Text, Video und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

liebe titelCopyright © - Shams Kairys

Die kleine Tochter eines Freundes sagte eines Morgens zu ihrem Vater:

«Papi, ist es nicht erstaunlich, dass es mich gibt?»

Kinder wissen intuitiv, wie erstaunlich und erfreulich es ist, dass es überhaupt irgendetwas gibt. Und das Kind in uns stirbt nie. Wir können es einsperren, wir können es vergessen oder stark vernachlässigen, aber solange wir leben, bleibt es am Leben.

Es ist eine unserer großen Aufgaben, dieses Kind wieder zu befreien und es zu ermutigen, solche tiefsinnigen Fragen zu stellen. Dann schauen wir alles durch staunende Augen an und nehmen alles mit einem offenen Herzen auf.

Dieses Erwecken des Kindes in uns ist nicht einfältige Sentimentalität; es macht den Kern der mönchischen Bemühungen und jeder Spiritualität aus. Das eigentliche Ziel ist das, was der Philosoph Paul Ricœur die «zweite Naivität» nennt: die Verbindung der hellen Begeisterung kindlicher Unschuld mit jener Weisheit, die sich aufgrund von Erfahrung einstellt.[1]

Vielleicht erinnerst du dich an einen Augenblick, in dem du das Gefühl hattest, wirklich du selber zu sein, gerade deshalb, weil du irgendwie über dich hinausgehoben wurdest ‒ von Musik, vom hochgewölbten Himmel einer sternklaren Nacht, vom Anblick eines schlafenden Kindes, das an seinem Daumen saugt. Plötzlich verblassen, verschwimmen, verschwinden die scharfen Grenzen zwischen dir und der Welt rundum, ja zwischen dir und dem Urgrund, aus dem alles aufsteigt und in den alles zurückfließt. In solchen Augenblicken verkosten wir flüchtig, was Mystiker die Erfahrung des All-eins-seins nannten. Es scheint fast unmöglich, solches auch nur einmal zu erleben, ohne fürs Leben dadurch bestimmt zu sein, unser innigstes Verlangen weist ja in dieser Richtung. Doch Gipfelerlebnisse gehen vorüber und verblassen in der Erinnerung, das lässt sich nicht aufhalten.

Wir haben dann aber die Wahl: Wir können das Erfahrene vergessen, oder wir können danach handeln, und das heißt, gläubig leben.[2]

Mitwelt nennen wir gewöhnlich jenen Teil unserer Umwelt, mit dem wir uns besonders eng verbunden fühlen ‒ unsre Mitmenschen, unsre Zeitgenossen, unser gesellschaftliches Umfeld, unsern Lebenskreis im engeren Sinn. Diese Einengung übersieht die Tatsache, dass wir mit unsrer ganzen Umwelt[3] ‒ mit dem gesamten Universum ‒ so eng verbunden sind, wie mit dem, was wir als unsere Mitwelt erkennen.

Jedes Atom in unserem Körper ist,
wie es auch oft ausgedrückt wird,
kosmischer Sternenstaub.

Wenn wir uns dessen bewusst bleiben, dann werden wir unsre Umwelt ganz anders würdigen und ihr mit der Ehrfurcht begegnen, die unsere Mitwelt verdient.[4]

Die Erkenntnis, dass ich von Anfang an in ein Beziehungsnetz eingebettet bin, bereitet mich auf eine wichtige Einsicht vor: Schon das Wort «Ich» drückt Beziehung aus. Es wäre sinnlos, «Ich» zu sagen, wenn ich dadurch nicht von einem Du unterschieden und zugleich auf dieses Du bezogen wäre.

In meiner Umwelt begegnen mir andre, jeder das einzige Ich für sich selbst, jeder ein andres Du für mich. Da draußen begegnet mir unzählige Male ein mir noch unbekanntes kleines Du, in meinem Inneren erlebe ich jedoch darüber hinaus ein einziges, mir von Anfang an bekanntes großes Du ‒ nicht zusätzlich zu all den kleinen Formen des Du, sondern irgendwie sie alle umfassend.

