Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

kreuz b kraehmer titelCopyright © - Barbara Krähmer

Nach Markus zitiert Jesus das erste und wichtigste Gebot aus dem 5. Buch Mose, wo es heißt:

«Gott lieben mit deinem ganzem Herzen, mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft» (Dtn 6,5).

Jesus fügt aber noch hinzu: «und mit deinem ganzen Verstand» (Mk12,29).

Der Verstand ist zwar im hebräischen Begriff der Seele schon enthalten, hier hebt Jesus ihn aber noch ausdrücklich hervor. Gemeint ist nicht ein besonderes intellektuelles Vermögen, sondern der gesunde Menschenverstand.

Jesus ermächtigte seine Zuhörer dazu, sich mittels des ihnen von Gott geschenkten Verstandes selber ein Urteil zu bilden. Das können wir aus jenen Schichten der Evangelien herauslesen, die nach Sicht der Wissenschaft der ursprünglichen Lehre Jesu am nächsten kommen, nämlich den Gleichnissen.

Jesus lehrt in Gleichnissen. Das ist so bezeichnend für ihn, dass unser ältestes Evangelium (nach Markus) so weit geht, zu behaupten:

«Er sprach nur in Gleichnissen zu ihnen» (Mk 4,34).

Das typische Gleichnis Jesu wirkt ähnlich wie ein Witz: es überrascht und stellt uns auf gutmütige Weise vor uns selber bloß. Es geht in drei Schritten vor:

Häufig beginnt es mit einer Frage, die sich auf etwas allen Bekanntes bezieht. Zum Beispiel: «Wer von euch weiß nicht ...», dass ein wenig Sauerteig ausreicht, um Unmengen von Brot zu backen; dass uns das, was wir verlegt oder verloren haben, keine Ruhe lässt bis wir es finden; dass kein Geschäftsmann sich einen einzigartigen Gelegenheitskauf entgehen lassen wird; dass man in einem Weizenfeld nicht Unkraut jätet, weil man sonst alles zertrampelt; dass die Reichen reicher werden und die Armen ärmer; dass der Same, den wir säen seine Zeit braucht, ob wir Geduld aufbringen oder nicht; dass nicht alles, was wir aussäen, Frucht bringt, die Ernte uns am Ende aber trotzdem reich beschenkt.

Solche Fragen sind der erste Schritt. Die Antwort ist der zweite. Sie ist immer die gleiche: «Das weiß doch jeder!» sagen seine Zuhörer.

Aber damit ‒ und das ist der dritte Schritt ‒ sind wir auch schon auf den Leim gegangen. Wir müssen uns nämlich jetzt selber fragen: Wenn wir es so gut wissen, warum ziehen wir dann nicht die Konsequenz und wenden unsere Einsicht auf unsere Beziehung zu Gott an?

Dahinter steht nun die entscheidende Annahme: Gesunder Menschenverstand lehrt uns, was Gott will.

Wie schwerwiegend diese so einleuchtende Überzeugung ist, das muss man sich nur überlegen.

Nichts ist revolutionärer als die Vorrangstellung, die Jesus in seinen Gleichnissen dem gesunden Menschenverstand einräumt. Dieser stellt geradezu den Gegenpol dar zum konventionellen Denken.

Durch ihn spricht ja der Heilige Geist im Menschenherzen.

Jesus beruft sich also nicht darauf, sozusagen Sprachrohr der göttlichen Autorität zu sein; darin unterscheidet er sich von den Propheten vor ihm.

Er maßt sich auch nicht selber höchste Autorität an, sondern ‒ und das ist etwas völlig Neues in der Religionsgeschichte ‒ er appelliert an die Autorität Gottes in den Herzen seiner Hörer:

Gott spricht zu uns durch unseren gesunden Menschenverstand ‒ das ist es, was jedes Gleichnis voraussetzt, und es ist zentral für das Gottesverständnis Jesu.

Dadurch löste seine Lehre eine gewaltige Autoritätskrise aus, deren Erschütterungen wir bis heute fühlen.

Jesus ermächtigte seine Zuhörer, für sich selber zu denken.

Das hat ungeheure politische Konsequenzen. Es war damals, und ist heute noch, bedrohlich für alle autoritären Strukturen; Jesus wird daher ‒ vom Standpunkt der Machthaber aus mit Recht ‒ als subversiv gebrandmarkt und gekreuzigt.

