Wenn ich die Weihnachtsbotschaft von Bruder David lese,

ZUR FEIER DES LICHTES, DAS IN FINSTERNIS LEUCHTET, STRAHLT AM WIENER STEPHANSDOM DIE «HIMMELSLEITER» – EINE INSTALLATION VON BILLI THANNER – ALS WOLLE SIE UNS ZURUFEN: «ERHEBET DIE HERZEN!»

himmelsleiterCopyright © Foto - Jenni Koller, Wien, 2021erinnere ich mich lebhaft wie unser Pfarrer in meiner Jugend jeden Sonntag im feierlichen Hochamt vor der Präfation im Wechselgesang mit uns seine Stimme erhob:

Sursum corda – Erhebet die Herzen

Habemus ad Dominum – Wir erheben sie zum Herrn

Gratias agamus Domino Deo nostro –

Lasset uns danken, dem Herrn, unserm Gott

Dignum et iustum est – Das ist würdig und recht.

Zugleich höre ich in mir das Lied von Felix Mendelssohn Bartholdy, das im Radio immer wieder im Wunschkonzert erklang:

Hebe deine Augen auf zu den Bergen,   (YouTube: Sängerinnen des theol. Seminars Chrischona)
von welchen dir Hilfe kommt.
Meine Hilfe kommt vom Herrn,
der Himmel und Erde gemacht hat.
Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen,
und der dich behütet, schläft nicht.

(Psalm 121,1-4)

und mir ist besonders gegenwärtig, wie Abraham «seine Augen erhob».

Die Erzählung in der Bibel (Gen 22) von Abraham, der seinen Sohn Isaak opfern soll, hörte ich zum ersten Mal als Bub bei meiner Großmutter in einem Hörspiel am Radio. Ich erinnere mich noch gut daran, wir hatten damals noch keinen Radio bei uns daheim. Die Geschichte beschäftigte mich immer wieder wie ein ungelöstes Rätsel, und es war für mich eine aufregende Entdeckung, als ich im Buch «Fülle und Nichts» im Kp. Glaube: Vertrauen auf den Geber las, wie Bruder David diese Geschichte deutet.

Wenn ich jetzt diese wenigen Seiten noch einmal lese, sind sie mir eine Hilfe genau in dieser schwierigen Corona-Zeit:

Wir alle haben inzwischen Überzeugungen gewonnen, wie wir mit unseren Ängsten und Befürchtungen umgehen können.

Doch wie verhalten wir uns, wenn unsere Überzeugungen sich diametral widersprechen sogar in unserem engsten Umfeld?

Bruder David gibt uns einen Fingerzeig, wie wir zu unseren Überzeugungen stehen können ohne uns in sie zu verbeissen, indem wir die Türe zum Glauben offen halten:

«Als Abraham seine Augen erhob.»

Das ist das Schlüsselwort. Er hält fest an seinen Überzeugungen. Er handelt nach ihnen. Aber er lässt es nicht zu, dass seine Überzeugungen zu Ballast werden und seinen Glauben herabziehen. Er erhebt seine Augen.

Die Geschichte beschreibt, wie Abraham Isaak bindet, ihn auf den Altar legt und die Hand mit dem Messer schon aufhebt, um seinen Sohn zu töten. All das musste Schritt für Schritt ausgeführt werden, um zu beweisen: Abraham verließ sich auf Gottes Wort; er glaubte. Das heißt aber, dass er sich nicht an seine Überzeugungen klammert; er hatte Glauben. Aus Überzeugung greift er nach dem Messer, aber im Glauben hebt er seine Augen auf.

«Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hangen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zu Brandopfer an seines Sohnes Statt.»

Was heißt hier ‚an Statt‘? Es hat eine doppelte Bedeutung. Oberflächlich betrachtet heißt es, dass der Widder geopfert wurde und nicht Isaak. In tiefer Sicht aber wurde Isaak geopfert und der Widder ist ein Sinnbild dafür. In diesem Sinne opferte Abraham eben doch seinen Sohn.

Müssen wir nicht annehmen, dass er das Opfer in seinem Herzen bereits gebracht hatte, als er die Hand mit dem Messer erhob?

Was Abraham glaubte, erfüllte sich also, aber auf unglaubliche Weise. Nur tiefer Glaube kann sich so hoch aufschwingen, ein Glaube, der nicht in Überzeugungen steckenbleibt, sondern grenzenloses Vertrauen hat.

Abrahams Glaube, sein Gottvertrauen konnte sogar Überzeugungen umspannen, die einander im Bereich der Logik widersprachen.

