Wochenbrief in «Weg-Wort», Toni Zimmermann zitiert David Steindl-Rast OSB

mehr als alles andereCopyright © - Wilfried F. Noisternig

Alle wollen immer mehr – mehr Geld, mehr Macht, mehr Ansehen, Lohn, Urlaub usw. Sie hoffen, dadurch zufriedener zu werden. Aber diese Art von ‚Mehr’ macht nicht unbedingt glücklich, sondern verlangt meistens nach immer noch mehr.

Der Benediktinermönch David Steindl-Rast spricht in Anlehnung an Dorothee Sölle von Gott als einem «Mehr». Er meint damit die menschliche Urahnung um eine Dimension, die uns übersteigt, die unbegrenzbar ist, die immer «mehr» ist als unser Begreifen und Verstehen. Dieses «Mehr» umgibt uns als unauslotbares Geheimnis und als unerschöpfliche Fülle zugleich.
Es ist dieses «Mehr», auf das wir Menschen angelegt sind. Der kanadische Philosoph und Politologe Charles Taylor spricht von einem «désir d’éternité», einer Sehnsucht nach Transzendenz, die über unseren Alltag hinausweist.

Wir kennen alle sogenannte «Gipfelerfahrungen»: Letzthin stand ich zuoberst auf einem Berggipfel. Unter mir das Nebelmeer. Darüber eine klare Sicht bis zu den entferntesten Hügeln und Schneebergen. Die Bäume leuchteten in den unterschiedlichsten Herbstfarben. Ich war überwältigt von der Pracht dieser unserer Welt. Für kurze Zeit war ich einfach nur da, ganz gegenwärtig – war ich nur noch Schauen, Staunen, Freude und Glück zugleich.

Es kommt nicht darauf an, wo wir solche Erfahrungen machen – beim Musizieren oder beim Hören von Musik, in der Begegnung mit Menschen, bei der Arbeit, beim Gehen oder Tanzen – entscheidend dabei ist das Eintauchen in die Gegenwart, wenn die Zeit still zu stehen scheint, wir uns mit allem verbunden fühlen und zu allem wie zu uns selbst ein uneingeschränktes Ja erfahren.

Solche Momente weisen über uns selbst hinaus, erfüllen uns mit einer Ahnung des «Mehr» und nähren unsere tiefmenschliche Sehnsucht nach dem Geheimnis, das allem zugrunde liegt.
Nach Steindl-Rast brauchen wir dafür nicht auf Gipfelerfahrungen zu warten. Jede Erfahrung, jede Alltagstätigkeit, bei der wir ganz gegenwärtig sind – und seien es zum Beispiel nur Kartoffeln schälen oder Treppensteigen – bringen uns mit diesem «Mehr», dem göttlichen Geheimnis in Berührung.



Quelle: Weg-Wort, Bahnhofkirche Zürich  (2010)

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