Text, Film und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

loslassen titelCopyright © - Barbara Krähmer

Gebet im Unterschied zu Gebeten

Der Rosenkranz, der «Engel des Herrn» und das Jesusgebet ‒ das sind einige der Gebete, die ich am nährendsten finde. Es sind bei Weitem nicht die einzigen, sondern eben nur diejenigen, die sich am leichtesten beschreiben lassen. Wie könnte ich jemals richtig damit anfangen, Ihnen zu erklären, was mir die monastischen Stundengebete bedeuten? …

Aber wir sind dann immer noch im Bereich des formellen Gebets und das formelle Gebet ist wie ein kleiner Eimer, aus dem ein Kleinkind immer und immer wieder ein bisschen etwas aus dem Meer des Gebets herausschöpft und ausgießt.

Der schwarze Humus, in dem das formelle Gebet gedeiht, ist die informelle Gebetshaltung. Die (formellen) Gebete lassen sich vom (informellen) Gebet zwar nicht trennen, aber wir müssen zwischen beiden unterscheiden und uns für einen Augenblick auf das Gebet als innere Einstellung konzentrieren, statt es als äußerliche Gebetsform zu betrachten.

Wenn ich das tue, stelle ich fest, dass ich in drei Gebetshaltungen hinein- und wieder herausgerate, die derart verschieden voneinander sind, dass ich sie als völlig unterschiedliche Gebetswelten empfinde.

«Wort» ‒ der Schlüssel zum Gebet «Vom Worte Gottes leben»

Meinen Schlüssel zur ersten dieser inneren Welten nenne ich «Wort».

Damit meine ich nicht ein bestimmtes Wort oder bestimmte Worte, sondern die Entdeckung, dass jedes Ding, jeder Mensch und jeder Umstand, ein von Gott an mich gerichtetes Wort ist.

Dessen Botschaft begreife ich durchaus nicht immer, aber ich weiß, dass ich sie erfasse, wenn ich mit den Ohren meines Herzens wirklich intensiv darauf höre.

Der heilige Benedikt bezeichnete dieses tiefe, bereitwillige Hören als «Gehorsam».

Wir verstehen unter Gehorsam oft nur das Gefügigsein gegenüber einem Befehl. Aber damit würden wir Gott zu einer Art von überdrehtem Feldwebel machen, der ständig seine Kommandos brüllt. Meiner Erfahrung nach erteilt Gott die meiste Zeit keine Befehle.

Gott singt eher und ich antworte ihm mit Singen.

Das Singen, das ich meine, kann so jubelnd sein wie das Rot einer von Gott gemachten Tomate oder das Sirren eines Drachenfliegers oder das Plantschen von Kindern in einem Becken.

Das Singen ist die fröhliche Antwort meines Herzens.

Aber Gottes Singen kann auch so schwer wie der Duft der Lilien in einem Leichenhaus sein, so schwer wie die Nachricht von der Trauer eines Freundes.

Gottes Singen kann so leicht sein wie Harfenmusik oder ein Frühjahrsausflug, so traurig wie das Heulen eines Nachtzugs oder der Inhalt der Abendnachrichten.

Es kann fröhlich, bezaubernd, herausfordernd, amüsierend sein.

Wenn wir aufmerksam genug hinhören, können wir in allem, was wir erfahren, Gott singen hören.

Unser Herz ist ein hochempfindlicher Empfänger; es kann mittels aller unserer Sinne horchen.

Was immer wir hören, aber auch alles, was wir sehen, schmecken, berühren oder riechen, vibriert im Tiefsten im Einklang mit Gottes Lied.

Wenn man in dieses Lied mit Dankbarkeit einstimmt, nenne ich das ein Zurücksingen.

Diese Gebetshaltung hat allen meinen Sinnen und meinem Herzen schon viel Freude gemacht. [Auf dem Weg der Stille (2016), 14-16]

Die biblische Dimension im Gebet «Vom Worte Gottes leben»

Wo das Wort so zentral ist, wird der Antwort eine große Bedeutung zugemessen:

Von daher wird in der abendländischen Tradition der Spiritualität die Antwort so betont. Das «Leben mit dem Wort» stellt eine ganze Welt des Gebets dar, das typischerweise dem biblischen Glauben an Gott entspringt, der spricht.

