Credo (2010)
Vortrag Freiburg von Bruder David,
zusammengestellt von Hans Businger

(05:39) «Herzlichen Dank! Ich freu mich wieder in Freiburg zu sein, ich bin sehr dankbar der Gemeinde der Ludwigskirche, der katholischen Akademie und Herrn Dr. Schwab[1] und auch dem Herder Verlag, auch für die Ausstattung des Buches, für die ich sehr dankbar bin.

Zunächst hätte ich auch gedacht, dass ich vielleicht gleich beginnen könnte, über das Buch selbst zu sprechen und über die einzelnen Teile des Buches: Je mehr ich aber darüber nachgedacht habe, um so klarer ist mir geworden, dass wir eigentlich damit auf das Gespräch nach dem Vortrag warten müssen, denn wir müssen zuerst darüber klar sein, was eigentlich ein Glaube ist, der alle verbindet. Und wenn wir uns darüber einmal klar sind, dann können wir auch die verschiedenen Glaubenssätze des Credo [Leseprobe S. 16f..] oder irgend eines anderen Textes nehmen und verstehen. Aber das kann man nicht voraussetzen.

Und so möchte ich zunächst einmal über die Voraussetzungen sprechen, das heißt:

‹Was meinen wir mit einem Glauben, der alle verbindet›?

Das können wir wieder in drei Fragen unterteilen:

‹Was meinen wir, wenn wir vom Glauben sprechen›?

‹Wen meinen wir, wenn wir sagen:  a l l e , die der Glaube verbindet›?

‹Und was können wir tun, um diese gläubige Verbundenheit in uns selbst
zu nähren und überhaupt erst zu finden›?

Wenn wir diese drei Fragen beantworten können, dann wird es uns sehr leichtfallen, Glaubenssätze, auch Glaubenssätze, die uns sonst schwierig und unzugänglich erscheinen, viel besser zu verstehen und, wie gesagt, das möchte ich dann, wenn es Sie interessiert, im Gespräch mit Ihnen versuchen, denn Sie können ja dann ihre Lieblingsglaubenssätze oder die, mit denen Sie die meisten Schwierigkeiten haben, ins Gespräch bringen.

Ich muss Sie also bitten, mitzudenken, aber mehr als mitzudenken: Ich möchte Ihnen hier nicht etwas vorsetzen, sondern es ist mehr eine Einladung zum Mitdenken und darüber hinaus zum Mitnachdenken. Und was wir nachdenken wollen, ist unter anderem die Sprache: Heidegger hat den schönen Ausdruck geprägt:

‹Der Sprache nachdenken›:

So wie man einem Weg nachgeht, so kann man der Sprache nachdenken. Und wir wollen hier unter anderem auch der Sprache nachdenken, vor allem aber Ihrem eigenen Erleben nachdenken: Es kommt alles darauf an, dass wir genügend in Verbundenheit stehen hier heute Abend, dass das, was ich sage, Sie anregt, Ihrem eigenen Erleben, Ihrer eigenen Erfahrung nachzudenken und sich von Ihrer eigenen Erfahrung lenken zu lassen.

Was ich sage, entspringt meiner eigenen Erfahrung, wird aber für Sie erst dann wahr, wenn es auch Ihrer Erfahrung entspricht. Und wenn es Ihrer Erfahrung nicht entspricht, dann haben wir eben im Gespräch Gelegenheit für Sie zu sagen, da hat irgendetwas nicht gestimmt: Entweder habe ich mich dann nicht gut ausgedrückt oder unsere Erfahrungen sind sehr verschieden. Ich hoffe aber, dass ich auf so ganz grundlegende Erfahrungen zu sprechen kommen kann, von denen man voraussetzen darf, dass Sie bei allen Menschen, soweit man verallgemeinern darf, ein Echo finden.

(09:46) Wenn wir also mit der Frage beginnen:

‹Was verstehen wir unter Glauben›? ‒

und ich mich an Ihre eigene Erfahrung dabei wende, dann müssen wir zunächst die Unterscheidung treffen, zwischen Glauben und Für-wahr-halten.

Im alltäglichen Gebrauch des Wortes ‹glauben› machen wir diese Unterscheidung nicht. Jemand fragt: ‹Wird es morgen regnen›? Und jemand anders sagt: ‹Ich glaube›. Das ist nicht das ‹Ich glaube›, das man im Credo ausspricht oder in der Kirche, das ist etwas ganz anderes, das ist ein ‹Für-wahr-halten›: Es kann stimmen, es kann nicht stimmen:

Das Wort ‹Ich glaube› im Credo kommt von dem lateinischen Wort, das aus zwei Wurzeln zusammengesetzt ist: ‹Cor›‹das Herz› und ‹do› / ‹dare›‹ich gebe›: Ich gebe mein Herz, ich setze mein Herz auf etwas, ich spreche hier von etwas, auf das ich mich so tief verlasse, dass ich mein ganzes Herz darauf setze, das heißt ‹Credo›.

Der christliche, der religiöse Glaube, um den es hier geht, ist also nicht ein ‹Für-wahr-halten› im intellektuellen Sinn, sondern alle unsere intellektuellen Kräfte fließen auch darin ein, aber es geht um weit mehr, es geht um ein ‹Sich verpflichten›, ein ‹Sich so hingeben› daran, dass man sich für etwas verpflichtet, was daraus entspringt:

Wenn ich mein Herz auf etwas setze,
dann verpflichte ich mich auch,
etwas zu tun und danach zu handeln,

es geht also um weit mehr.

(11:53) Und wie erleben wir also jetzt am tiefsten, ursprünglichsten dieses ‹glauben›, dieses ‹sich-verlassen›, dieses ganzheitliche Vertrauen, dieses ‹sein Herz auf etwas setzen›? Wie erleben wir das im Leben?

Und jetzt gehe ich eben weit vom Credo weg auf unser allgemein menschliches Erleben, und jemand, der noch nie vom Christentum etwas gehört hat, müsste auch hier jetzt mitkommen: Das ist der Grundsatz, denn das Buch ist ja aus dem interreligiösen Gespräch entstanden und aus meiner Erfahrung, dass wir im interreligiösen Gespräch meistens sehr harmlose Texte heranziehen, mit denen jeder irgendwie übereinstimmen kann, aber man scheut sich, sehr spezifisch christliche Texte mit Buddhisten zu besprechen, weil man glaubt, die können das ja nicht verstehen, und die Buddhisten haben die gleiche Scheu, ihre ganz spezifisch buddhistischen Texte mit uns zu teilen, weil Sie immer glauben, wir verstehen das ja sowieso nicht. Das kann auf einer gewissen Ebene sogar stimmen.

