Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

unglueck titelCopyright © - Barbara Krähmer

Wie oft haben wir nicht schon erlebt, dass das Schicksal uns etwas Ersehntes vorenthält? Wer ist es aber, der uns Schicksal schickt?

Weil wir gläubig vertrauen, dass das göttliche Geheimnis Quelle und Ursprung unseres Lebens und so auch unseres Schicksals ist, schreiben wir Gott auch dieses Vorenthalten zu und nennen Gott den VERWEIGERNDEN.

Wie oft haben wir aber im Nachhinein dann sehen können, wie gut es für uns war, dass uns verweigert wurde, was wir uns erhofften und worum wir beteten.

Wir sind doch auch unseren Eltern nicht nur für das uns Gewährte dankbar, sondern ebenso für alles, was sie uns aus besserer Einsicht verweigerten. Erst als reife Menschen können wir so recht würdigen, was wir unseren Eltern durch ihr Verweigern verdanken. Es schwingt also Dankbarkeit mit, wenn wir Gott den VERWEIGERNDEN nennen.

Denk an einen großen Wunsch, der dir nicht in Erfüllung ging. Es ist nicht zu spät, dem VERWEIGERNDEN dafür zu danken. Vielleicht willst du das heute tun und dabei die innere Freiheit verspüren, die dir dieses Danken für Verweigertes gibt.[1]

Die Lehrerin fragt ein Schulkind: «Wozu brauchst du deinen Verstand?» «Um Geheimnisse zu bewahren», antwortet das Mädchen ohne zu zögern. Für sie bedeutet «Verstand» offenbar mehr als Vernunft, sie meint damit ihr ganzes Innenleben. Darum ist ihre Antwort so treffend. Unser Inneres wird uns als ein Bereich bewusst, der jeden Zugriff von außen zurückzuweisen vermag. Dieses geheimnisvolle, die innerste Würde behütende Zurückweisen gehört auch zu unseren innigsten persönlichen Beziehungen, ja, ganz besonders zu ihnen, und aus dieser Erfahrung erklärt sich wohl auch «der ZURÜCKWEISENDE» als Name für unser göttliches Du.

«Es tauchten tausend Theologen
in deines Namens alte Nacht ...»
[2]

Aber kein Name kann die Dunkelheit des Unergründlichen über die Grenze dieser Zurückweisung hinweg aufhellen.

Auch Nikolaus Lenau verwendet für die Unergründlichkeit des ZURÜCKWEISENDEN das Bild der Nacht, wenn er betet:

«Weil’ auf mir, du dunkles Auge,
übe deine ganze Macht,
ernste, milde, träumerische,
unergründlich süße Nacht!»
[3]

Süß, nicht erschreckend, dürfen wir uns die Nacht des ZURÜCKWEISENDEN vorstellen, weil sie ja letztlich jene Unergründlichkeit ist, die zur Vertrauensschulung in jeder Liebesbeziehung gehört.

Diese Erfahrung, Vertrauen auf Unergründlichkeit, macht es uns dann auch leichter, im täglichen Leben damit umzugehen, dass der ZURÜCKWEISENDE oft zu unseren Wünschen Nein sagt.

Wir dürfen ja nicht vergessen, dass unser tägliches Leben nichts Anderes ist, als immer wieder neue Gelegenheit zur Begegnung mit dem namenlosen Geheimnis, das hinter allen Gottesnamen steht.

«Kein Schicksal, keine Absage, keine Not ist einfach aussichtslos»,

schreibt Rilke: «Irgendwo kann das härteste Gestrüpp es zu Blättern bringen, zu einer Blüte, zu einer Frucht. Und irgendwo in Gottes äußerster Vorsehung wird auch schon ein Insekt sein, das aus dieser Blüte Reichtum trägt ...»[4]

Im Vertrauen auf den ZURÜCKWEISENDEN dürfen wir selber wohl jene Bienen sein, die auch aus den Blüten von Absage und Verweigerung Süßes saugen.

Was scheint dir das Leben zu verweigern? Kannst du, zum ZURÜCKWEISENDEN aufschauend, Honig des Vertrauens daraus machen? [5]

Wie können wir Gott den SCHADEN ZUFÜGENDEN nennen? Nur im tiefsten Vertrauen darauf, dass auch alles, was uns schadet, Geschenk der Liebe ist. Bei diesem radikalen Lebensvertrauen geht es um jene Haltung völligen Eins-Seins ‒ mit sich selbst und mit dem unergründlichen Geheimnis ‒, die uns in T. S. Eliots Worten «nicht weniger kostet als alles».[6]

Viele sagen «Ich habe an Gott geglaubt, bis mir das und das zugestoßen ist. Seitdem kann ich nicht mehr an Gott glauben.»

