Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

loslassen titelCopyright © - Barbara Krähmer

Alles, was ich mit Liebe zu tun vermag, kann zum Gebet des Tätigseins werden. Es ist zudem gar nicht notwendig, dass ich während der Arbeit oder beim Spielen an Gott denke. Zuweilen dürfte das sowieso kaum möglich sein.

Wenn ich zum Beispiel ein Manuskript korrigiere, ist es besser, ich konzentriere mich ganz auf den Text statt auf Gott. Wäre mein Geist zwischen beidem hin und her gerissen, so würden mir die Druckfehler wie kleine Fische durch ein zerrissenes Netz schlüpfen. Gott wird genau in der liebevollen Aufmerksamkeit anwesend sein, die ich der mir anvertrauten Arbeit zuwende.

Indem ich mich voll und liebevoll dieser Arbeit widme, gebe ich mich voll und ganz Gott hin. Das geschieht nicht nur bei der Arbeit, sondern auch beim Spiel, etwa wenn ich Vögel beobachte oder einen guten Film ansehe. Wenn ich mich in Gott darüber freue, wird sich bestimmt auch Gott in mir darüber freuen. Macht nicht diese Kommunion, diese innige Verbindung das Wesen des Gebets aus? [Auf dem Weg der Stille (2016), 17f.]

Eine Lehrerin kommt beispielsweise nach einem Schulausflug in den Zoo völlig erschöpft nach Hause. «Und den ganzen Tag lang hatte ich keine Minute Zeit zum Beten», stöhnt sie.

Nun, möglicherweise hat sie aber den ganzen langen Tag nichts anderes getan, als zu beten. Ihr Herz war der Kontemplation im Handeln hingegeben, aber ihr Kopf hat es nicht einmal bemerkt.

Die Liebe, die sie voller Aufmerksamkeit für jedes einzelne Kind sorgen ließ, war die Liebe Gottes, die durch sie hindurchfloss. Indem sie sich innerlich dieser Liebe hingab, war sie den ganzen Tag mit Gott verbunden ‒ sozusagen ein Gebet ohne Ablenkung. Sie konnte es nicht riskieren, von ihrer Aufmerksamkeit für die Kinder abgelenkt zu werden.

Steckt aber ihr ganzes Herz darin, dann ist diese uneingeschränkte Aufmerksamkeit in diesem Fall ihre andächtige Aufmerksamkeit für Gott.

«Was aber, wenn ich nicht einmal an Gott denke?» könnte man fragen. «Kann das noch Gebet sein?»

Nun, atmest du noch, obwohl du nicht an die Luft denkst, die du einatmest?

Dein Handeln geht weiter, obwohl du nicht darüber nachdenkst. Und in contemplatio in actione wird Gott eben durch liebendes Handeln erfahren, nicht durch Nachdenken.

Es gibt unter uns echte Kontemplative, die gar nicht wissen, dass sie es sind.

Inmitten ihres geschäftigen Lebens praktizieren sie contemplatio in actione. Handeln.

Und doch sehnen sie sich nach Formen, die einer anderen Welt des Gebets angehören, statt sich immer mehr in der Welt zuhause zu fühlen, in der sie ohnehin leben.

Über Gott nachzudenken ist wichtig. Aber das Handeln in Gott führt zu tieferem Wissen. Liebende sind der Liebe näher als Gelehrte, die bloß über Liebe nachdenken. Wer denkt schon beim Küssen über das Küssen nach?

Während einer einfachen Tätigkeit wie Stricken ‒ einfach für meine Mutter, nicht für mich ‒ kann man über Gott nachsinnen und dennoch die Arbeit gut machen.

Wenn deine Arbeit im Maschineschreiben besteht, wird das schon schwieriger. Ein Gouverneur könnte sich als Gotterneur angeredet finden, aber abgesehen von Schreibfehlern kann wenig Schaden daraus entstehen.

Eine Lehrerin jedoch, die zweiundzwanzig Kinder in den Zoo führt, kann nichts hinzufügen, während sie das tut. Sie käme sonst vielleicht mit nur einundzwanzig Kindern zurück.

Sie kann nur zwischen Kontemplation im Handeln oder gar keiner Kontemplation wählen.

Und welch herrliche Überraschung ist die Entdeckung, dass sie Gott nicht nur während, sondern in ihrem liebenden Dienst finden kann.

Niemand wird durch äußere Umstände an einem kontemplativen Leben gehindert. Viele Menschen bemühen sich, ein äußerst aktives Leben andächtiger zu gestalten. Die Entdeckung der Kontemplation im Handeln könnte ihnen dies erleichtern und ihnen neuen Mut geben.

