Interview mit David Steindl-Rast OSB von Oliver Klatt

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Bruder David, in ihrem heutigen Vortrag haben Sie Reiki einen «kreativen Umgang mit Lebensenergie» genannt. Ich finde diese Beschreibung inspirierend. Können Sie mehr dazu sagen? Was verstehen Sie unter Lebensenergie?

Gegenwärtig sein

Mir scheint, dass, wenn wir uns darauf einlassen, uns das Leben nicht bloß all jenes schenkt, was es uns eben so bringt, sondern auch die Energie, damit kreativ umzugehen. Das ist eigentlich das größte Geschenk eines jeden Augenblicks. Und das ist auch, wenn ich es richtig verstehe, das «Anliegen» von Reiki: diese Lebensenergie kreativ anzuwenden. Und es ist zugleich die Übung dankbaren Lebens - sozusagen eine Praxis, die es uns ermöglicht, dies auch wirklich in den Alltag einzubringen: in jedem Augenblick wirklich gegenwärtig zu sein für das Geschenk des Lebens und Gebrauch von der Energie des Lebens zu machen, die uns geschenkt wird.

reiki ist kreativer fotoCopyright © - Bruder David Dankbarkeit ist eines der wichtigsten Themen in den Reiki-Lebensregeln. Bei diesen Lebensregeln handelt es sich um fünf Leitsätze, die der Begründer der Reiki-Methode, Mikao Usui, formuliert hat. ln der dritten Lebensregel heißt es schlicht: Sei dankbar! Dankbarkeit spielt auch in ihrer Lehre, in ihren Publikationen eine große Rolle. Können Sie uns Anregungen dazu geben? Wie bekommen wir es hin, ein dankbares Leben zu führen?

Man kann das Leben als vertrauensvoll empfinden, als Geschenk, und jeden Augenblick vertrauensvoll leben. Oder man hat seine eigenen ldeen darüber, was kommen sollte, und sträubt sich gegen alles, das einem nicht in den Kram passt. Das sind zwei sehr unterschiedliche Haltungen. Wir können im Laufe des Lebens beide ausprobieren, und wir tun das auch. Letztlich kommen wir dann darauf, dass wirkliche Lebensfreude, unser Glück davon abhängt, mit dem Weg zu gehen, mit der Richtung des Lebens, mit dem «Strich des Lebens».

Mit dem Leben gehen

Dieses «Mit dem Leben gehen» und dabei mit der Energie des Lebens schöpferisch umzugehen, das ist wirklich der Schlüssel zu bleibender Freude in uns. Daraufhin sind wir als Menschen angelegt. Wir wollen nicht bloß glücklich sein, wir wollen bleibende Freude. Das ist weit mehr, das geht tiefer!

Was ist das verbindende Element zwischen Dankbarkeit und Freude?

Das Gefühl, das in uns aufsteigt, wenn uns etwas Wertvolles aus freien Stücken geschenkt wird, dieses Gefühl ist schon Freude. Wir können es auch Dankbarkeit nennen. Aber wenn wir von Dankbarkeit sprechen, denken wir dabei zu häufig an das Danke sagen. Das ist etwas anderes als dieses Lebensgefühl, diese Freude, die das eigentliche Wesen der Dankbarkeit ausmacht. Und auf diese Freude kommt es letztlich an!

Kultur von Dankbarkeit

Es ist schön, wenn in einer Gesellschaft eine Kultur von Dankbarkeit gepflegt wird. Wenn man also nicht einfach nur kurz Danke sagt, sondern sich dabei auch ein bisschen bemüht, so dass man zum Beispiel einem Kollegen oder einer Kollegin dankt und dazu ausdrücklich sagt: Du bist immer so freundlich! Oder: Du bist immer so pünktlich! Oder: Du bemühst dich da wirklich! Wenn man also etwas ganz Konkretes dazu sagt, es persönlich gestaltet. Dann ist das Danken viel erfüllender, als wenn man einfach nur kurz Dankeschön sagt. Das ist ein bisschen das «Schmieröl» in der Gesellschaft. Aber es gibt auch Gesellschaften, in denen es gar nicht passend erscheint, Danke zu sagen. Weil man dort diese Verbundenheit so stark lebt, so bewusst und tief, dass, wenn man dies auch noch ausdrücken würde, es fast schon eine Beleidigung wäre.

Dankbar leben

Ich habe einmal das Glück gehabt, eine Zeit mit den Maori in Neuseeland verbringen zu dürfen. In deren Sprache gibt es interessanterweise gar kein Wort für Danke. Die Maori sagen das auf Englisch. Ich habe schließlich eine Maori-Frau gefragt: «Wenn ihr auf Maori ein Äquivalent finden wolltet für ,Danke', was würdet ihr dann sagen?» Da hat sie etwas nachgedacht, und meinte dann: «lch glaube, wir würden einfach sagen: So gehört sich's!» Man lebt dort also einfach dankbar, weil es sich so gehört.