Und die Aufgabe, «mit dem Wort zu leben», impliziert viel mehr als bloß die Vorstellung, dass Gott sein Wort im Sinn eines Befehls spricht, den der gläubige Mensch dann ausführt.

Die volle religiöse Dimension impliziert, dass wir «von jedem Wort leben, das aus Gottes Mund kommt».

Aber wir sollten hier das Wort auch in seinem weitesten Sinn verstehen.

Da alles und jeder Mensch und jeder Umstand von dem Gott, der spricht, stammen, ist die ganze Welt Wort, von dem wir leben können.

Wir brauchen nur zu «kosten und sehen, wie gut Gott ist».

Das tun wir mit allen unseren Sinnen.

Mit allem, was wir schmecken oder berühren, riechen, hören oder sehen, kann Gottes Liebe uns nähren.

Denn das eine erschaffende und erlösende Wort[1] wird uns immer wieder auf neue Weisen zugesprochen.

Gott, der die Liebe ist, hat in alle Ewigkeit nichts anderes zu sagen als «Ich liebe dich!»

Gott sagt das auf immer neue Weisen durch alles, was ins Sein kommt. Wir aber «essen das alles auf»; oder wie wir von einem Buch sagen: «Ich habe es geradezu verschlungen, von Anfang bis Ende!»

Wir assimilieren diese Nahrung und sie wird unser Leben.

Wir leben aus ihrer Kraft. Wir werden Wort. [Auf dem Weg der Stille (2016), 32f.]

Schweigen ‒ der Schlüssel zum Gebet der Stille

Eine vollkommen andere innere Welt des Gebets, in der ich mich auch daheim fühle, ist die, zu der das Schweigen die Tür öffnet ‒ das nicht nur von den Ohren wahrgenommene Schweigen, sondern auch die Stille des Herzens, das lichtvolle innere Stillsein, das der Stille eines windstillen Tages mitten im Winter gleicht.

Dieses Schweigen glänzt wie jungfräulicher Schnee im Sonnenlicht.

Das ist dann wie an Tagen, an die ich mich noch aus meiner Kindheit in den österreichischen Alpen erinnere.

Oder es ist wie das Schweigen zwischen einem aufzuckenden Blitz und dem auf ihn folgenden Donnergrollen, also in der kurzen Zeit, in der man den Atem anhält.

Auf einer Insel in Maine in Neuengland fand ich einmal an der Granitküste kleine Gezeitentümpel, in denen das Wasser so still und klar stand, dass ich auf ihrem Grund die feinen, wie festliche Wimpel wehenden Fasern von Seeanemonen sehen konnte.

Noch viel durchsichtiger ist der innere Raum, den das Schweigen erschließt.

Den Schlüssel dazu finde ich nicht immer, aber wenn, dann trete ich einfach ein.

Schon das bloße Darinsein ist Gebet. [Auf dem Weg der Stille (2016), 16f.]

Die buddhistische Dimension im «Gebet der Stille»

Die Betonung des Wortes ist in der christlichen Spiritualität sehr stark. Deswegen sind sich sogar manche gläubige Christen kaum dessen bewusst, dass es innerhalb ihrer eigenen Tradition auch noch andere Gebetswelten zu erkunden gibt.

Eine von ihnen ist als das «Schweigegebet» bekannt.

Dabei wird das Schweigen selbst für uns zum Gebet.

C. S. Lewis war im Einklang mit der altchristlichen Tradition, als er von Gott als einem ‹Abgrund des Schweigens› sprach, in den hinein wir immer und immer wieder unser ganzes Denken werfen können und nie ein Echo zurückkommen hören werden.

Aber dieser schweigende Abgrund ist paradoxerweise zugleich auch der göttliche Schoß, aus dem das ewige Wort hervorkommt.

Ein frühchristliches Sprichwort bringt das so zum Ausdruck:

«Wer Gottes Wort zu hören vermag, kann auch Gottes Schweigen hören.»

Beides ist untrennbar verbunden.

Heute gibt es immer mehr Christen, die von sich aus das Schweigegebet entdecken. Zuweilen können sie sich ihren Hunger nach Schweigen gar nicht richtig erklären, diesen tiefen Wunsch danach, sich einfach in die stille Tiefe Gottes hineinsinken zu lassen.