Aber auch hier ist eine Falle verborgen. Unsere Tätigkeiten entwickeln eine Art Zentrifugalkraft.

Sie haben die Tendenz, uns von unserer Mitte in Randbelange zu zerren. Und diese Zugkraft ist umso stärker, je schneller die Beschleunigungskraft unserer täglichen Tätigkeiten wirkt.

Dem müssen wir entgegenwirken, indem wir uns im stillen Zentrum unseres Herzens verankern.

«Meine Arbeit ist mein Gebet», sagt da jemand. Nun, umso besser! Schließlich sollen wir «allezeit beten». Arbeit sollte uns nicht vom Beten abhalten.

Wenn aber meine Arbeit zu meinem einzigen Gebet wird, dann wird sie nicht mehr lange Gebet sein. Ihr Gewicht wird mich aus meinem Zentrum ziehen. Es ist leicht zu hören, wenn sich ein Wäschetrockner ungleichmäßig dreht. Warum hören wir es nicht, wenn das Gleiche in unserem Leben geschieht? Vielleicht sollten wir anhalten und umladen. Vielleicht ist es Zeit für Nichts-als-beten, Zeit uns freizumachen, unsere Mitte zu finden und uns von unserem Herzen her neu auszurichten.

Wenn wir so wieder an unsere Arbeit herangehen, dann wird sie wirklich Gebet sein: contemplatio in actione.

Die Tradition der Shaker kennt ein Sprichwort, das die Idee der Kontemplation auf die einfachste Weise zusammenfasst:

«Die Herzen zu Gott und die Hände an die Arbeit.»

Und genauso lebten die Shaker. Als Beweis dafür, dass sie etwas von Kontemplation verstanden, müssen wir uns nur einen Shaker-Stuhl anschauen.

«Die Herzen zu Gott» bedeutet Aufmerksamkeit für die leitende Schau.

«Die Hände an die Arbeit» bedeutet, aus jener Schau Wirklichkeit zu machen.

Die unauflösliche Verwobenheit von Schau und Tat macht Kontemplation zu dem, was sie ist.

In der Gebetswelt der Liebe ist die Schau eine tiefe Bewusstheit des Zusammengehörens, während das Handeln jenes Zusammengehören folgerichtig in die Tat umsetzt.

Handelnde Liebe ist Ausdruck des Dankes für Einsichten der schauenden Liebe.

Im Lateinischen heißt das «gratias agere», nicht nur danken, sondern aus Dankbarkeit handeln.

Mit dem Herzen Gott zugewandt, erkennt die Liebe ihre Zugehörigkeit; mit den Händen der Arbeit zugewandt, handelt die Liebe dementsprechend. [FN 1) 152-154; 2-5) 156-158; 6) 155-157; siehe auch: Betet ohne Unterlass (1988)]

[Ergänzend:

Bruder David spricht von drei Innenwelten des Gebetes [Hyperlink zu Gebet ‒ drei Innenwelten]. In den ersten beiden ist die Stille oder das Wort zentral. In der dritten Innenwelt ‒ am Schnittpunkt von Stille und Wort ‒ das liebevolle Tun.

Der Fachausdruck für diese dritte Innenwelt des Gebetes ist: «Contemplatio in actione» ‒ «Kontemplation in Aktion»:

1. Auf dem Weg der Stille (2016), 36f.:

Das biblische Vorbild für Kontemplation ist Mose:

«In der biblischen Tradition wird die Kontemplation am Beispiel von Mose vorgestellt: Mose steigt auf den Berg, um dort oben vierzig Tage und vierzig Nächte in der Gegenwart Gottes zu verbringen. Dort wird ihm eine Vision des Tempels zuteil. Bei seinem Abstieg vom Berg bringt er nicht nur die Gesetzestafeln mit sich, also den Plan, gemäß dem das Volk zu einem Tempel aus lebendigen Steinen aufgebaut werden soll. Er trägt auch den Entwurf für den physischen Tempel, das Bundeszelt, das genau ‹nach dem Vorbild des Musters› angelegt werden sollte, das ihm auf dem Berg gezeigt worden war bei sich.

Diese beiden Phasen der Kontemplation gehören untrennbar zusammen: das Betrachten des Musters und die praktische Tat, nach dem Vorbild des Musters zu bauen.

Die Kontemplation in Aktion zeichnet der Umstand aus, dass dabei Betrachtung und Tat gleichzeitig stattfinden.

Eine Lehrerin, die einem Kind viel Liebe zukommen lässt, versteht Gott, der einfach dadurch liebt, dass er Liebe ist.

Die Schau Gottes wird ihr in ihrem Tun und durch dieses zuteil.

