Credo (2010)
Vortrag Wien von Bruder David,
zusammengestellt von Hans Businger
Herzlichen Dank für Ihre liebe Begrüssung … wir sollten einen Augenblick lang gute Energie all denen zuschicken, die gerne gekommen wären, und nicht kommen konnten. Der Abend soll der Vorstellung meines Buches dienen, meines neuen Buches ‹Credo, ein Glaube, der alle verbindet›, und das Buch ist die Frucht meines interreligiösen Dialoges, an dem ich seit mehreren Jahrzehnten teilnehmen darf. Bei dem Dialog ist mir aufgefallen, dass wir auf beiden Seiten immer wieder nur die zahmsten Texte unserer Tradition vorstellen. Und da habe ich mir gedacht, eigentlich müsste man auch einen Kerntext unserer Tradition, in dem sie sich ganz einmalig ausdrückt, den anderen so vorstellen können, dass man sich darüber versteht und darin versteht. Das wollte ich eben mit dem ‹Credo› tun [Leseprobe S. 16f.], das ja wirklich ein Herzstück der christlichen Tradition ist.
Da ist mir noch entgegengekommen, dass ich noch vor zwei oder drei Jahren im Kloster Melk mit S. H. dem Dalai Lama ein paar Tage gemeinsam verbringen durfte. Er hat da mit den Mönchen im Refektorium gegessen und er hat am Chorgebet der Mönche sogar teilgenommen, bei der Gelegenheit hat er zu mir gesagt ‒ ganz traurig eigentlich: Wir haben so viel gemeinsam, rein menschlich und als Mönche, aber was unsern Glauben betrifft, da sind wir so ganz verschieden. Da war ich schon vorbereitet und konnte ihm so schnell wie möglich und so kurz und prägnant wie möglich einiges darüber sagen, das hat ihm sehr gut gefallen, und da hat er gesagt: ‹Ja, aber da sollten Sie doch darüber schreiben›, worauf ich gesagt habe: ‹Das tue ich gerne, wenn Ihre Heiligkeit das Vorwort schreiben.› Und dazu hat er sich dann verpflichtet und so ist ein Dokument zustande gekommen, das in dieser Hinsicht einmalig ist, weil es einen christlichen Text aus christlicher Sicht behandelt und zugleich vom Oberhaupt oder einem der Oberhäupter einer ganz anderen Tradition das Vorwort enthält. Und darüber freue ich mich, und das ist ein gewisser Schritt vorwärts im interreligiösen Dialog.
Ich möchte das Buch aber so vorstellen, dass ich nicht Ihnen erzähle, was jetzt in dem Buch ist, sondern vielmehr das Verständnis dieses einen Glaubens, der alle verbindet, mit Ihnen durchbespreche und so Sie auf die Fragen vorbereite, die in diesem Buch besprochen werden, oder Sie darauf vorbereite, das Credo aus eigenen Stücken wieder durchzudenken und neu zu verstehen.
(03:38) Die Betonung liegt auf e i n Glaube, der alle verbindet ‒
nicht so, als ob die christliche Ausformung dieses Glaubens
der e i n e Glaube wäre, der alle verbindet ‒,
sondern es gibt einen rein menschlichen Urglauben,
der uns als Menschen alle verbindet:
alle verschiedenen religiösen Traditionen
u n d auch Menschen, die sich als Agnostiker
oder sogar als Atheisten bekennen:
Wir sind alle als Menschen durch einen tiefen Glauben verbunden,
und um diesen e i n e n Glauben geht es hier,
und den wollen wir hier gemeinsam durchdenken.[1]
Wir brauchen also nur unser Thema unter drei Gesichtspunkten in Angriff zu nehmen:
Also e i n Glaube, der a l l e verbindet:
Was heißt Glaube?
Wer sind a l l e?
Und wie können wir diese Verbundenheit erfahren, pflegen und vertiefen?
Das sind unsere drei Aufgaben an diesem Abend. Und ich bitte Sie, nicht nur mitzudenken, sondern nachzudenken: Es muss ein gemeinsames Unternehmen sein heute Abend, ich verlasse mich da auf Sie, nicht nur mitzudenken, sondern nachzudenken, und zwar einerseits ‹der Sprache nachdenken› ‒ das ist ein wunderschöner Ausdruck von Martin Heidegger (1889-1976),[2] er spricht davon: ‹der Sprache nachzudenken›: die Sprache legt uns geradezu einen Weg nahe, dem wir nachdenken können, dem wir nachgehen können, so werden wir immer wieder der Sprache nachgehen ‒, und das zweite ist Ihre eigene Erfahrung:
Ich muss mich immer wieder an Ihre Erfahrung wenden, Sie müssen Ihrer Erfahrung nachdenken, das ist nicht etwas, was da von außen an Sie herangebracht wird ‒ entweder es gefällt mir, oder es gefällt mir nicht ‒, sondern es ist ein Appell an Ihre Erfahrung, um die es hier geht.
(05:46) Also beginnen wir mit der ersten Frage:
Was heißt Glauben?
Natürlich müssen wir zunächst einmal Glauben von Für-wahr-halten unterscheiden: Wenn man sagt: Ich glaube, es wird morgen regnen, dann kann man das für wahr halten oder nicht, man kann sagen, wir werden einmal sehen, vielleicht regnet es, vielleicht regnet es nicht: da handelt sich um eine ganz andere Sprechweise, um eine ganz andere Wirklichkeit, als wenn man im Gottesdienst Credo sagt.
Credo, das lateinische Wort kommt von zwei Wurzeln her, das eine ist Cor, das ‹Herz›, und das andere ist ‹do›, ‹dare›: ‹ich gebe›, ‹ich schenke mein Herz›.
Wer also Credo sagt, der sagt nicht, ich glaube an etwas, was man glauben kann oder nicht glauben kann, es heißt: Ich drücke mein tiefstes Vertrauen aus, ich setze mein Herz auf das, was ich jetzt da aussprechen werde, ich verlasse mich vollkommen darauf, ich verlasse mich: das ist auch so ein wunderschöner Ausdruck in der deutschen Sprache, auf den wir dann später noch zurückkommen werden:
Ich verlasse mich darauf.
Und so können wir also, wenn wir unserer eigenen Erfahrung nachdenken wollen, damit beginnen uns zu fragen:
Worauf kann ich mich denn wirklich letztlich verlassen?
Das ist die Grundfrage, wenn es um den Glauben geht: Worauf kann ich mich letztlich verlassen? Worauf verlassen Sie sich?
(07:33) Da würde ich Ihnen eine Tatsache, eine Wirklichkeit vorschlagen, auf die wir uns wahrscheinlich einigen können, und wieder auf Ihre persönliche Erfahrung bezogen:
‹Es gibt mich.›
Das ist wahrscheinlich unleugbar für jeden von uns: ‹Es gibt mich›. Und wenn wir das nur durchdenken ‒ und darum geht es heute Abend ‒, wir werden immer wieder auf dieses ‹Es gibt mich› zurückkommen, auf diese drei Wörter: ‹Es› ‹gibt› ‹mich›: Wenn wir das wirklich tief durchdenken, dann haben wir schon den Zugang zu dem, was dieser Urglaube ist, um den es hier geht, dieser tiefste menschliche Glaube:
‹ES› ‒ was ist dieses ES, das m i c h gibt?
