Franz Kuno Steindl-Rast

die gebaerde titelCopyright © - Br. Beat Pfammatter OFMCap

«Von ganz naheliegenden Dingen wollte ich nur schreiben, vom Singen, vom Essen und Trinken, vom Tanzen und vom an die Brustschlagen beim Confiteor, und davon, dass wir mehr Mut haben sollten zu starken und wahren Gebärden», dann aber schreibt Franz Kuno vom ihm Nächstliegenden und zugleich dem kühnsten Flug menschlichen Geistes unerreichbar Fernsten, der abgründigen Quelle: «Gott ist die Liebe». Aus dieser Quelle «Vater» fliesst die Schöpfung, aus dieser Quelle wird das Böse, das sich im Hass manifestiert, im «Kreuz des Sohnes» in Liebe umgewandelt, und all unsere Schmerzen und unser Leid werden zu Geburtsschmerzen für die Neuschöpfung durch den «Hl. Geist». Aus diesem Nächstliegenden gilt es, das Naheliegende zu tun: «Gestaltet!»


Durch den Mund des heiligen Evangelisten Johannes hat Gott uns das Letzte und Gewaltigste offenbart, was Worte von seinem Wesen fassen können: «G o t t   i s t   d i e   L i e b e».

Kühnster Flug menschlichen Geistes hätte in Ewigkeit nie aus sich selber in diese äusserste Tiefe der Geheimnisse Gottes zu tauchen vermocht. Das ist eine Offenbarung. Die Frohbotschaft, die neue, umstossende: «Gott ist die Liebe».

Menschliches Suchen und Ergründenwollen des Lebens, des Geheimnisses der Geheimnisse in der Schöpfung, findet als Ur-sache den Satz:  L i e b e   s u c h t   e i n   Z e i c h e n.  Darum leben wir, sind Zeichen der Liebe, die vor uns war, und die selbst wieder Zeichen war der Liebe, die vor ihr ein Zeichen suchte. (Mag es die geisterfüllte Liebe sein der Menschen, oder die flammende Brunst der grossen Tiere, oder der dumpfe Trieb der niedrigeren, oder die uns kaum noch als Liebe erfassbare geheimnisvolle, weise Liebesordnung der Pflanzen, absteigend bis zu den einfachsten Lebewesen:) Ursprung des Lebenden ist immer die Liebe des Vorherlebenden, die Liebe, die ein Zeichen sucht und fand. Denn: Liebe sucht ein Zeichen.

Haben wir so, rücklaufend von Generation zu Generation, als Urspung alles Lebendige immer wieder die Liebe gefunden, die vorher war und ein Zeichen suchte, und stehen endlich ganz am Anfang des ersten Lebens, so zwingt uns Folgerichtigkeit, auch hier noch einmal auf das «Woher» zu antworten: «Liebe sucht ein Zeichen». In demselben Augenblick aber stürzen wir unwiderruflich in den Abgrund des Wortes: «G O T T  ist die Liebe». Und der Kreis schliesst sich.

«Gott ist die Liebe» ‒ Die Liebe sucht ein Zeichen. Das erste Zeichen ist die Schöpfung. Zeichen ist gestaltete Gebärde. Die Schöpfung ist die gestaltete Gebärde der Liebe des Vaters. («Jauchze Erde», denn die Liebe Gottes wird in   d i r   Gestalt, wird Klang, wird Ruch und wird Geschmack. Zeichen der Liebe vor allen Sinnen der seeligen Menschen.)

Aber rätselhaft entspringt das Böse; und so entspringt auch rätselhaft die Gebärde aus Hass. Auch der Hass sucht ein Zeichen. Das Zeichen der Liebe ist die Zeugung, aus ihr fruchtet Leben. Das Zeichen des Hasses ist der Mord; durch ihn kommt Tod. Mord der Ordnung, Brudermord, Selbstmord und die grauenhafteste Gebärde des Hasses, der Mord unter dem Schein der Gerechtigkeit, unter dem Schein der Liebe, denn die Gerechtigkeit entspringt der Liebe.

Gott aber, Gott, der die Liebe ist, der verliebte Gott gibt seinen einzigen Sohn hin an die Welt, reisst an sich das Zeichen des äussersten Hasses, das Zeichen des Mordes, des Mordes unter dem Schein der Gerechtigkeit, und macht es zum Zeichen der äussersten Liebe: Das Kreuz.

