Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

kreuz b kraehmer titelCopyright © - Barbara Krähmer

Wenn Hoffnungen um der einen überragenden Hoffnung  willen mit Hoffnungen zusammenstoßen, dann wird offensichtlich, in welchem Sinne wir uns «rühmen im Kreuze unseres Herrn Jesus Christus» (Gal 6,14).

Das Kreuz ist ja nicht juwelenbesetztes Zeichen des Triumphs, sondern unser eigenes, äußerst reizloses Leid ‒ Martin Luther Kings, Karen Silkwoods, Oscar Romeros, dein eigenes.

Die Flugbahn der Hoffnung ist keine ungestörte Kurve «von Herrlichkeit zu Herrlichkeit».

Sie führt durch das Paradox des Kreuzes.

Seine zwei Linien kreuzen sich im Konflikt wie aufeinanderstoßende Hoffnungen.

Das Kreuz steht für jene Kollision, in der unsere Hoffnungen untergehen müssen, auf dass am dritten Tage Hoffnung auferstehen kann. Der auferstandene Herr sagt zu seinen entmutigten Jüngern:

«Musste nicht der Messias all dies leiden und so in seine Herrlichkeit eingehen?» (Lukas 24,26)

«Heil, heiliges Kreuz, einzige Hoffnung du»

singt eine alte christliche Hymne:

«O crux ave, spes unica!»

Wie kann denn das Kreuz Zeichen der Hoffnung sein und nicht eher der Hoffnungslosigkeit?

Als Jesus am Kreuze hing, waren alle seine Hoffnungen zerbrochen.

Warum war es «nötig», dass Jesus all dies erleiden musste?

Weil wir unsere Hoffnungen auf das gründen, was wir uns vorstellen können. Hoffnung aber ist offen für das Unvorstellbare.

«Kein Auge hat gesehen, kein Ohr gehört,
was Gott vorbereitet hat.»
(1 Kor 2,9)

So müssen denn unsere verzweifelten kleinen Hoffnungen durchkreuzt werden, um Platz zu schaffen für die überragende Überraschung, «den Gott der Hoffnung», dessen Einbrechen in unser Leben Tod und Auferstehung bedeuten.

Ein Freund, der das Manuskript für mich las, schrieb an dieser Stelle an den Rand: «Gib Beispiel aus Lebenserfahrung.»

Ein wohlgemeinter Rat, aber streng genommen eine unmögliche Aufgabe. Erfahrung des Lebens, wie wir es kennen, liefert für Gottes Einbrechen keine Beispiele, denn jenes Ereignis ist immer Todeserfahrung.

Seine andere Seite freilich heißt Auferstehung.

Auferstehung aber ist nicht Wiederbelebung, überleben oder Wiedererweckung.

Auferstehung ist nicht Rückkehr in dieses Leben des Todes.

Was wäre das schon wert?

Auferstehung ist ein Hineingehen in den Tod und ein Hindurchgehen, hinein in eine Fülle jenseits von Leben und Tod, wie wir sie kennen.

Von unserem Ufer aus betrachtet, ist der Tod einfach das Sterben. Es sei denn, wir steigern unsere Hoffnungen zur Fata Morgana. Hoffnung tut das nicht. Sie schaut dem Tod direkt ins Gesicht, schaut geradewegs hinein in das weit offene Tor der Überraschung.

Am Ostermorgen verkündet der Engel die Auferstehung Jesu nicht, indem er sagt: «Hier ist er; er kehrte ins Leben zurück!» Nein.

Auf diese Weise nach ihm zu suchen hieße, den Lebenden unter den Toten zu suchen. Hier ist er nicht. Er lebt nicht mit dem Leben, das wir kennen und das dem Tode näher ist als wahrem Leben.

«Er ist auferstanden»,

heißt die frohe Botschaft, und‒

«Er ist nicht hier.»

Alles was wir aus dieser Perspektive sehen können, ist, dass die Grabkammer offen und leer ist, ein passendes Bild für weit offene Hoffnung.[1]

Bruder David: «Maßloses ‹Mehr und Mehr› ist ja geradezu das Markenzeichen unserer Gesellschaft. In Gottes Reich gilt: ‹Weniger ist mehr.›

Mitten in einer Gesellschaft, die tief in Versuchung gefallen ist, verlangt das Reich Gottes ein Aufstehen.»

Brigitte Kwizda-Gredler: «Ein Aufstehen gegen eine schier übermächtige Gesellschaft wird da von uns verlangt.»

Bruder David: «Das ist es ja schließlich, was ‹Nachfolge Christi› bedeutet. Aber dieses Aufstehen und Dagegenhalten führt auch für uns schließlich zu einem Auf-er-stehen.»

Brigitte Kwizda-Gredler: «Das ist in jedem Augenblick möglich. Jeder Augenblick kann in diesem Sinn zu einem Ostern werden.»[2]

[Die Quellenangaben zum obigen Text in Anm. 1f.]

[Ergänzend:

1. Audios und zum Gedicht von Joseph von Eichendorff: ‹Es wandelt, was wir schauen›:

So leben wir und nehmen immer Abschied (2009)
Vortrag:
(18:46) ‹Es wandelt, was wir schauen› und ein Brauch im jüdischen Laubhüttenfest

Siehe auch den Text des Gedichts in Einsichten aus Rilkes Dichtung, Teil II (2014), 93

Das Leid des Lebens zu Herzen nehmen ‒ Goldegger Dialoge (1992)
Eröffungsvortrag:
(30:39) ‹Es wandelt, was wir schauen› / (34:25) Offen zum Himmel und zu den Nachbarn: Die Laubhütten am jüdischen Laubhüttenfest

Retreat-Woche in Assisi (1989)
‹Stärke unsern Glauben› (Lk 17,5)
(49:08) Hoffnung vor dem Scherbenhaufen zerstörter Hoffnungen ‒ ‹Du bist’s, der, was wir bauen, mild über uns zerbricht› (‹Es wandelt, was wir schauen›): Die Hütten am Laubhüttenfest sind durchsichtig zu den Nachbarn und den Sternen

2. TAO der Hoffnung (1994)
Diskussion:
(54:39) Bei schweren Prüfungen sehen wir erst nachher, dass wir sie gebraucht haben. Wir alle haben Angst vor dem Leben: Das Leben ist ein ununterbrochenes Sterben in größeres Leben hinein. Sterben ist etwas, was wir tun müssen: Ein sich hingeben – Loslassen üben – Hoffnung ist Offenheit für Überraschung im Unterschied zu Hoffnungen, die sich vielleicht nicht verwirklicht haben]

______________________

[1] Dankbarkeit: Das Herz allen Betens (2018), 138-140 [bzw. Fülle und Nichts (2015), 138f.]

[2] Das Vaterunser (2022): ‹Jeder Augenblick kann zu einer Erfahrung von Ostern werden!›: Gespräch von Brigitte Kwizda-Gredler mit Bruder David, 92f.



Quellenangaben

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