Das ES gibt alles: ES schneit, ES regnet, ES wächst, ES stirbt rund um mich:
Was ist dieses ES, das alles gibt?
Was ES nicht alles gibt?
Das ist schon der erste Ansatzpunkt: Wenn ich sage: ‹Es gibt mich›, dann habe ich damit schon ein Vertrauen ausgedrückt, ein tiefes Vertrauen auf diesen unergründlichen Urgrund, auf den wir hinweisen, wenn wir ES sagen.
Wir dürfen ihn einen göttlichen Urgrund nennen ‒ wenn wir dieses Wort verwenden wollen ‒, denn er ist eben unergründlich und es gibt davon mehr-und-immer-mehr[3] in allen Dimensionen, er ist unerschöpflich, unergründlich, dieser Urgrund.
(09:35) Das zweite im ‹Es gibt mich› ist das m i c h:
ich bin Teil einer unübersehbaren Vielfalt von Dingen:
alles, was es gibt.
Das ES weist auf das unmanifeste Göttliche hin, wie es im Hinduismus heißt, auf das Nichts, aus dem alles hervorkommt, aber nicht ein leeres Nichts, sondern ein mütterlicher Schoss, ein fruchtbarer Schoss des Nicht-etwas, aus dem alles, was etwas ist, hervorgeht.
Das können wir in Stille ‒ wenn wir wirklich in uns gehen ‒, nachfühlen und darauf können wir immer wieder von verschiedenen Seiten zurückkommen.
Aber da haben wir einerseits das ES, diesen unergründlichen Urgrund, da haben wir das m i c h, das Teil von allem ist, unabgrenzbar: Wir können uns unterscheiden, aber wir können uns nicht trennen von allem, was es gibt. Wir gehören allem an; darauf kommen wir dann noch bei der zweiten Frage zurück.
(10:52) Das dritte ist das Geben: Wir finden uns umgeben von einer unausschöpflichen Lebendigkeit ‒ und die lebt auch in uns ‒, die ebenso unergründlich ist wie das ES, das alles gibt, wie die Vielfalt, die uns umgibt,
das ist jetzt die dynamische Wirklichkeit:
diese Lebendigkeit,
die in uns ist.
Wir brauchen uns ja nur zu fragen: Habe ich das Leben ‒ so wie wir meistens denken: ich verliere mein Leben, ich bewahre mein Leben ‒, oder hat das Leben uns?
Und wenn wir uns darauf einlassen und die Frage wirklich zutiefst stellen, dann finden wir, dass es viel richtiger ist zu sagen, dass das Leben uns hat, denn rein physisch gehen so viele Lebensprozesse in uns vor, über die wir überhaupt keine Kontrolle haben. Wenn Sie ihr Abendessen schon gegessen haben, dann verdauen Sie es jetzt! Und wenn Ihnen jemand die Aufgabe stellen würde: Also verdau jetzt einmal dein Abendessen, dann wären wir völlig verloren. Wie machen wir das? ES tut es, unser Körper tut es. Wir haben keine Ahnung. Unzählige chemische Vorgänge müssen da vorgehen, das Leben weiß genau, wie es das tut, aber wir kennen nicht einmal die wenigsten Namen von all diesen Vorgängen, die sich da in uns ereignen. Und so ist es mit allem, nicht nur mit dem physischen: Das Leben hat uns mindestens ebenso sehr, wie wir das Leben haben:
diese unerschöpfliche Lebendigkeit.
(12:46) Unter diesen drei Gesichtspunkten: ‹ES gibt mich›: der unergründliche Urgrund, die unüberschaubare Vielfalt, die unerschöpfliche Lebendigkeit: unter diesen drei Gesichtspunkten können wir jetzt sagen, was wir mit Glauben meinen: Einerseits sich auf die Verlässlichkeit verlassen.
Wenn wir sagen
‹ES gibt mich›,
und es wirklich ernst meinen,
dann verlassen wir uns auf dieses ES,
das uns jeden Augenblick gibt.
Und wir vertrauen ja darauf,
dass es mich nicht nur jetzt gibt,
sondern auch im nächsten Augenblick geben wird.
Aber im nächsten Augenblick
gibt es mich sozusagen wieder.
Es gibt mich nicht ein für alle Male: In jedem Augenblick wird uns die Wirklichkeit neu geschenkt. Und darauf verlassen wir uns, wenn wir sagen: ‹Es gibt mich›. Darauf verlassen wir uns im Leben. Das ist schon ein Aspekt dieses Urglaubens, den wir mit allen Menschen gemeinsam haben.
(13:58) Wenn wir von der unzähligen Vielfalt von allem, was es gibt, sprechen, dann ist der Glaube die ehrfürchtige Beziehung zu allem, was es gibt.
Die ehrfürchtige Beziehung, denn
‹ES gibt m i c h›
und ES gibt auch alles andere,
da sind wir also alle irgendwie verwandt.
Und die Beziehung wird dadurch ehrfürchtig zu allen anderen.
Der Glaube, dieses Vertrauen, äußert sich in einer ehrfürchtigen Beziehung zu allem anderen, und nicht nur zu allem anderen, was ES mit uns gibt, sondern auch einer ehrfürchtigen, liebenden Beziehung zu dem ES, das mich gibt. Und das ist ungeheuer wichtig.
Ich bin ein Teil von allem, was ES gibt, aber ich bin der Teil, der darüber nachdenken kann, dass ES mich gibt, und der daher zu dem ES, das alles gibt, eine persönliche Beziehung haben kann.[4]
Wenn ich Ich sage, so setzt das ein Du voraus. Ferdinand Ebner (1882-1931), der hier in Wien gelebt hat, zur Zeit von Martin Buber (1878-1965), und ein bisschen früher über dieselben Dinge geschrieben hat, und Martin Buber, dessen Bücher viel mehr bekannt sind, die haben beide diese Beziehung zwischen dem Ich und Du tief durchgedacht und haben das ausgedrückt, was der englische Dichter E. E. Cummings mit dem wunderschönen Satz sagt:
‹Ich bin durch Dich so ich.›[5]
Nicht: ich bin durch Dich so schön, ich bin durch Dich so liebend, ich bin durch Dich, was immer es sein möge, sondern: ‹ich bin durch Dich so ich›.[6]
Nur weil ES Dich gibt, gibt es mich. Und das sagt er zunächst in einem Liebesgedicht, aber hinter den Liebenden steht ja immer noch das ES, das den Liebenden gibt, denn es gibt nicht nur mich, es gibt auch den Liebenden.
Und so ist dieses ‹Ich bin durch Dich so ich›,
das wir zu unserem Geliebten sagen, zugleich
‒ in letzter Hinsicht ‒, auf das ES, das alles gibt, gerichtet.
So können wir also im Glauben eine ehrfürchtige, liebende Beziehung zu diesem Urgrund haben, aus dem alles hervorkommt.