Leidenschaft für ein menschliches Du erweist ihre Echtheit und Tiefe dadurch, dass sie zugleich ‒ nicht zusätzlich! ‒ auf das große Du gerichtet ist.[5]

Wir können dieses Ur-Du nicht in Raum und Zeit verorten. Es stellt eine tiefere Dimension unseres Alltags dar, wie wir durch Übung immer deutlicher erfahren können.

Die Beziehung zum Ur-Du verankert mein Leben im Geheimnis als Tiefe ‒ als dem Quellgrund unbegrenzter Möglichkeit, aus dem alles hervorquellt, was

«Es gibt.»

Sonderbar, dass es kaum jemandem einfällt, nach dem ES zu fragen, das dies und das und alles gibt. Dieses ES schenkt mir auch mein eigenes Dasein, denn

«Es gibt mich.»

Es schenkt mich zugleich auch allen andren. Dass wir hier aber von «geben» sprechen, deutet an, dass alles Gegebene Geschenk ist.

Dem Ur-ES verdanken wir, dass es uns gibt, und dem Ur-Du, dass wir uns persönlich als Ich verstehen können. Sowohl das Ur-Du wie das Ur-ES sind Wirklichkeiten ‒ oder verschiedene Aspekte ein und derselben Wirklichkeit ‒ die wir verstehen, nicht aber begreifen können ‒ also Aspekte des einen großen Geheimnisses.[6]

[Audio Vortrag Credo ‒ Ein Glaube, der alle verbindet (21. Oktober 2010) im Kardinal Wendel Haus, München]:

(30:00) «Wenn wir sagen: ‹ES gibt  m i c h› ‒ und das kann niemand leugnen ‒, dann haben wir schon einen Schöpfungsbericht dichterisch dargestellt, denn auch das ist ja Dichtung:

‹ES gibt  m i c h›,

sehr dichterisch ausgedrückt.

Aber wenn wir einen Schöpfungsbericht lesen, ist er dann auch sehr dichterisch ausgedrückt. Das ES wird jetzt plötzlich zu dem Uralten, zu dem Vater oder Großvater, manchmal Großmutter, die zum Ursprung von allem, was es gibt, weisen, zu dem, was nicht hinterfragt werden kann.

Das ES kann nicht hinterfragt werden. So bemühen sich die Mythendichter dann, das Göttliche als das nicht mehr zu hinterfragende Uralte, immer gegebene darzustellen.

Und sie bemühen sich, das Material, aus dem dann alles gemacht wird ‒ mich ‒, so fragil, so klein, so unbedeutend wie nur möglich zu machen.

Das sieht man, wenn man verschiedene Schöpfungsmythen miteinander vergleicht:

Im jüdisch-christlichen Schöpfungsmythos ist es Staub der Erde, oder Schlamm, aus dem alles gemacht wird, das ist nicht selten in Schöpfungsmythen. Oder ein Indianerstamm sagt: Nur kleine Stöckchen und Steinchen hat der Weltenschöpfer verwendet, um die ganze Welt zu bauen.

Und noch eine schöne Art, die man öfters in ozeanischen Schöpfungsmythen findet, ist ein Traum: Der Schöpfer hat einen Traum, und dann muss er diesen Traum fangen, er entgeht ihm leicht, er muss ihn fangen und fest zusammendrücken und auf ihn treten, bis er fest zusammengepresst wird, diese Traummasse, und dann sagt er:

‹Jetzt habe ich etwas, worauf ich stehen kann,
jetzt werde ich eine Welt schaffen›
:

Das ist der Anfang, das ist wunderschön dichterisch ausgedrückt,

einerseits ‹der› oder ‹die›: der nicht zu hinterfragende Urgrund, personifiziert,
das Material, aus dem alles gemacht wird mit einer Bemühung,
es so nah an Nichts heranzubringen, wie nur möglich,
und ‒ was immer dazukommt ‒, die engstmögliche Verbindung.

Und indem man verschiedene Schöpfungsmythen vergleicht, sieht man, wie sie sich immer bemühen, das immer deutlicher zum Ausdruck zu bringen:

Aber alle diese Bilder sind schon enthalten in:

‹ES
g i b t
m i c h.›

(32:58) Einer meiner liebsten, und ich kann nicht umhin, ihnen den zu erzählen, ist ein Schöpfungsmythos der Apachen Indianer.

