Text, Audio, Film und Interview von Br. David Steindl-Rast OSB

autoritaet autoritaeten titelCopyright © - Barbara Krähmer

In diesem Kontext von Religion und Spiritualität ist die Frage der Autorität äußerst wichtig, jedoch muss man den Begriff der Autorität richtig verstehen, denn heutzutage wird er gewöhnlich falsch verstanden.

Sogar wenn man nach dem Wörterbuch greift und dieses Wort nachschlägt, findet man gewöhnlich als Hauptsinn von «Autorität» angegeben, bei ihr handle es sich um eine Art von «Befehlshoheit»

Aber das ist nicht der ursprüngliche Sinn von Autorität, sondern der lautet:

«feste Grundlage für das Erkennen und Handeln.»

Wir verwenden ihn auch in diesem Sinn. Wenn wir zum Beispiel etwas über unseren Gesundheitszustand erfahren wollen, suchen wir als Autorität dafür einen Arzt auf.

Oder wenn wir etwas erforschen, greifen wir nach einem Buch als Autorität.

Das heißt, wir suchen darin nach einer festen Grundlage für unser Erkennen und Handeln.

Von daher lässt sich dann verstehen, wie wir «Befehlshoheit» erlangen, und das besonders dann, wenn man das auf den kleineren soziologischen Maßstab einer kleinen Gemeinschaft reduziert, also eine Familie, ein Stamm oder ein Dorf. Darin kann es einen Menschen geben, der sich immer wieder als feste Grundlage für das Erkennen und Handeln erweist.

So geht man dann etwa zu einer bestimmten alten Frau, wenn man wissen will, wie man seine Wunden heilen kann ‒ oder wenn man wissen will, ob man einen Krieg gegen ein anderes Dorf führen soll ‒, und sie gibt einem immer die richtige Antwort.

Das heißt also, weil sie eine feste Grundlage für das Erkennen und Handeln darstellt, verleiht man ihr den Rang einer Autorität und gibt ihr Befehlshoheit.

So ist Autorität entstanden, und alle unsere Autoritäten beruhen auf einer derartigen Entstehungsweise.

Aber von da an, wo jemand Autorität verliehen wird, lässt die oder der Betreffende normalerweise nicht mehr so leicht von dieser Macht ab, selbst wenn sie oder er keineswegs weiterhin eine Grundlage von Erkennen und Handeln ist. Auf diese Weise bekommen wir autoritäre Autoritäten.

Die wirkliche, echte Autorität ist so stark, dass sie oder er es sich leisten kann, uns aufzubauen.

Tatsächlich besteht darin der einzige angemessene Gebrauch der Autorität: die der Autorität Unterstehenden aufzubauen.

Autoritäre Autoritäten entbehren dieser Grundlage, und deshalb müssen sie alle anderen klein halten, um sich selbst hochzuhalten, und das ist das Kriterium, anhand dessen man sie unterscheiden kann.

Das ist der Lackmustest für die Unterscheidung von autoritärer Autorität und echter Autorität:

Wenn sie dich aufbaut, ist sie echt; wenn sie dich klein hält, ist sie autoritär. So einfach ist das.

Wenn man gründlich auf das zurückblickt, was Jesus in Bewegung gesetzt hat und was sich immer noch auf unsere Welt auswirkt, stellt man fest, dass es sich dabei um eine Autoritätskrise handelt.

Er war die Art von Prophet, der nicht gesagt hat: «Ich spreche zu euch im Namen der höchsten Autorität, und so komme ich also mit Autorität zu euch.», sondern er berief sich immer auf die Autorität Gottes in den Herzen seiner Zuhörer, und auf diese Weise baute er sie auf.

Deswegen sagten die Leute:

«Dieser Mann spricht mit Autorität, nicht wie unsere Autoritäten.»

Genau das brachte ihn in Schwierigkeiten. Sowohl die religiösen als auch die politischen Autoritäten mussten energisch gegen ihn vorgehen, denn jeder, der die Leute auf ihre eigenen Füße stellt, ist für diese Autoritätspersonen gefährlich.

Schließlich schafften sie ihn aus dem Weg.