(16:42) Und schliesslich
in Bezug auf die unerschöpfliche Lebendigkeit,
ist der Glaube dankbares Leben.
Das heißt einfach, mit dem Gegebenen, mit allem, was uns geschenkt ist, etwas tun. So zeigt sich ja die Dankbarkeit: Wenn Sie eine Familie von Freunden besuchen, die Kinder haben, Sie den Kindern Spielzeug mitbringen, und die Kinder sagen: Danke, und legen es hin und spielen mit etwas anderem, dann werden Sie vielleicht sagen: Die sind wirklich wohl erzogen, aber Sie werden nicht sagen: Die waren sehr dankbar. Aber wenn die Kinder überhaupt nicht Danke sagen, sondern nur das Spielzeug nehmen und den ganzen Nachmittag damit spielen, dann werden Sie nachher sagen: Die waren aber wirklich dankbar für dieses Geschenk.
Uns so erweisen auch wir uns dankbar, nicht nur, und nicht in erster Linie, indem wir Danke sagen für alles, was uns geschenkt ist, sondern indem wir etwas tun mit allem, was uns gegeben ist.
In jeder Situation, die eine gegebene Situation ist,
wie alle Situationen in einer gegebenen Welt,
in einer gegebenen Zeit, unter gegebenen Umständen,
ist die einzig passende Antwort Dankbarkeit.
Denn alles ist gegeben. Und die Dankbarkeit zeigt sich dadurch, dass wir mit dem Gegebenen etwas machen, etwas aus uns selber machen, denn wir sind uns ja geschenkt. Wir haben uns nicht erkauft, wir haben uns nicht verdient, manchmal wollen wir uns auch gar nicht: Ob wir es wollen oder nicht, wir sind uns geschenkt, wir sind uns gegeben, und aus uns selber können wir etwas machen. Das ist die große Möglichkeit.
So ist also Glaube
unter diesen drei Gesichtspunkten ‹ES› ‒ ‹gibt› ‒ ‹mich›:
das Sich-verlassen auf die Verlässlichkeit,
die ehrfürchtige Beziehung zu den anderen und zu dem Urgrund,
und dankbares Leben: mit dem Gegebenen etwas tun.
Das ist vorläufig unsere Antwort auf die Frage: Was meinen wir mit diesem Glauben, diesem Urglauben? Und den teilen wir mit allen Menschen.
(19:03) Und jetzt fragen wir uns eben, das ist die zweite Frage:
Wer sind a l l e?
Und die Antwort darauf ist:
Alle, die ES gibt.
Das sind nicht nur alle Menschen, denn ES gibt Tiere, ES gibt Pflanzen, ES gibt Mineralien und ES gibt das ganze Universum, das sind alle. Und die teilen auch unseren Glauben in gewisser Hinsicht schon deshalb, weil wir uns eben nicht von ihnen trennen können. Alles hängt mit allem zusammen und wir sind untrennlich mit dem ganzen Universum verbunden. Aber nicht nur mit dem physischen Universum, sondern mit allen Denkrichtungen ‒ die gibt ES ja auch ‒, mit allen Werten ‒ die gibt es ja auch ‒, und mit allen Religionen, die ES gibt.
ES gibt diese vielen Religionen:
Wenn ES diese vielen Religionen gibt, dann gehören die auch zu dem, was im Glauben mitschwingt, was im Glauben mitempfangen wird, oder worauf wir uns im Glauben verlassen.
‹ES gibt mich, ES gibt alles›,
und das ist der Glaube, der alle verbindet.
Und das macht diesen Glauben, diese innere Geste des sich Verlassens, richtig religiös. Religiös in dem Sinne von ‹religio›, von dem lateinischen Wort ‹religio›, da denken wir wieder der Sprache nach: ‹re-ligare› heißt ‹wieder-verbinden›: etwas, was zerrissen oder zerbrochen oder getrennt war, wiederverbinden. Und dieser Glaube verbindet uns wieder mit uns selbst ‒ mit unserem tiefsten Selbst ‒, er verbindet uns mit allen anderen, und er verbindet uns mit diesem Urgrund, mit dem ES, diesem Geheimnis, aus dem alles hervorgeht und zu dem alles zurückgeht.
Allen bin ich durch diesen Urglauben verbunden,
allen und allem, was es gibt.
(21:18) Und jetzt können wir uns der dritten Frage ‒ und der wichtigsten Frage in unserem Abend ‒, zuwenden, und das ist die Frage:
Wie können wir diese Verbundenheit erfahren, pflegen und vertiefen?
Da würde ich Ihnen einige Schritte vorschlagen, und der erste Schritt ist:
Die furchtlose Begegnung mit anderen.
Immer wieder begegne ich Menschen, die dieses interreligiöse Gespräch völlig ablehnen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie eigentlich mit anderen noch nie im Kontakt waren, sie sind sehr abgeschlossen. Und dann begegne ich Menschen, die entweder im interreligiösen Gespräch schon tief drinnen stehen, die verstehen, dass der Glaube alle verbindet, oder die es auch verstehen ohne drinnen zu stehen, das sind immer wieder Menschen, die sich furchtlos anderen öffnen und auch mit anderen Kontakt haben.
Je mehr Kontakt wir mit anderen haben, um so offener sind wir für das Verständnis, dass wir mit allen verbunden sind. Nur die Furcht hält uns davon ab. Daher auch zum Beispiel in der Bibel:
Das Gebot, das am häufigsten wiederholt wird, ist ja nicht, wie man meint, ‹Liebe deinen Nächsten›, das kommt nur ein-, zwei Mal vor, sondern:
Jeder Engel, der erscheint in der Bibel sagt zunächst einmal: ‹Fürchte dich nicht›. Das heißt nicht: ‹Fürchte dich nicht›, ich bin ja nur ein Engel. Wenn uns ein Engel erscheint, müsste man uns auch sagen: ‹Fürchte dich nicht›, aber es geht um ganz etwas anderes. Es geht darum, dass Engel Boten sind, Angelus heißt ja der Bote. Und der Bote sagt immer das Wichtigste zuerst. Und so sagt der Bote immer: ‹Fürchte dich nicht›: dann ist schon alles, das Wichtigste ist damit schon gesagt. Immer wieder kommt dieses Wort. Wenn wir uns nicht fürchten, dann sind wir offen für diese furchtlose Begegnung mit anderen.
(23:32) Das Gegenteil von Glauben, der Gegenpol zum Glauben ist ja nicht Ungläubigkeit oder Häresie, das Gegenstück ist Furcht: Angst,[7] Furchtsamkeit, das ist das Gegenteil von Glauben.
Glauben ist das tapfere Vertrauen, die tapfere innere Geste des Sich-verlassens.
Also Furchtlosigkeit in der Begegnung mit anderen, das ist der erste Schritt, die Voraussetzung könnte man sagen, für das Erfahren unserer Verbundenheit mit allem.
(24:13) Einen zweiten Punkt würde ich auch noch vorschlagen, und das ist Stille. Das ist sehr schwer zu finden. Ich war sehr erfreut zu hören, dass es hier im Kardinal König Haus einen Bereich gibt, der heißt: ‹Stille in Wien›.