Wie verstehen wir denn jemals etwas anders als durch Tun?

Ein Sprichwort sagt: ‹Ich hörte und vergaß; ich sah und erinnerte mich; ich tat und verstand.›

Aus diesem Grund können wir die Kontemplation in Aktion ‹Gebet des Verstehens› nennen.»

2. Dankbarkeit: Das Herz allen Betens. (2018) [bzw. Fülle und Nichts (2015)] im Kapitel: «Liebe: Ein ‹Ja› zur Zugehörigkeit»:

«Zur Liebe gehört eine Welt des Gebetes, die am Schnittpunkt von Wort und Stille steht.

Das Gebet der Liebe ist das Handeln.

Das Wort, im Glauben empfangen, fällt als Same in das stille Erdreich der Hoffnung und reift in der Liebe zur Ernte.

Im Handeln der Liebe gibt es keine Absicht, nur die Bereitschaft, Früchte zu tragen.

Und doch steht der aktive Aspekt hier so im Vordergrund, dass die Gebetswelt der Liebe den Namen ‹contemplatio in actione› trägt.

Das Handeln ist ein Grundbestandteil von Kontemplation, einer ihrer zwei Pole. Der andere Pol ist die Schau. Das ‹Kon› in Kontemplation schweißt Schau und Tat zusammen. Ohne durch die Tat verwirklicht zu werden, würde die Schau unfruchtbar bleiben. Das Gegenteil von Kontemplation im Handeln kann also unmöglich untätige Kontemplation sein. Das wäre ebenso ein Widerspruch wie blinde Kontemplation. Handeln gehört ebenso zur Kontemplation wie Schau.

Warum also diese Hervorhebung, wenn wir von ‹contemplatio in actione› sprechen? Hier ist eine Erklärung.

Im Gebet der Liebe ergibt sich nicht nur das Handeln aus kontemplativer Schau, sondern eben diese Schau entspringt ihrerseits kontemplativem Handeln.

Hier bietet sich eine Parallele aus unserer alltäglichen Erfahrung an. Manchmal möchtest du etwas tun, aber du sagst dir:

‹Ich sehe nicht ein, worum es da geht.› Dann versuchst du es doch, und im Tun siehst du, worum es geht. Siehst du? Dieses ‹Sehen› lässt uns wenigstens ahnen, dass Schau aus dem Handeln entspringen kann, letztlich selbst die Schau von Gottes Herrlichkeit.

Jede echte Form von Kontemplation bemüht sich darum, ihre Schau in die Tat umzusetzen.

Aber nicht immer entspringt die Schau unserem tätigen Einsatz.

Häufig verlangt unsere Suche nach Sinnschau, dass wir aus jeder zweckgebundenen Tätigkeit aussteigen.

Für die Gebetswelt der Liebe jedoch ist das Einsteigen in kontemplatives Handeln kennzeichnend.

Das soll nicht heißen, dass kontemplatives Aussteigen untätig sei oder der Liebe entbehrt. Ganz und gar nicht. Aber das ‹Ja› zum Zusammengehören macht die Liebe zu dem, was sie ist. Und dieses ‹Ja› beinhaltet Verfügbarkeit für den Einsatz.

Es ist daher am leichtesten, die Liebe in der Kontemplation dann zu entdecken, wenn das Sicheinsetzen besonders betont wird.

Stelle dir vor, du möchtest ein Bild von einem Bleistift zeichnen. Höchstwahrscheinlich wirst du zwei parallel verlaufende Linien ziehen und vorne eine Spitze hinzufügen. Aber ebenso gut könntest du einen kleinen Kreis zeichnen mit einem Punkt in der Mitte. Das ist die Frontalansicht eines Bleistifts. Front- und Seitenansicht zeigen den gleichen Gegenstand. Aber die eine Darstellung ist viel leichter zu erkennen.

Darum nennen wir die Kontemplation im Handeln die Gebetswelt der Liebe. Liebe ist in ihr am leichtesten zu erkennen.

‹Contemplatio in actione› drückt recht deutlich aus, was wir meinen: Kontemplation im Handeln, nicht nur während des Handelns.

Nur ein feiner Unterschied, aber er wird uns helfen, noch genauer zu definieren, was hier gemeint ist.