Von den einfachen Menschen aber, die Jesu zuhörten heißt es:

«Sie waren außer sich über seine Lehre, denn er lehrte wie einer, der Vollmacht hat.»

Und dann fügten sie vergleichend hinzu, «nicht wie die Schriftgelehrten» (Mk 1,22).

Mit diesem Vergleich ist sein Schicksal besiegelt. Die Schriftgelehrten werden ihm das nie verzeihen. Sie machten ihre Zuhörer klein; Jesus hob sie über sich selbst hinaus.

Dadurch war der verhängnisvolle Ausgang seiner Karriere praktisch unausweichlich. Gegen alle autoritären Machtansprüche einzutreten, hat nicht nur religiöse, sondern auch politische Konsequenzen. Das wissen wir. Die letzte Konsequenz für Jesus war seine Kreuzigung.

[Credo: ‹gekreuzigt› (2015), 110-112]

[Ergänzend:

1. Audios

1.1. Was bedeutet uns Jesus Christus heute (2004)
Vortrag:
(16:17) Jesus hat in Gleichnissen gesprochen: Bruder David erklärt die literarische Form von Gleichnissen. Ohne ihre Kenntnis verfehlen wir den springenden Punkt im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37). Jesus lehrt in Witzen: Er stellt eine Frage, wir sagen: ‹Das wissen wir ja alle›! ‹Warum handelt ihr nicht danach›? der Witz ist auf unsere Kosten / (22:13) Er weist hin, wie die Gleichnisse Jesu eine religionsgeschichtliche Wende bedeuten: Jesus spricht nicht wie ein Prophet mit der Autorität Gottes, er nimmt auch nicht charismatisch seine eigene Autorität in Anspruch, sondern verlegt die Autorität Gottes in die Herzen seiner Hörer: ‹Ihr wisst das doch›!

1.2. TAO der Hoffnung (1994)
Diskussion:
(30:59) Liebe ist das gelebte Ja zur Zugehörigkeit – Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter – (38:46) ‹Wisst ihr das denn nicht›?, sagt Jesus ‒ das ist ja seine Lehrmethode ‒ und wir sagen: ‹Ja wir wissen es!› ‹Aha, ihr wisst es so gut, der Hausverstand sagt uns das ja schon›! ‹Ah, was für ein Hausverstand ist denn das›? Das ist das Welthaus, das ist der Haushalt, dem wir alle angehören, der Welthaushalt, der Gotteshaushalt, zu dem auch die Tiere und die Pflanzen gehören: Hausverstand ist ein wunderschönes Wort.

2. Weitere Texte

2.1. Common Sense (2014): ‹Der Common Sense in den Gleichnissen Jesu, 45, 46f., 49f.:

«Frisch wie am ersten Tag leuchtet die ursprüngliche Botschaft Jesu in seinen Gleichnissen und nirgends sonst ist sie überzeugender. Wie Goldkörnchen im Sand, so lagerten sich die Gleichnisse in den frühesten Schichten der christlichen Tradition ab. Sie bewahrten das lebendige Wort der Lehre unverfälschter als die meisten anderen Evangelientexte.

Dass Jesus in Gleichnissen lehrte, ist eine der wenigen wirklich sicheren historischen Aussagen über ihn. Markus, der früheste Evangelist, behauptet sogar: ‹Ohne Gleichnis redete er nicht zu ihnen› (4,34). Damit mag Markus übertreiben, aber es lässt sich nicht leugnen, dass wir in den Gleichnissen das Herzstück der Botschaft Jesu finden können ‒ und zwar sowohl was den Inhalt angeht als auch die Form, in der er lehrte.

Die Gleichnisse enthalten nicht nur das Wesentliche seiner Botschaft; auch der Umstand, dass er sich für die Rede in Gleichnisform entschied, sagt etwas Entscheidendes darüber aus, worauf es ihm mit seiner Botschaft ankam.

Viele Gleichnisse Jesu sind jenen Sprichwörtern sehr ähnlich, in denen ein starkes Bild jäh eine Einsicht des Common Sense  aufblitzen lässt. Zuweilen erweitert er das Bild zu einer kurzen Erzählung und bringt damit das zündende Element dieser Art von Sprichwörtern noch kräftiger zur Wirkung.

… Im dritten Schritt sieht Jesus uns fragend an. Er braucht die Frage eigentlich gar nicht auszusprechen: ‹Wenn das so offensichtlich ist ‒ warum handelt ihr dann nicht entsprechend? Wo ist denn euer gesunder Menschenverstand›?

