Artikel in «moment by moment», Dirk Großer portraitiert David Steindl-Rast OSB
David Steindl-Rast wurde 1926 in Wien geboren und studierte Kunst, Anthropologie und Psychologie, bevor er 1953 in den Benediktinerorden eintrat. Im Kloster Mount Saviour in den USA hat er seitdem seine Heimat gefunden, auch wenn er in der ganzen Welt herumreist, Vorträge hält und Seminare gibt. Sein offener Geist führte ihn stets zu den Menschen, ganz gleich ob christlich oder nicht, um wahren Austausch, wahre Gemeinschaft zu erleben. Er war ein Vorreiter des buddhistisch-christlichen Dialogs, studierte mit japanischen Zen-Meistern, arbeitete mit Thomas Merton zusammen und erhielt 1975 den Martin-Buber-Preis für seine Bemühungen, Brücken zwischen den Religionen aufzubauen und diese dann auch freudig zu betreten. Geprägt von der christlichen Mystik und getragen von seiner Liebe zur Lyrik und Musik, sieht er die unterschiedlichen spirituellen Wege als verschiedene Zugänge zur eigenen inneren Erfahrung von Stille, Sinn, Tiefe, Fülle – oder kurz gesagt: Gott. «Ein Mystiker ist keine besondere Art Mensch; vielmehr ist jeder Mensch eine besondere Art Mystiker», sagt er überaus wertschätzend, während er in europäischen Universitäten, buddhistischen Klöstern, christlichen Kirchen, Sufi-Gemeinden, New-Age-Zentren, Indianer-Reservaten oder auch bei TED-Talks seine Botschaft verbreitet.
Dankbares Leben macht zunächst furchtlos. Es entspringt dem Vertrauen, dass auch alles, was uns bedrohlich erscheint, Gelegenheiten mit sich bringt, die uns das Leben schenkt.
Mitten im Wunder
Der Kern dieser Botschaft lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Dankbarkeit. Darüber zu reden, wird Bruder David offenbar niemals müde. Dankbar zu sein für das, was uns gegeben wird, nichts als selbstverständlich anzusehen, unser Herz zu öffnen für das Wunder des gegenwärtigen Moments – das lebt er und das gibt er mit grossem Elan weiter. «Was auf unserem Weg zur Erfüllung zählt, ist die Erinnerung an die große Wahrheit, die uns Momente der Überraschung lehren wollen: Alles ist unentgeltlich, alles ein Geschenk. Der Grad, in dem wir zu dieser Wahrheit aufgewacht sind, ist das Maß unserer Dankbarkeit. Und Dankbarkeit ist das Maß unserer Lebendigkeit.»
Spiritualität verbindet alles
Sich überraschen lassen, staunend unter einem nächtlichen Sternenhimmel stehen oder dem Lachen eines Kindes zuhören – das ist vielleicht schon Spiritualität genug. Lebendig sein, sich selbst und die Welt spüren, ganz und gar hier sein, geborgen und gehalten in dieser Welt leben und sich vor der Welt und dem Geheimnis des Lebens verbeugen – das kann eine Praxis sein, die uns Sinn schenkt, ihn in uns selbst entdecken lässt. Danke sagen ist ein einfacher Weg, zugleich erfüllend und auf tiefste Weise verbindend. Denn Dankbarkeit ist für Bruder David nicht nur ein rein persönliches Phänomen, sondern hat auch gesellschaftliche Implikationen: «Dankbares Leben macht zunächst furchtlos. Es entspringt dem Vertrauen, dass auch alles, was uns bedrohlich erscheint, Gelegenheiten mit sich bringt, die uns das Leben schenkt. Wenn wir für diese Gelegenheiten dankbar sind, brauchen wir uns nicht mehr zu fürchten. Aus dieser Furchtlosigkeit resultiert dann Friedfertigkeit, respektvolle Zusammenarbeit und Teilen. Wenn wir nur diese drei Früchte der Dankbarkeit ansehen – Gewaltfreiheit, Zusammenarbeit und Teilen –, dann ist das schon revolutionär in unserer Welt. Würde sich nur eines davon durchsetzen, dann hätten wir bereits eine ganz andere Welt. