Von Gustav Schwarzmann

Manuel

«Wie sagt man?» ‒ Zögerliche Stille. Neue Aufforderung und dann sagt er es: «Danke.» Alle jubeln. Manuel ist noch nicht zwei Jahre alt, das aber haben sie ihm schon beigebracht: Es gibt nichts auszupacken, ehe er sich nicht diesen Schlüssel zu allen Geschenken hat abnötigen lassen.

Die Polizistin

Mir muss man es nicht abnötigen, mir fällt es leicht. Überall sage ich ganz selbstverständlich «Danke». Kürzlich kam es mir sogar nach der Erledigung einer Organstrafverfügung gemäß § 50 des VStG leicht und selbstverständlich über die Lippen. Die Polizistin ihrerseits hat sich mit einem Lächeln bedankt, ob leicht und selbstverständlich, weiß ich natürlich nicht. Wenn dieses «Danke» aber so leicht und so selbstverständlich im Alltagsgebrauch aufscheint, ist es dann nicht einfach eine abgenutzte Schablone, eine Verpackung mit wenig oder überhaupt keinem Inhalt? Eine Mogelpackung?

«Euer dankschuldiger Sohn»

In der Schule haben sie mir beigebracht, wie man Briefe in eine gute Form bringt. «Euer dankschuldiger Sohn» müsse es am Schluss heißen, ordneten sie mir an. In dieser Weise habe ich all die Jahre im Internat die Briefe an meine Mutter beendet, vor allem dann, wenn ich für Uhu und Bleistifte und Hefte und Tintenfässer wieder zuviel ausgegeben und sie das Notwendige und dazu noch Marmelade und Käse geschickt hatte. Es war mir nicht unangenehm. Mir war klar, dass ich Dank schuldete. Es war allerdings die einzige Form, in der ich ihr den Dank ausdrückte. Meine (schlechten) schulischen Leistungen hat sie sicher nicht als Dank empfunden. Und meine (guten) sportlichen Leistungen haben sie vermutlich überhaupt nicht berührt.

Man hatte mir das «Danke» mit «schuldig» verknüpft. Wer nicht den geschuldeten Dank ableistet, macht sich schuldig, das ist der verinnerlichte Satz. Ist diese abgenötigte, anerzogene Dankespflicht wirklich schon die von Bruder David gemeinte Dankbarkeit? Entspringt Dankbarkeit nicht einem freien, von etwas Gutem überwältigten Herzen? Damals schien mir dies alles so recht zu sein, eine Floskel reichte als Antwort auf all das, was mir an Gutem zufloss. Rückblickend schäme ich mich dafür, aber ich verstand es nicht anders.

Pflicht oder Kür

Danke zu sagen hat man mir zwar nicht eingebläut, aber doch nachdrücklichst beigebracht. Bin ich deswegen nun schon dankbar, wenn ich bei allen guten und weniger guten Situationen «Danke» sage? Man erwartet das von mir. Aber gerade das kann und will ich nicht (mehr): einfach das tun, was man von mir erwartet. Es ist ein Reflex geworden. Dem müsste ich mich schnellstens entziehen. Aber will ich mich diesem Reflex wirklich entziehen? Er ist doch in unserer Gesellschaft so gut platziert, und kaum etwas anderes ist allgemeiner anerkannt, respektiert, goutiert. Ich wäre dann in den Augen aller ‒ der Gedanke erschreckt ‒ ein mieser Fiesling der Undankbarkeit. Und das ist mehr als bloß ein Spielverderber bürgerlicher Konvention. Besteht meine Dankbarkeit aber bloß darin, durch das kleine Wörtchen «Danke» mich einer Erwiderungs-Schuld (welcher Schuld?) zu entledigen, bürgerliche Konvention zu erfüllen? Ist meine Dankbarkeit erfüllte Pflicht, sozusagen mein gesellschaftliches Wohlverhalten? Oder sollte sie nicht die freie Kür eines überwältigten Herzens sein? Also eher so etwas, wie über das Eis zu tanzen und in tausend nie mehr wiederholbaren, akrobatischen, leichtfüßigen Tanzfiguren sich einfach dem zu überlassen, was im Inneren des Herzens singt und jubiliert?

Mein Problem: Ich soll nicht über die Dankbarkeit an sich philosophieren, so wie ich gewohnt bin, über Gott und die Welt, die Tugend und die Sünde abzuhandeln. Ich soll selber darin vorkommen, mich selber aussetzen. Wahrscheinlich bin ich selber sperrig und verklebt. Irgendetwas versperrt mir die Sicht, so scheint es mir zumindest. Es ist wie in einer Wüste ohne Brunnen. Düne um Düne nichts als trockener Sand.