Meine Mutter strickt alle möglichen Pullover für ihre Kinder und Enkelkinder, jetzt sogar für ihre vier Urenkelkinder. Und während sie das tut, betet sie gern den Rosenkranz. Das ist Kontemplation während des Handelns. Während sie strickt, betrachtet sie die Rosenkranzgeheimnisse, und ihr Glaube nährt sich daran. Sie tritt ein in die Welt des Gebets, die für den Glauben kennzeichnend ist. Sie lebt von Gottes Wort. Aber sie betritt auch die Welt des Gebets der Liebe, einfach weil sie trotz der arthritischen Schmerzen in ihren Fingern liebevoll strickt. Dadurch versteht sie Gottes Liebe in und durch ihr eigenes Handeln. Das ist Kontemplation im Handeln, ein Weg, Gottes Liebe von innen her kennenzulernen. [FN 1) 150f; 2-5) 154-156; 6) 153-155]

3. TRANSKRIPTION DES SEMINARS (2014) TEIL I, 69f., und TEIL II, 96, 162, sowie: Beilage 3: Die den Kurs begleitenden Gedichte, 14: «Werkleute sind wir, Knappen, Jünger, Meister» (Rilke, Das Stunden-Buch)

4. An welchen Gott können wir noch glauben? (2008):

Und die dritte Innenwelt des Gebetes «ist Contemplatio in actione, die Aktion, das Tun, und zwar nicht Kontemplation üben, während wir etwas tun – das kann sehr gefährlich werden, wenn es etwas Heikles ist, was wir tun und wir haben unsere Gedanken irgendwo anders –, sondern im Tun Gott finden. Im liebenden Tun erleben wir von innen her die Liebe Gottes, die durch uns fliesst. Und das ist Contemplatio in actione.»

5. Arbeit und Schweigen ‒ Handeln und Kontemplation (1989), 294-296, 300f.:

«Gott vollendet sich nicht ohne unser Zutun. Gott vollendet sich aber auch trotz unseres Versagens. … Und Gott ist immer noch größer. Wir bauen an Gott, wir bauen am Bild Gottes, und dieses Bauen ist Kontemplation.»

«Das also ist Kontemplation im tiefen Sinne, diese Verbindung von schauen und bauen. Wenn wir das in jedem Bereich unseres Lebens durchführen, dann kann der Dichter sagen:

‹Es gibt im Grunde nur Gebete,
so sind die Hände uns geweiht,
daß sie nichts schufen, was nicht flehte;
ob einer malte oder mähte,
schon aus dem Ringen der Geräte
entfaltete sich Frömmigkeit.›

(Rilke, ‹Alle, die ihre Hände regen›, Das Stunden-Buch)

Solange wir im Mysterium verwurzelt bleiben, solange unser Bauen im Schauen verwurzelt bleibt, im Mysterium, solange unser Handeln im Grunde der Kontemplation verwurzelt bleibt und unsere Arbeit in der Dunkelheit des Schweigens, aus der wir stammen, im Mystischen, so lange ist alles Gebet.

Rilke vergleicht das Bauen und die Arbeit, wenn sie wirklich verwurzelt sind im Schauen und Schweigen, mit einem unterirdischen Fluss, der in die Tiefen greift.

Nur aus den Tiefen des Schweigens schwemmt eine Arbeit, die Gebet ist, Gold zutage. Darum betet der Dichter:

‹Daraus, daß Einer dich einmal gewollt hat,
weiß ich, daß wir dich wollen dürfen.
Wenn wir auch alle Tiefen verwürfen:
wenn ein Gebirge Gold hat
und keiner mehr es ergraben mag,
trägt es einmal der Fluß zutag,
der in die Stille der Steine greift,
der vollen.

Auch wenn wir nicht wollen:
Gott reift›

(Rilke, Das Stunden-Buch)»

6. Audios:

6.1. Lebendige Spiritualität (2015)
Verstehen durch Tun
(19:00) ‘Contemplatio in actione’: Das göttliche Tun in unserem Tun

6.2. Die Weisheit, die alle verbindet (2010)
Vortrag
(50:54) Und die dritte Innenwelt des Gebetes «heißt konventionell Kontemplation, ‹contemplatio in actione› das heißt, durch das Tun Gott finden. Durch das Tun Gott finden. Und nicht während des Tuns, sondern: Im Tun. So liebend, so lebendig, so kreativ im Handeln, dass Gottes Liebe, die Lebendigkeit Gottes, Schöpferkraft durch uns durchfließt. Und jeder von uns kann das tun, nicht nur die großen Künstler und großen Musiker, sondern jeder von uns ist dazu aufgerufen, dieses Gebet zu beten. Und wir können es, indem wir liebend und schöpferisch handeln, was immer unsere Aufgabe ist.»

6.3. Fragen in Wendezeiten (2010)
Fragerunde
(19:52) ‘Contemplatio in actione’

6.4. Das Gottesbild des modernen Menschen (2009)
Teil 2:
(31:47) Gott im Tun finden]



Quellenangaben

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