Da kann man
Stille finden
inmitten dieser Großstadt. Aber es geht ja nicht nur um den Lärm, den die Stadt macht, es geht weit mehr um den Lärm, den wir selber innerlich ständig erzeugen; um unsere innere Unruhe und die zu überwinden.
Hie und da im Laufe des Tages wenigstens einmal irgendwo einen Augenblick der Stille einzufügen, das wäre schon ein großer Schritt auf dieses Erlebnis der Verbundenheit hin, Verbundenheit mit allem. Denn die Stille erlaubt uns, in die Tiefe zu gehen und dort unsere Verbundenheit wirklich zu erleben. An der Oberfläche erleben wir die nicht. Stille wäre etwas Wichtiges.
(25:22) Und ein drittes:
ein Verständnis für dichterische Sprache pflegen.
Das wird Sie vielleicht überraschen, dass ich das hier hereinbringe, aber das ist ganz ungeheuer wichtig.
Ein Haupthindernis für das Verständnis unter den Religionen ist, dass dichterische Sprache wörtlich genommen wird. Und alle religiösen Traditionen haben so Gewichtiges zu sagen, dass sie es nur in dichterischer Sprache ausdrücken können.
Wenn wir selber ganz Gewichtiges zu sagen haben, was uns wirklich am Herzen liegt, dann werden wir selber dichterisch und sagen: ‹Ich schenke dir mein Herz›, zum Beispiel. Aber kein Mensch wird das wörtlich nehmen und an Herzchirurgie denken. Es handelt sich um eine viel größere Wahrheit, um eine viel tiefere Wahrheit, wie jemand sehr treffend gesagt hat über die Bibel, aber man könnte das über alle heiligen Bücher der Welt sagen:
‹Ich habe die Wahl, die Bibel ernst zu nehmen oder wörtlich.
Und ich habe mich dafür entschieden, sie ernst zu nehmen.›[8]
Wörtlich kann man Dichtung nicht nehmen.
Und so trägt zum Glauben, der uns alle verbindet, zum tieferen Verständnis der anderen, zu einer Auslotung und Pflege dieser Verbundenheit mit anderen, das Verständnis für Dichtung sehr viel bei.
Ich würde zum Beispiel, um Ihnen ein Beispiel zu geben, sagen:
‹ES gibt mich› ‒
da kommen wir wieder auf dieses ‹ES gibt mich› zurück ‒, das ist ja auch letztlich dichterisch, ganz anders als zu sagen: ‹Ich bin da› ‒ in ‹ES gibt mich› ist viel mehr drinnen:
‹Es gibt mich› ist schon ein Ansatz für die Schöpfungsgeschichte, eine Schöpfungsgeschichte liegt schon da drinnen, noch gar nicht in Bilder ausgeformt, aber wunderschön, ansatzweise wunderschön da.
(27:54) Wenn wir darauf hinhorchen können, wenn wir auf solche Bilder eingestellt sind, dann können wir auch die Bildersprache der verschiedenen Traditionen verstehen.
Zum Beispiel über das ES, das es gibt, ein Rilke Gedicht. Viele von Ihnen kennen es vielleicht, aber es ist der Mühe wert, es uns noch einmal anzuhören. Es ist aus dem Stunden-Buch von Rilke, und es ist ein Gebet durch das er sich an Gott wendet, wie so viele der Gedichte im Stunden-Buch.[9]
‹Du Dunkelheit, aus der ich stamme›: das ist das ES, die Dunkelheit, aus der ich stamme:
‹DU Dunkelheit, aus der ich stamme,
ich liebe dich mehr als die Flamme,
welche die Welt begrenzt,
indem sie glänzt
für irgend einen Kreis,
aus dem heraus kein Wesen von ihr weiß.
Aber die Dunkelheit hält alles an sich:
Gestalten und Flammen, Tiere und mich,
wie sie's errafft,
Menschen und Mächte ‒
Und es kann sein: eine große Kraft
rührt sich in meiner Nachbarschaft.
Ich glaube an Nächte.›
‹Ich glaube an Nächte›: das ist der Glaube an das ES, und das ist dichterisch ganz neu und ganz anders ausgedrückt, aber: ‹Ich glaube an Nächte›, ich glaube an die Dunkelheit, die alles zusammenhält, an die Einheit:
‹Ich glaube an Nächte.›
(29:46) Tersteegen in seinem berühmten Lied ‹Gott ist gegenwärtig›, hat diese wunderschönen Zeilen,[10] er nennt Gott
‹Aller Dinge Grund und Leben,
Meer ohn Grund und Ende,
Wunder aller Wunder:
Ich senk mich in dich hinunter.›
Da ist wieder die Stille, das Geheimnis: ‹Ich senk mich in dich hinunter›, das ist das: ich verlasse mich auf Dich auf diese Weise.
Und aus diesem Grund, aus diesem Schoss des Nichts, aus diesem ES, kommt a l l e s hervor: all die Vielfalt, die ganze Vielfalt kommt aus dieser Einheit hervor, quillt hervor.
(30:54) Ich habe das folgende Gedicht nur in einer Übersetzung aus dem Englischen gefunden, die natürlich dem Original nicht gerecht wird: Es wurde ja sogar Dichtung definiert als das, was verloren geht, wenn man sie übersetzt, aber doch, es ist ein so schönes Gedicht von Gerald Manley Hopkins, einem großen englischen Dichter, einem Jesuiten aus dem 19. Jh.. Die Übersetzung gibt schon ein bisschen noch etwas davon wieder, genug um sie Ihnen vorzulesen. Das Gedicht sagt: ‹Ehre sei Gott für gesprenkelte Dinge› ‒
‹Gescheckte Schönheit› [Piet Beauty]
heißt das Gedicht:[11]
‹Ehre sei Gott für gesprenkelte Dinge›, und dann zählt er alle diese hunderttausend Dinge, versucht sie zu aufzuzählen und ein Gefühl dafür zu geben:
‹Ehre sei Gott für gesprenkelte Dinge –
für Himmel, zwiefaltig wie eine gefleckte Kuh;
für rosige Male hingetupft auf schwimmende Forellen;
Kastanienfall wie frische Feuerkohlen; Finkenflügel;
Flur, gestückt und in Flicken ‒ Feldrain, Brache und Acker;
und alles Gewerbe mit ihrem Gewand und Geschirr und Gerät.
Alle Dinge, verquer, ureigen, selten, wunderlich;
was immer veränderlich ist, scheckig (wer weiß, wie?);
mit schnell, langsam; süß, sauer; blitzend, trüb;
zeugt Er hervor, dessen Schönheit sich niemals wandelt:
Preis ihn.›
Alles das zeugt dieses ES hervor, weil ‹ES alles gibt›:
‹Alle Dinge, verquer, ureigen, selten, wunderlich;
was immer veränderlich ist, scheckig (wer weiß, wie?);
zeugt er hervor, dessen Schönheit wandellos ist.›
Für die unter Ihnen, die sich für theologische Feinheiten interessieren, ist es ganz wunderbar, dass Gerard Manley Hopkins, der auch ein großer Theologe war, hier sagt:
‹Er zeugt es hervor›, im Englischen: ‹his fathers forth›, denn Thomas von Aquin sagt, dass der Akt, in dem Gott das ewige Wort spricht: das eine, den Logos, derselbe Akt ist, in dem Gott die Welt erschafft.[12]
Gott ist zu einfach, um zwei Akte zu haben: In e i n e m Schwung kommt aus dem Nichts, dem trächtigen Nichts, dem schwangeren Nichts des göttlichen ES, alles hervor. Das ist der Logos und die ganze Schöpfung in einem Schwung.
