Text von Br. David Steindl-Rast OSB

zugehoerigkeit titelCopyright © - Georg Stahl

Echte Lebendigkeit ist der Ausdruck einer tiefen Zugehörigkeit.

Wir wissen es «bis in unsere Knochen».

Es ist die höchste Art von Wissen, das nicht auf Gedanken beschränkt ist, noch auf Gefühle, noch auf irgendeine andere Art von Wissen. Dies ist nicht das Wissen, auf das wir uns in alltäglichen Gesprächen beziehen.

Es ist nicht das, was der konfuzianische Weise Hui Tzu, der sehr um Wortgenauigkeit bemüht war, unter Wissen verstand.

Und dies führt zu einem köstlichen Wortwechsel zwischen ihm und dem großen taoistischen Meister Chuang Tzu.

Es handelt sich um eine Episode, die Thomas Merton entzückte und die er in seinem Buch «The Way of Chuang Tzu» mit dem Titel «The Joy of Fishes» (Die Freude der Fische) übersetzte[1]:

Chuang Tzu und Hui Tzu
gingen über den Fluss Hao
auf einem Damm.
Chuang sagte:
«Schau, wie frei
die Fische springen und herumschnellen:
Das ist ihre Glückseligkeit.»

Hui entgegnete:
«Da du kein Fisch bist,
wie kannst du wissen,
was Fische glücklich macht?»

Chuang sagte:
«Da du nicht mich bist,
wie kannst du bloß wissen,
dass ich nicht weiß,
was Fische glücklich macht?»

Hui erwiderte:
«Wenn ich, der ich nicht du bin,
nicht wissen kann, was du weißt,
folgt daraus, dass du,
der du kein Fisch bist,
nicht wissen kannst, was sie wissen.»

Chuang sagte:
«Warte einen Augenblick!
Lass uns zurückkommen
auf die ursprüngliche Frage.
Was du mich gefragt hast, war:
Wie kannst du wissen,
was Fische glücklich macht?
Von deinen Fragen her
scheinst du offensichtlich zu wissen, dass ich weiß,
was Fische glücklich macht.»

Und dann folgt die entscheidende Aussage, eine Erklärung von größter Bedeutung:

«Ich erkenne die Freude der Fische
im Fluss
durch meine eigene Freude,
wenn ich denselben Fluss entlang gehe.»

Gibt es noch einen anderen Weg, dies zu wissen? Offensichtlich nicht! Aber überlegt, was dies bedeutet.

Unser beglückendes Wissen kommt nicht vom Denken, sondern vom Bewusstsein einer gemeinsamen Lebendigkeit, in diesem Fall zwischen Hui Tzu und dem Fisch.

Die Taoisten nannten diese gemeinsame Lebendigkeit das «Tao». Dieses Wort bedeutete einfach «Weg» oder «Pfad». Doch die Taoisten erweiterten seine Bedeutung.

Für diese Gegebenheit benötigen wir einen Ausdruck und der beste, den unsere Sprache anbieten kann, ist «gesunder Menschenverstand».

Indem wir diese Art von Wissen gesunden Menschenverstand nennen, weiten wir die Definition dieses Begriffs, wie wir ihn normalerweise kennen, aus, doch wenn wir ihn mit neuen Ohren hören, ist es ein außergewöhnlich guter Begriff.

Oft wird gesunder Menschenverstand gebraucht, um herkömmliche Annahmen zu bezeichnen, das genaue Gegenteil von voller Lebendigkeit. Aber der gesunde Menschenverstand, von dem wir jetzt sprechen, ist so dynamisch, so lebendig, so weit, dass es allem, was wir tun und sind, eine neue Farbe, eine neue Note gibt.

Es ist ein sinnliches Wissen und es entspringt dem, was wir mit der ganzen Schöpfung gemein haben. Unseren Erfahrungen wohnt die Erkenntnis inne, dass wir nicht getrennte Leiber sind, sondern dass in diesem Universum alles zusammenhängt, alles ist Teil von allem. Aus diesem Bewusstsein entspringt das einzige Wissen, das Sinn macht. Dieses Wissen geht so tief, dass es in unseren Sinnen verkörpert ist und keine Grenzen hat. Es ist dem ganzen Universum gemeinsam. Wir müssen uns nur anschließen.

