Br. David Steindl-Rast OSB

unser ganzes leben vibrierend machenCopyright © - Klaudia Menzi

Wenn unser Lebendigsein in unserem Körper wurzelt, was passiert dann, wenn wir sterben? Aber wir müssen gar nicht warten, bis wir sterben: Was passiert, wenn wir alt und schwach werden? Davor fürchten sich ja die meisten von uns noch mehr als vor dem Sterben. Das Sterben ist vermutlich relativ leicht; schließlich haben das bisher irgendwie alle geschafft. Aber mit dieser Schwäche zu leben, das ist wirklich schrecklich, wenn ‒ wie T. S. Eliot sagt ‒ Körper und Geist auseinanderfallen. Was tun wir dann?
 
Nein, ich bin inzwischen in einem Alter, in dem man sich wirklich mit diesen Themen beschäftigen muss. Ich kann Ihnen nur einige Gedanken weitergeben, die ich mir zu meiner eigenen Ermutigung mache. So sage ich mir zum Beispiel: Ich kenne doch Menschen, die schon sehr alt und körperlich recht hinfällig sind, aber dennoch immer noch lebendiger sind, als ich es für mich wohl erhoffen kann. Ihre Lebendigkeit hängt in gewisser Hinsicht überhaupt nicht mehr von ihrem Körper ab.
 
Sogar die Natur schenkt uns dieses Bild von der Frucht: Die Knospe und die Blüte und die Frucht sind bei ihrem Wachsen ganz stark vom Baum abhängig. Aber dann kommt der Punkt, an dem die Frucht richtig reif ist und sie fällt ganz einfach vom Zweig und hat ihr Eigenleben und trägt das Samenkorn für neues Leben in sich. Ich möchte diese Parallele nicht weit treiben, aber wir können an vielen Menschen sehen, dass dieses Lebendigsein im Geist etwas ist, das nicht vom Körper eingeschränkt ist.
 
So können Sie sich zum Beispiel fragen: Wenn Sie an einen Freund oder eine Freundin denken, also jemanden, den Sie wirklich lieben ‒ oder auch an jemanden, dem Sie nie begegnet sind, weil er Hunderte von Jahren vor Ihnen gelebt hat, aber der Ihnen sehr viel bedeutet ‒ wenn Sie an einen solchen Menschen denken, werden Sie lebendig. Das ist die Art von Lebendigkeit, um die es hier geht. Da werden Sie in jeder Hinsicht lebendig, und zwar dank etwas, das in Raum und Zeit weit fort von Ihnen ist und trotzdem großen Einfluss auf Sie hat. Diesen Freund können Sie derzeit nur im Geist erreichen, aber dennoch lässt Sie diese geistige Verbindung wirklich lebendig werden.
 
Dieses Denken ist auch irgendwie Leben spendend. Deshalb kann ich mir recht gut vorstellen, dass dann, wenn dieses Leben über die jetzige Lebendigkeit hinauswächst ‒ also über die Beschränkungen des Körpers ‒ und dieses Dazugehören größer und größer wird, dieses Empfinden des Dazugehörens nicht länger auf diesen einen kleinen Körper beschränkt bleiben kann, den ich hier habe, dann muss ich irgendwie diesen Körper hinter mir lassen. Alles, was ich dann noch habe, ist dieses Empfinden des Dazugehörens, aber das ist jenseits der Zeit. Es ist nicht im Danach. Ich erwarte nicht, weiter und weiter und immer weiter zu gehen, sondern wie zuvor bin ich glücklich, dass es vorbei ist und dass es eine Einschränkung, ein Eingeschlossensein war. Aber es gibt etwas jenseits des Lebens, das einfach bleibt, das einfach ist, das ich habe und das mir gehört.
 
Das wäre eine Möglichkeit, sich das vorzustellen. Dies alles mag vielen von uns so vorkommen, als entstehe es von unten her, als entfalte und entwickle es sich nach oben. Aber kommt das nicht in Wirklichkeit von oben her? Ist uns nicht gesagt worden, dass Gott uns von oben her Leben schenke, und dass Gott Leben sei und so weiter? Nun, meine Antwort ist, dass ich das glaube ‒ aber was wissen wir schon genau?
 
Diese intuitive Frage «Was wissen wir schon genau?» führt Sie immer wieder zu Ihrer eigenen Erfahrung zurück. Was Sie nicht aus eigener Erfahrung kennen, kennen Sie einfach nicht. Deshalb müssen Sie von Ihrer eigenen Erfahrung ausgehen. Meine Erfahrung nun sagt mir, dass ich besonders dann, wenn ich voll lebendig und in meiner besten Verfassung des totalen Dazugehörens bin, auch zu Gott gehöre und zu dem, was jeder Mensch Gott nennt, sofern er diesen Begriff richtig gebraucht, also zu diesem letzten Bezugspunkt unseres Dazugehörens. Deshalb finden wir auch in der spirituellen Erfahrung, in der Gipfelerfahrung, den Anker für unsere religiöse Erfahrung.
 
Die Aufgabe besteht darin, das gesamte Leben zu spiritualisieren. Das heißt, unser gesamtes Leben vibrierend von Leben zu machen ‒ alle unsere Aspekte, einschließlich unseres Körpers. Die wichtige Geschichte in den Evangelien über die sogenannte Verklärung Jesu wird buchstäblich so beschrieben, dass sein Körper strahlend glühte. Da ist also diese Gipfelerfahrung auf Jesus projiziert worden. In der christlichen Ikonografie, besonders in der östlichen, gibt es ganz besonders wichtige Regeln, an die man sich halten muss. Ein ganzes Stück weit ist der Künstler frei, aber weil die Bilder der Ostkirche als das fünfte Evangelium gelten ‒ also als Botschaft über Jesus genauso wichtig wie die Evangelien genommen werden ‒, dürfen sie in bestimmten Punkten nicht geändert werden. Einer der maßgeblichen Punkte für die Verklärungs-Ikone ist, dass Jesus darauf mit beiden Füßen fest auf dem Boden stehen muss. In der Westkirche hat sich Raphael mit seiner berühmten Darstellung der «Verklärung» nicht daran gehalten: Da fliegt Jesus zwischen Wolken empor. Das ist gegen die christliche Tradition. Er muss auf dem Boden stehen, denn im Körper, hier in dieser Welt, wird er verklärt.
 
 
 
Quelle: Auszug aus Auf dem Weg der Stille   (2016)

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