So drückt also Dichtung, wenn wir uns darauf einstellen, vieles aus, was wir sonst ja gar nicht ausdrücken können.
(34:15) Jetzt haben wir über die Dunkelheit gesprochen, wir haben über die Vielfalt gesprochen ‒ vielleicht noch ‒, erinnern wir uns an ein sehr berühmtes Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer: ‹Der römische Brunnen›: da ist diese Dynamik drinnen:[13]
‹Auf steigt der Strahl und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.›
Sicher steht das Bild der Dreifaltigkeit dahinter. Es steht ja auch in ‹ES› ‒ ‹gibt› ‒ ‹mich› dahinter.
(35:08) Und nach: ‹Furchtlose Begegnung mit anderen›, ‹Stille›, ‹Verständnis für dichterische Sprache›, würde ich hier auch noch vorschlagen:
dankbares Leben.
Und zwar ist das ganz wichtig, denn dankbares Leben verbindet uns mit allem.
Mein Cousin zeigt mir immer, wie offen wir alle sind für die Verschiedenheit von der Kochkunst. Wir wissen die französische Kochkunst zu schätzen und die italienische und die chinesische und die japanische. Wir brauchen sie ja nur aufzuzählen: Jedes Volk hat seine eigene Kochkunst, wir wissen sie alle zu schätzen ‒ und die Völker: da schließen wir uns plötzlich ab. Wir sollten in Dankbarkeit, so wie wir dankbar sind für die verschiedenen Errungenschaften der Kochkunst, so sollten wir dankbar sein für alle anderen Errungenschaften der Völker, und das schließt ihre religiösen Erfahrungen ein, die unsere ergänzen.
Keine Tradition kann alles haben.
Jede Tradition drückt diesen Glauben auf ganz andere Art aus ‒
diesen tiefsten menschlichen Urglauben ‒,
aber jede auf eine andere Art.
Und da können wir dankbar sein für alle anderen.
Aber dankbares Leben ist auch deshalb so ungeheuer wichtig, weil es uns, wenn wir es wirklich üben ‒ wie jede spirituelle Übung ‒ in das Jetzt versetzt. Und im Jetzt zu sein, heißt sein Selbst zu finden: Selbst im Gegensatz zum Ich:
Nicht, als ob das Ich schlecht wäre, aber das Ich bin nicht Ich selber. Wir können in uns gehen und wir können uns betrachten, und dieser innere Beobachter, der kommt unserem Selbst schon näher. Das Ich ist da draußen, das Ich ist die Maske, das Ich ist die Rolle, die wir spielen. Aber der Beobachter ist innen. Wir können zurücktreten auf den Beobachter, und dann werden wir sagen: Wer beobachtet den Beobachter? Wenn dann noch ein Beobachter da ist, der den Beobachter beobachtet, dann gehen Sie noch weiter zurück, bis Sie zu dem Beobachter kommen, den niemand mehr beobachtet.
(37:43) Das ist dann unser innerstes Selbst, und das ist e i n e s für uns alle. Es gibt nicht eine Mehrzahl von Selbsten. Es gibt nur e i n Selbst, das uns allen eigen ist, das ist unser gemeinsames Selbst, und wir spielen so viele verschiedene Rollen und das ist wunderbar:
Beides ist großartig,
dass es nur e i n Selbst gibt,
und dass es so viele Ausdrucksweisen gibt.
Und unsere Aufgabe ist es, zugleich unser Selbst zu finden, das uns mit allem verbindet, und unsere Rolle gut zu spielen.
Denn nur wir können diese Rolle spielen. Niemand hat all die Voraussetzungen, die jede und jeder von uns hat: Niemand hat dieselben Vorfahren, niemand hat dieselbe kulturelle Einbettung, niemand hat denselben Fingerabdruck. Wir sind einzigartig, und diese Einzigartigkeit ist etwas ungeheuer Wichtiges für uns, wir können einander dankbar sein für diese Einzigartigkeit. Wir können sie aneinander erleben, aber zugleich uns verbunden fühlen in diesem Selbst.
Darum heißt ja auch das Gebot:
‹Liebe deinen Nächsten a l s dich selbst.›
Sehr häufig wird das falsch übersetzt und wir hören: ‹Liebe deinen Nächsten w i e dich selbst›. Dann wird es sehr kompliziert. Dann muss man zunächst sich selbst lieben, wie wenn man jemand anderer wäre, und dann jemand anderen, wie wenn man sich selbst lieben würde, wenn man jemand anderer wäre, und das führt nur zu Komplikationen. Es ist viel einfacher: ‹Liebe deinen Nächsten a l s dich selbst›.
Das Selbst lieben wir,
denn lieben heißt:
‹Ja sagen zur Zugehörigkeit.›
Und dem Selbst gehören wir zu, ob wir es wollen oder nicht. Wenn wir also den Nächsten a l s unser Selbst verstehen, wir wissen, das ist derselbe Schauspieler, der nur eine andere Rolle spielt.
Aber unser Problem ist, dass wir uns mit der Rolle identifizieren.
Unsere Identität ist das Selbst, nicht die Rolle.
Die Rolle ist nur unsere Identifikation, das, was man auf einem Ausweis sieht und vorzeigen muss bei der Passkontrolle.
Aber unsere Identität ist dieselbe für uns alle.
Eine Schauspielerin oder ein Schauspieler spielt die Rolle dann gut, wenn sie wirklich überzeugend ganz eintreten in die Rolle, aber sich nicht identifizieren mit der Rolle. Wenn die Schauspielerin plötzlich glaubt, sie sei Ophelia, dann ist sie verrückt geworden. Wir sind alle verrückt, weil wir uns alle mit unserer Rolle identifizieren. Hie und da gelingt es uns, Gott sei Dank, wenigstens einen Augenblick lang zu wissen, wer wir wirklich sind. Und darin besteht jede spirituelle Übung, das Gewicht zu verlegen vom Ich auf das Selbst. Nicht, dass dann das Ich schlecht ist, aber erst dann können wir die Rolle gut spielen, erst dann können wir das Ich wirklich zu seiner Blüte bringen, wenn das Selbst dahinter steht, wenn das Selbst agiert und Schauspieler ist.
(41:09) Darum ist das so wichtig, denn dann ist durch diese Dankbarkeit, die uns immer wieder in das Jetzt führt, und dadurch zu dem Selbst führt, diese Verbundenheit gegeben.
Wir pflegen sie, wir vertiefen sie jedes Mal, wenn wir dankbar sind.
