmal, dass dankbar leben sogar unser Motto ‹Ora et labora› ersetzen könnte. Es geschieht ja durch dankbares Leben, dass die Arbeit selbst zum Gebet wird ‒ und alle Geräte des Klosters zu heiligem Altargerät (RB 31,10).

Rainer Maria Rilke ist ganz im Einklang mit unserem Ordensvater, wo er diese Wahrheit dichterisch ausdrückt – und zwar so, dass sie nicht nur für Mönche gilt, sondern für alle Menschen:

‹Es gibt im Grunde nur Gebete.›

So wie das Tagewerk zum Gebet wird, so wird auch das Gebet zum Werk, zum ‹opus Dei›, wie der heilige Benedikt das Chorgebet nennt.»

2. «Du wirst nur mit der Tat erfasst» (Rilke: Das Stunden-Buch):

2.1. Lebendige Spiritualität (2015): Vier Gesprächsabende mit Texten von Rainer Maria Rilke
Verstehen durch Tun:
(06:54) ‹Wenn es nur einmal so ganz stille wäre› – ‹Sprich mir aus überall› (‹Du wirst nur durch die Tat erfasst› – Das nackte Du
(13:56) ‹Es gibt im Grunde nur Gebete› (‹Alle, die ihre Hände regen›) … entfaltete sich Frömmigkeit: ‹Pietas› und Dankbares Leben / (17:57) Im Gespräch mit P. Johannes – ‹Contemplatio in actione›: Das göttliche Tun in unserem Tun

2.2. Das Gedicht in Einsichten aus Rilkes Dichtung, Teil I, 63-67

3. Den großen Tanz beten (1998) [siehe auch diesen Text, übersetzt von Bernardin Schellenberger, im Buch Auf dem Weg der Stille (2023): Kapitel 1: ‹Lernen wie man in Stille betet›, 17f.]:

«Zu einer dritten inneren Welt [des Gebetes] ist das Tun der Schlüssel, liebevolles Tun. Sicher liegen Welten zwischen dem Gebet des Tuns und dem der Stille oder des Wortes. Hier bin ich mit Gott nicht übers Horchen und Antworten verbunden, auch nicht durch das Eintauchen in die Stille, sondern durch das Tun.

Was immer ich liebevoll tun kann, kann zu einem Gebet des Tuns werden.

Es ist auch nicht nötig, dass ich während dem Arbeiten oder Spielen unbedingt an Gott denke. Manchmal wäre das kaum möglich. Wenn ich ein Manuskript korrigiere, konzentriere ich mich wohl besser auf den Text als auf Gott. Wenn meine Gedanken zwischen beiden hin- und her gerissen sind, werden mir die Tippfehler entschlüpfen wie kleine Fische durch ein zerrissenes Netz.

Gott wird genau in dieser liebevollen Achtsamkeit anwesend sein, die ich der Arbeit entgegenbringe, welche mir anvertraut ist. Indem ich mich ganz und liebevoll dieser Arbeit hingebe, gebe ich mich ganz Gott hin. Dies geschieht nicht nur in der Arbeit, auch im Spiel, beim Reden, beim Beobachten von Vögeln oder beim Anschauen eines guten Films. Wenn es mich in Gott erfreut, muss sich Gott darüber in mir erfreuen. Ist nicht dieses Einssein das Wesen des Betens?»

3. Arbeit und Schweigen ‒ Handeln und Kontemplation (1989), 294-296, 300f.; siehe auch Kontemplation im Handeln: Ergänzend: 5.; Religiosität ‒ Staunen und Ehrfurcht:

«Gott vollendet sich nicht ohne unser Zutun. Gott vollendet sich aber auch trotz unseres Versagens. … Und Gott ist immer noch größer. Wir bauen an Gott, wir bauen am Bild Gottes, und dieses Bauen ist Kontemplation.»