Wenn wir aber wirklich auf ein interreligiöses Gespräch eingehen wollen, dann müssen wir den Glauben finden, der alle verbindet, der uns mit unserem Gesprächspartner verbindet. Und da müssen wir tiefer gehen, da müssen wir auf diesen existenziellen Glauben gehen, der sich dann in den Glaubenssätzen ausdrückt und in verschiedenen Glaubensgemeinschaften ganz verschieden ausdrückt.

Die buddhistische Lehre und Tradition ist in einer ganz andern Welt entstanden als die christliche, und ich nehme jetzt nur zum Beispiel diese beiden Traditionen: Die buddhistische ist in einer ganz andern Welt entstanden, zu einer ganz andern Zeit, in einer ganz andern Kultur, und hat sich auch im Lauf der Jahrhunderte ganz anders weiterentwickelt als die christliche. Daher darf man nicht erwarten, dass die Glaubenssätze einander ähneln.

(14:14) Aber, was jeder Glaubenstradition zu Grunde liegt, ist dieser menschliche Urglaube, ist dieses ‹uns verlassen›, ist dieses ‹unser Herz schenken›.

Und das ist jetzt eben meine These:

‹Wenn wir tief genug in irgendeinen Glaubenssatz
von irgendeiner Tradition eindringen
‒ in unsere eigene, da ist es am leichtesten ‒,
dann kommen wir schließlich zu diesem tiefen Glauben,
der uns alle verbindet›
:

Das ist die grundlegende These und die wollen wir jetzt gemeinsam erarbeiten und der wollen wir gemeinsam nachspüren auf Ihrem eigenen Erleben beruhend.

Darum müssen wir mit der Frage beginnen:

‹Was sind die großen Fragen im Leben,
die unsere Gläubigkeit herausfordern›?
[2]

Und da würde ich für heute Abend nur drei vorschlagen, und die erste ist:

‹Was ist denn der tiefste Grund von allem›?

Wer hat sich das nicht schon einmal gefragt. Besonders Kinder fragen das: Wir müssen oft weit zurückgehen, wir haben das schon längst vergessen, solche Fragen zu stellen, aber Kinder sind tiefe Philosophen und als Kinder haben wir uns meist auch schon diese Frage gestellt:

‹Warum gibt es denn überhaupt etwas und nicht nichts?
Warum ist nicht nichts? Warum ist etwas›?

Solche Fragen ‒ also: ‹Was ist der tiefste Grund von allem›? ‒, das ist eine dieser Fragen. Und ich glaube, dass das eine Frage ist, die Sie sich auch schon selber gestellt haben. Und wenn Sie sich diese Frage nicht so ausdrücklich gestellt haben, so steht sie doch weit hinter vielem in unserm Erleben dahinter ‒ weitgehend ‒, und es ist nicht umsonst, uns diese Frage ausdrücklich zu stellen.

Eine andere Frage, die auch so eine ganz grundlegende ist, ist:

‹Wer bin ich›?

Ja, wenn wir fragen: ‹Wer bin ich›? … Versuchen Sie es einmal. Sagen Sie schnell in ihrer Vorstellung jemandem ‒ sagen Sie mir, nur in ihrer Vorstellung ‒, wer Sie sind.

Auf eines kann man sich dabei immer verlassen: Alle diese Antworten haben eines gemeinsam: Sie drücken eine Beziehung aus, Sie drücken irgendeine Zugehörigkeit aus: Entweder zu einer Familie, zu einem andern Menschen, zu einem Land, zu einer Sprache, zu einer Berufsklasse, Sie drücken immer eine Zugehörigkeit aus. Wir antworten auf die Frage ‹Wer bin ich›? mit einer gewissen Zugehörigkeit. Jedenfalls ist das auch eine der ganz tiefen Fragen, auf die ich gleich zu sprechen kommen möchte.

Und die dritte ist:

‹Worum geht es eigentlich im Leben›?

Ich habe einmal einen gezeichneten Witz gesehen: Da sitzt jemand auf einem kleinen Planeten Erde im Weltall und rundherum sind alle die andern Planeten, und er sagt:

‹I want to know what this whole show
is all about, before it’s out.›

‹Ich möchte wissen, worum es sich bei dieser Show
handelt, bevor sie zu Ende ist.›

Piet Hein (1905-1996)[3]

Das fragen wir uns auch. Wir wollen das auch wissen. Das ist auch eine dieser großen Fragen.

(18:06) Wie kommen wir zu einer Antwort? Nur indem wir uns verlassen, nur indem wir uns auf etwas verlassen. Und das ist das Entscheidende:

Nur durch Gläubigkeit kommen wir zu irgendeiner Antwort
auf diese großen Fragen.

Zunächst:

‹Was ist der tiefste Grund von allem›?

Wir wissen nicht, woher wir kommen ‒ wir wissen es bis zu einem gewissen Grad, und wenn wir ganz weit zurückgehen wollen, wissen wir es vielleicht bis zum Urknall, aber dann vorher auch nicht mehr: Besonders weil es gar kein vorher gibt, wird das sehr problematisch.

Wir wissen nicht, wohin wir gehen. Im Glauben haben manche Menschen eine tiefe gläubige Überzeugung, wohin Sie gehen, und können das sogar in einem Glaubenssatz ausdrücken, und ein Christ wird es in einer andern Weise ausdrücken als ein Buddhist oder ein Hindu ‒ da gibt es ganz verschiedene Ausdrucksweisen dafür ‒, aber letztlich, was immer wir dazu sagen in einem Glaubenssatz, ist

Ausdruck dieser tiefsten Gläubigkeit,
dass wir vertrauen, dass dieser Urgrund
‒ dieser völlig unergründliche Abgrund ‒,
dass wir uns irgendwie auf den verlassen können,
dass darin irgendwie eine Verlässlichkeit liegt.
[4]

Und da sehen Sie schon, dass das ein Akt ist.

Der Glaube ist ein Akt, er ist etwas, was Sie tun müssen.

Sie können diesen Glaubensakt verweigern. Sie können einfach verweigern zu sagen, dass irgendetwas Sinn hat.

Wenn Sie sich aber darauf verlassen, dass dieser Urgrund, diese Unergründlichkeit, aus der wir stammen, auf die wir zugehen, und die ständig unter allem liegt, dass die Sinn hat ‒, wenn wir uns darauf verlassen, dann finden wir Sinn.[5]

Wenn wir uns nicht darauf verlassen, dann können wir nicht Sinn finden. Das heißt nicht, dass es zwingend ist, sich darauf zu verlassen. Aber wenn wir ein sinnvolles Leben leben wollen, müssen wir uns irgendwie darauf verlassen, uns verlassen; und das ist auch so schön wieder in der Sprache ausgedrückt:

Wir müssen uns verlassen auf etwas hin in diesem Vertrauen.