Da hat etwas zum Zusammenbruch des Glaubens geführt, was eigentlich Anstoß zur radikalen Verwirklichung gläubigen Vertrauens hätte werden können.

Wir können nicht sicher im Voraus wissen, ob unser Glaube an einem überaus schmerzlichen Anstoß scheitern oder erst so recht beginnen wird. Aber wir können uns darauf vorbereiten!

So wie wir durch unsere Erwägungen der Unergründlichkeit des Verweigernden vertrauen lernten, so können wir verstehen lernen, dass auch der SCHADEN ZUFÜGENDE ein Gottesname sein kann.

Leichter fällt uns das, wenn wir von uns selbst absehen und aufs Ganze schauen.

Denn nur in Teilbereichen können wir von Schaden und Nutzen sprechen. wenn wir aber aufs Ganze schauen, sind beide, Schaden wie Nutzen, Gewinn, nämlich Gewinn an Sein.

Unser Herz in einem großen Entschluss für die Fülle des Seins aufzuschließen, kostet uns aber, wie schon gesagt, «nicht weniger als alles».

Auch hier gilt: Schaue aufs Ganze ‒ und du wirst das Ganze rühmen.

«Meide den Irrtum, dass es Entbehrungen gebe
für den geschehnen Entschluss, diesen: zu sein!
Seidener Faden, kamst du hinein ins Gewebe.

Welchem der Bilder du auch im Innern geeint bist
(sei es selbst ein Moment aus dem Leben der Pein),
fühl, dass der ganze, der rühmliche Teppich gemeint ist.»
[7]

Wo fordert der SCHADEN ZUFÜGENDE dich am meisten heraus? Nimm das als Anstoß, dich zu äußerstem Vertrauen zu entschließen. Dieser Entschluss entscheidet zwischen einem verbitterten und einem erfüllten Leben.[8]

Ergänzend:

1. Text, Filme und Audios in Lebensvertrauen

2. Weitere Audios

2.1. Audio Fragen, denen wir uns stellen müssen (2016)
Tag 1 ‒ Vormittag:
Drei Grundfragen Warum? Was? Wie? (Bruder David):
(32:10) Unsere Aufgabe: ‹Rühmen, das ists› (Rilke: Sonette an Orpheus ‒ ‹Ich geh doch immer auf dich zu› (Rilke: ‹Du wirst nur durch die Tat erfasst›) ‒ Kann man denn alles rühmen? ‹Schau auf das Ganze, rühme das Ganze› (Augustinus) ‒ ‹Zwischen den Schlägen besteht unser Herz› (Rilke: Die Neunte Elegie) ‒ Die Dunkelheit, der Schatten des Geheimnisses und unser eigener Schatten gehören zum Ganzen dazu ‒ ‹Du
Dunkelheit aus der ich stamme› (Rilke: Das Stunden-Buch)
(37:37) Das Böse, das noch nicht Vollendete ‒ Und so gehen wir aus dem Schweigen in das Wort und durch das Verstehen wieder ins Schweigen zurück auf einer andern Ebene ‒ In der liebenden Dunkelheit sind wir versöhnt mit dem Schweigen
(58:30) Gibt es falsche Antworten? Mit Situationen umgehen, in denen wir versagten oder die Gelegenheit versäumten: Sich erinnern, den Fehler eingestehen, aber keine Energie verschwenden mit
Schuldgefühlen

2.2. Wähle das Leben (5 Mose 30,19) (1992)
Gespräch Teil 2 in folgende Themen zusammengefasst:
(04:38) Gottvertrauen in gedrückter Stimmung / (07:24) Traurigkeit und Zorn – eine Form unserer Lebendigkeit

3. Texte

3.1. Gottesnamen, die ein Echo auslösen (2019): Interview von Bruder David mit Susanne Huber; siehe auch Buchpräsentation «99 Namen Gottes» im Europakloster Gut Aich (2019):

«Wie ist es Ihnen dabei ergangen, sich mit den vielen Facetten der unterschiedlichen Gottesnamen im Islam auseinanderzusetzen?»