Es fängt damit an, dass der Weltschöpfer mit seinem Hund herumgeht. Denn ein Apache kann sich nicht vorstellen, dass irgendjemand ohne Hund herumgeht; also geht schon von Anfang an, bevor irgend sonst etwas ist, der Weltschöpfer mit dem Hund herum. Und der Hund beginnt das Ganze und fragt:

‹Großvater, wirst Du immer bei mir sein›?

Und der Schöpfer sagt:

‹Vielleicht wird eine Zeit kommen,
wo ich nicht mehr bei dir sein werde.›

Und darauf sagt der Hund:

‹Oh, dann schaff mir doch bitte einen Herrn›!

Und wir sind also alle hier, weil Hunde Herren brauchen.

Der Weltenschöpfer ist nicht hinterfragt, er ist einfach da, mit seinem Hund. Er legt sich dann auf die Erde, und jetzt bemüht sich dieser Erzähler, so nahe an das Nichts heranzukommen wir möglich: Der Weltschöpfer legt sich auf die Erde und sagt zu dem Hund:

‹Und jetzt zeichne meinen Umriss auf die Erde.›

Und der Hund mit seinen Krallen zeichnet den Umriss und dann sagt der Schöpfer:

‹Und jetzt geh weiter und schau dich nicht um›.

Und der Hund geht weiter, schaut sich natürlich doch sehr neugierig sofort um und sagt:

‹Oh Großvater, da liegt ja jemand,
wo Du gelegen bist.›

Der Schöpfer:

‹Geh weiter, schau nicht, ich sag’s dir doch.›

Der Hund geht weiter, schaut sich wieder um:

‹Da sitzt ja jemand, wo Du gelegen bist.›

Der Schöpfer:

‹Geh doch weiter.›

Der Hund geht wieder weiter, dann sagt der Schöpfer:

‹Jetzt kannst du schauen›!

Der Hund:

‹Ha, Großvater, da steht ja jemand, wo Du gelegen bist.›

Und dort steht der Mensch jetzt, und der Hund läuft und ist ganz begeistert, und der Schöpfer schaut ihn auch an und sagt:

‹Nicht schlecht, nicht schlecht›,

aber der Mensch steht nur einfach dort und tut nichts. Und dann nimmt ihn der Schöpfer so wie eine Mutter das Kind, wenn es gehen lernt, und gibt ihm so einen kleinen Schups:

Und jetzt geh›!

Und der Mensch macht einige Schritte, und der Schöpfer gibt ihm wieder einen Schups, und der Mensch läuft weite Kreise, und dann kommt er zurück und der Weltschöpfer sagt:

‹Und jetzt sprich! Sag etwas! Mach Worte›!

Vier Mal muss er ihn aneinfern und dann plötzlich sagt der Mensch:

‹Was jetzt›?

Worauf auch der Schöpfer lacht wie wir, und der Hund bellt und ist ganz begeistert, und der Schöpfer sagt:

‹Jetzt kannst du lachen, jetzt bist du fähig zu leben›!

Und darauf geht der Mensch mit dem Hund fort. Und jetzt erfüllt sich, was der Hund am Anfang schon befürchtet hat, aber nicht, weil der Weltschöpfer weggeht, sondern weil der Mensch mit dem Hund weggeht.

Also es ist eine wunderschöne Geschichte, und alles das ist schon enthalten in:

‹ES gibt  m i c h.›»[7]

[Quellenangaben zum obigen Text in 1f., 4-7]

[Ergänzend:

1. Bruder David im gleichen Vortrag in München (09:08-09:51): «Worauf können wir uns verlassen? Und da würde ich Ihnen den ganz einfachen Satz vorschlagen:

‹Es gibt mich›.

Ich glaube, darüber kann man nicht streiten, jeder von uns kann sagen: ‹Es gibt mich›.

