Text und Audio von Br. David Steindl-Rast OSB

hoffnung titelCopyright © - Georg Stahl

In jenen Augenblicken, in denen wir wirklich lebendig sind, erfahren wir das Leben als Geschenk. Auch als Überraschung erfahren wir das Leben.

Glaube ist die dankbare Antwort des Herzens auf das Leben als Geschenk.

Die Herzensantwort auf das Leben als Überraschung ist, wie wir noch sehen werden, die Hoffnung.

Je mehr wir uns der Einsicht öffnen, dass das Leben Geschenk ist, desto mehr wird aus unserem Leben ein Leben des Glaubens, ein Leben gläubigen Vertrauens  in den Geber. Natürlich ist der Glaube selbst Geschenk: Die Treue Gottes schenkt uns Vertrauen als unsere eigene gläubige Antwort. Wir dürfen also den Glauben als Gottes eigenes Leben in uns selbst verstehen.

Hoffnung ist ein weiterer Aspekt derselben Lebensfülle. Je tiefer die Einsicht, dass unser Leben überraschend ist, desto mehr wird es ein Leben voller Hoffnung sein, ein Leben voller Offenheit für das Überraschende.

Überraschung ist aber ein Name Gottes.

Tatsächlich ist Überraschung vielleicht der einzige Name, mit dem wir es wagen dürfen, den Namenlosen zu benennen. Zwar gelingt es auch dem Namen Überraschung nicht, Gott zu benennen. Indem wir ihn aussprechen, gelingt es uns aber zumindest, unser Herz für die Erkenntnis offen zu halten, dass Gott mit keinem Namen eingefangen werden kann. Und das macht gerade aus unserer Unzulänglichkeit einen Erfolg. Hier stehen wir schon mitten im Paradox der Hoffnung.

Wir dürfen auch die Hoffnung als Gottes eigenes Leben in uns selbst verstehen. Wenn Glaube das Vertrauen in den Geber aller Gaben  ist (ein leicht erkennbarer Name Gottes), dann ist Hoffnung die Offenheit für Überraschung. Die größte Überraschung ist es aber, Gott in uns selbst zu begegnen. [FN 1) 107; 2-5) 109; 6) 109f.]

(Video-Film gelesen von Bettina Buchholz): Bevor unsere Hoffnung geläutert war, erwarteten wir das Beste, oder zumindest das Zweit- oder Drittbeste. Reine Hoffnung aber erwartet die Überraschung, dass selbst das Schlechteste, sollte es zutreffen, das Beste ist. Und reine, dankbare Hoffnung wird in dieser Erwartung niemals enttäuscht.

Die Standhaftigkeit der Hoffnung ist tief im Herzen verankert.

Wenn aus dem Herzen leben dankbar und gläubig leben heißt, dann bedeutet das zugleich voller Hoffnung leben.

Von daher gibt die Hoffnung unserem Einsatz für die großen Anliegen der heutigen Welt die nötige Kraft. [FN 1) 123; 2-5) 125f.; 6) 125f.]

Vielleicht könnten wir unsere Hoffnung einem einfachen Test unterziehen. Er ist nicht narrensicher. Auch ist er nicht sehr präzise. Aber vielleicht bietet er uns einen Anhaltspunkt.

Vielleicht probierst du ihn zuerst an einem deiner Lieblingsprojekte aus.

Schreibe die verschiedenen Hoffnungen auf, die du im Zusammenhang mit jenem ganz bestimmten Projekt hast. Das ist der erste Schritt.

Als nächstes stelle dir lebendig vor, dass deine Hoffnungen, eine nach der anderen zuschanden würden.

Kannst du den Grad der Verzweiflung spüren, zu dem dich diese Möglichkeiten verführen könnten?

Die Hoffnung, die bleibt, nachdem alle deine Hoffnungen zuschanden wurden ‒ das ist reine Hoffnung, die im Herzen wurzelt.

Wir haben hier eine wichtige Unterscheidung gemacht zwischen Hoffnung und Hoffnungen.

Ein Mensch der Hoffnung ist reich an Hoffnungen.

Aber diese Hoffnungen sagen uns nicht, ob dieser Mensch auch die Tugend der Hoffnung hat.

Erst wenn alle Hoffnungen zerbrechen, zeigt es sich. Dann wird ein Mensch von Hoffnungen mit ihnen zerbrechen.

Ein Mensch der Hoffnung jedoch hat meist schon ein neues Feld voll blühender Hoffnungen, kaum dass sich der Sturm gelegt hat.

Unsere kleinen Hoffnungen wirken auf den ersten Blick harmlos genug.

Vielleicht wirken sie sogar altruistisch: Wird nicht alles im besten Interesse jener getan, denen wir helfen möchten?

Früher oder später aber entdecken wir, dass jene anderen nicht unbedingt die Hoffnungen teilen, die wir für sie haben. Arme Geschöpfe, sie wissen nicht, was gut für sie ist!

