Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

kreuz b kraehmer titelCopyright © - pixabay

Wenn wir uns eingehender damit befassen wollen, was Erlösung im christlichen Sinn bedeutet, müssen wir bei der Aussage beginnen, dass Jesus die Menschen rettete, lange bevor das Kreuz in Sicht war.

Er rettete die Menschen, indem er sie dazu brachte, auf eigenen Füßen zu stehen.

In diesem Sinn verstanden seine Zeitgenossen ihn als Retter.

Er gab ihnen ihre Selbstachtung und ihre tiefste Beziehung zurück ‒ die Beziehung zu Gott, zum Allerhöchsten ‒, indem er sie daran erinnerte, dass sie nie verloren gegangen war.

Jesus sagte nicht: «Hier hast du etwas, ich gebe es dir» oder: «Ich vergebe dir deine Sünden.»

Jesus sagte: «Deine Sünden sind vergeben», mit der implizit darin enthaltenen Frage: «Weißt du das denn nicht?»

Es waren seine Gegner, die sagten: «Wer ist dieser Kerl, der den Leuten die Sünden vergibt? Nur Gott kann Sünden vergeben.»

Natürlich sahen die politischen und autoritären religiösen Obrigkeiten seiner Zeit nicht gerne, dass er Menschen auf diese Weise rettete, genauso wenig, wie ihre heutigen Entsprechungen in Mittelamerika keinen gerne sehen, der den Menschen dort hilft, auf eigenen Füßen zu stehen.

Auch wenn man die Evangelien als spätere Berichte über Geschehnisse, die sich eine geraume Zeit davor zugetragen hatten, betrachten muss, so geht doch ziemlich deutlich daraus hervor, dass seine rettende Aktivität zum Kreuz führte und dass Jesus das Kreuz willentlich als ein freies, bereitwilliges Opfer für seine Sache, für das, wofür er einstand, und auch als Geste des Gottvertrauens auf sich nahm.

Nachdem er von der etablierten Gesellschaft aus dem Weg geräumt worden war, erkannten seine Nachfolger ‒ auch wenn sie zuerst tief bestürzt waren und in alle Winde zerstreut wurden ‒, dass ein solches Leben nicht mehr auszulöschen war.

Und das nennen wir die Auferstehung.

Sie wird uns in mythischen Bildern überliefert, und wir können den Geschehnissen nicht nachgehen, um festzustellen, was historisch wirklich geschah; um das geht es uns auch nicht.

Wichtig ist offensichtlich, dass er starb und dennoch lebt.

Wir können das nicht dadurch belegen, dass wir zweitausend Jahre zurückgehen, sondern es ist vielmehr etwas, das heute in zahllosen Lebensgeschichten geschieht und erfahrbar ist:

Er hat uns befreit.

Christus lebt in denen, die seinem Weg folgen, und sie leben in ihm.

Das ist die höchste Art der Rettung. Sie leben durch sein Leben und werden ihrerseits Retter für andere.

Heutzutage ist mir noch keiner begegnet, dem es Schwierigkeiten gemacht hätte, das zu verstehen, aber viele haben enorme Probleme mit der Auffassung, dass «er für unsere Sünden gestorben ist», wie man im Kindergottesdienst lehrt.

Jesus lebte und starb, um der Entfremdung von unserem wahren Selbst ein Ende zu setzen, der Entfremdung von anderen und von der allerhöchsten Wahrheit. Er hat für dieses Ziel gelebt und musste sterben, weil er entsprechend lebte. In diesem Sinn ist er «für unsere Sünden» gestorben».

Unglücklicherweise ist das über die Jahrhunderte hinweg in einer beinahe juristischen Sprache übermittelt worden; als wäre es eine Art Transaktion oder ein Handel mit Gott:

Es gab einen Graben zwischen uns und Gott, und jemand musste dafür aufkommen.

Diese ganzen Geschichten können wir vergessen.

Das juristische Bild scheint anderen Generationen geholfen zu haben. Schön und gut. Alles, was hilft, ist in Ordnung. Aber wenn es zum Hindernis wird wie heute, sollten wir es vergessen. Wir brauchen diese Sprache nicht zu sprechen. Wir können die Dinge ruhig so beschreiben, wie ich es eben getan habe.