Sie sind sich gar nicht dessen bewusst, dass sie von allein ihren Weg in einen uralten, zeitlos gültigen Bereich des christlichen Gebets gefunden haben.

Sie würden sich noch mehr wundern, wenn sie erfahren würden, dass sich dieser Bereich tatsächlich als die buddhistische Dimension der biblischen Tradition bezeichnen lässt. Dabei sind das Wort und das Schweigen, wie bereits erwähnt, untrennbar miteinander verbunden. [Auf dem Weg der Stille (2016), 33f.]

Verstehen im Tun ‒ der Schlüssel zum Gebet Kontemplation im Handeln

Der Schlüssel zu einer dritten Innenwelt ist das Tun, das liebevolle Tun.

Der Unterschied zwischen dem Gebet des Tätigseins, und diesem Schweigen oder Wort ist tatsächlich riesig.

Hier bin ich mit Gott nicht durch Hören und Antworten und auch nicht durch Eintauchen ins Schweigen in Kontakt, sondern durch Tätigsein.

Alles, was ich mit Liebe zu tun vermag, kann zum Gebet des Tätigseins werden.

Es ist zudem gar nicht notwendig, dass ich während der Arbeit oder beim Spielen an Gott denke. Zuweilen dürfte das sowieso kaum möglich sein.

Wenn ich zum Beispiel ein Manuskript korrigiere, ist es besser, ich konzentriere mich ganz auf den Text statt auf Gott. Wäre mein Geist zwischen beidem hin und her gerissen, so würden mir die Druckfehler wie kleine Fische durch ein zerrissenes Netz schlüpfen. Gott wird genau in der liebevollen Aufmerksamkeit anwesend sein, die ich der mir anvertrauten Arbeit zuwende.

Indem ich mich voll und liebevoll dieser Arbeit widme, gebe ich mich voll und ganz Gott hin.

Das geschieht nicht nur bei der Arbeit, sondern auch beim Spiel, etwa wenn ich Vögel beobachte oder einen guten Film ansehe.

Wenn ich mich in Gott darüber freue, wird sich bestimmt auch Gott in mir darüber freuen.

Macht nicht diese Kommunion, diese innige Verbindung das Wesen des Gebets aus? [Auf dem Weg der Stille (2016), 17f.]

Die hinduistische Dimension im Gebet «Kontemplation im Handeln»

Genau wie man das Stillegebet als die buddhistische Dimension der christlichen Spiritualität bezeichnen kann, so lässt sich die Kontemplation im Handeln als deren hinduistische Dimension bezeichnen.

Zugegeben, dies alles stelle ich aus meiner eigenen Sicht vor, die christlich ist. Aber welche andere Wahl hätte ich denn?

Würde ich versuchen, völlig von meiner eigenen religiösen Sinnsuche abzusehen, so würde ich die Berührung mit genau der Wirklichkeit verlieren, die ich genauer erkunden möchte.

Ich wäre dann wie der Junge, der seinen Zahn in die Hand nimmt, nachdem ihn der Zahnarzt gezogen hat, etwas Zucker darauf streut und abwartet, wie das wehtut. Schmerz kann man nicht von außen her verstehen und genauso wenig Freude, Leben oder Religion.

Es ist nichts Falsches daran, wenn man vom Inneren einer Tradition her spricht, solange man nicht seine eigene Sichtweise verabsolutiert, sondern diese in ihrer Beziehung zu allen anderen sieht. [Auf dem Weg der Stille (2016), 39f.]

[Ergänzend:

1. Film: Wort und Schweigen ‒ Über den Sinn des Gebets (1992), sowie die Transkription von Werner Binder †:

«Beten ist wie in einen Raum eintreten

«Die drei Bereiche: Wort, Schweigen und Verstehen machen die Welten des Gebetes aus. Und das hängt zusammen mit dem, was Christen die Dreieinigkeit Gottes nennen.»