(21:04) Darüber wird noch mehr zu sprechen sein, aber ich möchte zur nächsten Frage übergehen:

‹Wer bin ich›?

Und da finden wir uns jetzt als einen Teil der unbegreiflichen Vielfalt von Dingen, die ebenso unbegreiflich ist: Wir können sie nicht greifen, denn sie ist viel zu viel ‒ sie ist ebenso unbegreiflich wie dieser Urgrund, aus dem wir stammen ‒, unbegreifliche Vielfalt und wir sind ein Teil davon:

Es gibt mich.

Wir finden uns hier vor: Es gibt mich. Wenn wir das einmal wirklich durchdenken, wirklich nachdenken über diesen einen kleinen Satz ‹Es gibt mich› ‒ unzweifelhaft:

Was ist dieses ES, das mich gibt?

Ich finde mich vor und ES gibt mich. Und ES gibt mich jeden Augenblick. Und ES gibt mich jeden Augenblick neu.

Und dieses ES ist dieser unerschöpfliche Urgrund,
aus dem jeden Augenblick die unbegreifliche Vielfalt aller Dinge hervorquillt.

Und auch darauf muss ich mich irgendwie verlassen, denn ES gibt mich. Damit muss ich mich irgendwie abfinden.

Der Glaube, der dem unergründlichen Ursprung entspringt,
ist das Sich-verlassen auf die Verlässlichkeit von allem, was es gibt.
[6]

Dass ES mich gibt, das Erlebnis dieser unbegreiflichen Vielfalt, ist erfassbar im

Glauben als eine ehrfürchtige Begegnung mit dem letzten Du.
Und dieses letzte Du kann dieser Grund sein,
aus dem ich stamme, aus dem ich komme.
Ich kann mich an diesen Grund wenden im Vertrauen.

Dass ES mich gibt, bedeutet, dass ich mich an dieses ES wenden kann, das mich ständig gibt. Ich kann eine persönliche Beziehung haben zu diesem ES, das mich gibt.

Das ist ganz besonders eine christliche Betonung, aber es ist eine Urerfahrung des Menschen, die aber im Christentum ganz besonders stark betont und herausgestellt wurde. Es ist sozusagen einer der ganz großen Beiträge der christlichen Tradition zu diesem menschlichen Urglauben.[7]

Dass es diesen unerschöpflichen Urgrund gibt, dass es diese Vielfalt gibt, das ist unzweifelhaft. Und dass ich mich verlassen kann auf diesen Urgrund, das ist auch noch Glaubensgegebenheit; dass ich aber eine persönliche Beziehung haben kann mit diesem Urgrund, das ist christlich.

Das ist nicht ausschließlich christlich, aber das ist durch Jesus Christus eingeführt worden, der sich an diesen Urgrund wendet und ihn persönlich Vater nennt: Abba sogar, mit einer sehr warmen, persönlichen Beziehung.[8]

Gerade, weil es so ein warmes, persönliches Wort ist, würden wir heute ‒ eben auch wieder kulturell bestimmt ‒ Mutter sagen: ‹mütterlich›.

Dieser Urgrund, dieses Nichts, aus dem alles hervorströmt, kann man als einen mütterlichen Schoß erfahren, einen fruchtbaren Schoß, aus dem alles hervorkommt, und wir können uns liebend an dieses Andere wenden.

Das ES, das mich gibt,
kann erfahren werden im Glauben
als eine mütterliche Wirklichkeit,
an die ich mich wenden kann.

(25:31) Und da sind wir jetzt schon bei dem dritten:

‹Worum geht es letztlich im Leben›?

Um die unerschöpfliche Lebendigkeit. Und die unerschöpfliche Lebendigkeit ist diese dynamische Wirklichkeit.

Wir haben das Nichts, wir haben die Fülle
und wir haben eine dynamische Wirklichkeit,
die die beiden verbindet.
[9]

Und diese dynamische Wirklichkeit drückt sich auch in einer Gläubigkeit aus, und diese Gläubigkeit könnten wir jetzt Dankbarkeit nennen.

Denn ‹ES gibt mich› das ES, die Verlässlichkeit: ich verlasse mich auf dieses ES ‒, das ‹Mich› als einen Teil des Ganzen:

Der Glaube drückt sich hier als Begegnung aus, als ehrfürchtige Begegnung, als Beziehung, Bezogenheit: Ich verstehe mich immer in Bezogenheit auf etwas, in Zugehörigkeit.

Und das Dynamische drückt sich aus als Glaube in Dankbarkeit. Denn wenn ES mich gibt, dann ist die einzige passende Antwort Dankbarkeit.

Ich lebe in einer gegebenen Welt, zu einer gegebenen Zeit, unter gegebenen Umständen,

alles ist gegeben, also ist die einzige passende Antwort Dankbarkeit dafür.

Sehr schwierige Fragen erheben sich da: Kann man wirklich für alles dankbar sein? Meine Antwort ist: Nein. Kann man unter allen Umständen dankbar sein? Die Antwort ist Ja. Das können wir hier im Augenblick nicht ausführen, aber ich bin sehr gerne bereit, das dann mit Ihnen weiter zu besprechen.

Was für uns im Augenblick wichtig ist, ist, dass die Antwort auf ‹Was verstehen wir unter Glauben›? eine dreifache sein kann:

Weil ES mich gibt, können wir sagen:

Unter Glauben können wir verstehen das uns Verlassen
auf die Verlässlichkeit des Urgrundes,

wir können es verstehen als die ehrfürchtige Begegnung
mit allem, was ES gibt,

und als dynamische Dankbarkeit.

Und Dankbarkeit nicht als Danke sagen,
sondern als Danke leben, als Dank werden
:

Die Vögel danken, indem sie singen, und die Blumen, indem sie blühen, und die Menschen, indem sie tun, was immer sie tun. Eine Mutter dadurch, dass sie mütterlich ist für ihre Kinder, und ein Wissenschaftler dadurch, dass er Wissenschaft betreibt, und ein Lehrer dadurch, dass er lehrt, und ein Schuster dadurch, dass er Schuhe macht. Dadurch, was wir tun, zeigen wir unsere Dankbarkeit.

Jedes Ding erweist sich dankbar dadurch, dass es tut, was es ist:
sich selbst verwirklicht.
[10]

Soviel zu der Frage: ‹Was verstehen wir unter Glauben›?