Es scheint nun einmal in der menschlichen Natur zu liegen, dass wir unsere Hoffnungen oft energischer verfolgen, als es jenen gefällt, für die wir so hohe Hoffnungen hegen.

Eltern haben manchmal mit ihren eigenen Hoffnungen ihre Kinder zwangsbeglückt und so deren Leben ruiniert. Eheleute ruinieren so einander das Leben aufgrund der besten Hoffnungen, die sie jeweils füreinander hegen.

Ganze Nationen, unsere eigene nicht ausgenommen, haben Hunderttausende hingemetzelt, verstümmelt und verbrannt im Bestreben, anderen Völkern unsere eigenen Hoffnungen aufzuzwingen.

Reine Hoffnung ist so fest in unserem Herzensgrund verankert, dass sie es sich leisten kann, ihre eigenen Hoffnungen leicht zu nehmen.

Das ist die Art und Weise, in der eine Mutter ihre Kinder hält, mit Leichtigkeit, ganz gleich wie fest sie sie hält ‒ immer bereit, sie loszulassen, auf dass sie wachsen können, ohne sie jedoch jemals fallen zu lassen.

So bemuttert Hoffnung ihre Hoffnungen. Und das liebste Kind der Hoffnung ist der Friede. [FN 1) 124f.; 2-5) 126-128; 6) 126-128]

Mutter und Kind ‒ das ist das Bild, das Habsucht, Angst und Gleichgültigkeit herausfordert.

Überall auf der Welt sind es die Mütter, die nähren; sie haben Mut, sie umsorgen.

Es sind die Mütter der Welt, die uns auffordern durch die Hoffnung «die Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes» (Römer 8,21) in die Welt zu setzen.

Vielleicht beginnt alles mit einer Veränderung unserer inneren Haltung, einer Verlagerung des Schwergewichts von Hoffnungen auf Hoffnung.

Vielleicht müssen wir zuerst mütterlicher werden.

Das würde bedeuten, die überwältigende Größe der Aufgabe anzuerkennen und dann jenen kleinen Teil zu finden, dem wir uns selber mit der Hingabe einer Mutter zu widmen vermögen.

Durch die Augen der Hoffnung gesehen, ist unsere alternde Zeit hochschwanger mit Neuem.

Dass die Zeit uns zu knapp wird, kündigen Geburtswehen an, durch die das strahlende Kinder der Hoffnung geboren wird, wenn die Zeit sich erfüllt.

Wie eine Mutter, die ihr Kind mit dem hoffnungsvollen Blick des Herzens betrachtet und genau das tut, was hier und jetzt nötig ist, verbindet die Wachheit der Hoffnung Schau und Tat.

Hoffnungsvolles Handeln entspringt der Schau jener Gottesherrlichkeit, die in unserem Innen schon aufstrahlt.

Ist das nicht die Art und Weise, in der Menschen wie Papst Johannes XXIIII, Dorothy Day, Martin Luther Kind und Mutter Teresa das ausstrahlen, was sie, die guter Hoffnung sind, bereits in sich tragen?

Dies ist es, was ihnen Kraft gibt.

«In Stillesein und hoffendem Vertrauen liegt eure Kraft» (Jesaja 30,15). [FN 1) 126f.; 2-5) 129f.; 6) 129f.]

Hoffnung tut einfach das, was sie tun muss, wie die Spinne in der Ecke meines Bücherregals.

Sie wird wieder und wieder ein neues Netz spinnen, wann immer ich das alte mit meinem Staubwedel weggefegt habe ‒ ohne sich selbst zu bedauern, ohne sich selbst zu beglückwünschen, ohne Erwartungen und ohne Angst.

Wenn ich das mit meinem menschlichen Bewusstsein zustande brächte, ja, das wäre Hoffnung!

Mich würde es mehr kosten.

Auf meiner Ebene steht mehr auf dem Spiel.

Aber ich verbeuge mich tief vor der Spinne.
[FN 1) 117; 2-5) 119; 6) 119]

[Ergänzend:

Text

Der Beitrag von Briuder David Steindl-Rast: Offenheit für Überraschung im Buch: Was Menschen bewegt (2019) enthält Ausschnitte aus dem ersten Drittel des Kapitels «Hoffnung: Offenheit für Überraschung» in FN 1) 107-116; 2-5) 109-118; 6) 109-119

Audios

TAO der Hoffnung (1994): Diskussion nach dem Vortrag bei der existential-psychologischen Begegnungsstätte Todtmoos-Rütte: (54:39) Bei schweren Prüfungen sehen wir erst nachher, dass wir sie gebraucht haben. Wir alle haben Angst vor dem Leben: Das Leben ist ein ununterbrochenes Sterben in größeres Leben hinein. Sterben ist etwas, was wir tun müssen: Ein sich Hingeben – Loslassen üben – Hoffnung ist Offenheit für Überraschung im Unterschied zu Hoffnungen, die sich vielleicht nicht verwirklicht haben]

Audio-Fokus «Hoffnung auf dem Prüfstand» aus Audio-Vortrag 1989Retreat-Woche in Assisi.]



Quellenangaben

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