Text von Br. David Steindl-Rast OSB
Wenn wir nicht unterscheiden zwischen dem, was wir wollen, und dem, was wir wirklich brauchen, so verlieren wir unser Ziel aus den Augen. Dann werden unsere Bedürfnisse (viele von ihnen nur eingebildet) immer mehr und unsere Dankbarkeit schwindet, damit aber auch unsere wahre Freude. Mönchisches Training kehrt diesen Prozess um. Der Mönch strebt danach, immer weniger zu wollen und so immer dankbarer zu werden für das, was er hat.
Losgelöstheit macht uns bedürfnisloser. Je weniger wir haben, umso leichter ist das, was wir haben, zu würdigen.
Stille schafft eine Atmosphäre, die Losgelöstheit begünstigt. Wie der Lärm das Leben außerhalb des Klosters durchdringt, so ist das Leben des Mönches von Stille durchdrungen. Stille schafft Raum um Dinge, Menschen und Ereignisse … Stille hebt ihre Einzigartigkeit hervor und erlaubt uns, sie eins nach dem andern dankbar zu betrachten. Unsere Übung, dafür Zeit zu finden, ist das Geheimnis der Muße. Muße ist Ausdruck von Losgelöstheit im Hinblick auf die Zeit. Die Muße der Mönche ist ja nicht das Privileg derer, die es sich leisten können, sich Zeit zunehmen, sondern die Tugend derer, die allem, was sie tun, so viel Zeit widmen, wie ihm gebührt. [ST 91, Quelle: AH 1-2) 18; 3-5) 17f.]
Vor langer Zeit suchte mich eine christliche Nonne auf, die intensiv Zen übte. Ein Meister hatte ihr gesagt, sie solle alles loslassen, und jetzt war sie in einem Dilemma. Wie konnte sie denn Christus jemals loslassen? Was ich ihr sagte, brachte mir einige Schwierigkeiten ein. Ich sagte, selbstverständlich müsse sie Christus loslassen, und sie brauche sich überhaupt keine Sorgen darum zu machen, weil ihr alles, was in Bezug auf Christus überhaupt wichtig sei, aufgehen würde, wenn sie erst einmal losgelassen habe.
Danach habe ich sie aus den Augen verloren, ich weiß also nicht, ob sie das getan hat. Aber davon bin ich überzeugt: Wir müssen alles, was wir äußerlich als Christus verstehen, loslassen, müssen alles loslassen, woran wir überhaupt hängen. Nur dann wird sich das auftun, an dem wir nicht zu hängen brauchen, das, was da ist, ohne dass wir daran hängen. Das ist es, worauf sich der hl. Paulus meiner Meinung nach bezieht, wenn er sagt: «Ich lebe, doch nicht mehr ich, sondern Christus lebt in mir.» Und das kann man erst dann erkennen, wenn man alles losgelassen hat, was man überhaupt loslassen kann. [ST 91f., Quelle: SW 50]