Text von Br. David Steindl-Rast OSB

sinnlichkeitCopyright © - Barbara Krähmer

Sinnlichkeit ist leider nicht gut angeschrieben bei manchen, die sich dabei noch besonders christlich vorkommen. Jesus Christus würde sich allerdings nicht recht wohl fühlen mit einer so verstandenen Christlichkeit. Er selbst war so sinnenfreudig, dass seine Gegner ihn einen «Fresser und Weinsäufer» nannten (Matthäus 2,19). Die so urteilten, kamen sich schon damals besonders religiös vor in ihrer Eingeengtheit. Seine Freunde aber erlebten in der Begegnung mit ihm ganz sinnfällig die befreiende Weite von Gottes Gegenwart. Im Leuchten seiner Augen sahen sie Gottes Herrlichkeit. Im Klang seiner Stimme wurde Gottes Wort für sie laut. Wenn er sie anrührte, dann wurde der Gottesbegriff handgreifliche Wirklichkeit. Und von da ist es nur ein kleiner Schritt zur Erkenntnis, dass alles, was unsere Sinne wahrnehmen, Gottesoffenbarung sein will. Das hat unser hellhöriges Herz ja schon immer geahnt.

Gesunder Menschenverstand sagt uns ja schon, dass nichts in unserem Verstand zu finden sei, was nicht zuerst durch die Sinne Eingang fand. Alle unsere Begriffe sind im Begreifen verwurzelt. Wer sich an diesen Wurzeln nicht die Hände beschmutzen will, dessen säuberliche Begrifflichkeit wird bald entwurzelt vertrocknen. Von Übersinnlichkeit ist nur ein kleiner Schritt zur Widersinnlichkeit. Das Unsinnliche wird leicht zum Unsinn. Einem Leben aber, das im Sinnlichen verwurzelt ist, ohne darin verstrickt zu sein, wird daraus immer frischer Sinn erwachsen und immer neue Lebensfreude. Bleibende Freude überdauert freilich die verwelklichen Sinne. Sie übersteigt und übertrifft das Nur-Sinnliche. Nie aber ist echte Lebensfreude dem Sinnlichen entfremdet, so weit sie auch darüber hinauswächst.

Entfremdung von den Sinnen widerspricht so völlig echter Menschlichkeit und echter Christlichkeit, dass wir uns wundern müssen, wie wir uns je da hinein verirren könnten. Die Möglichkeit für eine solche Verirrung ist aber in unserem menschlichen Grundbewusstsein vorgegeben. Dieses ist nämlich zweifach. Einerseits erleben wir uns selbst als leiblich. Wir schauen in den Spiegel und sagen: «Das bin ich.» Andererseits sagen wir aber: «Ich habe einen Körper», weil unser Selbst doch irgendwie über das rein Körperliche, das wir im Spiegel sehen, hinausgeht. Der Geschmack von Walderdbeeren, unsere Zahnschmerzen, oder das Wohlbefinden nach dem Bad, das sind offenbar körperliche Erfahrungen. Von Reue, Heimweh oder heiliger Scheu können wir das nicht mit derselben Überzeugung behaupten. Weil also sowohl Sinnliches wie Übersinnliches zu unserem Erleben gehört, besteht die Gefahr, das wirklich Menschliche ausschließlich in einem dieser beiden Bereiche zu suchen. Aber wir Menschen sind Überbrücker. Unsere große Aufgabe ist es, zwischen den beiden Bereichen menschlichen Bewusstseins keinen Zwiespalt aufkommen zu lassen. Ein Mensch, der das Übersinnliche nicht anerkennt und pflegt, sinkt tief unter das Tier. Wer aber das Sinnliche vernachlässigt oder verleugnet, kann sich gerade deshalb nicht darüber erheben. [ST 121f., Quelle: AH 1-2) 33-36; 3-5) 32-34]



Quellenangaben

logo bibliothek

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.