Text von Br. David Steindl-Rast OSB
Mönche geloben Gehorsam. Gehorsam im klösterlichen Rahmen heißt mehr als zu tun, was einem befohlen wird; das wäre die Art des Gehorsams, die ein Hund in der Dressurschule lernt. Wahrer Gehorsam ist vielmehr ein liebendes Hinhören, ein Hinhorchen auf Gottes Wort, das uns jeden Augenblick erreicht, ein Lauschen auf die Botschaft des Engels, der Stunde um Stunde zu uns spricht.
lm Wort «Gehorsam» selbst steckt die Bedeutung des intensiven Hörens. Das Gegenteil dieses Gehorsams ist Absurdität, vom lateinischen surdus, taub. Wir haben die Wahl zwischen liebevollem Zuhören oder einem Leben, in dem wir alles absurd, widersinnig finden. Diese Absurdität ist nicht außerhalb von uns, sie ist in uns. Wir sind nur taub, wenn wir nicht gehorsame Zuhörer sind. Wenn wir uns also das nächste Mal bei der Bemerkung ertappen: «Das ist absurd, so könnten wir uns die hilfreichere Frage stellen: «Wem oder was gegenüber bin ich hier taub?»
Ungehorsam ist weniger ein Unterlassen dessen, was wir nach besserem Wissen tun sollten, als vielmehr, nicht einmal auf das zu hören, was die Situation erfordert und wozu sie uns aufruft. Ein sturer Gehorsam kann ein Nicht-Hinhören sein. Einfach nur die Regeln einzuhalten verdient nicht, wahrer Gehorsam genannt zu werden. Alles, was geschieht, jede Situation, in der wir uns befinden, ob sie uns nun gefällt oder nicht, will uns etwas sagen. Wenn wir richtig darauf antworten, wird es lebensbejahend und lebensspendend für uns und andere sein. Solche Augenblicke sind entscheidend für unseren Charakter. Genau da findet eigentliche Moral statt. In jedem Augenblick haben wir die Wahl, aus ganzem Herzen und echt zu antworten oder uns zu drücken und unser wahres Selbst zu verraten. [ST 50f., Quelle: MS 5) 70f.]
[Ergänzend:
1. Der Mönch in uns (1981):
«Gehorsam heißt wörtlich «aufmerksames Horchen»; es kommt vom lateinischen ‹ob-audire›, aufmerksam horchen, oder wie es in der jüdischen Tradition heißt ‹sein Ohr entblößen›: Die Schläfenlocken müssen zurückgestrichen sein, um wirklich aufmerksam hören zu können. Das bedeutet Gehorsam im Alten Testament.
In vielen Formen, in vielen Sprachen ist das Wort für Gehorsam eine intensive Form des Wortes horchen, gehorchen, ‹audire›, ‹ob-audire›.
Anders ausgedrückt kann Gehorsam: ‹tun-was-einem-gesagt-wird› ein streng mönchisches Mittel sein, diesen Eigensinn zu überwinden, diese eigenen Ideen und eigenen kleinen Pläne. Dies ist eine Möglichkeit, all dies loszulassen und das Ganze anzuschauen und das Ganze zu lobpreisen, wie Augustinus sagt.
Aber das Entscheidende ist, das Horchen zu lernen.
Dabei kann es ein Hindernis sein, oft ‹den Willen eines andern zu tun›; dadurch wird man nur eine an Fäden gezogene Marionette. Im Hinblick auf Sinnfindung ist der Zusammenhang, in welchem wir die mystische Erfahrung sehen, sehr wichtig.
Wenn du etwas sinnlos findest, sagst du, es sei ‹absurd›. Aber wenn du ‹absurd› sagst, hast du dich verraten, denn der Ausdruck ‹absurdus› ist das genaue Gegenteil von ‹ob-audiens›.
‹Absurdus› bedeutet ‹absolut taub›.
Wenn du also sagst, dass etwas absurd ist, sagst du schlechthin ‹ich bin absolut taub für das, was mir dadurch gesagt werden will. Das Absolute spricht zu mir und ich bin völlig taub›.
Dabei ist hier gar nichts taub; Taubheit lässt sich nicht auf die Quelle des Klangs zurückführen. Du bist taub. Du kannst nicht hören.
Die einzige Alternative zu dem, was alle von uns in irgendeiner Lebensform haben, ist deshalb eine taube Haltung durch eine aufmerksam Horchende zu ersetzen. Um dabei ein wenig weiterzukommen, braucht es ein ganzes Leben.»
2. AH 1-2) 15; 3-5) 15 und Auf dem Weg der Stille (2016), 58f.]