(28:40) ‹Wer sind die Alle,
um die es sich hier handelt›?

Da können wir uns kürzer fassen: Alle, die es gibt. Und alle, die es gibt, sind eben alle, die ‹ES  g i b t ›: Menschen, Tiere, Pflanzen, aber dort müssen wir nicht stehen bleiben, Denkrichtungen, Werte, Religionen: Alles, was es gibt, ist darunter verstanden, das ist alles, wozu wir Beziehung haben, das ist alles, womit uns der Glaube verbindet. Denn

der Glaube ist ja die Antwort darauf, dass  E S  alles gibt.

Und dadurch wird der Glaube auch religiös. Das macht den Glauben religiös im vollen Sinn des Wortes Religion, das von ‹Religio› ‒ ich sage das immer mit Vorsicht, weil die Etymologen nicht sicher sind, das ist jedenfalls nicht die einzige Ableitung des Wortes ‹Religio›, aber es ist die schönste und die passendste, und auch die der Wirklichkeit entsprechende ‒ ‹Religio›, Religion im besten Sinne ist Verbindung von etwas, was zerbrochen und zerrissen war, ein ‹Re-ligare›, ein ‹Wieder-verbinden›.

Dieser Glaube, der uns mit  a l l e n  verbindet,
ist daher der wahrhaft religiöse Glaube.

Religiosität ist aber etwas anderes als die Religionen.

Die Religionen sind kulturelle Formen, in denen sich die Religiosität ausdrückt, und die Religionen sind nicht immer religiös, und sind nicht in allen Teilen religiös.[11] Da muss man dann sehr vorsichtig sein. Wir sprechen hier von Religiosität und wir hoffen und wir bemühen uns darum, wenn wir in einer Religion aufwachsen oder in einer Religion stehen, die Religion auch religiös zu machen. Aber hier sprechen wir von Religiosität, von dem Glauben, der tiefer liegt als die Glaubenssätze und von einer Verbundenheit mit allen, die tiefer liegt als die Verbundenheit sogar mit unsern Glaubensgenossen. Vielleicht gibt es dazu auch noch wichtige Fragen.

(31:12) Und jetzt zur dritten Frage:

‹Wie können wir diese gläubige Verbundenheit in uns selber finden›?
davon haben wir schon gesprochen ‒,
‹und wie können wir sie fördern›?

Aber ich möchte noch einmal einige Punkte geben, die unbedingt nötig sind, damit wir sie finden. Und das erste ist

ein furchtloses Umgehen mit andern.

Denn man sieht immer, dass Menschen, die wirklich eine Verbundenheit mit andern erleben und fühlen, immer die sind, die andern ausgesetzt waren. Und Menschen, die diese Verbundenheit nicht fühlen, sind typisch die, die auch nie andern ausgesetzt waren. Ich habe noch nicht jemanden getroffen, aber ich bin immer offen, dass es diese Möglichkeit gibt, der wirklich andern Ideen, andern Religionen ausgesetzt war, und nicht ein Verständnis für sie aufgebracht hat. Aber ich habe sehr viele Menschen getroffen, bin ihnen schon begegnet, die andern Religionen nicht nur völlig gleichgültig, sondern sogar oft feindlich gegenüberstehen, und noch nie einen Menschen von dieser Religion persönlich kennengelernt haben.

Also, persönlich andere Menschen kennenlernen, ist die erste Grundlage für diese gläubige Verbundenheit, um die es uns geht und um die es der ganzen Welt heute geht. Denn wenn wir die nicht finden, dann gibt es wenig Hoffnung für unsere Zukunft. Wir müssen diese Religionskriege ‒ und viele Kriege sind leider Religionskriege ‒ überwinden lernen.

(33:11) Ein zweiter Punkt, was wir haben müssen, um diese gläubige Verbundenheit zu finden und zu pflegen, ist

ein Verständnis für Dichtung.

Das wird Sie vielleicht überraschen, aber es ist ungeheuer wichtig, denn die wichtigsten Texte aller religiösen Traditionen sind in dichterischer Sprache ausgedrückt, auch unsere eigenen als Christen. Und wir sind uns oft dessen gar nicht bewusst. Und darum fallen wir oft in die Falle und nehmen sie wörtlich. Das wäre so, wie wenn wir ein ganz tiefes Erlebnis haben, dass sich nur in dichterischer Sprache ausdrücken kann, und es dann wörtlich nehmen. Und wenn wir ganz tiefe ‒ nicht nur religiöse ‒, sondern auch tiefe emotionale Erlebnisse haben, drücken wir sie immer ganz spontan dichterisch aus. Jeder Liebende wird sagen: ‹Ich schenke dir mein Herz›. Das hat nichts mit Herzchirurgie zu tun, und das wissen wir, das ist uns völlig offensichtlich. Aber wenn wir zu religiösen Texten kommen, die so etwas ähnliches sagen, dann nehmen wir sie plötzlich wörtlich.

Es ist uns gar nicht bewusst, zum Beispiel im christlichen Bereich: Ich nehme das nur als ein Beispiel hier, weil ich annehmen kann, dass doch die meisten von uns entweder Christen sind oder vertraut sind mit diesen Texten; und es hat wenig damit zu tun: Die Kritiker der Religionen sind ebenso oft Opfer des Wörtlichnehmens von dichterischen Texten wie die Gläubigen selbst.

Christen ist es sehr selten bewusst, dass Vater ‒ das Wort für Gott als Vater ‒ ein dichterisches Wort ist. Das heißt nicht, dass es weniger wahr ist. Es heißt nur, dass es viel mehr wahr ist als wir es anerkennen können, wenn wir es wörtlich nehmen. Oder, dass der Sohn, unsere Sohnschaft, unsere Gotteskindschaft: dass das dichterische Wörter sind. Ja, dass das Wort Gott selbst, ein ‹Wort› ist, ein mit dichterischen Werten völlig angefülltes Wort, aber ein Wort und nicht jemand. Es ist nicht so etwas wie Tisch oder Hund oder Baum, sondern es ist ein dichterisches Wort, das in eine Richtung weist.[12]

Augustinus sagt:

‹Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir o Gott.›

Und das heißt nicht: Ich kenne dich ja, und jetzt weiß ich, dass mein Herz unruhig ist, bis es in dir ruht. Nein, ich weiß nichts als mein Erlebnis, ich kenne nichts als mein Erlebnis, das unruhig ist und in eine Richtung weist, und diese Richtung nenne ich Gott. Und wenn ich etwas finde, weiß ich, das weist in diese Richtung, wenn es meinem Herzen Ruhe gibt.[13] Aber es ist nicht etwas, es ist nicht jemand. Wir sind völlig eingebettet darin.[14]

Also ein Verständnis für Dichtung ist ungeheuer wichtig, ebenso wichtig wie ein furchtloses Umgehen mit andern.