Uns bleibt nur, über uns selbst den Kopf zu schütteln: Wir hätten zwar durchaus den gesunden Menschenverstand ‒ den Common Sense ‒, aber in den entscheidendsten Punkten unseres Lebens verhalten wir uns wie Dummköpfe. Das Gleichnis hat uns auf humorvolle Weise überführt. Ein Gleichnis Jesu nach dem anderen führt uns immer wieder spielerisch im gleichen Dreischritt unsere Torheit und Inkonsequenz vor Augen. Warum reizen uns die Gleichnisse Jesu in den Evangelien eigentlich nicht zum Lachen? Die Antwort ist nicht schwer zu finden: Wie oft kann man der immer gleichen Zuhörerschaft ein und dieselbe geistreiche Pointe präsentieren? Nach einigen Wiederholungen würden auch die Geduldigsten müde abwinken. Aber trotzdem blieben die Bilder, die Jesus gebraucht hat, seinen Jüngern kostbar. Und so bewahrte man sie in der Tradition und wiederholte sie immer wieder ‒ und machte aus den spritzigen Formulierungen moralisierende Geschichten.

… Die Gleichnisse sind also keineswegs zahme Erbauungsgeschichten, sondern enthalten solche nicht ungefährliche Pointen, mit denen Jesus sich über die öffentliche Meinung lustig machte: Willst du wirklich wissen, wer dein Nächster ist? Warte nur, bis du in Not kommst, dann sagt es dir ganz unerwartet dein Common Sense! Dann kannst du ganz selbstverständlich sogar in einem verachteten Ausländer deinen Nächsten erkennen, ein Mitglied der Menschheitsfamilie.»

2.2. Mystik an der Grenze der Bewusstseinsrevolution (1988), 184-186:

«Es gibt keinen anderen Lehrer in der Religionsgeschichte, der in diesem Maße Gleichnisse verwendet hat. Zwar war das Gleichnis nicht die ausschließliche Lehrmethode Jesu, aber doch so charakteristisch, dass Markus sagen kann, Jesus habe nur in Form von Gleichnissen gelehrt. Dass er nicht auch auf andere Weise gelehrt hat, ist jedoch eine Übertreibung. Doch weil das Gleichnis für ihn am typischsten war, ist es auch so wichtig für uns, dass wir begreifen, was ein Gleichnis ist. Es ist ein sehr einfaches Lehrmittel. Es kann eine kurze Geschichte sein, manchmal auch eine etwas längere, es kann aber auch lediglich ein ganz kurzer Ausspruch sein, etwa wie ein Sprichwort.

Die Art und Weise, wie manche Sprichwörter in uns wirken, vermittelt uns eine gute Vorstellung von der Wirkungsweise eines Gleichnisses. Nehmen wir zum Beispiel das folgende Sprichwort: ‹Früher Vogel fängt den Wurm›. Das entspricht dem gesunden Menschenverstand. Sie können es selbst beobachten, wenn Sie früh genug aufstehen. Später sind die meisten Würmer verschwunden. Diejenigen, die zu spät kommen, kriegen keine mehr. Sie haben das vielleicht schon häufig beobachtet, aber es sagte Ihnen nichts. Aber dann eines Tages kommen Sie hier im Esalen-Institut zu spät zum Essen und bekommen keines mehr. Oder Sie gehen in einen Schallplattenladen und müssen zu Ihrem Bedauern feststellen, dass die neue Platte, die Sie haben wollten, ausverkauft ist. Plötzlich erinnern Sie sich, dass der frühe Vogel den Wurm fängt. Ihre Situation hat überhaupt nichts mit Vögeln oder Würmern zu tun, aber sie hat eine ganze Menge mit der Wahrheit zu tun, die in diesem Sprichwort steckt.

Das ist der Ausgangspunkt eines jeden Gleichnisses. Es erinnert Sie an eine Beobachtung, die dem gesunden Menschenverstand entspricht. Oft fängt es in dem Sinn an: ‹Wer von euch weiß das nicht schon›? Wer von euch, der Kinder hat, weiß nicht, was Eltern gegenüber ihren Kindern empfinden? Wer von euch, der schon einmal Brot gebacken hat, weiß nicht, wie sich Hefe verhält? Wer von euch, der schon einmal etwas verloren hat, weiß nicht, wie sehr man sich anstrengt, um es wiederzufinden? Das ‹Wer von euch› wendet sich an die Zuhörer und bedeutet: ‹Kennt ihr das nicht ohnehin schon›? Dies ist der erste Teil eines jeden Gleichnisses. Wer weiß etwa nicht, dass der frühe Vogel einen Wurm fängt, das ist ein Gemeinplatz.