Denn dankbar kann man nur im Jetzt sein.
Wir können für die Vergangenheit dankbar sein, wir können für die Zukunft dankbar sein, aber wir können nur jetzt dankbar sein, nur in der Gegenwart.
Und da wartet uns schon etwas entgegen, das ist wieder dieses ES, das uns entgegenwartet,[14] das alles gibt.
Uns immer wieder in die Gegenwart zu bringen, heißt unser Gewicht auf das Selbst verlegen, das Selbst finden. Nur in der Gegenwart finden wir das Selbst, denn das Ich ist immer in der Zeit verstrickt. Und darum ist dankbares Leben als eine Übung ungeheuer wichtig.
(42:35) Jetzt möchte ich aber noch einen letzten Punkt anführen: Wie können wir diese Verbundenheit, um die es uns geht im Glauben, der alle verbindet, wie können wir die erfahren, pflegen und vertiefen? Durch
ein neues Durchdenken unserer eigenen Religion.
Viele von Ihnen kommen aus einem christlichen Milieu, christlichen Verständnis, und haben wahrscheinlich schon klar gesehen, dass das ES das ist, wovon der christliche Glaube als dem Vater spricht. Heute würden wir wahrscheinlich lieber Mutter sagen, es drückt das für unser Gehör und für unser Gespür besser aus, aber was die Dreifaltigkeitslehre den Vater nennt, das ist dieser Urgrund, dieser unerschöpfliche Urgrund, dieses ES.
Die unbegreifliche Vielfalt ist der kosmische Christus. Und die unerschöpfliche Lebendigkeit, die Dynamis ist der Hl. Geist. Das liegt schon in dem
‹ES gibt mich›
drinnen als Kern. Wir dürfen nicht sagen: Ja, das ist das innerste Geheimnis der Offenbarung in der christlichen Religion: Ja, es ist das innerste Geheimnis, aber
die christliche Religion, wie jede andere,
ist eine Ausformung dieses menschlichen Urglaubens.
Wir brauchen uns ja nur zu fragen: Wie konnten die Kirchenväter sich jemals einigen auf die Lehre der Trinität? Wenn man liest, was da in den Konzilien des 4. und 5. Jahrhunderts vorgegangen ist: da ist so viel Politik, da ist so viel philosophisches Missverständnis, da ist so viel Streit, dass es nur erklärlich ist, wie die sich überhaupt einigen konnten, dass sie auf diesen tiefsten menschlichen Urglauben zurückgekommen sind.
Diesen Urglauben findet man auch ausgedrückt in anderen Traditionen, im Buddhismus ganz klar, in anderen Traditionen auf ganz andere Weise, aber im Gespräch kann man verstehen: denen geht’s um dasselbe.
Es geht immer um das ‹ES gibt mich›:
um diesen Abgrund, der alles gibt,
um die Fülle der Wirklichkeit, der ich angehöre,
und um die Dynamik, durch die alles hervorkommt,
und durch die alles zurückgegeben wird.
(45:19) Und da kommt wieder die Dankbarkeit herein, denn so erleben wir es. Heutzutage finden viele Menschen es sehr schwierig, das traditionelle Gottesbild, die traditionelle Gottesvorstellung noch nachzuvollziehen. Denn es fühlt sich zu sehr an als ein Gott, der von uns getrennt ist.
Wir wissen, dass alles mit allem zusammenhängt, und wir erleben uns auch als selbst unauslotbar, das heißt im Innersten göttlich.
Das heißt nicht, ich bin einfach Gott, aber es heißt, das innerste Wesen von mir ist göttlich.[15] Und das ist der Logos, das ist völlig in der christlichen Tradition gegeben, und so hilft es uns, uns zu orientieren in der Welt durch Dankbarkeit, durch die Vorstellung ‒ die der Wirklichkeit entspricht ‒, dass alles hervorkommt aus einer unergründlichen Quelle: dem Geber aller Gaben, wenn wir das persönlich sagen wollen, und wir haben alles Recht, das persönlich zu sagen:
Aus der Quelle, dem Geber aller Gaben, kommt alles hervor, alles ist Gabe, alles ist gegeben, alles feiert sein Dasein: der Logos, der kosmische Christus in uns und um uns und im ganzen Kosmos, und
in Dankbarkeit geben wir uns jetzt zurück an diesen Ursprung,
einfach dadurch, dass wir tun, was uns zu tun aufgeben ist:
Jede Gabe ist zugleich Aufgabe.
Die Vögel erweisen sich dankbar dadurch, dass sie singen, die Fische dadurch, dass sie schwimmen, die Mütter dadurch, dass sie Mütter sind, und die Wissenschaftler dadurch, dass sie Wissenschaft betreiben, und so jeder von uns dadurch, dass wir das tun, was uns aufgegeben ist vom ES, das uns gibt.
(47:27) Und jetzt kommt noch ein Bereich dazu, noch ein Kreis der Zugehörigkeit: Wenn wir das wirklich durchdenken ‒ jetzt vom christlichen Standpunkt her,
denn es geht darum, unseren eigenen Glauben
durchzudenken, von der Mitte her,
von der Trinitätslehre her ‒,[16]
dann sehen wir, dass für uns hier im Westen, also für Juden, Christen und Muslime, das Wort völlig im Mittelpunkt steht, das Geschenkte, die Gabe, völlig im Mittelpunkt steht.
Für Buddhisten das Schweigen, aus dem das Wort kommt, für Hindus das Verstehen des Wortes.
Für uns ‒ ich nenne die drei Traditionen [Judentum, Christentum und den Islam] gerne die Amen-Traditionen, denn sie haben das Wort Amen gemeinsam, und das ist ja kein Zufall, denn Amen ‒ und da denken wir wieder der Sprache nach ‒, Amen ist die Antwort auf die Amunah Gottes, und die Amunah ist die Verlässlichkeit Gottes. Wir verlassen uns auf die Verlässlichkeit Gottes:
In diesem einen Wort A m e n liegt schon der ganze Glaube drinnen:
Ich verlasse mich auf die Verlässlichkeit Gottes.
Und darum steht für uns das Wort so im Mittelpunkt, oder die gegebenen Dinge: die Gabe, steht für uns so im Mittelpunkt.
Für Buddhisten ‒ und das ist für uns schwer nachzuvollziehen ‒, steht das Schweigen ebenso im Mittelpunkt wie für uns das Wort.
Ich erinnere mich noch, wenn ich während meines Studiums des Buddhismus gedacht habe, also das habe ich jetzt doch richtig verstanden und wollte es noch ausprobieren mit meinem Lehrer und habe gesagt: ‹Also habe ich das jetzt richtig verstanden›, und habe es ganz genau formuliert, hat er nur gelacht und gesagt: ‹Ausgezeichnet, ganz genau, aber wie schade, dass du das in Worte fassen musst›. Und dann ist er selber in unserem Gespräch sehr beredt geworden und hat angefangen über den Buddhismus sehr beredt zu sprechen, und plötzlich hat er mitten in einem Satz abgebrochen und gelacht und gesagt: ‹Ich rede schon wieder zu viel, ich bin schon ein halber Christ›. Er hat vollkommen diese Beziehung zwischen Wort und Schweigen, Nichts und der Fülle verstanden.