2. Audios:

2.1. Audio-Vortrag Fragen in Wendezeiten (2010)
Fragerunde
(16:10) Drei Welten des Gebetes: Das Gebet der Stille – ‚Vom Wort Gottes leben‘ – ‚Contemplatio in actione

2.2. Audio-Vortrag: Die Weisheit, die alle verbindet ‒ Wie die Religionen zusammenfinden können (2010), sowie: Mitschrift, 9f.:

(48:28) «Und wir haben in unserer westlichen Tradition, diese drei Wege, uns mit dem Göttlichen auseinanderzusetzen, in den drei großen Welten des Gebetes.

Da gibt es das Gebet der Stille:
Da lassen wir uns einfach nur hinab, in die Tiefe, in die Tiefe des Schweigens.
Das ist unsere westliche Art des Buddhismus. Denn im Buddhismus geht alles um das Schweigen. Wir können uns das schwer vorstellen, aber wer Buddhismus studiert, findet, dass im Buddhismus das Schweigen so wichtig ist wie bei uns das Wort.

(49:14) Und dann haben wir die ‹Amen-Traditionen› das Judentum, das Christentum und den Islam. Ich nenne sie ‹Amen-Traditionen›, weil die das Wort ‹Amen› alle gemeinsam haben.
Das ist sehr wichtig, denn Amen ist die Antwort auf die ‹Amunah› Gottes, und die ‹Amunah› Gottes ist die Verlässlichkeit. Amen ist der letzte tiefste Ausdruck des Glaubens:
‹Wir verlassen uns› ‒schön ausgedrückt im Deutschen ‒, ‹auf die Verlässlichkeit Gottes›, auf die ‹Amunah›.
Das Gebet, das für diese Traditionen gilt, ist: ‹Vom Worte Gottes leben›.

Jedes Wort Gottes ist lebensspendend.
Alles, was es gibt, ist Wort Gottes.
Und jeder von uns ist ein Wort Gottes, ein ganz einzigartiges Wort Gottes. Und wir unterscheiden uns von den anderen Worten Gottes dadurch, dass wir erst das Wort Gottes werden müssen. Durch unsere eigene Hingabe.
Ein Hund spricht immer gütig, liebend ein vollkommenes Wort Gottes.
Derjenige, der den Hund an der Leine führt, muss erst dieses Wort Gottes werden.
Da können uns die Hunde viel lehren. Auch die Katzen übrigens und die Kühe. Wir können sehr viel von den Tieren lernen.
Wir müssen das Wort werden:
Das ist eine weitere Welt des Gebetes: ‹Vom Wort Gottes leben›.

(50:54) Und das dritte heißt traditionell Contemplatio in actione, das heißt, durch das Tun Gott finden. Durch das Tun Gott finden. Und nicht während des Tuns, sondern: Im Tun.
So liebend, so lebendig, so kreativ im Handeln, dass Gottes Liebe, Gottes Lebendigkeit, Gottes Schöpferkraft durch uns durchfließt.
Und jeder von uns kann das tun, nicht nur die großen Künstler und großen Musiker, sondern jeder von uns ist dazu aufgerufen, dieses Gebet zu beten.

Und wir können es, indem wir liebend und schöpferisch handeln, was immer unsere Aufgabe ist.
Und so wie das Gebet der Stille uns mit den Buddhisten verbindet, so verbindet uns, das Gebet: ‹Vom Wort Gottes leben›, mit den anderen ‹Amen-Traditionen›, mit den Juden und mit den Muslimen. Und die ‹Contemplatio in actione›, mit dem Hinduismus.

2.3. Audio-Vortrag Das Gottesbild des modernen Menschen (2009)
Teil 2:
(28:29) Wort ‒ Schweigen ‒ Verstehen in drei Gebetsformen: ‚Vom Worte Gottes leben‘: Wir selber sind Wort Gottes, ausgesprochen und angesprochen und müssen das werden, was wir sind / (31:08) Das Gebet der Stille und Gott im Tun finden (‚Contemplatio in actione‘) / (33:10) Die drei Bereiche der Sinnsuche, die drei Ausformungen der Religionen und die drei Gebetsformen eröffnen ein nachvollziehbares Verständnis des dreifaltigen Gottes in der Praxis dankbaren Lebens im Unterschied zum Pantheismus.

