Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

prophetischer gehorsam titelCopyright © - pixabay

Der prophetische Gehorsam ist uns vorgelebt worden von Jesus Christus, dessen erster Titel ja Prophet war.

«Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden» (Lk 7,16), sagten die Leute.

Das Verständnis der Persönlichkeit Jesu hat sich vertieft, es hat sich erweitert, man hat nach und nach besser verstanden, wer er wirklich ist.

Aber das erste Verständnis verliert seine Gültigkeit nicht: «Ein großer Prophet ist unter uns aufgestanden.»

Und was macht dieser große Prophet? Was jeder Prophet tun muss: er horcht, er ist wirklich gehorsam, er horcht auf jedes Wort, das aus dem Munde Gottes kommt, und ermutigt und ermächtigt seine Hörer, auch zu horchen.

Der tiefste Grund, warum man nicht dabei geblieben ist, Jesus Prophet zu nennen, ist, dass er sich in einem Punkt so auffallend von den Propheten unterscheidet:

Ein Prophet sagt typisch: «So spricht Gott, der Herr.»

Hinter dem Propheten steht die Autorität Gottes. Was steht hinter der Autorität Jesu? Freilich auch die Autorität Gottes, aber Jesus pocht nicht auf eine Autorität, die hinter ihm steht, sondern Jesus fordert die göttliche Autorität in den Herzen derer, die vor ihm stehen, heraus.

Er sagt nicht «So spricht Gott, der Herr», sondern er fragt: «Wer von euch weiß das nicht schon?»

Die Gleichnisse, in denen das Wort Jesu uns noch am lebendigsten erhalten und zugänglich ist, beginnen typisch mit: «Wer von euch weiß denn das nicht schon?» Und sie legen den Schluss nahe: «Ihr wisst es doch alle, ja dann handelt doch danach!»

So ermächtigt Jesus seine Hörer, und darum sagen sie:

«Dieser Mann spricht mit Autorität, nicht wie unsere Autoritäten» (Mk 1,21).

Denn die Autoritäten, die nicht mit Autorität sprechen, müssen ja die Hörer entmächtigen, um sich oben zu halten.

Jesus aber kann es sich leisten, seine Hörer zu ermächtigen, weil er sich auf die wahre, die göttliche Autorität in ihren Herzen beruft.

Demgemäß ist der letzte Akt seines Lebens, sein letztes Tun bevor er nur passiv wird, die Fußwaschung. Die Fußwaschung stellt eine völlige Umkehrung des herkömmlichen Verständnisses von Autorität dar.

Und er sagt dazu etwas, was man so wiedergeben könnte:

«Die weltlichen Autoritäten entmächtigen die, die unter ihrer Autorität stehen. Mit euch soll es umgekehrt sein: Der Größte unter euch soll der Diener aller sein» (Lk 22,25f.).

Diener besonders in dem Sinn, sie zu ermächtigen, zu ermündigen, ihnen Mut zu machen.

Auf diesen prophetischen Gehorsam zielt die Nachfolge Christi ab.

Der prophetische Gehorsam hält fest an der Zugehörigkeit, legt aber auch Zeugnis ab für die Autorität des Heiligen Geistes.

Eines von beiden wäre schon schwer genug, aber beides ist uns aufgegeben. Die Spannung zwischen der Treue zur Gemeinschaft und der Treue zur Autorität Gottes auszuhalten, erfordert soviel Mut, dass die Versuchung des Propheten immer groß ist, diese Spannung brechen zu lassen.

Die Versuchung fängt schon damit an, reden zu wollen, bevor man wirklich hingehört hat.

Reden im Sinne von: Denen zeige ich es jetzt einmal; jetzt habe ich schon so eine Wut, jetzt sage ich es ihnen einmal. Das ist nicht prophetisch, da sind wir noch nicht einmal im Vorhof vom Bereich des Prophetischen.

Eine viel ernstere Versuchung des Propheten ist es, Zugehörigkeit zu wählen auf Kosten des Zeugnisses. Etwa: Ich höre, was hier gesagt und getan werden sollte, aber mir ist die Geborgenheit in der Gemeinschaft zu viel wert. Ich will es mir mit den anderen nicht verderben. So tauche ich schweigend in der Gemeinschaft unter.

Oder das Gegenteil: Zeugnis ablegen, aber von außen; nicht mehr als Mitglied der Gemeinschaft, sondern als Kritiker. Das wäre Zeugenschaft auf Kosten der Zugehörigkeit. Dann bin ich nicht mehr Prophet, dann bin ich Kritiker von außen her.

