Interview mit Pater Johannes Pausch und Br. David Steindl-Rast OSB von Josef Ertl

machtsysteme brechen zusamenCopyright © - Wilfried F. Noisternig


machtsysteme brechen zusamen fotoDavid Steindl Rast und Joh. Pausch  © - Franz WendlDie neue Welt kann nicht mit den Mitteln der alten erbaut werden. Gewaltlosigkeit, Menschenwürde und Teilen sollen die christlichen Beiträge sein.
Wir leben in einer Umbruchszeit. Der Änderungsprozess braucht Geduld, weil er auf Überzeugung statt auf Druck baut.

David Steindl-Rast ist österreichisch-amerikanischer Benediktinermönch, Eremit, Spiritualitätslehrer und weltweit Vortragsreisender. Johannes Pausch hat das Europakloster Gut Aich bei St. Gilgen gegründet und ist Abt.

KURIER: Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Sie, Bruder David, sprechen davon, dass wir eine derartige Umbruchszeit seit 6000 bis 7000 Jahren nicht mehr erlebt haben. Das ist ein sehr großer Zeitraum.

David Steindl-Rast: Das ist der Zeitraum unserer Zivilisation, die Zeit, in der unsere Kultur entstanden ist. Sie reicht zurück bis zu den frühesten Ägyptern und den Babyloniern. Wir gehen in eine neue Axialperiode ein. Diese ist von Anfang an ein Machtsystem, in dem wenige die Macht haben. Die Mehrzahl arbeitet und wird ausgebeutet. Dieses System wurde niemals oder nur für kurze Zeit infrage gestellt. Heute wird es mehr und mehr hinterfragt. Ich kann es gar nicht glauben. Überall auf der Welt, wie jetzt zum Beispiel in den arabischen Ländern, stehen die Menschen auf und sagen, wir lassen uns nicht länger ausbeuten. Das hat man in der Dimension vor zehn Jahren nicht gehört. Das steigert sich jetzt. Das Machtsystem, auf dem unsere Zivilisation beruht, bricht unter unseren Augen zusammen. Darum wird die Frohbotschaft Jesu so wichtig.
Johannes Pausch: Die große Gefahr besteht, dass dieser Umwälzungsprozess von den Medien darauf reduziert wird, dass das arme Leute sind, die mehr Geld haben wollen. Es wird auf die Materie reduziert. Das stimmt nicht. Diese Menschen wollen in Würde leben, sie wollen geachtet werden, sie wollen, dass ihre Meinung gilt. Sie wollen angenommen werden. Sie wollen in Freiheit und nicht in Unfreiheit leben. Sie wollen alle Grundwerte, die die Menschenwürde ausmachen, auch wirklich leben dürfen.
Steindl-Rast: Es geht auch um Gewaltfreiheit. Es finden in so vielen Ländern gewaltfreie Revolutionen statt. Gewaltfreiheit, Menschenwürde und Teilen machen das Reich Gottes aus. Diese Werte sind genau entgegengesetzt zu den Machtsystemen, die wir seit mehr als 6000 Jahren gelebt haben. Wir sehnen uns jetzt ausdrücklicher nach dem Reich Gottes.
Pausch: Dass wir das Reich Gottes wirklich erreichen, wage ich zu bezweifeln. Bei den Systemveränderungen gibt es Widerstände, Widerparts, Entwicklungen. Es ist aber offenkundig, dass sich jetzt eine grundlegende Entwicklung ereignet.
Steindl-Rast: Wir sagen nicht, dass das Reich Gottes jetzt hier einfach anbricht. Es besteht aber die ganz große Gelegenheit zu fragen, was hat Jesus uns wirklich verkündet? Das ist keineswegs das, was uns die offizielle Kirche gibt. Denn sie ist seit dem römischen Kaiser Konstantin in das Machtsystem eingetreten. Die Mönche protestierten dagegen, indem sie in die Wüste gingen. Es brechen jetzt von unten und von innen her diese neuen Möglichkeiten auf.

KURIER: Die kirchlichen Aufbruchsbewegungen sind frustriert, weil so wenig weitergeht.

Steindl-Rast: Diese Initiativen haben viel von dem, wonach sich die Menschen sehnen. Nicht nur die Christen, sondern alle Menschen sehnen sich nach Menschenwürde.
Pausch: Es stimmt ja nicht, dass nichts weitergeht. Ich will die Kirche nicht verteidigen, aber natürlich geht es weiter. Nur geht es nicht von heute auf morgen, es geht nicht auf Knopfdruck. Man muss die Entwicklungen berücksichtigen. Wir können es nicht machen wie faschistoide Systeme. Wir können die, die das nicht mitvollziehen können, nicht einfach wegräumen. Darum geht es nicht. Wesentlich ist, in einen Wandlungsprozeß hineinzugehen. Zu meinen, alles, was ich heute denke, sollte gestern schon passiert sein, das geht nicht.
Steindl-Rast: Wenn das ginge, wären das die Methoden des Machtsystems. Man kann das Reich Gottes nicht mit den Mitteln des Machtsystems aufrichten. Wie kann man es verwirklichen? Durch kleine Zellen, durch kleine Gemeinschaften. Das kann in der Familie oder in einem Kloster wie hier beginnen. Durch eine Gemeinschaft, die gewaltfrei teilt und die die Menschenwürde anerkennt. Man sieht, wie anziehend das ist. Wenn das angeboten wird, da rennen die Leute nur so hin. Da ist kein Druck, da ist keine Gewalt. Sie sehen, da wird man respektiert, da wird geteilt. Das kann unsere Umwelt retten.
Pausch: Ich spreche immer von den Frustlüsterern. Sie sind frustriert und lüstern nach dem Erfolg. Sie machen ganz viel kaputt. Statt zu sagen, so, jetzt machen wir einen Schritt nach dem anderen, und wir bauen an dem Prozess der Veränderung.

KURIER: Wenn ich aber zum sechsten Mal die Stadt Jericho umkreise, um dieses Bild aus dem Alten Testament zu verwenden, und es tut sich nichts, kann schon Frust aufkommen.

Pausch: Wie oft muss ich meinem Bruder verzeihen? Sieben Mal? Jesus sagt 77 mal. Es sind ja die Macher, die die Macht haben, die sagen, jetzt halten alle den Mund. Damit erreichen wir ja nichts.
Steindl-Rast: Durch das Reden ist ja schon der Beginn gemacht. Durch das Reden ist die Beziehung hergestellt. Durch das Reden hat sich schon etwas geändert. Auch wenn es scheint, dass der andere überhaupt nicht zuhört. Das Reden bringt schon etwas in Gang.
Pausch: Oder indem man einfach da ist. Wenn es ein paar Hundert kleine Zellen gäbe, würde die Welt wahrscheinlich anders ausschauen.



Quelle: KURIER vom 08.04.2012

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