Im Hinduismus steht ebenso das Verstehen im Vordergrund:
So wie bei uns im Westen das Wort,
und im Buddhismus das Schweigen,
so ist im Hinduismus das Verstehen zentral.
Swami Venkatesananda, ein ganz großer Lehrer, sagt: ‹Yoga› ‒ und das ist die Spiritualität des Hinduismus schlechthin ‒, ‹Yoga i s t Verstehen›.
Und Yoga kommt von derselben Sprachwurzel wie Joch, ein Joch für Ochsen, und jocht zusammen, verbindet das Wort und das Schweigen ‒ wenn wir das Wort und das Schweigen verbinden ‒, dann erst verstehen wir.
Wir verstehen ‒ und da appelliere ich wieder an ihr Verständnis, an Ihre eigene Erfahrung ‒, wir verstehen etwas zutiefst, wenn wir so tief darauf hinhorchen, dass es uns dorthin führt, woher es kommt, und das wahre Wort kommt immer aus dem Schweigen und führt uns in das Schweigen. So verbindet sich Wort und Schweigen im Verstehen.
(51:12) Das könnte man natürlich noch viel weiter ausführen, aber wichtig ist für mich hier im Zusammenhang mit dem Glauben, der alle verbindet, dass
was für uns Christen diese trinitarische Gottesschau ‒
dieses Gottesverständnis ‒ beinhaltet,
so tief und so allumfassend ist,
dass eine Tradition sie gar nicht ausschöpfen kann.
Unsere Christliche betont hauptsächlich das Wort. Darum sprechen wir auch von Theo-logie, da ist schon das Wort drinnen.
Was die Theologie des Vaters wäre, das lotet der Buddhismus aus, das ist das Schweigen, das ist nicht mehr das Wort. Was die Theologie des Hl. Geistes wäre, des Geistes des Verstehens ‒ auch die Gabe des Geistes: Verstand, die Liebe ‒, das lotet der Hinduismus aus, versucht es auszuloten.
Und wenn wir das verstehen, dann sehen wir auch die Verbundenheit zwischen allem, und mein liebstes Bild für diese Verbundenheit ist der Reigentanz dieser Traditionen: Wenn man sie gut verstehen lernt, sieht man, dass die wie Kinder sind, die einander an den Händen halten und rundherum tanzen in einem Reigentanz.
Wenn Sie sich jetzt vorstellen, dieser Reigentanz geht hier vor, und Sie stehen außerhalb dieses Reigentanzes wie die Religionswissenschaftler, und wollen das also von außen betrachten, dann sehen Sie immer, dass die Ihnen am nächsten in einer Richtung gehen, und die Ihnen am fernsten in genau der entgegengesetzten Richtung gehen. Wo immer Sie außerhalb des Kreises stehen, ist genau das richtige Bild, lässt sich nicht bestreiten:
Die einen gehen in einer Richtung, die anderen, die entfernteren, gehen in der entgegengesetzten Richtung. Im Augenblick, wo Sie nicht mehr das von außen sehen wollen, sondern die Hände halten und selber in den Kreis eintreten ‒ und dazu sind wir aufgefordert durch unsere Gläubigkeit ‒, auf einmal sehen wir, dass alle in einer Richtung gehen.
Und wenn unser Gespräch heute Abend, jetzt meine Einführung und dann unser gemeinsames Gespräch, ein bisschen dazu beitragen kann, dass wir nicht mehr von außen schauen ‒ furchtsam ‒, sondern eintreten, die Hände halten und sehen, dass wir alle in e i n e r Richtung gehen, dann bin ich sehr dankbar.»
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«Es gibt viele Glaubensüberzeugungen, aber nur einen Glauben. Wir müssen lernen, unsere Überzeugungen weniger wichtig zu nehmen als die Urgebärde gläubigen Vertrauens. Glaubensüberzeugungen haben die Kraft, uns zu entzweien, Glaube aber hat die noch größere Kraft, uns zu einen.»
[2] Martin Heidegger: ‹Unterwegs zur Sprache›, Stuttgart, Klett-Cotta 2022; siehe auch die Transkription des Vortrags Dankbarkeit als Achtsamkeit im Dialog (2014), 5, wie auch die Einleitung in allen drei Vorträgen zum Credo ‒ ein Glaube, der alle verbindet (2010)
Worum sich letztlich alles dreht (2021): Interview geführt vom Tyrolia-Verlag mit Bruder David; siehe auch Dichtung, Bilder Sprache: Ergänzend: 2.:
«Sie benennen in Ihrem Buch Orientierung finden (2021) fast 100 Schlüsselworte für Ihr Leben – gibt es auch ein besonderes Schlüsselerlebnis oder eine Schlüsselbegegnung für Sie?»
«Martin Heidegger hat mir so ein Schlüsselerlebnis geschenkt, für das ich zutiefst dankbar bin. Er spricht davon, dass wir ‹der Sprache nachdenken› können, wie man etwa einem Feldweg nachgeht. Das hat mich zutiefst berührt, als ich es zum ersten Mal las. Es hat mir bewusst gemacht, dass das Denken unserer Vorfahren unsere Sprache geformt hat und dass wir uns unbewusst in diesen Denkbahnen bewegen – dass wir dies aber auch mit großem Gewinn bewusst tun können.
Heidegger hat mir durch diese Einsicht einen Schlüssel in die Hand gegeben, der mir in unserer Muttersprache Tür um Tür aufgeschlossen und immer neue Einsichten geschenkt hat. Auch an anderen Sprachen durfte ich dies erfahren, besonders im Englischen, wo ich mich ja ebenso zuhause fühle wie im Deutschen. ‹Der Sprache nachdenken› wurde zur Grundhaltung meines Denkens und hat auch mein neues Buch Orientierung finden, entscheidend beeinflusst.»
[3] Orientierung finden (2021): Gott ‒ das geheimnisvolle ‹Mehr-und-immer-Mehr›, 58; siehe ausführlicher in Religionen und heiles Gottesbild: Ergänzend: 2.1. und 2.2.:
«Hinter allem, was uns im Leben begeistert, steckt stets mehr: das ‹Mehr›, das wir Geheimnis nennen. Deshalb kann die große Theologin Dorothee Sölle (1929-2003) Gott ‹das Mehr› nennen ‒ das ‹Mehr-und-immer-mehr›, könnten wir sagen.»
[4] Film Der Sinn des Lebens und die Dankbarkeit (2024), siehe auch die Mitschrift Sinnvoll leben, dankbar leben:
(08:12) «Auf das Leben hinhorchen, Augenblick für Augenblick, und dem Leben antworten! Das hängt gar nicht von den konkreten Lebensumständen ab. Zum Beispiel: Wenn du in der Früh aufwachst und Deinen Tagesplan anschaust – in der Haltung: ‹Das schenkt mir das Leben, das verlangt es von mir› – dann hast du ein Gegenüber: das Leben.
ES lebt dich!