«Das also ist Kontemplation im tiefen Sinne, diese Verbindung von schauen und bauen. Wenn wir das in jedem Bereich unseres Lebens durchführen, dann kann der Dichter sagen:

‹Es gibt im Grunde nur Gebete.›

Solange wir im Mysterium verwurzelt bleiben, solange unser Bauen im Schauen verwurzelt bleibt, im Mysterium, solange unser Handeln im Grunde der Kontemplation verwurzelt bleibt und unsere Arbeit in der Dunkelheit des Schweigens, aus der wir stammen, im Mystischen, so lange ist alles Gebet.

Rilke vergleicht das Bauen und die Arbeit, wenn sie wirklich verwurzelt sind im Schauen und Schweigen, mit einem unterirdischen Fluss, der in die Tiefen greift.

Nur aus den Tiefen des Schweigens schwemmt eine Arbeit, die Gebet ist, Gold zutage. Darum betet der Dichter:

‹Daraus, daß Einer dich einmal gewollt hat,
weiß ich, daß wir dich wollen dürfen.
Wenn wir auch alle Tiefen verwürfen:
wenn ein Gebirge Gold hat
und keiner mehr es ergraben mag,
trägt es einmal der Fluß zutag,
der in die Stille der Steine greift,
der vollen.

Auch wenn wir nicht wollen:
Gott reift›

(Rilke, Das Stunden-Buch)»

4. Sterben lernen (2005); siehe auch Sterben und Wandlung

«Das Mönchsleben ist ein Weg, um sich radikal der Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen. In einem solchen Leben kann man nicht im Zweck stecken bleiben: Zwar gibt es viele Zwecke, die Mönche verfolgen, aber sie sind alle zweitrangig. Als Mönch bist du vollkommen überflüssig, und darum kannst du der Frage nach dem Sinn nicht ausweichen.»

5. Der Mönch in uns (1978) [die folgenden Abschnitte sind im Buch Auf dem Weg der Stille (2023): Kapitel 3: ‹Der Mystiker in uns allen›, 43-63, übersetzt von Bernardin Schellenberger, nicht enthalten]:

«Ich möchte jetzt gerne ein paar Bemerkungen zum mönchischen Leben machen. Erstens ist das Klosterleben eine besondere Art von Leben. Das Kloster ist ein besonderer Ort und eine besondere Umgebung. Man könnte es eine professionelle Umgebung, eine kontrollierte, geregelte Umgebung, ein Labor, eine Werkstatt nennen. Und in der Tat nennt die ‹Regel des Heiligen Benedikt›, eines der Schlüsseldokumente unserer abendländischen Tradition des Mönchstums, das Kloster eine Werkstatt. Es ist ein Ort, an dem alles darauf ausgerichtet ist, jene kontemplative Dimension zu pflegen, von der wir gesprochen haben, jene mystische Einstellung zu pflegen, jenes Offensein für den Sinn, das wir alle in unseren Gipfelerfahrungen kennengelernt haben.

Wir alle sind also in unserem Leben in gewissem Sinne Amateure des mönchischen Lebens. Der einzige Unterschied zwischen uns und den Mönchen besteht darin, dass die Mönche Fachleute sind. Aber gerade in unserer Zeit wissen wir, dass die Fachleute sehr oft in ihrem Fach weniger leisten als manche Amateure. Deshalb: je mehr Menschen entdecken, wie wichtig der Mönch in ihnen ist, und je mehr sie entdecken, wie wichtig das Offensein für den Sinn ist, umso wichtiger wird es, dass jeder, Amateur oder Fachmann, ab und zu Zugang zu dieser geregelten Umgebung bekommt, in der er die mönchische oder kontemplative Dimension seines Lebens fördern kann.»]

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[1] «Iam lucis orto sidere
Deum precemur supplices
Ut in diurnis actibus
Nos servet a nocentibus.»

1. Strophe des Hymnus von Aurelius Ambrosius (339/40-397), übersetzt von Adalbert Schulte:

«Da sich nun das Tagesgestirn erhoben hat,
so wollen wir Gott flehentlich bitten,
dass er uns bei den Geschäften des Tages
vor schädlichen Dingen bewahre.»

[2] Musik der Stille (2023), 66f.

[3] Ebd. 74f.

[4] R. M. Rilke: ‹Alle, die ihre Hände regen› (Das Stunden-Buch)

[5] Musik der Stille (2023), 67-70



Quellenangaben

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