Aber diese Art von Geist ließ sich nicht töten, weil das der unübertreffliche Geist ist, und er ist heute noch am Wirken.
[Auf dem Weg der Stille (2016), 74-76]

[Ergänzend:

1. Tao der Hoffnung (1994)
Vortrag und Diskussion bei der existential-psychologischen Bildungs- und Begegnungsstätte Todtmoos-Rütte und in Königsfeld im Schwarzwald (DE).
Den Frieden hinterfragen (Königsfeld im Schwarzwald) Vortrag bei der Stiftung Gewaltfreies Leben
(22:49) Jesus befragt die Autorität und verändert das Autoritäts- und Gottesverständnis seiner Zeit völlig: Anders als ein Prophet oder Charismatiker verlegt die Autorität Gottes in die Herzen seiner Hörer – Die Pointe der Gleichnisse Jesu – Deine Sünden sind dir vergeben – Dein Glaube hat dich geheilt – Steh auf! (Apg 3,1-10) / (29:00) Konflikte mit den autoritären Autoritäten und das Versagen der von Jesus Ermächtigten: Wer hat dir diese Vollmacht gegeben? (Joh 21, 23-27) – Viele wandten sich von ihm ab (Joh 6,66) – Die Fußwaschung passend zu: Auf den eigenen Füßen stehen.

2. Aus Dankbarkeit kraftvoll führen (16.11.2019)
Vortrag von Bruder David und Gesprächsrunde (Mitschrift des Vortrages) anlässlich des Forums «Aus Dankbarkeit kraftvoll führen» im Europakloster Gut Aich, Winkl (AT).
(50:35) Frage einer Frau, zusammengefasst von Robert:
«Die Kontrolle abzugeben ist oft so schwer. Ist Kontrolle abzugeben das gleiche wie Macht abzugeben? Wenn ich ins Vertrauen gehe, gebe ich dann automatisch Macht und Kontrolle ab?»

Bruder David: «… Das ist nur eine teilweise Antwort: Man kann sich fragen: Wie soll ich Macht gebrauchen? ‒ Wie soll ich Macht gebrauchen? Da müssen wir uns zuerst einmal bewusstwerden, dass jede und jeder von uns so viel mehr Macht hat als wir überhaupt wissen. Wir wissen vielleicht einiges, aber wir haben noch viel mehr Macht: Wir haben Macht über Menschen, von denen wir gar nicht wissen, dass die zu uns schauen und sich an uns ausrichten usw..

Und wie sollen wir diese Macht verwenden?

Meine Antwort ist: Es gibt nur eine legitime ‒ echte, vom Leben gestattete Weise, Macht zu verwenden, und das ist: Andere zu ermächtigen.

Alles andere: Überwältigung von anderen … Aber das ist eine große Aufgabe. Besonders für Unternehmer und so: Andere zu ermächtigen.»

3. Die meisten Menschen würde ich als Schlafwandler bezeichnen (2017):

Bruder David: «Die Idee ist, die Hierarchie der Macht abzubauen, also die Pyramide der Ausbeutung und Unterdrückung, und sie in ein Netzwerk umzuwandeln. Auch ein Netzwerk kommt keineswegs ohne Autorität aus, aber Autorität ist nicht Machtbefugnis. Das ist ein völliges Missverständnis, aber das ist oft die erste Bedeutung, die man heutzutage diesbezüglich im Wörterbuch findet.

Autorität ist ursprünglich Grundlage für rechtes Wissen und Handeln.

Und da gibt es Menschen, die auf einer höheren Bewusstseinsebene stehen und deswegen verlässlicher sind, wenn es darum geht zu klären, was man tun soll und wie.

Es wäre wichtig, diesen Menschen auch in einem Netzwerk die Autorität einzuräumen. Was wir brauchen, ist eine Vernetzung von Netzwerken. Denn gewisse Probleme sollten nur auf der untersten Ebene gelöst werden. Und nur, wenn dort keine Lösung gefunden werden kann, sollte das Problem auf der nächsten Ebene behandelt werden.

Hinter der Idee von einem Netzwerk von Netzwerken stehe ich, aber es muss mit Autorität höheren Bewusstseins verbunden sein.»

4. Wie das Autoritätsbewusstsein von frühester Kindheit an von Krise  zu Krise heranreift bis zum prophetischen Gehorsam  des reifen Erwachsenen.]



Quellenangaben

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