In diesem kleinen Sätzchen
‹Es gibt mich›
ist schon  a l l e s  enthalten:
der Glaube ‒ oder: die Entscheidung,
die hinter dem Glauben steht ‒,
und, wir werden sehen,
die Trinität und unser Verhältnis zu Gott:
alles ist in diesem kleinen Satz enthalten:
‹Es gibt mich›.»
[8]

1.1. In allen drei Audio-Vorträgen Credo ‒ Ein Glaube, der alle verbindet (2010) fragt Bruder David im ersten Teil seines Vortrages: «Wer ist dieses ES, das alles, ‹mich› gibt?» und führt uns mit dieser Frage in die Tiefendimension dieser drei Worte ES ‒ ‹mich› und ‹gibt›:

Das Wort ES weist auf das Geheimnis als unergründlichen Urgrund, ‹m i c h› erschließt meine Teilhabe am Geheimnis als unbegreifliche Vielfalt, und das Wort ‹g i b t› bringt das Dynamische: die unerschöpfliche Lebendigkeit des Geheimnisses ins Bewusstsein.

Die allgemeinmenschliche Gläubigkeit oder Religiosität antwortet auf diese drei Aspekte des Geheimnisses dreifach mit: sich verlassen auf diesen unergründlichen Urgrund, ehrfurchtsvolle Begegnung mit dem großen Du, und dankbare Haltung dem Leben gegenüber.

1.2. In allen drei Vorträgen geht es Bruder David im letzten Punkt um ein neues Durchdenken unserer eigenen Religion. Darin zeigt er auf, wie der Buddhismus, die Amen-Traditionen (Judentum, Christentum, Islam) und der Hinduismus Ausformungen des allgemeinmenschlichen Urglaubens sind. Die Verschiedenheit liegt in der unterschiedlichen Betonung von Schweigen ‒ Wort ‒ Verstehen durch Tun. Es handelt sich um drei Innenwelten, die uns Bruder David anhand der drei Worte ES, ‹mich› und ‹gibt› berührend nahebringt:[9]

«Unser Glaube sieht all dies im Lichte der Dreifaltigkeit. Für uns Christen sind die Wege des Menschen auf der Suche nach dem tiefsten Sinn nur im Lichte des trinitarischen Geheimnisses verständlich.»[10]

«Und da sehen wir also jetzt, dass einerseits dieses ‹ES gibt mich› den Urgrund: dieses ES, die kosmische Fülle: m i c h, und die unerschöpfliche Lebendigkeit des Gebens zusammenfasst, dass Vater, Sohn und Hl. Geist irgendwie ansatzhaft schon darin stecken, und wir sehen zugleich, dass die großen Traditionen diese dreifaltige Wirklichkeit je in anderer Weise betonen: die Buddhisten, könnte man sagen, die Theologie des Vaters entwickeln, die Amen-Traditionen (Judentum, Christentum und Islam) die Theologie des Wortes, und der Hinduismus die Theologie des Hl. Geistes, des Verstehens.»[11]

«So könnte man fast sagen, dass die einander brauchen: Für das volle Verständnis ‹Es gibt mich› brauchen wir schon die ganze Tradition der Menschheit, alle verschiedenen Formen, Ausformungen dieses einen tiefen menschlichen Glaubens.»[12]

1.3. Im Vortrag in München (21. Oktober 2010) (30:00-35:31) macht Bruder David den Satz ‹Es gibt mich› durchsichtig auf die drei ‹Bestandteile› von Schöpfungsmythen:

ES:

der Schöpfer, die Schöpferin;

m i c h:

das Material: etwa Ackerboden ‒ Möglichkeit des Wachsens ‒, Lehm: ‹reine Möglichkeit› der Formgebung), und das

g i b t:

«Die innige Verbindung zwischen dem, der ist, und uns, die wir reine Möglichkeit sind; die eigentlich nicht sind, aber auf dem Weg sind, göttlich zu werden, auf dem Weg sind, wirklich zu sein. Die dadurch auf dem Weg sind, dass sich das Göttliche in uns entfaltet. Das ist die tiefste Erfahrung unseres Herzens. Und das Herz drückt diese Erfahrung dichterisch aus.»[13]

«Man wird immer wieder erzählen, dass Gott den Menschen erschafft und dann mit ihm spricht, dann sich ihm offenbart, dann mit ihm in Kommunikation eintritt. Aber da ist schon der springende Punkt verfehlt. Denn was die Bibel uns berichtet, ist nicht, dass Gott den Menschen da draußen erschafft, mit dieser Kluft zwischen Schöpfer und Geschöpf, sondern was Gott zunächst erschafft, ist noch gar nicht Mensch, nur etwas, das so aussieht wie ein Mensch, eine kleine Ton Puppe, leblos. Und jetzt kommt der eigentliche Schöpfungsakt, indem der Schöpfer in ganz drastischer biblischer Bildsprache dieser leblosen Figur sein eigenes Leben gibt, indem er seinen Geist, seinen Atem diesem leblosen Ding einhaucht. Er gibt also nach der biblischen Anthropologie keinen Augenblick, in dem der Mensch nicht schon in Gemeinschaft mit Gott steht.»[14]