(36:57) Und ein drittes, das ich noch nennen würde, ist Dankbarkeit.

Und zwar deshalb, weil wir durch Dankbarkeit ‒ und zwar nicht nur durch eine gepflegte Dankbarkeit, nicht nur dadurch, dass wir halt dankbar sind, wenn uns was Nettes passiert, und undankbar, wenn es nicht passiert ‒, sondern eine dankbare Haltung dem Leben gegenüber, das, was dem entspricht, wie wir schon gesagt haben, dass alles Gabe ist.

Dass alles, was es gibt, Gegebenheit ist, dass wir in einer gegebenen Welt leben.

Diese Art von dankbarem Leben, die versetzt uns in das Jetzt.

Denn dankbar kann man immer nur im Jetzt sein. Man kann für die Vergangenheit dankbar sein, man kann für die Zukunft dankbar sein, aber man kann nur im Jetzt dankbar sein.

Und wenn wir im Jetzt sind, dann sind wir in unserem Selbst. Dann sind wir mit unserem wahren Selbst verbunden. Und dann müssen wir die Unterscheidung treffen zwischen unserm Selbst und unserm Ich. Nur unterscheiden, nicht trennen: Nicht das eine gut machen und das andere schlecht, aber das Ich ist immer in der Zeit eingebaut. Und wir können uns mit dem Ich identifizieren und dann geht alles schief. Dann stecken wir in der Zeit drinnen, dann sind wir vereinsamt, dann sind wir abgesetzt von andern, die sich auch mit ihrem Ich identifizieren: Im Augenblick, wo wir im Jetzt sind, sind wir mit unserm Selbst verbunden, und dieses Selbst ist eines, das uns alle vereint. Es ist eines für uns alle.

Wir können das auch anders angehen, vielleicht etwas leichter: Wir alle wissen, dass wir unser Denken beobachten können. Wir können sozusagen innerlich einen Schritt zurückmachen und uns beobachten beim Denken und bemerken, dass wir unser Denken gar nicht so im Griff haben, wir können nicht aufhören zu denken: es denkt uns. Wir sollten das Denken als ein Werkzeug verwenden können, aber stattdessen geht es immer vor und wir können dem gar nicht Einhalt gebieten.

Also wir können das beobachten. Trotzdem identifizieren wir uns so leicht mit dem Denken. ‹Ich denke, daher bin ich›: Stimmt! Aber es geht noch einen anderen Schritt zurück: Das Ich, das ich bin, ist nicht nur das denkende Ich, sondern ist das Ich, das das denkende Ich beobachten kann. Und dieser Beobachter, dieser innere Beobachter ‒ da richte ich mich wieder an ihre Erfahrung ‒, den kennen Sie doch, diesen inneren Beobachter ‒, der ist einer für uns alle, das ist unser Selbst, der Beobachter.

Man kann es noch einmal anders sagen: Wir haben alle eine Identifikation. Leider brauchen wir heute bei vielen Anlässen einen Identifikationsschein: irgendeinen Fotoausweis, den wir vorweisen können. Wir haben sogar viele Identifikationen: Eine Frau kann Mutter sein, sie kann zugleich Lehrerin sein, sie kann zugleich Ärztin sein, was immer:

Wir haben viele Identifikationen, aber wir haben nur eine Identität. Und diese eine Identität als Menschen ist uns allen gemeinsam. Wir sind Menschen. Wenn wir den Beobachter finden, dann haben wir das Selbst gefunden, die Identität, die uns mit allen verbindet. Und darum ist das so wichtig, denn die Dankbarkeit führt uns jedes Mal, wenn wir dankbar sind, in das Jetzt, und dadurch in das Selbst, und dadurch in die Verbundenheit.

Das ist ein Weg, und vielleicht der königliche Weg, in dem wir gläubige Verbundenheit mit allem ‒ allem, was es gibt ‒, fördern und pflegen können.

(41:30) Und auf Grund dieser Einsichten nun können wir das Credo durchdenken. Und das möchte ich eben gemeinsam mit Ihnen jetzt tun, aber eben im Gespräch, denn aus der Vielfalt, die uns da zur Verfügung steht, können wir nur das eine oder andere herausgreifen. Aber nur so als Ansatz:

Das Credo ist ursprünglich ein Glaubensbekenntnis der Täuflinge, die vorbereitet wurden für die Taufe, und dabei wurden sie gelehrt, was es heißt, Christ zu sein, worauf man sich einlässt, wenn man Christ wird, und dann vor der Taufe wurden sie gefragt: Was glaubst du jetzt? Was ist dein Glaube?

Die ‹Traditio›, die Übergabe des Glaubens hat feierlich an einem Sonntag stattgefunden, und am nächsten Sonntag die ‹Reditio›, und das Credo ist diese ‹Reditio›, dieses Zurückgeben des Glaubens: Hast du jetzt wirklich verstanden, worum es geht?

Sie wurden getauft im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und das ist jetzt, was sie zurückgeben:

Das Credo ist aufgebaut in diesen drei Teilen, und was wir den unergründlichen Grund genannt haben,

was der Urglaube des Menschen als den unergründlichen Grund erfährt,
wird hier Vater genannt.

Was wir als unbegreifliche Vielfalt allen Seins erfahren haben,
wird hier der kosmische
Christus genannt,
der alles umfasst, der Logos, das Wort.

Die unerschöpfliche Lebendigkeit ist der Heilige Geist,
das Leben, der Geist des Lebens, der Dynamismus.

Wir haben das Unmanifeste, wir haben das Manifeste
und wir haben den Dynamismus.
[15]

(43:41) Und nun, wenn wir nur so viel einmal erfahren haben, nur so viel verstehen vom Credo, dann können wir auch schon sehen, dass ‒ wenn wir mit andern Religionen bekannt werden ‒, im Buddhismus der Schwerpunkt auf dieses Schweigen fällt, auf diesen unergründlichen Grund.

Das Schweigen spielt eine ebenso wichtige Rolle im Buddhismus wie bei uns das Wort.

