Pressebericht über das Buch des Monats von David Steindl-Rast OSB in «Publik Forum» von Norbert Copray
Das Buch beginnt mit «Vorschweigen». So wünscht es sich David Steindl-Rast. Der 1926 in Wien geborene Benediktinerpater gehört zur Avantgarde eines sich mystisch verstehenden Christentums. Er verbindet befreiend-ökologische Praxis mit Kontemplation und Meditation. In seiner spirituellen Theologie vertritt er gegen die konservative katholische Kirche eine pluralistische Religionstheologie, der zufolge weder das Christentum noch eine andere Religion den Anspruch erheben können, die »einzig wahren« Heilsvermittler zu sein.
Mit seiner Auslegung des Vaterunsers, das über alle Konfessionen hinweg gebetet wird und auch darüber hinaus gebetet werden kann, stellt sich David Steindl-Rast in eine lange Tradition. Denn das berühmteste Gebet der Welt hat christliche und vorchristliche Vorfahren sowie außerchristliche und postchristliche Nachfahren: «Vaterunser», unser Vater. Oder auch wie Papst Johannes Paul I. am 10. September 1978 bei einer Ansprache im Blick auf Gott sagte: »Noch mehr ist er Mutter.» Das Vaterunser ist ein Gemeinschaftsgebet und bringt jedes Mal ins Bewusstsein, dass wir Geschwister in einer «Menschheitsfamilie» sind. David Steindl-Rast zeigt, wie das Vaterunser schon im ersten Wort entfaltet, was in ihm steckt: «Wir sind eingeladen, nach dem Muster dieses Gebets unser Leben zu weben, indem wir aufgrund seines Namens sein Reich gestalten und seinen Willen tun.»
Die Elemente des Gebets sind miteinander verwoben. In der Vertikalen zwischen Vater und Brot, in der Horizontalen zwischen Namen und Erlösung, Reich und Behütung, Wille und Vergebung. Sehr gekonnt erschließt Steindl-Rast eingangs den «Reichtum des Beziehungsgefüges» in diesem Gebet. Seine Dialogpartnerin Brigitte Kwizda-Gredler, die als Professorin für Medizinsoziologie in Wien und ehrenamtlich als Geistliche Begleiterin tätig ist, deutet es als «Webstuhl des Betens».
Dankbarkeit ist für David Steindl-Rast die zentrale Orientierung, Mitte und Fundierung seines Lebens geworden, was sich auch durch die Meditationen der Vaterunser-Elemente zieht. Dabei spricht er auch die Schwierigkeiten an, die die Vaterunser-Bitten mit sich führen, weil wir sie in einer Welt sprechen, die an Widersprüchen, Unheilem und Heilsbedürfnissen kaum zu überbieten ist. Auch wenn David Steindl-Rast mit Brigitte Kwizda-Gredler vor allem den persönlichen Botschaften im Vaterunser nachspürt, so geht es doch nicht ohne all die anderen, auch die zu Tode Gebrachten, die Verfolgten, die Leidenden, die Bedürftigen, mit denen man sich verbinden kann, darf und könnte.
«Ist ein solches Beten ein Spielen? Sicherlich. Aber ist das Beten mit Worten nicht immer spielerisch? Und du spielst mit. Das will ich ernst nehmen. Amen», sagt David Steindl-Rast zum Vaterunser. In ihren Dialogen gehen die beiden auch in die herausfordernden, sperrigen theologischen Aspekte hinein, wie etwa Fegefeuer, Böses, Schuld, die ebenfalls im Vaterunser anklingen. Unterdessen bekennt Steindl-Rast: «Mein eigener liebster Gottesname ist ‹Überraschung›» Faszinierend.
Quelle: Publik Forum, Nummer 23/2022, Sachbücher