Die schwerste Versuchung für uns alle ‒ wir sind ja alle in unserer Taufe zu Propheten gesalbt worden ‒, die schwerste Versuchung ist diese: Ja, wir horchen hin; ja, wir haben den Mut anzuklagen, wo es sein muss, aber wir sagen es so, dass es nicht ankommen kann. Denn wir wollen im Grunde gar nicht, dass es ankommt. Wir wollen nur dieses gute Gefühl: Jetzt hab' ich's ihnen gesagt, aber getan haben sie es ja doch nicht. Ich habe mich meiner Bürde entledigt, und da sieht man jetzt, dass ich der Gute bin, und die anderen haben ja gar nicht zugehört, oder sie wollten ja gar nicht.

Wenn der prophetische Gehorsam wirklich aus dem Heiligen Geist kommt, dann kommt er aus jener tiefsten Zugehörigkeit, in der wir alle miteinander verbunden sind, in der es gar nicht uns und die anderen, oder mich und die anderen gibt. Auf dieser tiefsten Ebene gehören wir alle zusammen. Jedes Problem, auch jedes Autoritätsproblem, ist unser gemeinsames Problem und jedes Zugehörigkeitsproblem auch. Die Widersprüche in sich selber auszutragen, eben darin besteht das Kreuz des Propheten.

Wer in dieser Art von Welt, in der wir leben, das Prophetenamt eines Christen ernst nimmt, der wird am Kreuz enden, ob das Kreuz nun so aussieht oder anders; es wird ein Kreuz sein, das wir selber erkennen können.

Im Wesen des prophetischen Gehorsams liegt das Kreuz.

Sein aufrechter Balken ist unser Drinstehen in der Gemeinschaft. Zugehörigkeit verwirklicht sich ja hier, wo ich hingestellt wurde. Nur so wird die Liebe Nächstenliebe sein, sonst wäre sie ja Fernstenliebe. Hier stehe ich, hier muss ich bleiben, hier ist, meine Zugehörigkeit. Das ist der Balken des Kreuzes, der eingepflanzt ist in die Erde.

Und der zweite Balken, der Querbalken, ist das Zeugnis. Zeugnis für die maßgebliche Autorität Gottes, die uns immer ein Maß gibt, das alle unsere Maße übersteigt und übertrifft und sprengt.

Das Zeichen des Kreuzes ist das Zeichen des Widerspruches, aber auch das Zeichen des Aufwachsens, des Übersichhinauswachsens, des Auferstehens.

[«Vom Rhythmus des Lebens»: Eröffnungsvortrag der Tagung Aufwachsen in Widersprüchen (1989) (43:29-51:28); der obige Text ist der Transkription des Vortrags entnommen, abgedruckt im Buch Aufwachsen in Widersprüchen (1990), 21f.]

[Ergänzend:

1. Arbeit und Schweigen, Beitrag von Bruder David im Buch Geist und Natur (1989), 298; siehe auch Reich Gottes ‒ ‹gekreuzigt: Ergänzend: 2.:

«Das Ideal des Gehorsams ist nicht die Marionette, die sich bewegt, wenn jemand die richtigen Schnüre zieht. Das Ideal des Gehorsams ist der prophetische Gehorsam, das heißt, ein Gehorsam, der so tief horcht, dass er etwas hört, was die vorherrschende Meinung nicht hören will, und nicht umhin kann, es klar herauszusagen.

So wie der Prophet Jeremias, der es ja gar nicht sagen will. Er schreit:

‹Ich will meinen Mund verschließen, weil es mich in solche Unannehmlichkeiten bringt, aber es verbrennt mich von innen. Ich kann nicht anders, es stößt mir von innen den Mund auf› (Jer 20.9).

Wenn wir sagen, denen geb ich es jetzt einmal, ich weiß schon, was Gott von denen will, dann sind wir höchstwahrscheinlich nicht gerade prophetisch. Wenn wir uns winden und wenden, aber nicht umhin können, es doch zu sagen, dann besteht eine gewisse Möglichkeit, Prophetisches zu äußern.

Aber es gehört noch etwas dazu. Das freie und tapfere Aussprechen genügt nicht, obwohl das schon schwer genug ist.

Wenn wir es jetzt sagen und dann schnell hinausgehen, schnell verschwinden, dann sind wir nur noch Kritiker von außen, aber der Prophet ist kein Kritiker von außen. Der Prophet steht drinnen, mitten in der Gemeinschaft.

‹Kein Prophet kann außerhalb Jerusalems sterben› (Lk 13,33),

sagt Jesus, das heißt, er muss dort sein, wo es ums Wesentliche geht.

So müssen auch wir mitten drinstehen. Dieses Drinstehen in einer Gemeinschaft ist so schwierig, dass man glauben sollte, es genüge schon. Drinnen zu bleiben, ohne sich bemerkbar zu machen, ist schwer genug.

Darin, dass beides von uns verlangt wird, in der Gemeinschaft zu stehen  u n d  sie zugleich herausfordern, da liegt das Kreuz des Propheten.

Das Drinnenstehen ist der senkrechte Balken und das Herausfordern ist der horizontale Balken. So endet jeder Prophet früher oder später am Kreuz.