Ich erinnere mich noch sehr gut, wenn ich mit meinem buddhistischen Lehrer zusammen war und geglaubt habe, jetzt habe ich einmal wirklich verstanden, was er mir erklärt hat, und habe ihm das zurückgegeben und gesagt: ‹Habe ich das jetzt richtig verstanden›? ‒, und habe versucht, es ganz genau wiederzugeben, worauf er gesagt hat: ‹Ganz genau! Aber wie traurig, dass du das in Worte fassen musst›: ‹Was für eine Schande, dass du das in Worte fassen musst.›

Im Buddhismus spielt die Stille, die Leere, das Nichts, dieser unerschöpfliche Urgrund dieselbe Rolle, die bei uns die Fülle spielt.

Und in den Amen-Traditionen, das sind die drei großen westlichen Traditionen, die das Wort Amen gemeinsam haben: Im Judentum, im Christentum und im Islam liegt alle Betonung auf dem Wort:

Es gibt mich, Es gibt das, Es gibt das,[16]

es gibt so vielerlei. Das wird betont.

Und das Wort Amen, das wir gemeinsam haben mit diesen andern Traditionen, ist ja auch kein Zufall. Denn das Wort Amen ist die menschliche Antwort auf die Amunah Gottes, und die Amunah ist die Verlässlichkeit.

Und wenn wir Amen sagen, heißt das einfach:
Ich verlasse mich auf diese letzte Verlässlichkeit.

Wieder:

In einem einzigen Wort ist der ganze Urglaube zusammengefasst
und in der Tradition des Westens ausgedrückt.

(46:06) Und die Dynamik ist, was das Wort und das Schweigen verbindet, und das ist das Verstehen.

Wenn wir wirklich verstehen, dann horchen wir so tief auf das Wort,
dass es uns hinführt in das Schweigen, aus dem es kommt.

Ein wahres, echtes Wort ist ja nicht ein Geplapper,
sondern ist das
Schweigen, das zu Wort kommt.

Und wenn wir so auf dieses Schweigen horchen, dass es uns hinführt, wo es herkommt ‒ in das Schweigen zurück ‒, dann verstehen wir erst richtig.

Und das ist ebenso zentral für den Hinduismus, wie das Schweigen für den Buddhismus und wie das Wort für die westlichen Traditionen, für die Amen-Traditionen.

Ein großer hinduistischer Lehrer, den ich das Glück gehabt habe persönlich zu kennen, Swami Venkatesananda, hat das sehr kurz zusammengefasst: Yoga ‒ das ist ja die Spiritualität des Hinduismus ‒  i s t  Verstehen. Und er hat noch dazu gesagt, dass das Wort Yoga wurzelverwandt ist mit unserem Wort Joch ‒ ein Joch, das zwei Ochsen verbindet ‒, und so verbindet Yoga das Wort und das Schweigen im Verstehen.

(47:32) Und wenn wir das erfahren, dann sehen wir plötzlich: Das ist ja unsere Trinität, das ist Vater, Sohn und Heiliger Geist, völlig anders ausgedrückt in diesen andern Religionen, mit völlig anderer Betonung, aber es ist da, es verbindet uns, es ist nicht etwas, was uns trennt. Und oft ist das so dargestellt worden, als ob gerade unsere größten Geheimnisse die wären, die uns von allen andern trennen.

Je tiefer man geht und je größer das Geheimnis ist,
um so mehr verbindet es uns mit andern.

Wir können also sagen: Es gibt uns, es gibt das, es gibt das, es gibt das. Und wir im Westen betonen immer das: Es gibt das und es gibt das und es gibt uns, und es gibt die andern: Wenn es uns gibt, gibt es auch die andern.

Und dann kommen die Buddhisten und sagen:

ES gibt: ES gibt uns und ES gibt die andern,

aber es ist das eine ES, das alle gibt.

Und dann kommen die Hindus und sagen: Das Wichtigste ist, dass

ES gibt. Versteh doch das: ES gibt. Lass dich darauf ein: ES gibt das alles.

So könnte man fast sagen, dass die einander brauchen: Für das volle Verständnis ‹Es gibt mich› brauchen wir schon die ganze Tradition der Menschheit, alle verschiedenen Formen, Ausformungen dieses einen tiefen menschlichen Glaubens.

Und da möchte ich mit diesem Bild schließen, denn es ist mir persönlich sehr wertvoll und schön, dass man sich die großen Traditionen der Welt ‒ alle die großen religiösen Traditionen ‒ wie in einem Reigentanz vorstellen kann:[17]

Die halten sich alle bei den Händen und tanzen rund herum. Und wir, solange wir außen stehen, sehen immer die uns am nächsten in einer Richtung gehen, und die am fernsten in der genau entgegengesetzten Richtung gehen. Und wo immer man außerhalb dieses Kreises steht, sieht man die einen in einer Richtung gehen und die andern in der entgegengesetzten Richtung.

Im Augenblick, wo man sich dem Kreis anschließt, die Hände fasst und mittanzt, ist es völlig offensichtlich, dass alle in einer Richtung tanzen.

Wenn wir uns auf diesen Glauben einlassen, dann tanzen wir alle in einer Richtung, und dass unser Gespräch heute Abend dazu beitragen wird, auch wenn nur ein kleines bisschen: Das ist mein großer Wunsch, und ich hoffe, er wird in Erfüllung gehen. Danke.»

________________________

[1] Dr. Norbert Schwab, Stellv. Direktor der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg i. Br.

[2] Im Buch Orientierung finden (2021): Geheimnis ‒ wenn uns die Wirklichkeit ‹ergreift›, 43, fasst Bruder David die drei Grundfragen ‹Was ist denn der tiefste Grund von allem›?, ‹Wer bin ich›? und ‹Worum geht es eigentlich im Leben›? in die drei Fragewörter: Warum? Was? Wie?›

«Es gibt drei existenzielle Fragen, um die wir Menschen nicht herumkommen. Früher oder später müssen wir uns ihnen stellen: Warum? Was? Und Wie? Alle drei führen uns ins Geheimnis hinein ‒ in ein Verstehen des Unbegreiflichen.»

Siehe auch das Audio in Fragen, denen wir uns stellen müssen (2016): Tag 1 ‒ Vormittag: Drei Grundfragen ‹Warum? Was? Wie›? ‒ drei Zugangswege zum dreifaltigen Geheimnis als Schweigen ‒ Wort ‒ Verstehen durch Tun

[3] In Orientierung finden (2021): Vorbemerkungen, 8, siehe Leseprobe, übersetzt Bruder David:

«Wüsst’ ich nur jetzt, um was zuletzt
sich alles dreht, bevor’s vergeht!»