Wie wunderbar, wenn Dankbarkeit auf eine solche Weise integriert ist, sie fast schon selbstverständlich ist.

Man braucht sich ja nur vorzustellen, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der die Menschen wirklich dankbar leben. Das wäre die ideale Gesellschaft. Gewaltfrei, furchtlos weil: Dankbarkeit ist furchtlos. Man erfreut sich an Neuem, man fürchtet sich nicht. Man arbeitet zusammen, weil man sieht, wie sehr man von den Anderen abhängt. Und man ist dankbar dafür, dass man mit Anderen zusammenarbeiten kann. Und: Man teilt.

Eine Gesellschaft, die auf Gewaltfreiheit, Teilen und Zusammenarbeit ausgerichtet ist, danach sehnen wir uns ja eigentlich. Und dazu kommt es, wenn man so will, durch eine kreative Anwendung der Lebenskraft. Oder indem man sich durch Dankbarkeit diese Kraft erschliesst. lndem man jeden Augenblick innehält und diese Kraft dann nutzt.

Für wie wichtig halten Sie eine regelmässige spirituelle Praxis - ob das nun Meditation, Gebet oder auch die Selbstanwendung von Reiki ist? Ich denke, es ist von zentraler Bedeutung für den spirituellen Weg, die Verbindung nach oben stets aktiv aufrecht zu erhalten.

Stop - Look - Go

Auch mir scheint das sehr wichtig, und ich übe es auch in meinem eigenen Leben, als Mönch. Wir nennen es Übung. Aber wir sollten bedenken: Wenn man etwas übt, dann übt man für etwas anderes. Wenn man beispielsweise Geige übt, dann übt man, um schließlich Geige spielen zu können. Wir vergessen manchmal diesen Punkt und denken, dass auf dem spirituellen Weg die Übung das Wichtige ist.

Aber man sollte das Geübte hinterher auch anwenden. Die Übung, die Meditation ist schon wichtig. Aber wenn man dann aufsteht, muss man das Entscheidende mitnehmen! Und dann kommt dieses Stop - Look - Go. Das ist eine kleine Methode, mit der man dies Augenblick für Augenblick anwenden kann.

Können Sie mehr dazu sagen?

Die Lebensfülle, die Lebenskraft kann nur einfließen, wenn wir wirklich im Jetzt sind. Ansonsten sind wir allen voran und nicht wirklich da. Oder wir hängen hinterher, in der Vergangenheit, und sind auch nicht wirklich gegenwärtig.

Gegenwärtig sein

Um die Fülle des Lebens zu empfangen, müssen wir also wirklich im Jetzt gegenwärtig sein. Und da wartet uns das Leben dann entgegen. Und wir warten dem Leben entgegen. Dazu müssen wir einerseits innehalten - Stop -, weil wir sonst vom Strom der Zeit weggerissen werden und gar nicht im Augenblick sind, uns selbst schon voran oder noch hintenan. Und andererseits müssen wir schauen - Look -: Was ist die Gelegenheit, die das Leben uns jetzt anbietet? Und uns dem öffnen, mit allen Sinnen und mit aller Verharrung. Worum geht es da? Was steht da dahinter?
Und schließlich gehört auch das Go dazu: Mach' etwas draus! Aus dieser Gelegenheit, die das Leben dir jetzt anbietet. Dies ist umso leichter, wenn man sich wirklich darauf einstellt, wenn man wirklich im Jetzt lebt. Dann bekommen wir nicht bloß eine Gelegenheit, sondern das Leben bietet uns auch die Kraft, etwas daraus zu machen.
Stop - Look - Go, das sind die drei Punkte: Mit Stop wirklich im Jetzt sein. lm Look wirklich alles anziehen, was das Leben uns bringt, schenkt, in diesem Augenblick. Und dann im Go aus dieser Energie des Lebens, die gerade in diesem Augenblick verfügbar ist, etwas machen. Entweder das Leben zu geniessen, das ist ja unsere wichtigste Aufgabe. Oder etwas zu lernen, was auch mal schwierig sein kann. Das kann auch mal bedeuten, etwas zu erdulden. An etwas zu wachsen, das unter Umständen mit Wachstumsschmerzen verbunden ist. Oder sich einzusetzen für etwas. Das ist auch ein wichtiger Punkt, und dazu kommt es oft nur unter grossen Schwierigkeiten. Vielleicht gehört es auch mal dazu zu protestieren, zu sagen: «So geht's nicht weiter!» Aber alle diese übrigen Punkte kommen im Verhältnis eher selten vor. Was uns am meisten angeboten wird, ist uns am Leben zu erfreuen. Das sollten wir nicht übersehen.