Ist es nicht das, was Chuang Tzu sagt? Durch unsere eigene Glückseligkeit erkennen wir die Glückseligkeit der Fische und die Glückseligkeit von allem, was es in der Welt gibt. In diesem glückseligen Augenblick haben wir ein spirituelles – voll lebendiges – Wissen im Herzen der Welt erreicht. [Spiritualität und gesunder Menschenverstand (2012)]

[Ergänzend:

1. ZUGEHÖRIGKEIT, in: Dankbarkeit: Das Herz allen Betens. (2018) [bzw. Fülle und Nichts (2015)]: Kapitel «Liebe  Ein ‹Ja› zur Zugehörigkeit» und Schlüsselbegriffe «Liebe» und «Zusammengehören» am Ende des Buchs:

«… Jede Sehnsucht sehnt sich irgendwie danach, das Zusammengehören umfassender zu erkennen und somit reicher zu erfahren. Weil das Zusammengehören eine Tatsache ist, sind wir zuhause in der Welt, ganz gleich, wo wir uns befinden mögen. Und weil das Zusammengehören ein Geschenk ist, ist Dankbarkeit die richtige Antwort auf das Leben, ganz gleich, was es uns bringt.»

2. Auf dem Weg der Stille (2016), 71f.:

«T. S. Eliot kommt in seinen ‹Four Quartets› auch auf eine Gipfelerfahrung zu sprechen und erzählt von einer ‹Musik, die man in solcher Tiefe hört, dass man sie überhaupt nicht hört, aber du bist die Musik, solange diese Musik andauert.›[2]

Du bist die Musik. Das heißt, du vibrierst von dieser Musik, und selbst wenn du bloß an irgendeine Flötenmusik oder Klaviermusik denken solltest, der du zuhörst, ist das die Musik des Universums, mit der du vibrierst. Das ist die Musik nach der dieser ganze kosmische Tanz tanzt, und sie fließt durch dich hindurch ‒ und das ist dein Augenblick religiöser Erfahrung. In diesem Augenblick weißt du, dass du mit allem eins bist. Es ist einfach so: Du bist die Musik, solange die Musik andauert.

Und das ist jetzt der Ausdruck eines tiefen Dazugehörens. Und wenn du jetzt nach deinen Gipfelerfahrungen oder religiösen Erfahrungen suchst und deine Erinnerung durchgehst, so vergiss dabei alles andere, was du dir dabei gedacht hast und was dich davon abgelenkt hat ‒ wie etwa: ‹mein Körper hat noch nie geglüht› oder ‹Musik mag ich gar nicht› und so weiter.

Aber das eine, was du nicht unterlassen solltest, ist, dass du dich fragst: ‹Wo ist mir schon einmal für den Bruchteil einer Sekunde aufgegangen, dass ich dazugehörte, und ich das bis in meine Knochen hinein empfand, und dass ich mit allem eins war und alles mit mir eins war›?

Das ist das Wesentliche, und das ist eine Art des Erkennens, und zwar die größtmögliche Art des Erkennens, die nicht auf Gedanken beschränkt ist, nicht auf Gefühle und nicht auf irgendeine andere Art des Erkennens. Und das ist ‹Gemeinsam-Sinn› (common sense) in der tiefsten Bedeutung dieses Wortes.

Es ist ein Wissen, das so tief geht, dass es in unseren Sinnen verkörpert ist und keine Grenzen seines Gemeinsam-Seins hat.

Darin ist alles beschlossen: Mittels deiner eigenen Glückseligkeit kennst du die Glückseligkeit von allem und jedem, was es in der Welt gibt, denn in diesem Augenblick der Glückseligkeit hast du sozusagen ans Herz der Welt ‒ die spirituelle Erkenntnis ‒ gerührt, an das Wissen, dass alles ‹zusammen sinnt› (commonsense knowledge).»

3. Spiritualität im Alltag in Dienten (1994):

Vortrag
(09:59) Wir erleben Entfremdung und Augenblicke, in denen wir uns grenzenlos zu Hause fühlen, daheim

(20:05) Das Reich Gottes: Wir sind alle eine große Familie im Gotteshaushalt, der vom göttlichen Geist belebt ist, dem Hausfrieden Gottes]

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[1] Siehe auch: Dschuang Dsi: «Das wahre Buch vom südlichen Blütenland»; übersetzt von Richard Wilhelm (= Diederichs gelbe Reihe, 14), Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen / München 112000: Buch XVII: «Herbstfluten, 12. Die Freude der Fische», 192

[2] Kennen Sie

«… den Augenblick in und außer der Zeit,
Den Wachtraum, verloren im Sonnenstrahl,
Den ungesehenen Thymian, das Wetterleuchten im Winter,
Den Wasserfall oder Musik, die so innig gehört wird,
Dass du sie nicht mehr hörst, weil du selbst die Musik bist,
Solange sie forttönt.»

the moment in and out of time
The distraction fit, lost in a shaft of sunlight
The wild thyme unseen or the winter lightning,
Or the waterfall, or music heard so deeply
That it is not heard at all, but you are the music
While the music lasts.

T. S. Eliot: «Four Quartets»: «The Dry Salvages», V, diese Verse ebenfalls zitiert in AH 1-2) 122; 3-5) 119



Quellenangaben

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