Text von Br. David Steindl-Rast OSB
Vielleicht kann es für uns eine Hilfe sein, wenn wir uns klarmachen, dass Arbeit im engsten Sinn eng mit dem Zweck zusammenhängt: Arbeit ist die Art von Tätigkeit, die auf einen bestimmten Zweck abzielt, und wenn dieser bestimmte Zweck erfüllt ist, hört die Arbeit als solche auf.
Spielen dagegen ist etwas ganz anderes. Das Spielen zielt nicht auf irgendeinen bestimmten Zweck. Aber das Spielen hat Sinn; das Spielen lässt Sinn aufblühen.
Man arbeitet, bis man seinen Zweck erfüllt hat. Man wischt den Boden, bis er ganz gewischt ist. Aber man singt nicht, um ein Lied abzusingen, sondern man singt ganz einfach, um zu singen.
Und, wie der Religionsphilosoph Alan Watts gesagt hat, man tanzt auch nicht, um irgendwohin zu kommen, sondern man tanzt, um zu tanzen. Das hat seinen Sinn ganz in sich selbst.
Nun neigen wir aber zu der Vorstellung, das Gegenteil von Arbeit sei die Muße. Aber die Muße ist nicht das Gegenteil von Arbeit.
Wenn man schon eine Polarität aufstellen will, dann kann man sagen, das Gegenteil von Arbeit sei das Spiel.
Die Muße aber ist genau die Brücke über diese Kluft zwischen beidem.
Das heißt, man bringt in seine Arbeit das hinein, was das Wichtigste beim Spielen ist, nämlich, dass man sie um ihrer selbst willen tut und nicht dazu, um mit ihr einen bestimmten Zweck zu erfüllen.
Das heißt aber, dass man ihr Zeit lassen muss.
Muße ist kein Privileg für solche, die sich für die Muße Zeit nehmen können. Muße ist eine Tugend, nämlich die Tugend derjenigen, die allem Zeit lassen, was immer Zeit braucht, und ihm so viel Zeit widmen, wie es verdient, und deswegen in Muße arbeiten und in ihrer Arbeit Sinn finden und ihr Leben voll entfalten.
Wenn wir eine strikte Arbeitsmentalität haben, leben wir nur halb. Wir sind dann wie Menschen, die bloß einatmen und deswegen ersticken. Es macht auch gar keinen Unterschied aus, ob man bloß einatmet oder bloß ausatmet; in beiden Fällen erstickt man.
Damit lässt sich recht gut die Tatsache vor Augen führen, dass wir die Arbeit nicht gegen das Spielen ausspielen sollten und auch nicht den Zweck gegen den Sinn. Beides muss Hand in Hand gehen. Wir müssen einatmen und ausatmen, und so erhalten wir uns am Leben. Darum geht es ja in Wirklichkeit bei allem, worauf wir aus sind, und darum muss es auch der ganzen Religion gehen: um das Lebendigsein. [Auf dem Weg der Stille (2016), 61f.]
Diese Art von Erfahrung benötigen wir, um unsere Weltsicht zu korrigieren. Gar zu leicht neigen wir zu der Vorstellung, dass Gott diese Welt aus einem bestimmten Zweck erschuf. Wir sind dermaßen im Zweckdenken verfangen, dass wir uns sogar Gott als zweckgebunden vorstellen. Gott aber spielt. Die Vögel eines einzigen Baumes sind Beweis genug, dass Gott sich nicht mit einer göttlichen No-Nonsense-Haltung daran machte, eine Kreatur zu schaffen, die auf perfekte Weise den Zweck eines Vogels erfüllt. Was könnte dieser Zweck auch sein, frage ich mich. Es gibt Kohlmeisen, Schneefinken und Amseln, Spechte, Rotkehlchen, Stare und Krähen. Der einzige Vogel, den Gott nie geschaffen hat, ist der No-Nonsense-Vogel.
Öffnen wir unsere Augen und Herzen für Gottes Schöpfung, dann sehen wir schnell, dass Gott ein spielerischer Gott ist, ein Gott der Muße.