Freude erleben

Wie können wir diese Freude frisch halten, im Alltag?

Die hält sich nicht, die verdirbt sofort. Diese Freude muss jeden Augenblick frisch empfangen werden. Man kann sie nicht aufspeichern. Man kann sie sich nur jeden Tag neu schenken lassen. (lacht) ……..

Das ist wohl wahr. Bruder David, ich möchte abschließend noch zu einem Punkt kommen, mit dem viele Übende Schwierigkeiten haben, und ihren Rat dazu erfragen. Sie gehen in ihren Lehren auch auf die inneren Zustände Furcht und Angst ein. in den Reiki-Lebensregeln werden zwei ähnliche Zustände konkret benannt. Da heißt es zum einen: Ärgere dich nicht. Und zum anderen: Sorge dich nicht. Wie ist es aus ihrer Sicht möglich, diese inneren Zustände zu überwinden?

Ärgere dich nicht!

Es ist zunächst einmal interessant, dass in der deutschen Sprache «ärgern» ein reflexives Verb ist: Wir ärgern uns. Und manchmal sagen wir natürlich auch: Es ärgert uns. Wenn uns etwas ärgert, so ärgern wir uns und machen es dadurch noch ärger. Was bedeutet dann dieser Ärger?

Gehen wir einmal davon aus, dass etwas zugrunde liegt, was wirklich nicht sein sollte. Wir sind also nicht bloß gereizt, sondern es geht um etwas, das tatsächlich nicht sein sollte. Aber anstatt die Gelegenheit wahrzunehmen, es zu ändern, in kreativer Weise zu verändern, sträuben wir uns dagegen. Das ist Ärger!

Wir sträuben uns, statt mit dem Leben zu gehen so wie dies beispielsweise in den gewaltfreien Selbstverteidigungs-Kampfsportarten wie Aikido gelehrt wird. Da geht man ja immer mit der Energie. So gibt es im Leben auch ein Mitgehen - und das ist dann nicht Ärger, sondern Verbessern. Auf diese Weise können wir etwas verbessern.

Was ist Sorge?

Und Sorge? Ist sie letztlich auch ein «Sich sträuben»?

Das könnte man schon so sehen. Aber ich erlebe es mehr als eine Art «Überfordert sein». ich mache mir Sorgen, zum Beispiel denke ich: ,Wie soll ich mit dem bisschen auskommen?' oder: ,Wie kann ich?' Es ist immer ein «Wie». Und das ist ein Mangel an Lebensvertrauen. Sorge ist immer ein Mangel an Vertrauen ins Leben.

Wenn wir uns sorgen, können wir uns erinnern. in meiner Vergangenheit hat sich schon vieles ereignet, worüber ich mir im voraus große Sorgen hätte machen können oder auch gemacht habe und dann hat das Leben doch immer wieder mir die Karten gegeben. Warum mache ich mir dann jetzt überhaupt Sorgen? Das Leben wird mir Kraft geben, wenn ich eines nach dem anderen nehme, es herankommen lasse. Das ist tatsächlich auch ein gewisses «Sich sträuben», wenn ich die Dinge nicht an mich herankommen lassen möchte. Ich will jetzt schon wissen: Wie werde ich das lösen können, falls es eintrifft? Aber es lässt sich einfach nicht vorhersagen.

Das Gegengewicht zur Sorge ist Vertrauen. Ich vertraue darauf, dass, selbst wenn das eintreffen sollte, was mir jetzt besorgniserregend erscheint, mir das Leben dann - wie bisher immer in der Vergangenheit - die Kraft geben wird, damit umzugehen und es kreativ zu lösen, etwas Besseres daraus zu machen.

Vertrauen ins Leben

Wie können wir Vertrauen immer wieder neu haben, erleben, entwickeln? Gibt es einen Wegweiser hin zu mehr Vertrauen ins Leben?

Man muss es schon immer wieder neu erwecken. Ich tue das, indem ich mich erinnere: Es bewährt sich!
Und ich kann mich auch erinnern an das Gegenteil von Vertrauen: Furcht, sich sträuben usw. - das bewährt sich nie!

Aus Erfahrung lernen

Also: Aus der Erfahrung kann man lernen. Und dann ganz einfach pragmatisch schauen: Was bewährt sich? Und der kreative Umgang mit der Lebensenergie, ob das nun Reiki ist oder ein anderer Zugang, das bewährt sich!

Vielen Dank für das Interview.



Quelle:
REIKI MAGAZlN 2/16, www.reiki-magazin.de

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