Dann kommt Teil zwei, die Reaktion der Zuhörer. Diese sagen: ‹Nun, das weiß doch wohl jeder, oder›?

Und dann kommt Teil drei, und das ist ‒ in den besten Fällen ‒ schlicht Schweigen. Manchmal aber wird es auch ausgesprochen, und es ist der Teil, in dem Jesus sagt: ‹Aha, das weiß jeder, in Ordnung. Aber warum handelt ihr nicht danach›? Zack ‒ die Falle hat zugeschnappt!

Wir wollen nun anhand eines Beispiels sehen, wie das Lehrmittel des Gleichnisses wirkt. Die meisten Gleichnisse handeln vom Reich Gottes, aber das folgende wird als Antwort auf eine Frage gegeben. Die Frage lautet: Wenn ich meinen Nächsten lieben soll wie mich selbst, wer ist mein Nächster?

Wir nennen dieses Gleichnis das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ich bin sicher, dass Sie alle es kennen.

Wenn man dieses Gleichnis als das Gleichnis vom barmherzigen Samariter bezeichnet, dann ist es, als ob man einen Witz erzählt und ihm vorab eine Überschrift gibt, die die Pointe vorwegnimmt.

Für die Juden zu Lebzeiten Jesu gab es so etwas wie den b a r m h e r z i g e n Samariter nicht. Der einzige barmherzige Samariter war ‒ wie man heute sagen würde ‒ ein toter Samariter. Die Samariter waren absolute Bösewichter.

Außerdem handelt dieses Gleichnis gar nicht von dem Samariter. Das ist ein weiteres Problem. Die Geschichte handelt vielmehr von einem Mann, der in die Hände von Räuber fiel.

(Es gibt eine Faustregel: In Gleichnissen muss man sich immer ‒ wie in Witzen ‒ mit der ersten Person identifizieren, die erwähnt wird, sonst begreift man die Pointe nicht. Man kann einen anderen Gewinn daraus ziehen wie etwa im Gleichnis vom ‹barmherzigen› Samariter. Alle möglichen guten und interessanten Lehren basieren darauf. Wenn man aber wissen will, was Jesus sagte, muss man sich an die Regel halten, die für jede Volkssage, jeden Witz oder jeden volkstümlichen Ausspruch gilt. Man identifiziere sich mit der ersten Person, die erwähnt wird.)

Jemand fragte also Jesus: ‹Wer ist mein Nächster›? und Jesus erzählte folgende Geschichte: Da war ein Mann (das sind Sie!), der von Jerusalem nach Jericho ging und unter die Räuber fiel. Zwischen Jerusalem und Jericho kann man auch heute noch unter die Räuber fallen. Die Straße führt durch eine Schlucht mit steil abfallenden Wänden und es kann einem dort alles Mögliche widerfahren.

Dieser Mann nun fiel unter die Räuber, die ihn misshandelten und beraubten. Sie stahlen ihm alles, was er hatte, und ließen ihn h a l b tot liegen. Es ist sehr wichtig, dass dieser Mann nur h a l b tot ist. Das bedeutet, dass er immer noch am Leben ist und das Geschehen um ihn herum mitbekommt. Denken Sie daran: S i e selbst sind dieser Mann. Gleichnisse werden nicht aus der Perspektive eines außenstehenden Beobachters erzählt, sondern aus der Sicht der ersten Person, die erwähnt wird.

Sie liegen also da und jemand kommt vorbei. Plötzlich wissen Sie, wer Ihr Nächster ist. In Ihrem Herzen schreit es: ‹D a s ist mein Nächster! Er muss mir helfen›! Doch er geht auf der anderen Straßenseite vorbei und lässt Sie liegen.

Dann kommt wieder jemand vorbei. Wiederum schreit es in Ihnen: ‹Hilf mir! Ich bin dein Nächster›! Doch auch dieser Mensch geht vorbei. Sie liegen immer noch da und hoffen, dass jemand Sie als seinen Nächsten erkennt und entsprechend handelt.