Wir haben nicht das Leben, das Leben hat uns. Trotzdem können wir uns ihm gegenüberstellen. Das ist sehr geheimnisvoll, und sehr tief:
Wir sind Leben, das Leben lebt uns, und wir sind mit ihm im Dialog: hörend, achtsam auf das, was das Leben von mir will. Und zugleich achtsam darauf: Was schenkt es mir? Natürlich können wir auch taub und schlafwandelnd sein.»
«Du sprichst vom Leben so, als wäre es ein Subjekt.
Was ist das: das Leben,
das etwas von mir will?»
«Es ist unser großes Du, und es ist das ES, das alles gibt. ES gibt sogar m i c h!
Was ist dieses ES?
Es ist das geheimnisvolle Herzstück,
die Mitte des Lebens.
Wir stehen ständig im Dialog damit.
Wenn du über dein Leben nachdenkst, dann ist dieses Leben ja nicht eine Aneinanderreihung von unzusammenhängenden Episoden, sondern du hast eine Geschichte. Eine Geschichte: Das setzt voraus, dass du sie jemandem erzählst.»
«Auch sich selber?»
«Ja, aber auch jemand anderem: dem großen Du, dem du gegenüberstehst, und das ich ‹das Leben› nenne: Man kann es auch – sehr vorsichtig – ‹Gott› nennen.»
[5] i am so glad and very
merely my fourth will cure
the laziest self of weary
the hugest sea of shore
so far your nearness reaches
a lucky fifth of you
turns people into eachs
and cowards into grow
our can'ts were born to happen
our mosts have died in more
our twentieth will open
wide a wide open door
we are so both and oneful
night cannot be so sky
sky cannot be so sunful
i am through you so i
e. e. cummings
[6] So auch der Titel des Buches Ich bin durch Dich so ich: Lebenswege. David Steindl-Rast im Gespräch mit Johannes Kaup, Münsterschwarzach, Vier-Türme-Verlag (2016). Ebenso die englische Übersetzung: ‹i am through you so i›, New York, Paulist Press [2017]
[7] Umgangssprachlich werden Furcht und Angst synonym gebraucht. Bruder David differenziert zwischen Angst, die unvermeidlich ist, und Furcht , die sich gegen die Angst sträubt und dem Ego verfällt.
[8]Im Buch: Orientierung finden (2021), 67; siehe auch Religionen ‒ drei Ausdrucksformen: Ergänzend: 3.1.:
«Wenn wir vergessen, dass alle Texte, die über das Geheimnis sprechen, symbolisch zu verstehen sind, also nicht wörtlich, dann sind wir schon auf dem Holzweg.
So hat zum Beispiel der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide (1922-1997) treffend gesagt:
‹Man kann die Bibel ernst nehmen oder wörtlich, beides zusammen ist nicht möglich.›
Ähnlich gilt das von den heiligen Schriften aller Religionen.»
[9] ‹Du Dunkelheit, aus der ich stamme› (Rilke, Das Stunden-Buch), siehe Einsichten aus Rilkes Dichtung, Teil I (2014), 14-19
[11] Piet Beauty
Glory be to God for dappled things –
For skies of couple-colour as a brinded cow;
For rose-moles all in stipple upon trout that swim;
Fresh-firecoal chestnut-falls; finches’ wings;
Landscape plotted and pieced – fold, fallow, and plough;
And áll trádes, their gear and tackle and trim.
All things counter, original, spare, strange;
Whatever is fickle, freckled (who knows how?)
With swift, slow; sweet, sour; adazzle, dim;
He fathers-forth whose beauty is past change:
Praise him.
Gerard Manley Hopkins (1844-1889)
[12] Thomas von Aquin: Das Wort: Kommentar zum Prolog des Johannes-Evangeliums (lat.-dt.) (= Einführende Schriften, Bd. 1), übersetzt von Josef Pieper; hrsg. von Hanns-Gregor Nissing und Berthold Wald, München, Pneuma-Verlag [2017], 9:
«Wir nämlich sind unvermögend, alle unsere Erfahrungen in einem einzigen Worte auszusprechen; so müssen wir viele unvollkommene Worte bilden, durch die wir getrennt alles das aussprechen, was in unserem Wissen ist. In Gott aber ist es nicht so: weil er sich selbst und alles, was er durch seine Wesenheit erkennt, in einem einzigen Akt erkennt, darum spricht das einzige göttliche WORT alles aus, was in Gott ist, nicht nur die göttlichen Personen, sondern auch die Schöpfung; sonst wäre es unvollkommen. So sagt Augustinus: ‹Würde das WORT irgend weniger umfassen, als in dem Wissen dessen ist, der es spricht, so wäre das WORT unvollkommen. Nun aber ist gewiss, dass es auf die höchste Weise vollkommen ist; also ist es nur eines.› Und im Buche Hiob heißt es: ‹E i n Mal spricht Gott.› (Hiob 33,14).»
[13] Fragen in Wendezeiten (2010)
Vortrag
(57:23) Stillhalten im Vertrauen (Glaube) ‒ Offenheit für Überraschung (Hoffnung) ‒ Empfangen und Weiterschenken (Liebe) / (58:38) Der römische Brunnen (C.F. Meyer)
[14] Sinne und Kind werden: Anm. 7; Berufung: Anm. 5:
Das Wort ‹entgegenwarten› stammt von Rilke: ‹Nach aller Kunst wieder einmal Natur. Nach dem vielen das eine, nach dem Suchen diesen einen großen und unerschöpflichen Fund, in welchem tief innen noch unberührte Künste einer leisen Erlösung entgegenwarten.› (R. M. Rilke, Das Florenzer Tagebuch)
[15] Auf der Suche nach einem heilen und heilenden Gottesverständnis, in: MYSTIK ‒ Spiritulität der Zukunft: Erfahrung des Ewigen (2005), 83; siehe auch Religionen und heiles Gottesbild:
«Die frühchristliche Tradition drückte diese mystische Erfahrung aus, indem sie Gottes Einheit als Vater, Sohn und Heiligen Geist bekannte. Dies ist ein panentheistisches Gottesverständnis, das sich vom Pantheismus (alles ist Gott) durch die Silbe e n (= i n) unterscheidet.
Gott ist in allem und alles ist in Gott ‒ in dem M e h r, das immer noch mehr ist als alles.
Die theistische Vorstellung von Gott als dem absolut Anderen war aber so tief eingegraben in der westlichen Mentalität (und so vorteilhaft für die Machthaber), dass diese wilde wundervolle Gottesanschauung gezähmt werden musste.
Christliche Theologen vergegenständlichten die mystische Erfahrung von Gott als dreieinig und projizierten sie auf den theistischen ‹Gott da draußen›. Die Zeit war noch nicht reif.»
[16] Jesus als Wort Gottes (1972), abgedruckt im Buch Die Frage nach Jesus (1973), 65; siehe auch ‹Es gibt mich›: Ergänzend: 1.2.:
«Unser Glaube sieht all dies im Lichte der Dreifaltigkeit. Für uns Christen sind die Wege des Menschen auf der Suche nach dem tiefsten Sinn nur im Lichte des trinitarischen Geheimnisses verständlich.»