Br. David Steindl-Rast OSB

innehalten schauen handeln titelCopyright © - Christiane Liptak

INNEHALTENpräsent, wach, bewusst, empfänglich werden
SCHAUENbemerken, beobachten, betrachten, eine direkte Erfahrung machen
HANDELNanerkennen, etwas in die Hand nehmen, etwas mit den Möglichkeiten und dem Bewusstsein tun, die durch Dankbarkeit entstehen

Zuerst einmal können wir nicht damit beginnen, dankbar zu sein, es sei denn, wir wachen auf. Aufwachen zu was? Zu Überraschungen! Solange uns nichts überrascht, gehen wir wie betäubt durchs Leben. Wir brauchen Übung, um zu einer Überraschung aufzuwachen. Ich schlage vor, eine einfache Frage als eine Art Wecker zu verwenden: «Ist das nicht überraschend?» «Ja, natürlich!», ist die richtige Antwort, egal, wann und wo und unter welchen Umständen diese Frage gestellt wird. Ist es nicht letztendlich überraschend, dass da überhaupt etwas ist anstatt nichts? Fragen Sie sich selbst mindestens zweimal am Tag: «Ist das nicht überraschend?», und Sie werden schon bald wacher durch die überraschende Welt gehen, in der wir leben. Überraschung kann uns ein Anstoß sein, genug, um uns aufzuwecken und uns daran zu hindern, alles für selbstverständlich zu halten.

Es hilft mir, meine eigene Übung der Dankbarkeit zu verbessern, wenn ich diese drei einfachen Schritte anwende, die ich eigentlich schon als kleiner Junge gelernt habe, bevor ich eine Straße überquerte: «INNEHALTEN, SCHAUEN, HANDELN».

Vor dem Schlafengehen schaue ich auf den Tag zurück und frage mich: Habe ich INNEGEHALTEN und mir selbst erlaubt, überrascht zu sein? Oder bin ich wie betäubt weitergegangen? War ich zu beschäftigt, um zu einer Überraschung aufzuwachen?

Und als ich innehielt, habe ich da nach den Möglichkeiten GESCHAUT, die dieser Augenblick bereithielt? Oder habe ich zugelassen, dass die Umstände mich vom Geschenk in diesem Geschenk abgelenkt haben? (Dies scheint häufig der Fall zu sein, wenn die Geschenkverpackungen nicht ansprechend sind.) Meistens besteht die Möglichkeit, diesen Augenblick zu genießen.

Und schließlich: War ich wachsam genug, danach zu HANDELN, um die Möglichkeit, die sich mir bot, voll und ganz auszunutzen?
Ich muss zugeben, dass es Zeiten gibt, in denen ich abends innehalte, auf meinen Tag zurückschaue und mit Bedauern feststelle, wie viel ich verpasst habe. An diesen Tagen ohne Pause war ich weniger dankbar, ich war auch nicht so lebendig, irgendwie taub. Andere Tage sind genauso hektisch, aber ich erinnere mich währenddessen immer wieder daran, INNEZUHALTEN. An diesen Tagen erreiche ich sogar mehr, da das Innehalten die Routine bricht.

Doch wenn ich nicht auch SCHAUE, wird das Innehalten alleine meinen Tag nicht zu einem wirklich glücklichen Tag machen. Was macht es schon für einen Unterschied, wenn ich zwar statt im Schnellzug in einem Bummelzug sitze, aber dann die Landschaft, die am Fenster vorbeizieht, nicht zur Kenntnis nehme? An manchen Tagen stelle ich bei meinem abendlichen Rückblick fest, dass ich innegehalten habe und geschaut habe, jedoch nicht mit Aufmerksamkeit. Erst gestern fand ich eine riesige Motte auf dem Bürgersteig. Ich habe lange genug innegehalten, um sie an einen sicheren Ort auf den Rasen zu setzen, nur einen halben Meter entfernt. Aber ich bin nicht in die Hocke gegangen, um Zeit mit diesem wunderbaren Geschöpf zu verbringen. In der Nacht konnte ich mich nur schwach an diese schillernden Augen auf den gräulich-braunen Flügeln erinnern. Durch mein Versäumnis, lange genug bei diesem Überraschungsgeschenk zu verweilen, es genau zu betrachten und seine Schönheit dankbar zu genießen, wurde mein Tag weniger gut.

Mein einfaches Rezept für einen freudigen Tag ist dies: INNEHALTEN und aufwachen; SCHAUEN und sich bewusst sein, was man sieht; dann HANDELN mit aller Aufmerksamkeit, die man aufbringen kann, für die Möglichkeiten, die der Moment bietet. Wenn ich am Abend zurückblicke, an einem Tag, an dem ich diese drei Schritte immer wieder durchlaufen habe, ist es so, als würde ich auf einen Apfelgarten voller Früchte schauen.



Quelle: Dankbar leben – Ein inspirierendes Praxisbuch, Gary Fiedel, Karie Jacobson
(basierend auf den Grundsätzen von David Steindl-Rast) ©Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach, 2018


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