Als nächstes kommt nun ausgerechnet ein Samariter vorbei. Wollen Sie, dass dieser Ausgestoßene Ihnen hilft? Ja, natürlich, sind wir nicht alle einander die Nächsten? Und siehe da, dieser schmutzige Samariter verhält sich wie ein Nächster.

Mit einem Schmunzeln fragt Jesus: ‹Welcher von diesen Dreien war also dem der Nächste, der unter die Räuber fiel›? ‹Jener, der ihm Barmherzigkeit erwies›, antwortet der Mann, der gefragt hatte, wer eigentlich sein Nächster sei. Dass es ausgerechnet der Samariter war, sagt er lieber nicht.[1]

Können Sie das Schweigen hören, das sich daraufhin ausbreitet? In diesem Schweigen dreht Jesus den Spieß um. Wenn der Samariter dein Nächster ist, wenn d u dich in Not befindest, ist er auch noch dein Nächster, wenn  e r  in Not ist?

Ich bin auf eine hübsche moderne Version dieses Gleichnisses gestoßen. Als ich einer Gruppe in Neuseeland dasselbe wie hier erzählte, meldete sich eine Ordensschwester zu Wort und sagte: ‹Genau das ist mir passiert. Ich bin vor nicht allzu langer Zeit mit dem Auto von Auckland nach Hamilton gefahren und wurde unterwegs entsetzlich müde. Plötzlich bemerkte ich, wie mein Auto auf der falschen Straßenseite fuhr. Ich hielt sofort an und rollte auf den Randstreifen (mit der Wagenfront in die falsche Richtung). Ich sagte mir: ‹Jetzt werde ich erst einmal ein bisschen schlafen. In diesem Zustand zu fahren ist zu gefährlich›. Als ich aufwachte, klopfte jemand gegen das Wagenfenster. Noch schlaftrunken und entgegen allen Vorsichtsmaßregeln kurbelte ich es hinunter. Draußen stand ein Mann mit einer Lederjacke und sagte: ‹Alles in Ordnung, meine Liebe? Rutschen Sie mal auf den Nebensitz, Sie stehen auf der falschen Straßenseite›. In meiner Verwirrung rutschte ich hinüber. Er stieg ein, brachte das Auto auf die richtige Straßenseite und sagte: ‹Mir scheint, Sie sind in keiner guten Verfassung. Wo wollen Sie denn hin›? ‹Nach Hamilton›, sagte ich. ‹Okay, wir werden Sie begleiten›. Und so wurde ich ‒ eine Nonne in Tracht ‒ nach Hamilton eskortiert, von einer Rockerbande auf Motorrädern.›»

2.3. Unsere Zukunft ‒ das Reich des Kindes (1987):

«Schauen Sie sich doch die Evangelien ‒ vor allem die synoptischen ‒ einmal genau daraufhin an. Sie werden feststellen, dass Jesus sich immer wieder auf die Autorität Gottes in den Hörern beruft. Und die typische Form, in der dies geschieht, ist die Gleichnisrede, die mit einer Frage beginnt, oft unausgesprochen, meist aber ganz ausdrücklich: ‹Wer von euch, der jemals Schafe gehütet hat, weiß nicht; wer von euch, der Brot bäckt, weiß nicht; wer von euch Eltern weiß nicht›?

Immer wieder: ‹Wer von euch weiß das nicht schon›, das steht am Anfang der Gleichnisrede. Und darauf folgt die Reaktion der Hörer, die immer wieder lautet: Na, jeder weiß das; das Kind in uns weiß das genau. Und zum Schluss tritt dann meistens Stille ein, in die hinein Jesus sagt: ‹Ah, ihr wisst das so gut! Warum handelt ihr dann nicht danach›? Und so finden sich die Hörer von der eigenen Erfahrung überführt.

Darum sind die Gleichnisreden heute noch genauso lebendig, wie sie vor 2000 Jahren waren: weil sie uns noch immer dahin führen, zuzustimmen ‒ ‹ja, das weiß ja sowieso jeder› ‒ und dann uns bewusst machen, dass wir nicht konsequent danach handeln.

Wenn wir wirklich aus diesem Geist des Kindes in uns lebten, wenn wir aus dem Bewusstsein heraus handelten, das wir von unseren besten Augenblicken her kennen, dann wären wir nicht so halbtot, wie wir es jetzt sind, und die Menschheit als Ganzes wäre nicht so gefährdet.»]

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[1] Dieser Abschnitt ist aus dem Buch Common Sense (2014), 49



Quellenangaben

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