«Gott ist die Liebe» ‒ Die Liebe sucht ein Zeichen. Das zweite Zeichen ist das  K r e u z.  Zeichen ist gestaltete Gebärde. Das Kreuz ist die gestaltete Gebärde der Liebe des Sohnes. («ecce homo»: Das ist auch dein Weg, gefallene Schöpfung: Das Übel an deinem Leib zu erleiden aus Liebe, und so dein Kreuz umzukehren zum Zeichen der Liebe. Der Weg der Nachfolge Christi.)

Am Anfang war die Welt erschaffen als Zeichen der Liebe, und das Antlitz der Liebe war Freude. Als aber Hass entsprang aus rätselhafter Quelle, brachte er in die Schöpfung das Leid, und der Hass drohte die Welt zu ersticken im Leid. Da riss die Liebe das Leid an sich und überwand so den Hass. So ist das Antlitz der Liebe jetzt das Leid. Zugleich aber hat begonnen die Verherrlichung der Liebe in der Freude; schon in dieser Zeit! Sie hat ihren Anfang genommen in der Aussaat der Flammenzungen, und wird ihre Vollendung finden, wenn im Flammenherbst der letzten Tage die neue Welt reifen wird, die Welt in der das Antlitz der Liebe wieder sein wird reine, strahlende Freude: Sie wird sein das vollendete Zeichen der Liebe.

Ja, sie hat begonnen, denn die Liebe Gottes hat keine Grenzen. Das ist der letzte Satz der grossen Sonate, deren Sätze sind Erschaffung zur Freude, Erlösung durch Leid, dieser aber heisst: «Siehe Ich mache alles neu!», und mündet in die himmlische Fuge: «Seines Reiches wird kein Ende sein.» Sie hat schon begonnen. Dies ist die letzte Vollendung der Liebe Gottes, die völlige Selbstausgiessung der Liebe im Zeichen des Sturmwinds und der Feuerflammen.

«Gott ist die Liebe» ‒ Die Liebe sucht ein Zeichen. Das dritte Zeichen ist die Kirche. Zeichen ist gestaltete Gebärde. Die Kirche ist die gestaltete Gebärde der Liebe des Heiligen Geistes. («Du wirst das Angesicht der Erde erneuern» ‒ durch die Kirche! In ihr müssen beide Bereiche des Lebens, Geist und Leib, neugestaltet werden aus der Liebe. Alles Geschaffene hat Teil an ihr, denn der erste Sinn alles Geschaffenen ist es Zeichen der Liebe zu sein. Die Neuschöpfung gibt allem Geschaffenen seinen ursprünglichen Sinn zurück in der Ordnung der Liebe.)

Wie wir Zeichen der Liebe des Vaters sind als Geschöpfe, wie wir Teil haben am Zeichen der Liebe des Sohnes in Kreuz und Leid, so dürfen wir teilnehmen an der Umgestaltung der Welt aus dem Heiligen Geist; dürfen und müssen aus allen Sinnen und Kräften. Nicht  e i n e n   Zügel vom tausendspänigen Wagen der Welt darf die Kirche aus ihren Händen lassen, das ganze Gespann könnte sich sonst verwirren. Nicht einen Zügel vom Wagen unserer Kräfte und Sinne wollen wir preisgeben. Was sich nicht fügen will, das wolln wir kürzer halten, aber alles soll rennen. «Alles ist euer.» «Macht euch die Erde untertan.»

«Gott ist die Liebe» ‒ Die Liebe sucht ein Zeichen. Zeichen ist gestaltete Gebärde. Wir wollen die Gebärde wagen! Das Zeichen der Liebe sei unser ganzes Leben!

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Von ganz naheliegenden Dingen wollte ich nur schreiben, vom Singen, vom Essen und Trinken, vom Tanzen und vom Andiebrustschlagen beim Confiteor, und davon, dass wir mehr Mut haben sollten zu starken und wahren Gebärden, die Wurzeln aber von alldem liegen sehr tief.

Liebe sucht ein Zeichen. Gestaltet!



Quelle: Privat-Archiv David Steindl-Rast OSB, Niederschrift Die Gebärde  (späte 1940iger)

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