Wochenbrief in «Weg-Wort», Toni Zimmermann zitiert David Steindl-Rast OSB
Wenn ich als Kind ein Geschenk erhielt, erfolgte – bevor ich mich darüber richtig freuen konnte – stets prompt die Aufforderung: «Was sagt man, wenn man etwas geschenkt erhält …?» Das hat mir jeweils die Freude etwas verdorben und das Danken nicht gerade erleichtert.
Wenn ich jetzt im Älterwerden auf mein Leben zurückblicke, dann steigt in mir jedes Mal ein Gefühl von großer Dankbarkeit auf. Es ist mir wie ein inneres Bedürfnis zu danken. Zu danken vor allem für mein Leben, das mir geschenkt ist. Für die vielen berührenden Begegnungen mit Menschen. Ja, für so vieles, das ich gar nicht alles aufzuzählen vermag.
Für den Benediktinermönch David Steindl-Rast ist Gott die Quelle von allem was es gibt. Alles, was es gibt, ist von Gott gegeben – ist eine Gegebenheit, ein Geschenk. «Wir selbst sind in diesem Sinne eine ‚Gegebenheit’: Wir haben uns nicht gemacht oder gekauft oder verdient, wir sind uns ‚gegeben’.»
Alles, was es gibt, ist für Steindl-Rast ein Ausdruck der Liebe Gottes. So wie wir der Person, die wir lieben, das nicht nur einmal sagen, sondern immer wieder durch neue Formen, Geschenke, Gedichte, Küsse, Blumen usw., so ist alles, was uns begegnet – jeder Stein, jeder Baum, jeder Mensch – im Grunde genommen eine Liebeserklärung Gottes an uns, in je anderer Art und Form. Ein Apfel zum Beispiel spricht uns in der ‚Apfelsprache’ die Liebe Gottes zu.
Die angemessene Antwort auf alles Gegebene, auf jedes Geschenk ist Dankbarkeit. Wenn wir dankbar sind, erfahren wir Freude und Kraft. Wer zum Beispiel dankbar auf sein Leben schaut, der ist einverstanden mit dem, was ihm widerfahren ist. Er hört auf, sich gegen sich selbst und sein Schicksal aufzulehnen. Wenn wir für einen anderen Menschen danken, nehmen wir ihn so an, wie er ist. Er muss sich nicht ändern, weil er genau so wertvoll ist für uns. Oft spüren Menschen, für die wir danken, unsere positiv bejahende Haltung.
Unser «ganzes Leben soll ein einziger Dank sein», heisst es im Kolosserbrief (3,17). Warum also nicht jeden Morgen als erstes uns, unsere Mitmenschen und die Welt mit den Augen der Dankbarkeit betrachten?
Quelle: Weg-Wort, Bahnhofkirche Zürich (2010)