[4] Bruder David am Schluss seines Vortrages ‹Der Weg zu Fülle und Nichts› im Audio 2.1 in Festival «Die Kraft der Visionen» (1991); siehe die Mitschrift:

«Wir sollten uns vielleicht daran erinnern, wenn wir das nächste Mal zu der bitteren Einsicht kommen:

‹Ich kann mich auf nichts verlassen.›

Ein wunderbarer Satz! Er kommt uns auf die Zunge gerade im rechten Augenblick:

‹Ich kann mich auf Nichts verlassen.

Wirklich: Ich kann mich verlassen ‒ auf Nichts … ‹Wir können auf Wasser gehen›. Das Nichts ist auch etwas: die Fülle des Lebens entspringt daraus.»

[5] Vor mehr als 50 Jahren (1972), eröffnete Bruder David die damaligen Salzburger Hochschulwochen mit dem Vortrag Jesus als Wort Gottess, abgedruckt in: Die Frage nach Jesus (1973), 9-67. Im ersten Kapitel: ‹Das Wort und die religiöse Sinnfrage des Menschen› lesen wir:

«Was den Menschen wirklich glücklich macht, ist nur eines: Sinn. Was immer wir aber sinnvoll nennen in diesem oder jenem Zusammenhang, ist nur deshalb für uns sinnvoll, weil wir es letztlich in einem tiefsten Sinnbereich verankert wissen. Diese tiefste Sinngebundenheit der menschlichen Existenz aber ist Religion, ob wir es ausdrücklich so nennen oder nicht. Wenn wir im Folgenden vom religiösen Streben des Menschen sprechen, so soll darunter zunächst ganz allgemein die Suche nach dem Sinngrund menschlicher Existenz verstanden sein, unser Hunger nach letztem Sinn, wie wir ihn erleben in unserem unbestreitbaren Hunger nach Glück.» (10)

[6] Dreifaltigkeit: Anm. 1:

«In Augenblicken, in denen wir wirklich aus unserem Herzen leben, sind wir mit dem Herzen aller Dinge verbunden. Ganz spontan erkennen wir dann ‹die Zuverlässigkeit im Herzen aller Dinge›, wie Reinhold Niebuhr es so schön sagte.» [Dankbarkeit: Das Herz allen Betens (2018), 93; bzw. Fülle und Nichts (2015), 92]

[7] Jesus als Wort Gottes (1972): ‹Vom Worte Gottes leben› als Kern jüdisch-christlicher Mystik, 28-38, siehe auch Vom Worte Gottes leben ‒ Die Versuchung Jesu im Garten (2021); Vom Worte Gottes leben ‒ Vom Festmahl des Lebens zur schmerzlichen Prüfung (2021); Gebet ‒ drei Innenwelten

[8] In Von Eis zu Wasser zu Dampf: im Wandel der Gottesvorstellungen: Was schätze ich am Christentum? (2003) schreibt Bruder David über seinen eigenen Erfahrungsweg, die christliche Gottesidee in ganz neuem Licht zu sehen und zu würdigen; siehe auch Gott: Ergänzend: 3.1.:

«Geistesgeschichtlich betrachtet war es die größte Leistung Jesu des Mystikers, dass er ‒ wie, auf andere Weise, Buddha vor ihm ‒ aus dem Bannkreis des Theismus ausbrach: Jesus erlebt sich als mit Gottes eigenem Leben lebendig. Dass er von Gott als ‹Vater› spricht, schafft Raum für liebende Beziehung, trennt aber nicht; für semitisches Empfinden sind Vater und Sohn eins. ‒ So unausrottbar war jedoch der Theismus, dass der geistige Durchbruch Jesu wie ein Leck im Boot verstopft wurde, um so schnell wie möglich den Status quo wiederherzustellen. Die Lehre Jesu musste uminterpretiert und dem theistischen Weltbild eingefügt werden. Wir dürfen, was sich da ereignete, als geistesgeschichtliche Katastrophe betrachten, es steht uns aber auch frei, es positiv zu sehen, dass in den Dogmen, die uns die Kirchenväter hinterließen, wirklich die bahnbrechende Gotteserfahrung Jesu enthalten ist, wenn auch in beinahe unkenntlicher Form.»

[9] Im mehrtägigen Flüeli-Retreat Einsichten aus Rilkes Dichtung, Teil I, siehe besonders S. 13, 60f., 70, spricht Bruder David von zwei Bezugsachsen und ihrem Kreuzpunkt: Die Frage Warum? und das Geheimnis als unergründlichen Ursprung bilden die senkrechte Bezugsachse, die Frage Was? und das Geheimnis als unbegreifliche Vielfalt bilden die waagrechte Bezugsachse, und die Frage Wie? und die unerschöpfliche Lebendigkeit bilden den Kreuzpunkt.

[10] Bruder David bezieht sich im Credo (2015): ‹Und an Jesus Christus›, 65-69, auf das berühmte Eis-Vogel-Sonett von Gerhard Manley Hopkins (1844-1889),

«in welchem der Dichter für das Selbst-Werden ein neues Wort in der englischen Sprache prägt ‒ ‹to selve›, was man Deutsch mit selbsten wiedergeben kann. Etwas ‹selbstet›, indem es durch sein Tun aussagt, was es ist. … Jede Glocke, jede angezupfte Saite ‹selbstet› so durch ihren ganz eigenen Ton.» (66)

Siehe auch Geheimnis: Anm. 12 und Christuswirklichkeit: Anm. 2:

Im Buch Orientierung finden (2021): Geheimnis ‒ wenn uns die Wirklichkeit ‹ergreift›, 44, übersetzt Bruder David:

«Jedes vergänglich’ Ding tut eins nur und dasselbe:
stellt, was zutiefst ihm innewohnt, zur Schau:
es selbstet ‒ nennt sich, drückt sich selber aus,
es ruft, ich bin ich selbst: Nur dazu bin ich da.»

«Auf unsre Frage ‹Was›? ruft uns jedes Ding sozusagen seinen einzigartigen Namen zu und wartet nicht darauf, dass wir ihm einen geben. ‹Es selbstet.› Hopkins musste ein neues Wort prägen, um dies auszudrücken. Die Dinge ‹buchstabieren› ihr Selbst, wie er sagt, sie rufen es uns zu mit ihrem ganzen Sein, aber wir können das Wort, das jedes Ding im Innersten ist, nicht begreifen. Es entzieht sich dem Zugriff jeglichen Begriffes. Nur wenn wir uns davon ergreifen lassen, können wir es verstehen.»