Menschen, die ihre Arbeitszeit mit nichts als ihrem Ziel vor Augen verbringen, wissen kaum mehr, was spielen heißt, wenn ihre Freizeit schließlich anfängt. Entweder fallen sie erschöpft mit einem Glas in der Hand in das Sofa vor dem Fernsehschirm, weil diese Art von Arbeit einen völlig verschleißt. Oder aber sie sind so sehr der Gewohnheit bloßem Zielstreben verfallen, dass sie auch jetzt weiterarbeiten. Unfähig zu spielen, machen sie entweder Überstunden, oder arbeiten mit ihren Golf- oder Tennisschlägern in den Händen weiter.
Wir sind einfach solange unfähig, spielerisch zu spielen, wie wir nicht gelernt haben, spielerisch zu arbeiten.
Spielerisch arbeiten?
Hört sich das nicht beinahe frivol an, wenn man die Haltung zur Arbeit bedenkt, die vielen von uns eingebläut wurde? Spielerisch arbeiten, das klingt wie Herumspielerei. Und doch führt eigentlich nur jene Arbeit, die wir mit Muße tun, zum Ziel. Das Ziel ist ja nicht der Zweck, sondern ein sinnerfülltes Leben.
Mit Muße arbeiten heißt, die Sinnbetonung, die wir vom Spiel her kennen, auch in unserer Arbeit zu verwirklichen. Muße lässt inmitten einer zielgerichteten Aktivität Raum für Sinn.
Das chinesische Schriftzeichen für Muße besteht aus zwei Elementen, die für sich genommen offenen Raum und Sonnenschein bedeuten: Muße schafft Raum, um die Sonne hineinscheinen zu lassen. Eines späten Morgens sah ich einmal ein Bündel Sonnenstrahlen im steilen Winkel in die von Menschen geschaffene Schlucht der Wall Street fallen und verstand, was jenes alte chinesische Ideogramm für Muße beschäftigten New Yorkern zu sagen hätte.
Wenn unsere zweckgerichtete Arbeit obendrein sinnvoll ist, dann werden wir uns inmitten all der Arbeit wohlfühlen. Dann werden wir nicht so darauf versessen sein, sie hinter uns zu bringen. Wenn du nur einige Minuten täglich damit verbringst, etwas hinter dich zu bringen, dann könntest du im Verlauf eines ganzen Lebens Tage, Wochen und Jahre vergeuden. Sinnlose Arbeit ist eine Art, Zeit totzuschlagen. Muße aber lässt die Zeit lebendig werden.
Das chinesische Schriftzeichen für Geschäftigkeit ist ebenfalls aus zwei Elementen zusammengesetzt: aus Herz und Töten. Eine zeitgemäße Warnung. Selbst unser Herz ist nur dann gesund, wenn es mit Muße schlägt.
Das Herz ist ein Muskel mit Muße
Er unterscheidet sich von allen anderen Muskeln. Wie viele Liegestütze schaffst du, bevor deine Muskeln an Armen und Bauch so müde werden, dass du anhalten musst? Dein Herzmuskel aber arbeitet, solange du lebst. Er wird nicht müde, denn eingebaut in jeden Herzschlag ist eine Ruhephase. Für unser körperliches Herz ist es wesentlich, dass es in aller Ruhe arbeitet. Wenn wir unsere innerste Wirklichkeit «Herz» nennen, dann bedeutet das, dass jene lebensspendende Ruhe und Muße unserem tiefsten Wesen entspricht. [FN 1) 65f.; 2-5) 67-69; 6) 68-70]
[Ergänzend:
Muße ist Ausdruck von Losgelöstheit im Hinblick auf die Zeit.
«Muße ist mit den äußeren Fakten von Arbeitspause, Freizeit, Wochenende, Urlaub nicht schon gegeben. Muße ist ein Zustand der Seele!» Das schrieb Josef Pieper (1904–1997), der in der Muße die Voraussetzung aller Kultur erblickte. Nur durch Muße finden wir den rechten Rhythmus für Arbeit und Entspannung, fürs Allein- und Beisammensein, fürs Schlafen und Wachen und für alles, was wir tun. Wir stimmen uns ein auf den Rhythmus im großen Tanz.]