1.4. Im Buch Orientierung finden (2021): ‹Das ich ‒ mein Dasein als Geschenk›, 18, vergleicht Bruder David den Satz: ‹Es gibt mich› mit dem Satz ‹Ich bin da› und schreibt:

«Die Ausdrucksweise ‹Es gibt mich› für die Einsicht, dass ich existiere, wird in der 3. Person Einzahl formuliert. Dieser grammatische Unterschied ist tiefgreifend:

Die Betonung dieser neuen Formulierung liegt nicht mehr auf meinem Ich, sondern auf dem Es, das mich mir selber und der Welt gibt ‒ schenkt.

Mit dem Satz ‹Es gibt mich› stelle ich diesen Sachverhalt fest, als ob ich ein außenstehender Betrachter wäre. Das vermindert die Gefahr, mich zum Mittelpunkt zu machen und in mir selber steckenzubleiben. Außer mir gibt es noch unzählig viel andres. Und am Gegebensein erkenne ich mein Dasein als Geschenk, als Geschenk des Universums. Ich sehe mich eingebettet in ein Geben und Nehmen, und meine Umwelt wird dadurch zur Mitwelt ‒ zu einem Netzwerk von Beziehungen, das alles mit allem verbindet. Diese Art, mich selbst zu verstehen, ermöglicht die gesunde Entwicklung des Ich-Selbst

2. Vom nichtigen zum widerstrebenden Material: Analogie von Schöpfung und Erlösung

Wir leben vom ureigensten Leben Gottes (1972): Auszug aus Bruder Davids Eröffnungsvortrag der Salzburger Hochschulwochen 1972 Jesus als Wort Gottes, abgedruckt im Buch Die Frage nach Jesus (1973), 59:

«Aber Gottes Plan erreicht doch sein Ziel; das ist die Frohe Botschaft. Man könnte sagen: Gott erreicht sein Ziel trotz des menschlichen Widerstandes; aber es wäre vielleicht besser und mehr im Sinne der ganzen Heilsgeschichte, zu sagen, dass Gott sein Ziel erreicht unter Verwendung des Widerstandes.

Theodor Haecker (1879-1945) beschreibt es einmal sehr schön, dass der menschliche Künstler mit immer widerstrebenderem Material arbeite: mit Ton, mit Holz, mit Stein, mit Erz ‒ Gott aber mit dem allersprödesten Material, dem freien Willen des Menschen. Und so, wie das große Kunstwerk auch das Material mitsprechen lässt, so zeigt sich in der Heilsgeschichte, dass Gott, ‹auch die Sünden›, wie Augustinus sagt, miteinbezieht. Gott erreicht sein Ziel ‒ und das ist nun die Frohe Botschaft der Bibel ‒ in Jesus.

Die Erlösung wird ja, wenn wir die Bibel richtig lesen, keineswegs als eine Art Flickwerk dargestellt, sondern als Vollendung der Schöpfung.

In Jesus wird der Mensch endlich völlig erschaffen.

Es ist eine recht unzulängliche Auslegung, dass Gott zuerst einen Versuch macht, der misslingt; dann flickt er halt alles wieder zusammen und macht noch einmal einen Versuch, und der zweite Versuch gelingt im zweiten Adam.

Wenn wir es richtig sehen, so beginnt die Schöpfung des Menschen mit dem ersten Adam und ist vollendet im zweiten Adam, in Jesus, in  d e m  Menschen schlechthin.

Es ist alles aus einem Stück.

Jesus ist Wort und Offenbarung Gottes als der erste richtige Mensch, könnten wir sagen. Er ist der erste erfolgreiche Mensch; erfolgreich von beiden Seiten her, von der Seite Gottes und von der Seite des Menschen. Gott erschafft ja den Menschen nicht von außen, sondern nur unter Mitwirkung des Menschen selbst. Das ist die Freiheit des Menschen. Jesus ist also die Höchstleistung Gottes in der Schöpfung und zugleich die Höchstleistung des Menschen. Die beiden sind untrennbar miteinander verbunden.»