«Viele Namen sind ja die selben wie bei uns Christen – ‹der Schöpfer› oder ‹der Erlöser›. Manche sind für uns aber ein bisschen irreführend, wie ‹der Zurückweisende›, oder ‹der Verweigernde›. Diese Namen würde man zunächst negativ auffassen. Letztlich kommt es aber darauf an, was wir als Menschen erleben, wenn wir sie in Bezug auf das große Geheimnis, mit dem wir alle konfrontiert sind, hören. Wenn uns das gelingt, dann haben wir eine Brücke gebaut – nicht von Muslimen zu Christen irgendwo oben, sondern tief unten, wo wir als Menschen eins sind. Ich habe mich bemüht, die Namen dorthin zu bringen, wo sie auf den Menschen vibrieren und ein Echo auslösen könnten.»

«Meinen Sie mit Lebensvertrauen auch Gottvertrauen?»

«Das ist ein und dasselbe. Heute ist es fast besser Lebensvertrauen zu sagen, weil so viele Menschen etwas Falsches unter Gott verstehen oder das Wort gar nicht verwenden wollen. Vertrauen ins Leben ist das Gegenteil von Furcht. Wir leben in einer Gesellschaft, die von Furcht getrieben ist. Angst ist etwas anderes, sie ist im Leben unvermeidlich. Man kann in Angst sein und sich trotzdem nicht fürchten.»

3.2. Im Buch Die Achtsamkeit des Herzens (2021): Mit dem Herzen horchen, 16f.; siehe auch Sinne und Sinnlichkeit im Buch Das spirituelle Lesebuch (1996), 264; Die schönsten Texte von David Steindl-Rast (2010): Unglück, 140; Horchen und Gehorchen:

«Auch ein Unglück, das mich trifft, ist Wort Gottes. Ein junger Mann, der für mich arbeitet und mir so lieb und teuer ist wie mein eigener Bruder, hat einen Unfall, bei dem Glassplitter in seine Augen dringen. lm Krankenhaus liegt er mit verbundenen Augen. Was sagt Gott dadurch? Zusammen tasten wir uns vor, kämpfen, lauschen, bemühen uns zu hören. Ist auch dies ein lebensspendendes Wort? Wenn wir in einer gegebenen Situation keinen Sinn mehr sehen können, haben wir den entscheidenden Punkt erreicht. Jetzt wird unser gläubiges Vertrauen gefordert.

Einsicht kommt, wenn wir es ernst nehmen, dass uns jeder Augenblick vor eine gegebene Wirklichkeit stellt. Ist sie aber gegeben, so ist sie auch Gabe. Als Gabe aber verlangt sie Dankbarkeit. Echte Dankbarkeit schaut jedoch nicht vornehmlich auf das Geschenk, um es gebührend zu würdigen, sondern sie schaut auf den Geber und bringt Vertrauen zum Ausdruck. Beherztes Vertrauen auf den Geber aller Gaben ist Glaube. Danken zu lernen, selbst wenn uns die Güte des Gebens nicht offenbar ist, heißt den Weg zum Herzensfrieden finden. Denn nicht Glücklichsein macht uns dankbar, sondern Dankbarsein macht uns glücklich.»]

_______________

[1] 99 Namen Gottes (2019): 20 al-Qābiḍ: der VERWEIGERNDE, der Gaben nach Seinem Ermessen zurückhält, 46f.

[2] R. M. Rilke: Das Stunden-Buch

[3] Nikolaus Lenau: ‹Bitte›

[4] R. M. Rilke: Brief an Annette de Vries-Hummes (München, 25. August 1915)

[5] 99 Namen Gottes (2019): 90 al-Māniʿ: der ZURÜCKWEISENDE, der Hindernde, 186f.

[6] R. M. Rilke: Four Quartets: Little Gidding, V: Schlussverse, übersetzt von Norbert Hummel (2015):

«Quick now, here, now, always ‒
A condition of complete simplicity
(Costing not less than everything)
And all shall be well
When the tongues of flame are in-folded
Into the crowned knot of fire
And the fire and the rose are one.»

«Rasch jetzt, hier, jetzt, immer ‒
Ein Zustand völliger Einfachheit
(Kostet nicht weniger als alles)
Und alles wird gut und
Jede Art Ding wird bald gut sein
Wenn die Flammenzungen sich zusammenfalten
Im gekrönten Feuerknoten
Sind das Feuer und die Rose eins.»

[7] R. M. Rilke: Sonette an Orpheus 2. Teil, XXI

[8] 99 Namen Gottes (2019): 91 aḍ-Ḍārr: der SCHADEN ZUFÜGENDE, 188f.



Quellenangaben

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