Interviews und Texte von Br. David Steindl-Rast OSB
«Der Zen-Meister Zentatsu Richard Baker Roshi nennt mich im Spaß einen ‹Zenediktiner› und ich sehe das als ein Kompliment an. Zen ist zwar innerhalb des Buddhismus entstanden, ist aber eine Form der Spiritualität, die mit jeder religiösen Tradition vereinbar ist. Es geht beim Zen nicht um eine Lehre, sondern um eine Weise die Welt zu erleben.
Sie haben vielleicht beim Tanzen Augenblicke erlebt, in denen Sie einfach zum Tanz werden; oder beim Joggen sind Sie plötzlich weg und ‹es joggt› nur noch. Beim Klettern in den Bergen gibt es solche Augenblicke und wir können sie bei den verschiedensten Tätigkeiten erleben. Das sind Zen Erlebnisse.
Wir können sie auch durch noch so große Mühe nicht zustande bringen, sie sind immer reines Geschenk des Lebens. Aber wir können uns darauf vorbereiten, dieses Geschenk zu empfangen, und wir können das Bewusstsein der Verschmelzung von dem, was wir sind, und dem, was wir tun, in unseren Alltag einfließen lassen. Darin besteht Zen Training.
Weil es beim Zen nicht um Glaubenssätze geht, sondern um Erfahrung, so werden Fragen, wie die, bezüglich Tod, Auferstehung und Reinkarnation, als Ablenkungen vom Wesentlichen angesehen.
Wenn ich mein Jausenbrot dankbar und mit voller Aufmerksamkeit esse und mich darin übe, hellwach gegenwärtig zu sein für alles, was das Leben mir schenkt, dann werde ich das auch in meinem letzten Augenblick tun, und das genügt für den Herzensfrieden, den wir Menschen uns ersehnen.» [Jeder Mensch ist zutiefst darauf angelegt Mystiker zu sein (2020): Bruder David im Interview von Evelin Gander]
«Mir persönlich hat Zen geholfen, mein christliches Gottesverständnis zu vertiefen. Die entscheidende Schwelle war für mich die zu erleben, dass für mich selbst, aber auch für die Mehrzahl der aufgeweckten Menschen das alte Gottesbild oder die überlieferte Gottesvorstellung nicht mehr greift. Sie entspricht unserem heutigen Erleben nicht mehr.
Wir leben heute in einer Welt, in der alles mit allem zusammenhängt, und zwar in allen Lebensbereichen, ob das nun Biologie oder Physik, Politik oder Wirtschaft ist. Alles hängt mit allem zusammen ‒ das ist unsere Erfahrung tagtäglich. Wie sollen wir uns da mit einem Gott abfinden, der von der Welt und von uns getrennt sein soll? Der von uns getrennte Gott ‒ das geht nicht mehr! Doch das war schon in der echten lebendigen christlichen Tradition nicht anders ‒ kein Mystiker hätte das anders gesehen: Gott ist mit jedem von uns ganz intim verbunden, er ist nicht jenseits, er ist meine lebendige Gegenwart!»
«Das, was im Zen als ‹Leere› bezeichnet wird, wäre das dann die Entsprechung von dem Gott, den Sie als das Schweigen begreifen?»
«Ja, das Schweigen oder die Quelle – das ist Gott. Die Quelle ist ‹Nichts› – und diese ‹Gottheit› jenseits des Vaters, von der auch Meister Eckhart und viele andere Mystiker sprechen, dieses Nichts als Fülle zu erfahren, dazu hat mir Zen verholfen.»
«Also muss man selbst seinen eigenen Gottesbegriff loslassen, um ihn mit neuer Kraft zu beleben?!»
«Selbstverständlich. Man erlebt das Durchdrungensein von Gott – und dann spürt man, dass man keinen erstarrten Gottesbegriff braucht. Wenn man an etwas klammert, dann ist man schon jetzt im Leben tot. Man kann dann nicht mehr im Fluss sein.» [Gelebte Dankbarkeit (2014): Bruder David im Interview von Ingeborg Szöllösi]
[Ergänzend:
1. «Wohin geht der Mensch?» (2022): Im überarbeiteten und ins Deutsche übersetzten Vorwort der Neuausgabe dieses Buches von Hugo M. Enomiya Lassalle, das Bruder David 1988 erstmals für die englische Ausgabe des Buches verfasste, schreibt er:
«Buddhisten wie Christen finden, dass Zen eine hilfreiche Methode ist, um die innere Quelle rein zu halten. Bei dieser Herzensarbeit machen sie eine erstaunliche Entdeckung. Diejenigen, deren Leben von diesem Urquell genährt wird, werden nach christlichen Maßstäben zu besseren Christen und nach buddhistischen Maßstäben zu besseren Buddhisten. (Dann nehmen sie solche Etiketten freilich nicht mehr wichtig.) Sie erkennen, dass der buddhistische wie der christliche Weg das gleiche Ziel hat: Den völlig wachen, völlig lebendigen Menschen. Sie erkennen auch dies: In dem Maße, wie wir lebendig werden, werden wir auch lebendig und wach für die Bedürfnisse anderer. Völlig lebendig werden ist eine Aufgabe, die wir nicht als Einzelgänger, sondern nur mit anderen gemeinsam verwirklichen können.»
2. Dankbarkeit macht eine Fütterung zum Mahl (2011): Interview mit Bruder David von Marietta Schürholz:
«… Thich Nhah Hanh führte aus, dass die Jünger Christus an der Art erkannten, wie er das Brot brach. Mir wurde da klar, wie in der Präsenz das Göttliche wohnt, wie Gegenwärtigkeit im Tun zu Gott führt.»
Bruder David: «Dieses Tun kommt aus einem Fühlen. Und dieses Fühlen ist ein Verstehen, das ganz tiefe körperliche Wurzeln hat, ein verkörpertes Verstehen. Das Fühlen ist ein verkörpertes Verstehen.
Das Denken ist ein entkörpertes Verstehen. Es wird umso besser, je mehr man vom Körper wegkommt. Das kann man natürlich nie ganz, aber man kann versuchen vom Körper weg zu kommen. Während im Gefühl versucht man vom Körper mehr und mehr in das Verstehen hineinzunehmen.»
3. Erinnerungen an die letzten Tage von Thomas Merton im Westen (1968):
«Es gab so viele Kontaktpunkte zum Zen Buddhismus, dass ich ihn einfach fragen musste, ob er auch zu diesen Einsichten gekommen wäre, wenn er Zen nie begegnet wäre. ‹Ich bin nicht sicher›, antwortete er nachdenklich ‹aber ich denke nicht. Ich sehe keinen Gegensatz zwischen Buddhismus und Christentum. Die Zukunft des Zen ist im Westen. Ich habe die Absicht, Buddhist zu werden so gut ich kann.›»
4. Askese und Zen:
«In spirituellen Überlieferungen wie etwa dem Zen lernen wir, dass Askese eine Disziplinierung der Sinne bezeichnet, durch die man die Fähigkeit entwickelt, jede Daseinsdimension mit gesteigerter Sensibilität zu erleben. Das wurde in Blütezeiten seit jeher vom Mönchstum in jeder Tradition betont. Für einen wahrhaft aufnahmebereiten Gaumen ist Quellwasser sehr wohlschmeckend.»
5. Konvertieren:
«Natürlich passiert es sehr oft, dass Leute, die einen christlichen Hintergrund haben, viele Jahre damit verbringen, beispielsweise Zen zu praktizieren, oder Yoga ‒ und dadurch letzten Endes ihren christlichen Hintergrund wiederentdecken.»]