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie herrlich eine Welt aussehen könnte, in der die Menschen dankbar zusammenleben. Das ist die Welt, die wir uns wünschen.» Sehen und handeln. An dieser Welt baut Bruder David Steindl-Rast fleißig mit, ganz gleich ob er über Gott spricht, über Jesus, über Buddha, Achtsamkeit, Tierrechte, bedingungsloses Grundeinkommen oder über seinen Lieblingsdichter Rainer Maria Rilke. Immer fließen bei ihm zwei Aspekte zusammen: das kontemplative Beobachten der Welt, das Einlassen auf jede Facette der Schöpfung und das aktive Handeln, das wirklich menschliche, mitfühlende Sein in der Welt, das im richtigen Moment aufsteht und zupackt. Wie er selbst sagt: «Tat ohne Schau ist blinder Aktivismus. Schau ohne Tat ist unfruchtbares Gaffen.» So lässt sich der Bruder David von seinen menschlichen und tierischen Geschwistern ergreifen, lässt die Tore seines Herzens weit offenstehen, damit jeder ein- und ausgehen kann. Er arbeitet gemeinsam mit Menschen wie dem Physiker Fritjof Capra, dem Tierschützer und Aussteiger Vanja Palmers (mit dem zusammen er die Meditationszentren Puregg in Österreich und Felsentor in der Schweiz gegründet hat), seinem deutschen Ordensbruder Anselm Grün, dem Zen-Lehrer Robert Aitken, dem spirituellen Lehrer Eckhart Tolle und ebenso mit seinem guten Freund, dem Dalai Lama. Und für jede Begegnung ist dieser nun schon über 90 Jahre alte Mönch dankbar und schreibt über Kirschen und Glühwürmchen, über Vertrauen und Regen, über Schlaglöcher und Abschiednehmen, über Meditation und Musikhören, über die Schönheiten auf dieser Reise des Lebens, über die Gleichnisse Jesu und die Sprichwörter aus Ost und West.
Glauben erfahren – Gerechtigkeit leben
Gott ist für ihn dabei immer ein Mittelpunkt seines Denkens, vor allem aber seiner Erfahrung. Das Göttliche sinnlich erleben, es nicht nur intellektuell umkreisen, sondern es in dieser Welt schmecken, riechen, fühlen, hören und sehen – das ist für Bruder David wichtig. Glaube ist für ihn nicht ein Für-wahr- Halten, sondern ein Sich-dem-Leben-Anvertrauen: «Glaube ist Erfahrungssache oder er verdient diesen Namen nicht. Glaube aus zweiter Hand ist nicht wirklich Glaube.» Jeder ist also aufgerufen, seine eigenen Erfahrungen zu machen, in der Begegnung mit dem Leben, mit den Menschen, mit den verschiedenen Situationen seines Alltags das Göttliche zu entdecken und es zu feiern. Dabei gibt es für Bruder David Steindl-Rast in seiner Rolle als Mönch und in der Nachfolge Christi – aber auch einfach als Mensch – eine deutliche Hinwendung zu wirklicher Gerechtigkeit, zu einer Spiritualität von unten, die sich um die Armen, die Benachteiligten und die, die nicht gehört werden, kümmert, die mit dem Göttlichen nicht in höhere Sphären aufzusteigen sucht, sondern sich mitten in die Welt hineinbegibt und versucht, dort heilsam zu wirken: «Es geht letztlich um die Entscheidung zwischen der Liebe zur Macht und der Macht der Liebe.» Gott scheint für Bruder David nicht etwas Fernes zu sein, sondern etwas, das näher gar nicht sein könnte. Er findet diese ursprüngliche Tiefe des Seins, die uns vor Entfremdung rettet und uns in die große Zugehörigkeit führt, in den kleinen Dingen des Alltags, über die er so gerne schreibt und spricht. Er findet diese Tiefe in dem kleinen Wörtchen «Danke», das aus seinem eigenen Staunen über die Schönheit der Welt und ihrer Wesen geboren wird, und das er jedem Menschen ans Herz legt. Mit diesem Staunen, dieser Dankbarkeit und dieser Liebe, die in allem mitschwingt, wird der Mensch letztlich zu jemandem, der sich traut, seine Hände auszustrecken und zu reichen, ohne Angst zu haben, dass ihm etwas weggenommen wird. Denn wie Bruder David es so ungemein treffend auf den Punkt bringt: «Es gibt keine höhere Aufgabe für uns Menschen als Menschlichkeit.»
Literatur: Fülle und Nichts – von innen her zum Leben erwachen; Credo – ein Glaube, der alle verbindet, beide Herder Verlag.
Quelle: moment by moment, Freiburg; Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion moment by moment, Ausgabe 4, 2017