[Der spirituelle Weg (1996): ‹Zen-Buddhismus und Christentum im täglichen Leben, ein Dialog› von Robert Aitken mit David Steindl-Rast, Teil 1: ‹Der Erlöser und der Weise›, 75-77; siehe auch ST 37-39 unter dem Titel ‹Erlösung›]

[Ergänzung:

Audios

1. Mit allen Sinnen leben (1993)
Christlicher Glaube in heutiger Sprache:
Teil 2: «Ihr wisst alles über Gott von innen her»:
(00:00) Warum musste Jesus Christus am Kreuz sterben? Und: Wie hat das uns erlöst? Die Antwort von Anselm von Canterbury (1033-1109)[1] / (04:20) ‹Weil Gott der Vater es so wollte› ‒ diese Antwort ist ungenügend, weil die Frage zunächst eine geschichtliche Frage ist, die man geschichtlich beantworten muss. / (05:43) Die Antwort von Bruder David: Das Leben Jesu steht für die entscheidende Wende in der Religionsgeschichte: Jesus verlegt die göttliche Autorität in die Herzen seiner Zuhörer[2]
/ (09:38) Die Pointe der Gleichnisse Jesu: ‹Ihr wisst es doch: Warum handelt ihr nicht danach›? / (11:19) ‹Der Mann spricht mit Autorität, nicht wie unsere Schriftgelehrten› ‒ ‹Deine Sünden sind dir vergeben›: Jesus ermächtigt die Menschen ‒ Konflikt mit den autoritären Autoritäten / (13:14) Zuviel Verantwortung: Die Massen lassen ihn fallen / (15:18) Der Tod hat uns als solcher nicht erlöst, sondern die Auferstehung / (17:07) Wofür Jesus steht, unterliegt nicht dem Tod / (18:53) ‹Gott gehorchen oder euch›? (Apg 5,29): Wieder Autorität in den Herzen der Hörer ‒ Die innere Autorität zurückgewinnen: Einander ermächtigen, Befreiung von den Sünden, denn Sünde ist diese Hölle, die wir aus dieser Welt gemacht haben ‒ Es kostet sehr viel: Wir müssen umkehren, die Verantwortung übernehmen, auf eigenen Füßen stehen

2. Löwe, Lamm und Kind (1992)
Vortrag:
(36:54) Die erlösende Kraft des Kreuzes und die Auferstehung ‒ ‹Wenn irgendjemand von uns einen einzigen Menschen kennengelernt hat im Leben, der aus dieser Lebenskraft Jesus lebt, dann haben wir die Auferstehung erlebt› / (38:56) ‹So kann man leben›: Ein Sieg durch den Tod des Siegers und ein Friede, den die Welt nicht geben kann / (40:25) ‹Hier ist das Friedensreich schon da›: Bruder David schließt mit einem Erlebnis aus der chassidischen Tradition

3. Vater Unser (1992)
Teil 3 in Themen aufgeteilt
‹Wir sind erlöst!› – der andere Blick auf Gewohnte: ‹Das Kreuz auf sich nehmen›, ‹Bekehrung›, ‹Busse›

4. Audio Beten ‒ Mit dem Herzen horchen (1988)
2. Bruder David in der Fragerunde:
Das Urwesen des Christlichen zurückgewinnen; siehe auch die Transkription
Teil II, 13f.:
(19:44) Erlösung in biblischer Schau:

«Das ist das Urwesen des Christlichen, dass Gott uns nicht so von außen erlöst, sonst müsste man ja diese ganze christliche Geschichte gar nicht haben, sondern, dass die Erlösung von innen kommt, durch einen, der uns gleich ist in allem. Das ist ausdrücklich gesagt von Christus:

Jesus Christus ist uns in allem gleich außer in dieser Entfremdung, in der Sünde ‒ richtig verstanden ‒ in der Vereinzelung, in der Verelendung, in der inneren Abspaltung von unserem göttlichen Kern, von unserem innersten göttlichen Wesen.»]

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[1] Bruder David erklärt die Satisfaktionslehre, die Anselm von Canterbury in seinem Buch «Cur Deus homo» vertritt: «Wie Anselm von Canterbury für seine Zeit gesprochen hat, müssen wir heute das für unsere Zeit sagen können.»

[2] Von Eis zu Wasser zu Dampf (2003):

«Geistesgeschichtlich betrachtet war es die größte Leistung Jesu des Mystikers, dass er ‒ wie, auf andere Weise, Buddha vor ihm ‒ aus dem Bannkreis des Theismus ausbrach. Gott ist für Jesus nicht die für den Theismus kennzeichnende Gottheit, die, von uns getrennt, uns gegenübersteht; Jesus erlebt sich als mit Gottes eigenem Leben lebendig.»



Quellenangaben

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