Text von Br. David Steindl-Rast OSB

achtsamkeit uebenCopyright © - Barbara Krähmer

Auf meinen Reisen merke ich, wie leicht es ist, die Aufmerksamkeit zu verlieren. Die Übersättigung unserer Sinne führt dazu, dass unsere Wachsamkeit eingeschläfert wird. Eine Flut von Sinneseindrücken neigt dazu, unser Herz von der konzentrierten Achtsamkeit abzulenken. Das schenkt mir eine neue Wertschätzung der Eremitage und ein neues Verständnis dafür, worum es in der Einsamkeit geht. Der Eremit ‒ der Eremit in jedem von uns ‒ läuft nicht vor der Welt davon, sondern sucht nach dem stillen Punkt im Inneren, worin man den Herzschlag der Welt vernehmen kann. Wir alle ‒ jede und jeder in anderem Maß ‒ bedürfen des Alleinseins, weil wir uns unbedingt in die Achtsamkeit einüben müssen.

Wie soll das praktisch aussehen? Gibt es für die Kultivierung der Achtsamkeit eine Methode?

Ja, dafür gibt es sogar viele Methoden. Diejenige, die ich gewählt habe, ist die Dankbarkeit. Dankbarkeit kann man praktizieren, kultivieren, lernen. Je stärker unsere Dankbarkeit wächst, desto stärker wird auch unsere Achtsamkeit.

Ehe ich morgens die Augen aufschlage, mache ich mir bewusst, dass ich Augen habe, jedoch Millionen meiner Brüder und Schwestern blind sind, und zwar die Mehrzahl von ihnen aufgrund von Bedingungen, die sich verbessern ließen, wenn nur unsere Menschheitsfamilie zu Verstand kommen und ihre Ressourcen vernünftig und gerecht einsetzen würde. Wenn ich mit diesen Gedanken die Augen aufschlage, sind die Chancen groß, dass ich für das Geschenk, sehen zu können, dankbarer bin und aufmerksamer für die Bedürfnisse derer, denen dieses Geschenk fehlt.

Bevor ich abends das Licht ausschalte, vermerke ich in meinem Taschenkalender immer eine Sache, für die ich noch nie dankbar war. Das übe ich schon jahrelang, und der Vorrat an Themen kommt mir immer noch unerschöpflich vor.
[Auf dem Weg der Stille (2016) 88f.]



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