rainer colAuch wichtige Dinge beginnen einfach. Bei dem, wovon ich berichten will, war es eine Email. «Herr Kakuska!», sagte sie sinngemäß, «Sie haben da einmal ein Buch herausgegeben ... «Ach ja, das! Natürlich erinnerte ich mich daran. Das Schreiben war von Klaudia Menzi-Steinberger, das Buch heißt «Andere Wirklichkeiten», enthält Beiträge von Bruder David Steindl-Rast und sollte in die Bibliothek aufgenommen werden.

Es ist im Dianus-Trikont Verlag herausgekommen, später als Lizenz-Ausgabe bei Goldmann, und baut auf einer Konferenz  auf, die 1983 im Tiroler Bergdorf Alpbach stattgefunden hat. Dabei war es um die neue Konvergenz von Naturwissenschaften und spirituellen Traditionen gegangen.

Eingeladen waren illustre Gäste, allen voran S.H. der Dalai Lama, und Vertreter aus Wissenschaft und spirituellen Traditionen – unter ihnen auch Bruder David Steindl-Rast. Man wollte über eine Entwicklung sprechen, die sich damals abzeichnete: je mehr die Wissenschaft voranschritt, desto mehr gelangte sie zu Aussagen, die große Ähnlichkeiten mit traditionellen und religiösen Auffassungen von der Welt hatten.

Es war eine Zeit, wo immer mehr Menschen große Hoffnungen auf das setzten, was man New Age nannte. Ich galt damals als «Kenner der Szene» und wurde von beiden Seiten eingesetzt: Von den Redaktionen für Themen, an die sich die Kollegen nicht herantrauten, und von den Akteuren selbst als einer, der verstand, was da vor sich ging.

In Alpbach arbeitete ich als Pressebetreuer für die Organisatoren – aber natürlich hörte ich aufmerksam allen Veranstaltungen zu und genoss jede Minute.

Heute kann ich es kaum glauben, was ich damals erlebt habe. Ich ging morgens in den Alpbacher Hof, heraus kam ein freundlicher älterer Herr in einer Robe, wir lächelten uns an – und ich hatte gerade das weltweite Oberhaupt des Buddhismus begrüßt. Auch sonst fragte niemand nach Rang und Namen eines Gesprächspartners. Wir verhielten uns zueinander wie die Teilnehmer eines Sommercamps – bis dann die Vorträge und Podiumsdiskussionen begannen.

Dann allerdings hörte man Erörterungen auf höchstem Niveau. Der Dialog wurde von im Durchschnitt jungen Referenten geprägt, einige von ihnen stellten bahnbrechende Gedanken das erste Mal einem breiteren Publikum vor. Mir blieben besonders zwei Biologen im Gedächtnis: der Engländer Rupert Sheldrake  und der Chilene Francisco Varela. Aber in meiner Erinnerung werden sie zu einer Trinität durch Bruder David. Er stand für die Religion, und zwar die der meisten Teilnehmer, er sprach von Gott ohne Wenn und Aber und stellte damit ein wichtiges Gleichgewicht her.

Noch sehr erfüllt von allem, was ich erlebt und gehört hatte, fuhr ich heim nach München – wo mich einige Zeit später ein Hilferuf des Dianus Trikont Verlages erreichte. Sie hatten versucht, aus dem Material der Konferenz ein Buch zu machen, aber der damit Beauftragte war an der Aufgabe gescheitert. Ob ich die Sache zu Ende bringen könne? Ich sagte zu, und es begann das, was ich später öfter ein Purgatorio nannte. Sie wissen schon: das von Dante. Lasciate omni speranza.

Damals schrieb man Texte mit Hilfe einer Schreibmaschine auf Papier, das danach Manuskript genannt wurde. Sprache wurde auf Audio-Cassetten festgehalten, die man abschrieb, um Transkripte herzustellen. Berge von all dem lagen jetzt in meiner Wohnung und warteten darauf, in bedruckte Buchseiten verwandelt zu werden. Das gelang – die Einzelheiten erspare ich Ihnen.

Als mich dann die Mail der geschätzten Frau Menzi erreichte, dachte ich zuerst an die Phase der Produktion. Ich erinnerte mich an Stress, Termindruck und Reibereien im Team.  

Aber natürlich nahm ich das Buch wieder zur Hand. Und verstand mit einem Mal, was Gott mir sagen wollte.

Ohne die damaligen Umstände und nach langer Erfahrung seither las ich es wie ein distanzierter Leser und staunte. Was für eine bemerkenswerte Konferenz, dachte ich – eine Sternstunde, die so viele außergewöhnliche Menschen zusammengebracht hat! Und wie umfangreich das Buch war, welche Mengen von Text es enthielt! Jedes Wort davon war über meinen Schreibtisch gegangen und von mir mit dem Kugelschreiber in der Hand geprüft worden. Wichtige Texte – Sheldrake und Varela, na so was – hatte ich selbst übersetzt. Wer das Handwerk des Schreibens und Textverarbeitens kennt, weiß wie stark es mit Selbstvertrauen oder eben dem Mangel daran zu tun hat. Lange Jahre habe ich mit diesem Thema gekämpft. Hier aber half alle Bescheidenheit nichts – ich musste mir einfach meine Achtung aussprechen.

Was allerdings die Inhalte der Konferenz betrifft, wird dem heutigen Leser eine gewisse Wehmut nicht erspart bleiben. Die bahnbrechenden Konzepte haben sich noch nicht so stark durchgesetzt, wie man annahm. Und vor allem: Die Zuversicht, die Hoffnung auf eine bessere Welt, die uns und den Kongress damals beseelte, ist heute angesichts des Weltgeschehens schwerer aufrecht zu erhalten.

Von den Äußerungen von Bruder David sind mir Sätze im Gedächtnis geblieben, die er so im Buch nicht wörtlich sagt:
«Gottes Wille geschieht immer. Die einzige Freiheit, die der Mensch hat ist, dass er sich vorläufig weigern kann, ihn auszuführen».

Sollten wir also einfach mehr Geduld haben ?

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