«Er hob die Augen auf»,

richtete den Blick seines Herzens auf eine höhere Ebene, die Ebene gläubigen Vertrauens. Er verließ sich auf Gottes Verlässlichkeit, und sein Herz

«vertraute, dass Gott Macht hat, selbst vom Tode zu erwecken»,

wie der Hebräerbrief (11,19) dann später diese Geschichte auslegte. Darum konnte Abraham schon vor dem Aufstieg auf den Berg zu seinen Knechten sagen:

«Dann kehren wir (wir beide!) zu euch zurück.»

Er konnte das in festem Glauben sagen. Denn am dritten Tag der Reise (dem Tag der Auferstehung), so wird uns berichtet, hatte Abraham bereits

«seine Augen erhoben»

und den Opferplatz aus der Ferne gesehen.

Entscheidend sind die Einblicke, die wir hier gewinnen in die Beziehung zwischen Glaube und Überzeugung. Unsere schöne Geschichte lässt uns den Vorrang erkennen, der dem Glauben als Mut und Vertrauen gegenüber dem Glauben im Sinne von Überzeugungen zukommt. Verwechseln wir hier die Prioritäten, dann können unsere Überzeugungen selbst unserem Glauben im Wege stehen. Machen wir diesen Fehler nicht, dann haben wir Zugang zum Kern der Angelegenheit gefunden: das Herz des Glaubens ist der Glaube des Herzens.

Der Glaube des Herzens ist jene ursprüngliche Gläubigkeit, die wir alle auf Höhepunkten von Lebendigkeit erfahren haben. Und wie erleben wir da den Glauben? Als einfaches Vertrauen, als tiefe Zuversicht: als Zuversicht darauf, dass wir uns auf das Leben verlassen können, ohne fallengelassen zu werden.

Ausgesprochen oder unausgesprochen liegt dieser Glaube an der Wurzel all unserer Überzeugungen. Er dient auch als Prüfstein unserer Überzeugungen. Sind sie echt, so drücken sie jene gläubige Grundüberzeugung aus und erinnern uns immer wieder an sie. Überzeugungen können niemals die Erfahrung lebendigen Glaubens ersetzen, aber sie können uns helfen, ihn am Leben zu halten.

[Bruder David vergleicht Glaubensüberzeugungen mit flatternden Fahnen, die wir im Wind hochhalten. Sie können uns Mut machen, wenn unser Glaube schwächer wird. Wenn aber unser Urvertrauen, das der Glaube aller Menschen ist, zusammenbricht, «dann werden Überzeugungen zum Ersatz für den Glauben: ein Museum alter Fahnen, entleerte Glaubensartikel, an die wir uns klammern».]

… Wir haben die Markierungslinie zwischen Glaube und Überzeugungen klar genug gezogen, um zu wissen, dass im Glauben wachsen nicht Überzeugungen ansammeln heißt. Es heißt vielmehr, in vertrauendem Glauben unter immer schwierigeren Bedingungen durchzuhalten. Das wird schwer, wenn die Verlässlichkeit, auf die der Glaube die Antwort ist, immer weniger offensichtlich wird. Am Ende sollten wir in der Lage sein, auf jene «Zuverlässigkeit im Herzen aller Dinge» (Reinhold Niebuhr) zu vertrauen, selbst wenn wir sie überhaupt nicht erkennen können. In diesem Sinne, und nur in diesem Sinne dürfen wir von blindem Vertrauen sprechen. Das aber bedeutet, dass blindes Vertrauen besonders klar sieht. Blindes Vertrauen sieht nichts und kann trotz allem aufrichtig behaupten: ‚Ja, klar!‘ Was ist klar? Nichts. Nichts Greifbares, aber der Sinn von allem, vor allem: die Zuverlässigkeit im Herzen aller Dinge.

Hinaufzuschauen zu jenen Höhen des Glaubens

könnte uns den Mut nehmen, bevor wir überhaupt angefangen haben. Aber unser Aufstieg beginnt im Tal. Das erinnert mich ans Bergsteigen in den Alpen, wo ich aufwuchs. Meist machten wir uns an einem frühen Sommermorgen auf den Weg. Und dort vor uns lagen schneebedeckt, im ersten rosigen Licht des Sonnenaufgangs, jene eisigen Gipfel und Hänge, die unser Ziel waren. Um uns herum aber war üppiges Weideland, von dem die Butterblümchen uns im Frühwind zunickten. Unsere Glaubensreise beginnt in leichtem Gelände. Und da ist auch gut so. Der Aufstieg ist schwierig genug. Warum sollten wir nicht dort beginnen, wo es leicht ist?

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