2.4. Audio-Vortrag Begegnung der Religionen (1993):
Vortrag:
(47:55) Die Traditionen schließen einander ein: Man kann nicht Christ sein ohne zugleich auch Buddhist und Hindu zu sein – Wie die Religionen einander ergänzen: Das ist es in drei verschiedenen Betonungen – Gott verstehen als den Unerkenntlichen (Dionysius Areopagita).

3. Weitere Texte:

3.1. TRANSKRIPTION DES SEMINARS (2014) TEIL I, 67-78, 79-80:
In diesem Seminar geht Bruder David ebenfalls auf die drei Innenräume des Gebetes ein und setzt das Gebet der Stille in Beziehung zum Glauben, das Gebet «Vom Worte Gottes leben» in Beziehung zur Hoffnung und Kontemplation im Handeln in Beziehung zur Liebe.

3.2. An welchen Gott können wir noch glauben? (2008):

«Dazu muss man zunächst auf die drei großen Welten des Gebetes hinweisen, die es in der christlichen Tradition gibt:

 Das Gebet der Stille, von dem C.S. Lewis sagt, ‹wenn wir unsere Gedanken immer und ewig in diesen Abgrund der Stille hinabwerfen, der Gott ist, werden wir nie ein Echo zurückhören›. Das ist das Gebet der Stille, nichts darüber zu sagen. Aber eine ganze Welt des Gebets in der christlichen Tradition, eine ganz wichtige.

Die zweite ist, vom Worte Gottes leben, die Liebe Gottes durch alles zu erfahren, das ist vom Wort Gottes leben.

Und das dritte ist Contemplatio in actione, die Aktion, das Tun, und zwar nicht Kontemplation üben, während wir etwas tun – das kann sehr gefährlich werden, wenn es etwas Heikles ist, was wir tun und wir haben unsere Gedanken irgendwo anders –, sondern im Tun Gott finden. Im liebenden Tun erleben wir von innen her die Liebe Gottes, die durch uns fliesst. Und das ist Contemplatio in actione.»

3.3. Im Buch: Dankbarkeit: Das Herz allen Betens. (2018) [bzw. Fülle und Nichts (2015)] setzt Bruder David das Gebet «Vom Worte Gottes leben» mit Glauben in Beziehung. Siehe folgende Auszüge:

Vom Worte Gottes leben ‒ Vom Festmahl des Lebens zur schmerzhaften Prüfung (2021)

Vom Worte Gottes leben ‒ Die Versuchung Jesu im Garten (2021)

Stillehalten Das Gebet der Stille in Beziehung zu Hoffnung

Kontemplation im Handeln in Beziehung zu Liebe

3.4. Vor 50 Jahren (1972), eröffnete Bruder David die damaligen Salzburger Hochschulwochen mit dem Vortrag Jesus als Wort Gottes, abgedruckt in: Die Frage nach Jesus (1973), 9-67

In diesem Vortrag geht Bruder David grundlegend ein auf die drei Dimensionen Wort ‒ Schweigen ‒ Verstehen im Tun in denen wir Sinn erfahren. Bruder David führt uns ein in eine Gesamtschau, mit der wir die Unterschiede wie auch die Gemeinsamkeiten aller religiösen Traditionen erfassen können.

Die Gesamtschau, die Bruder David eröffnet, weitet unser Beten in einen Resonanzraum mit der Menschheit zu allen Zeiten und Religionen weltweit. Der Blick auf die Unterschiede und das Verbindende der Religionen weitet, vertieft und stärkt unser eigenes Beten.

Bruder Davids Gesamtschau weitet uns selber: wir spüren, wie sehr unser Durst nach Sinn uns in diese drei Erfahrungsräume zieht und wir aus ihrer Weite und Kraft leben wollen. Und in diesem Spüren werden unsere Gebete zum Gebet, nach dem wir uns sehnen.

Bruder David schließt mit den Worten: «Um Offenbarung zu verstehen, müssen wir in die Offenbarung eintreten; müssen dem Logos als Anführer des Reigens[2] folgen; müssen uns in liebender Ergriffenheit durch das Wort in das Schweigen führen lassen und aus dem Schweigen heraus gehorsam werden. Unser Thema geht über bloß akademisches Bemühen weit hinaus. Um im Wort der Offenbarung Sinn zu finden, müssen wir etwas tun ‒ das Wichtigste und zugleich das Schwerste ‒: uns dem Wort des Lebens stellen und ‒ mittanzen.»