3. Text, Video und Audios mit Schöpfungsmythen

3.1. Sonnenedelstein

3.2. Video Fragen in Wendezeiten ‒ Mut und Vertrauen finden (2010) und
Audio des Vortrags
Fragen in Wendezeiten ‒ Mut und Vertrauen finden
Vortrag
(31:58) Wer bin ich? – der Schöpfungsmythos antwortet mit drei Bestandteilen, die allen Schöpfungsberichten gemeinsam sind / (37:38) Ein Schöpfungsmythos der Apachen / (40:59) Ein Schulkind: ‹Ich bin ein Sonnenedelstein›

3.3. Audio Aufwachsen in Widersprüchen (1989)
Im Paradoxen Sinn erfahren ‒ Vortrag und Dialog:
Teil 1 in folgende Themen zusammengefasst:
(17:09) Die Antwort des Schöpfungsmythos / (18:38) Die drei Bestandteile des Schöpfungsmythos / (25:47) Der Genesismythos / (27:12) Ein Apachen Schöpfungsmythos / (31:58) Ich bin ein Sonnenedelstein (achtjähriger Bub)

Der Vortrag in Teil 1 erschien ebenfalls unter dem Titel Im Paradoxen Sinn erfahren im Buch Aufwachsen in Widersprüchen (1990), 59-71]

_______________

[1] MUSIK DER STILLE (2023): ‹Laudes ‒ Tagesanbruch›, 55f.

[2] Buch Credo (2015): ‹Ich glaube an Gott›, 28

[3] UMWELT, in: Das ABC der Schlüsselworte, im Buch: Orientierung finden (2021), 159f.:

«Umwelt ‹schafft› sich jedes Lebewesen durch seine Beziehungen zur Außenwelt. Nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Außenwelt wird auf diese Weise zur Umwelt dieser oder jener Art von Lebewesen.

Die Sinnesorgane, Erfahrungen und Lebensgewohnheiten etwa von Walen knüpfen andersartige Beziehungen zur Außenwelt an als jene von Heuschrecken. Entsprechend andersartig ist auch die Umwelt beider ‒ innerhalb ein und derselben Außenwelt. Ähnliches gilt grundsätzlich auch für uns Menschen. Und doch besteht für die Menschheit heute ein großer Unterschied zu allen andren uns bekannten Lebewesen.

Aufgrund der unvergleichlichen Reichweite unsrer Sinnesorgane und Erfahrungen und dank technischer Instrumente ist ein schier grenzenloser Bereich der Außenwelt zu unsrer Umwelt geworden.

Zugleich aber erkennt menschliches Bewusstsein unsre Verantwortung für unsre Umwelt. Immer mehr Menschen werden sich auch des Unheils bewusst, das unsre Lebensgewohnheiten unsrer Umwelt zufügen. Richtig verstanden, weist also schon das Wort Umwelt selbst auf unsre Verantwortung für Umweltschutz hin.»

[4] MITWELT, in: Das ABC der Schlüsselworte, im Buch: Orientierung finden (2021), 150

[5] Orientierung finden (2021): ‹Immer Du ‒ denn alles Leben ist Beziehung›, 26

[6] Ausschnitte aus Orientierung finden (2021): ‹Geheimnis ‒ wenn uns die Wirklichkeit ergreift›, 42, 47, 43

[7] Credo ‒ Ein Glaube, der alle verbindet (21. Oktober 2010): Audio des Vortrags in München, transkribiert ab (30:00) – (35:31)

[8] Ebd. (09:08-09:51)

[9] Parallel zu den drei Betonungen im Satz: ‹ES gibt mich›, spricht Bruder David von drei Aha-Erlebnissen im Satz: ‹Das ist es›!, wenn er beim Vergleich der Weltreligionen von der Sinnsuche des Menschen ausgeht. Siehe seine Bücher Credo (2015): ‹Amen›, 237, Orientierung finden (2021): ‹Religionen ‒ verschiedene Sprachen für das Unaussprechliche›, 71f., Auf dem Weg der Stille (2023), 40, wie auch seine Vorträge Jesus als Wort Gottes (1972), 65, und Wie das Göttliche in uns wächst (2005): Audio ‹Schweigen ‒ Wort ‒ Verstehen› und Mitschrift