Wüste und Brunnen

Sind Wüste und Brunnen ungleiche Bilder oder doch nur ein Bild? Sind mir einfach die Brunnen, aus denen die Dankbarkeit ihren Durst stillt, abhanden gekommen? Sind sie ausgetrocknet, verschüttet, oder weiß ich einfach nicht mehr, wo sie gegraben sind? Sind die Brunnen, aus denen ich in meiner Kindheit selbstverständlich trank, einfach nicht mehr meine heutigen Brunnen? Haben all die anderen, die so leicht und so gern von Dankbarkeit reden, Brunnen, die mir nicht (mehr) zugänglich sind? Was hat mir meine Brunnen verschüttet, was hat mich von den Wegen zu ihnen abgebracht, in die ausgetrocknete Einöde geführt? Ist es der trügerische Versuch gewesen, mein Leben allein und aus eigener Kraft zu schaffen, das Begehren, Gelungenes allein mir zuschreiben zu können? Habe ich in allen Begegnungen nur mich selber gesucht, meine Eitelkeit, meinen Stolz, meine Selbstliebe, und so nicht annehmen können, was mir andere einfach geschenkt hätten? Habe ich Angst davor gehabt, mich abhängig zu machen, anderen verpflichtet zu sein, und habe daher lieber großherzig bar bezahlt, damit ich nicht dankschuldig bleibe, niemandem dankschuldig bin? Habe ich Undankbarer die Wüsten selbst geschaffen?

Der Tyrann

Undankbar zu sein ist nicht einfach. Man könnte meinen, man müsse nur die Dankbarkeit weglassen, dann wäre man schon undankbar und alles wäre gelaufen und man wäre ein glücklicher oder ein unglücklicher Undankbarer. So ist es nicht. Das Gewissen will einen in sich stimmigen Menschen, und stimmig ist das, was ich erlebe, das, was ich in den tausend Fragen jetzt geschrieben habe, ganz sicher nicht. Das Gewissen tyrannisiert mich und fordert gradheraus, ich soll ein dankbarer Mensch sein. Irgendwie möchte ich auch ein dankbarer Mensch sein. Aber «irgendwie» sagt nicht viel.

Wie wird man das, ein gewissenhafter, dankbarer Mensch ohne Falsch und Heuchelei? Genügt es mir schon, das zu sein, zu tun, zu leben, was sie mir mühevoll genug beigebracht haben zu sein, zu tun, zu leben? Für beide, Dankbarkeit und Undankbarkeit, gilt: Man muss sie tun, damit sie sind, und tut man sie nicht, dann sind sie nicht. Dankbarkeit ist etwas anderes, sie ist mehr als das Fehlen von Undank. Undank ist etwas anderes, er ist noch weniger als das Fehlen von Dankbarkeit.

Nackt am Boden

Ich erinnere mich einer Erfahrung, da ich mit einer Kraxe von der Alpe Geißkäse ins Tal tragen musste. Die Last auf der Holzkraxen war für einen Zwölfjährigen schwer. Also schob ich da und dort eine Rast ein, legte mich ins Gras und fühlte mich mit der Erde und dem Himmel eins. Da überkam es mich: Ich wusste, dass ich im Herbst von hier weg musste, weg durfte, ich war zum Studieren ausgesondert. Ich weiß nicht, was es war, auf jeden Fall wollte ich dieses Gras, diese Erde und diese Luft durch und durch spüren und so riss ich mir Hemd und Lederhose vom Leib, mehr gab es nicht zum Anziehen und wälzte mich auf dem Boden, wie ich es sonst nur bei unserem Ross gesehen hatte. Die Szene ist mir unvergessen. Sie zu vergessen, erschiene mir heute noch als ein Sakrileg.

Heute, wenn ich über diese meine Alpe gehe (sie hat mir natürlich nie gehört und wird mir nie gehören und trotzdem gehört sie mir), über meine Gräser, auf meinem Boden, unter meinem Himmel, da weiß ich es immer noch und spüre es: Das ist der Ort, wo ich hingehöre, wo ich daheim bin. Ich streichle die Gräser, ich rieche die Erde, ich trinke aus dem Bach und sehe die Wolken am Himmel. Es ist gut in mir und still und doch laut ‒ ich bin glücklich.

Ist das vielleicht Dankbarkeit, sich so zu erinnern, so zu spüren, so zu ahnen, sich so eins zu wissen, eins mit dem, was da ist, verbunden mit dem Gras, verbunden mit dem Himmel, verbunden mit der Erde, verbunden mit dem Wasser im Berggraben?

Die Mutter

Daheim aber, wo ich vorbeikam, wenn ich die Kraxe auf dem Buckel hatte, daheim war meine Mutter. Wenn sie mich als Kind aufhielt, dann nur (?), um mich in die gefüllte Blechbadewanne zu stecken und zu schrubben. Und ja, sie schaute mir nach, wenn ich wegging, jetzt wieder sauber.

Sie schaute mir nach. Wahrscheinlich schaute sie auch schon nach mir, wenn ich aus dem Tobel unter der Alpe herauskam. Sie schaute nach mir. Einmal nennt eine Mutter, der der Verlust des Kindes droht, Gott selber so: «der, der nach mir schaut».