«Im letzten Sinn ist unser ganzes geistliches Leben einfach ein Üben, von jedem Worte Gottes zu leben. Es ist daher ein üben im Hinblick auf das letzte Wort Gottes, von dem wir wissen, was es für jeden von uns sein wird, so verschieden auch die Worte sind, die wir im Laufe unseres Lebens hören. Das letzte Wort für jeden von uns wird sein: ‹Jetzt musst du sterben.› Dann wird sich zeigen, ob wir gelernt haben, von jedem Wort Gottes zu leben(38)

«In Dankbarkeit vom Worte Gottes leben, das ist bei weitem die am vielfältigsten gepflegte Form unseres Gebetes in der biblischen Tradition. Aber es gibt auch bei uns, und darauf haben wir im Bezug auf den Buddhismus hingewiesen, das Gebet der Stille, das Sich-Versenken ins Mysterium. Buddhisten erkennen sehr gut, dass das Gebet der Stille in der christlichen Tradition unsere buddhistische Dimension sei. Sie sagen etwa von Johannes vom Kreuz: Das ist ein Buddhist! ‒ Warum auch nicht?

Nun kommt aber zu diesem Gebet der Stille und zu dem ‹Vom Worte Gottes leben› die meditatio in actione, das Gott im Tun finden hinzu. Diese drei sind ja gar nicht voneinander zu trennen.

Weil unser Gebetsleben Teilnahme ist am Leben des dreieinigen Gottes, sind diese drei Dimensionen bei aller möglichen Unterschiedlichkeit der Akzentsetzung untrennbar miteinander verbunden in unserem Gebet.

Nur so kann unser Herz in Wort, Schweigen und Verstehen[3] jenen tiefsten Sinn finden, nach dem es so dürstet.

Nur so können wir eintreten in das Geheimnis des lebendigen Gottes, von dem Paulus sagt, dass wir in ihm leben, uns bewegen und sind.» (56f.)]

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[1] Martin Buber in der Erzählung von Rabbi Sussja

[2] «Das ist es, was die griechischen Kirchenväter den großen Reigentanz der Dreifaltigkeit nannten. Vielleicht ist dieses Bild des Tanzes das Sinnbild, das auf unsere Frage nach dem letzten Sinn antwortet, wenn alle anderen Antworten versagen. Alles, was es gibt, ist aufgenommen in diesen Tanz, der sich spielerisch in immer neuen Formen entfaltet. Tanz ist Fülle des Lebens, Feier, in der des Lebens Sinn zu sich selbst kommt: Ringelreihen, Hochzeitstanz, Totentanz, Reigen der Seligen im Paradies, großer Rundtanz des Lebens. Und der Logos war schon für die frühen Kirchenväter Vortänzer, Anführer im großen Tanz. Hier liegt die Vorrangstellung der Offenbarungstradition im Gefüge der religiösen Traditionen: Vorrangstellung hinsichtlich des Wortes. Im Buddhismus Vorrangstellung hinsichtlich des Schweigens. Im Hinduismus Vorrangstellung hinsichtlich der Ergriffenheit. Und die drei beinhalten einander.» (66)

[3] «… Das wahre Selbst ist also das erkennende Selbst, das selbst nicht mehr erkannt werden kann, denn das Erkennen kann zutiefst nur im Vollzug der Erkenntnis erkannt werden.

Das ist nun das Entscheidende; das Verstehen ist jene Tätigkeit, die wir nur im Vollzug verstehen können. Was es heißt zu verstehen, das müssen wir von innen her verstehen. Es von außen her verstehen ist noch kein richtiges Verstehen des Verstehens. Man versteht nur, was verstehen heißt, indem man eben etwas versteht. Aber dieses Etwas ist nicht das Verstehen selbst. Der Sehende sieht ja nicht sein Sehen. Es geschieht im Sehen, dass wir sehen, es geschieht im Verstehen, dass wir verstehen. Indem wir uns ergriffen dem Wort hingeben und uns so in das Schweigen führen lassen, erkennen wir im lebendigen Vollzug des Verstehens unser wahres Selbst. Das Verstehen ist unser innerstes Selbst als lebendiger Vollzug.» (53)



Quellenangaben

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