Versuchen Sie nur einmal bei irgendeiner Gelegenheit, wirklich aus dem tiefsten inneren Horchen, aus dem Herzen zu sprechen, besonders dann, wenn sich das, was Sie sagen wollen, mit der vorherrschenden Meinung nicht ganz verträgt. Sie werden auf die eine oder die andere Weise gekreuzigt werden.»

2. Mystik als Grenze der Bewusstseinsevolution (1988), 182f.:

«Ein Bild, das ich manchmal verwendet habe, um die Beziehung zwischen der mystischen Erfahrung und der religiösen Tradition zu veranschaulichen, ist das eines Vulkanausbruchs.

Da ist das heiße Magma, das aus den Tiefen der Erde emporschießt und dann an den Seiten des Vulkans herabfließt. Je länger es fließt, desto mehr kühlt es sich ab, und je mehr es sich abkühlt, desto weniger erinnert es an den ursprünglichen feurigen Zustand. Am Fuße des Berges finden wir dann lediglich übereinandergelagerte Felsschichten. Niemand würde denken, dass diese einst weißglühend waren.

Da kommt nun aber der Mystiker. Er bohrt ein Loch durch die übereinandergelagerten Felsschichten, bis das Feuer, das ursprüngliche Feuer, wieder emporschießt.[1]

Da jeder von uns ein Mystiker ist, besteht darin unsere Aufgabe.

Doch sobald wir zu dieser Verantwortung gereift sind, prallen wir unweigerlich mit der Institution zusammen.

Die Frage lautet: ‹Besitzen wir die Gnade, die Stärke und den Mut, unsere prophetische Aufgabe auf uns zu nehmen›?

Sie sehen, der Mystiker ist auch ein Prophet, und die Stellung des Propheten wird durch zweierlei geprägt. Das Prophetentum erfordert doppelten Mut, nämlich den Mut, zu verkünden, und den Mut, zu bleiben.

Man braucht schon eine ganze Menge Mut, um etwas zu verkünden, nicht unbedingt mit Worten. Häufig ist ein stummer Zeuge ein viel besserer Zeuge.

Der Prophet verkündet mit Worten oder durch Schweigen.

Es ist schwierig genug, etwas zu verkünden und sich dann so schnell wie möglich davon zu machen, seine Sache zu sagen und wegzulaufen.

Doch die zweite Seite des Prophetentums besteht darin zu bleiben, in der Gemeinschaft zu bleiben, gegen die es seine Worte richten muss.

Es genügt aber nicht, zu bleiben und sich unauffällig zu verhalten, sich zu verstecken. Das ist nicht im Sinne des Prophetentums.

Von uns wird das Schwierigste verlangt: Zu bleiben  u n d  zu verkünden.

Es wäre ein Leichtes, zu bleiben, wenn wir verschwinden könnten.

Es wäre ein Leichtes zu verkünden, wenn wir weglaufen könnten.

Dann wären Sie aber kein Prophet mehr, sondern lediglich ein außenstehender Kritiker.

Dazu sind viele müde Propheten geworden. Solange sie Propheten innerhalb der Gemeinschaft waren, hatten sie Macht und Einfluss, sie waren in der Lage, Dinge zu ändern. Dann aber, außerhalb der Gemeinschaft, sagten sie zwar dieselben Dinge, aber es kümmerte sich überhaupt niemand mehr darum.

Zu bleiben  u n d  zu verkünden bedeutet gekreuzigt zu werden.

Zufällig passt das Kreuz sehr gut zur christlichen Tradition, doch das Kreuz des Propheten erscheint in jeder Tradition.»

3. Zum prophetischen Gehorsam in Kirche und Religion siehe den letzten Abschnitt in Mystik als Grenze der Bewusstseinsevolution (1988), 193f., und in Kreuz und Auferstehung:

«Und so haben Sie immer wieder die christusähnlichen Figuren in der Kirche, die in dieselben Schwierigkeiten geraten, die Jesus mit seinen religiösen Autoritäten bekam.»

4. Audios

4.1. Fülle und Nichts (1996):
(03:45) Der prophetische Gehorsam / (04:35) Die Krux des prophetischen Gehorsams: Sagen, was gesagt werden muss und dennoch in der Gemeinschaft bleiben / (05:33) Reden trotz inneren Widerständen, und so, dass es verstanden wird / (06:36) Résumé

4.2. Festival «Die Kraft der Visionen» (1991)
Highlights aus dem Gespräch von 4.1 mit Lama Sogyal Rinpoche in 9 Themen zusammengestellt:
Wie Jesus die Auffassung von Autorität revolutioniert]

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[1] Aufwachsen in Widersprüchen (1989)
Dialog mit David Steindl-Rast
Teil 3:
(23:38) Beispiele neuer Lebendigkeit im Bild eines Vulkanausbruchs und Risse in der Lava



Quellenangaben

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