[10] Jesus als Wort Gottes (1972), abgedruckt im Buch Die Frage nach Jesus (1973), 65

[11] Credo ‒ Ein Glaube, der alle verbindet (21. Oktober 2010): Audio des Vortrags in München, transkribiert ab (44:17):

«Nur noch ein letzter Punkt: Wie können wir die Verbundenheit im Glauben, der alle verbindet, mit andern ‒ mit allen ‒, wie können wir die finden? Ein vierter Punkt wäre: ‹Ein neues Durchdenken unserer eigenen Religion›.

Und da finden wir jetzt ‒ weil wir hier in der katholischen Akademie sind, und weil ich annehmen kann, dass Sie wenigstens vertraut sind mit der katholischen christlichen Lehre oder der christlichen Lehre überhaupt ‒, dass dieses ‹ES gibt mich› auch schon die ganze Trinität beinhaltet: die Trinitätslehre, den Glauben, der sich dann in der christlichen Tradition als Trinitätslehre entfaltet und auch seine Gegenstücke in andern Traditionen hat. Sehr deutlich, aber zu kompliziert für uns, das hier aufzugreifen.

Das ES, das es gibt, nennen wir mit Jesus Christus Vater, heute hätte er sicher Mutter gesagt, weil das unserem Verständnis für das, was er mit Vater gemeint hat, heute näher liegt, aber wir nennen es in der Trinitätslehre den Vater, diesen unergründlichen Ursprung, dieses Nichts, dieses Schweigen, aus dem das Wort hervorkommt, das Unsagbare, wie das die Buddhisten nennen. Und die Buddhisten legen das Schwergewicht auf diesen Aspekt des Göttlichen, auf dieses ES.

Die unbegreifliche Vielfalt gehört dem Judentum, Christentum und dem Islam, die ich gerne zusammenfasse als die Amen-Traditionen. Sie haben das Wort Amen gemeinsam. Und das ist nicht so ein Zufall, das ist ein ganz zentrales Wort für den Glauben, der alle verbindet. Amen ist im Hebräischen die Antwort auf Gottes Amunah, unsere menschliche Antwort auf Gottes Amunah. Und die Amunah ist Gottes Verlässlichkeit, die Verlässlichkeit Gottes. Und auf die antworten wir: Amen: Ja. Wir verlassen uns. Mit dem Wort Amen verlässt man sich auf die Verlässlichkeit Gottes hin. Und das haben wir gemeinsam als Christen mit den Muslimen und mit den Juden, alle drei haben das gemeinsam in diesem einen schönen Wort Amen.

Und das ist der Bereich des: ES gibt  m i c h, diesen ‹mich›-Bereich des Du, des Gegenüber. Es gibt mich durch dich, das ist unsere westliche, unsere Amen-Antwort im Glauben.

Und die dritte, die wir den Hl. Geist nennen, das ist das ‹ES  g i b t›, die Lebendigkeit, das Geben, die Dynamik.

Und da sehen wir also jetzt, dass einerseits dieses

‹ES gibt mich›

den Urgrund: dieses ES, die kosmische Fülle: m i c h und die unerschöpfliche Lebendigkeit des Gebens zusammenfasst, dass Vater, Sohn und Hl. Geist irgendwie ansatzhaft schon darin stecken, und wir sehen zugleich, dass die großen Traditionen diese dreifaltige Wirklichkeit je in anderer Weise betonen:

die Buddhisten, könnte man sagen, die Theologie des Vaters entwickeln, die Amen-Traditionen (Judentum, Christentum und Islam) die Theologie des Wortes, und der Hinduismus die Theologie des Hl. Geistes, des Verstehens.»

[12] Credo ‒ Ein Glaube, der alle verbindet (24. Oktober 2010): Audio und Mitschrift des Vortrags in Freiburg i. Br. ab (47:32)

[13] Im Paradoxen Sinn erfahren, 64

[14] Wir leben vom ureigensten Leben Gottes (1972): Auszug aus Jesus als Wort Gottes (1972), 62



Quellenangaben

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