[11] Siehe auch Religiosität ‒ Urquelle aller Religionen besonders in Ergänzend: 3.2.: ‹Die Religion religiös machen›, im Buch Verbunden trotz Abstand (2021), 43-64; und derselbe Beitrag: Die Religion religiös machen im Buch Andere Wirklichkeiten (1984), 195-204

[12] Siehe in Gott ‒ ‹mein Gott›: Ergänzend: 2.1., den Abschnitt aus Orientierung finden (2021): Gott ‒ das geheimnisvolle ‹Mehr-und-immer-mehr, 54:

«Das Wort ‹Gott› entstand früh in der Geschichte unsrer Sprache und geht auf die indogermanische Wurzel ‹gheu› mit der Grundbedeutung ‹rufen› zurück. Unter ‹Gott› wurde also ursprünglich ‹Das Angerufene› verstanden, vielleicht auch ‹Das uns Anrufende›. Jedenfalls schwingt bei dem Wort ‹Gott› von Anfang an die Gegenseitigkeit einer Ich-Du-Beziehung mit. Gleichzeitig war das grammatische Geschlecht des Wortes ursprünglich sächlich und so wurde die Gefahr vermindert, Gott ‒ das große Geheimnis ‒ zu vermenschlichen. Noch heute gibt es Völker und Stämme, die religiöse Vorstellungen bewahrt haben, welche in prähistorischen Kulturen verbreitet waren. Anthropologische Feldforschung zeigt, dass sie häufig Personifikationen natürlicher Kräfte wie Sturm oder Blitz verehren und dennoch, diesen ‹Göttern› übergeordnet, eine höchste Kraft anerkennen, von der sie weniger bildhaft sprechen.

So zum Beispiel Chief Luther Standing Bear (1868-1,939), wenn er sagt: ‹Aus Wakan Tanka, oft als großes Geheimnis übersetzt, kam eine mächtige vereinigende Lebenskraft, die in und durch alle Dinge floss.›

Black Elk (1863-1950) sprach von unsrer Beziehung zu dieser Kraft und von dem großen inneren ‹Frieden, der in den Seelen der Menschen herrscht, wenn sie ihre Beziehung, ihre Einheit mit dem Universum und all seinen Kräften erkennen›.

Aber er ging noch einen Schritt weiter und sprach von dieser Beziehung zugleich als einer persönlichen. Er betonte den Frieden, den die Menschen erleben, ‹wenn sie erkennen, dass im Zentrum des Universums der große Geist wohnt; und ‒ da dieses Zentrum überall ist ‒ wohnt er auch in uns.› Die Einsicht, dass wir mit dieser Lebenskraft in persönlicher Beziehung stehen, entspricht der bedeutsamen Entdeckung, dass das große Geheimnis unser großes DU ist.»

[13] im Credo (2015): ‹Ich glaube an Gott›: Was heißt das eigentlich? S. 25f.:

«Das Glaubensbekenntnis ist erst in zweiter Linie die Aufzählung verschiedener Glaubenswahrheiten; in erster Linie ist es eben persönliches Bekenntnis einer einzigen Wahrheit, nämlich, dass ich glaube. Das bedeutet, dass mein Vertrauen auf etwas stark genug ist, um mein Herz darauf zu setzen. Und was immer das ist, nennen wir Gott. In diesem ersten Satz des Credos bedeutet Gott noch nicht mehr ‒ allerdings auch nicht weniger ‒ als das, worauf ich mein äußerstes Vertrauen setze. Weitgehend noch inhaltslos, ist das Wort Gott hier einfach Wegweiser in die Richtung jener vertrauensvollen Zugehörigkeit, die allein dem Leben Sinn schenkt.

Hier am Beginn des Glaubensbekenntnisses ist uns noch kein Bild für Gott gegeben … Hier steht Gott nur erst einmal für den Zielpunkt der abgrundtiefen, unaustilgbaren Sehnsucht des menschlichen Herzens nach letztem Sinn. Von dieser Sehnsucht lässt sich aber das Vertrauen auf ihre Erfüllung nicht wegdenken; unser Vertrauen, dass sie gestillt werden wird, gehört wesentlich zu ihr. Und dieses Vertrauen ist der Ur-Glaube an Gott.»

[14] Immer wieder zitiert Bruder David das Wort von Thomas Merton: ‹God isn’t somebody else›, siehe Audios / Text dazu in Religionen und heiles Gottesbild: Ergänzend: 3., sowie ‹In ihm leben wir, weben wir und sind› (Apg 17,28), siehe Meine BESONDERE Bibelstelle (2023)

[15] In Jesus als Wort Gottes (1972): Hinduismus in der Perspektive von Wort und Ergriffenheit, 50f.:

«‹Gott spricht›, dieses ganz prägnante Wort, ist der Schlüssel, der uns das Verständnis aufschließt für die ganze biblische Tradition. ‹Ich habe das Schweigen gehört›, dieses Paradox kann uns als Schlüssel dienen für das Verständnis buddhistischen Sinnerlebens. Ähnlich können wir als Schlüssel (freilich  n u r  als Schlüssel) die immer wiederholte, zentrale Feststellung des Hinduismus betrachten: ‹Atman ist Brahman, und Brahman ist Atman›; oder, wie man sagen könnte: Gott, der sich offenbart, bleibt der verborgene Gott, und Gott als der Verborgene ist wahrlich offenbar; oder: Das Wort ist Schweigen, das zu Wort gekommen ist, und das Schweigen ist Wort, das im Schweigen aufgehoben ist. Indem Gott seine Verborgenheit offenbart, verbirgt er sich in seiner Offenbarung. Das einzusehen heißt verstehen.»

Siehe auch Christuswirklichkeit: Ergänzend: 3.: ‹Ich und der Vater sind eins› ‒ ‹Atman ist Brahman und Brahman ist Atman›

[16] Auf einzigartige Weise setzt Bruder David die christliche Lehre der Dreifaltigkeit in Beziehung zum Schweigen im Buddhismus, der Betonung des Wortes im Christentum und dem Verstehen durch Tun im Hinduismus.

Bruder David verwendet im Vortrag Wie das Göttliche in uns wächst (2005) als Schlüssel für das Verständnis der drei großen Traditionen den Satz ‹Das ist es.›; siehe das Audio ‹Schweigen ‒ Wort ‒ Verstehen› und die Mitschrift

[17] Mit dem Reigentanz der Dreifaltigkeit endet nicht nur das Buch Credo: ‹Amen›: Persönliche Erwägungen, 237f., siehe den Haupttext in Dreifaltigkeit, sondern auch der Beitrag Jesus als Wort Gottes (1972), 65-67; die Audios dazu sind in Dreifaltigkeit: Ergänzend: 1. zusammengestellt.

 

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