Daheim hatte ich also meine Mutter mit ihren offenen schmerzenden Füßen und den neun Kindern, auf dem Familienfoto wie Orgelpfeifen aufgereiht. Der Vater fehlt, gestorben mit 41 Jahren. Ich sehe meine Mutter immer noch in der Waschküche: Aus dem großen Kessel nimmt sie die gekochte Wäsche, wäscht sie nochmals aus, wringt sie aus und hängt sie auf. Morgen wird sie bügeln, aber wegen der Feuchtigkeit heute werden ihr die Füße noch mehr weh tun. Sie wird dann auf einem Fuß stehen und mit dem anderen auf einem Stuhl knien, von Zeit zu Zeit wird sie seufzen, wegen der Füße und überhaupt, und in der Nacht wird sie weinen vor Schmerzen und überhaupt. Uns Kindern wird dies gewohnt erscheinen und wir werden weiter miteinander spielen und miteinander streiten.

Meine Mutter, so sehe ich sie immer noch, führte akribisch ihr Kassabuch, damit sie zurechtkam mit dem Geld und die Mäuler stopfen konnte, die aufgesperrt waren, wie bei den Jungen im übervollen Schwalbennest.

Und sie strickte. Sie strickte, so glaube ich, die halben Nächte und die andere Hälfte betete sie den Rosenkranz und weinte. Heute noch trage ich immer und überall Pullover, Sakko nur dann, wenn andere sagen: Aber heute gehst du bitte ordentlich angezogen!

Dem Bürgermeister, der die ganze Familie nach dem Tod des Vaters wieder in ihren Herkunftsort zurückschicken wollte, wir sollten ja der Gemeinde nicht weiter zur Last fallen, widerstand sie ins Angesicht, eine kleine, schmale Frau, aber unendlich stark.

Als es darum ging, mich zum Studieren zu schicken, damit ich einmal Pfarrer sein würde, da wurde alles noch enger, noch kleiner, es gab noch weniger Geld für das Notwendigste. Aber sie machte es möglich: «Es ist so und irgendwie wird es schon gehen.» Und es ist gegangen, allerdings auch auf Kosten der anderen aus der vollen Bubenkammer und dem vollen Mädchenzimmer.

Dankschuldig

Eine solche Mutter hatte ich daheim. Ihr schickte ich Briefe mit der Unterschrift «Dein dankschuldiger Sohn». Als ob man mit einer solchen, entleerten Formel irgendetwas zurückgeben hätte können. Es stimmt natürlich, ich war und bin und werde ihr allen Dank schuldig sein. Viel mehr noch bin ich ihr schuldig. Vielleicht hätte sie sich gedankt gefühlt am Tag der Primiz, aber dieser Tag kam nicht. «Es ist dein Leben», sagte sie nur, «du musst es wissen, was es ist», als ich damit herausrückte, dass ich wohl einen anderen Weg wählen würde.

In unserer Familie kannten wir keine Gesten der Berührung, des Küssens, des Streichelns. Das Wissen umeinander, um die gegenseitige Zugehörigkeit war einfach so da, eingebettet und eingezwängt in christliche Rituale mit Weihwasser als Segen und vielen Vaterunsern und noch mehr Rosenkränzen als Absicherung gegen jegliches Unheil.

Jetzt, heute, wo ich dasitze und schreibe, frage ich: Ist es Dankbarkeit, eine solche Mutter gehabt zu haben und ihr erst auf dem Krankenbett scheu den Handrücken gestreichelt zu haben, erst in den Tagen ihres Sterbens behutsam ihre Wangen berührt zu haben? Ist der dankbar, der sie nie geküsst hat, obwohl er für alle Welt tausend und tausend Küsse verschwenderisch verschenkt hat? Ist es schon genug, sie regelmäßig besucht zu haben, mit ihr Karten gespielt zu haben und sich an ihrem, in diesen späten Jahren immer gefüllten Tisch verwöhnt haben zu lassen?

«Etwas»

Es ist etwas in mir, das sagt, dass ich ihr etwas schuldig geblieben bin. Das beschämt mich und tut weh. Es ist etwas in mir, das mehr ist als Zärtlichkeit, das mehr ist als innige Zuneigung, das mehr ist als das Wissen, sie ist meine Mutter gewesen. Ich kann dieses «mehr» aber nicht benennen, es fehlen mir Worte, nicht Gefühle. Ich merke, ich nannte dies, was es ist, «etwas». Ist Dankbarkeit einfach «etwas»?

Es gibt Momente, wo ich von etwas Schönem (schon wieder «etwas») berührt bin, staune, schaue, trinke, mich erfüllen lasse, glücklich bin, mich in Harmonie weiß. Das tut mir zu Innerst gut. Dazu sage auch ich: «Ich bin dankbar.» Aber dies ist etwas anderes als dieses «Etwas», das meine Mutter umgibt. Dieses «Etwas» ist angefüllt mit Erinnerungen, mit Sehnsucht, mit Vertrauen, mit Schmerz, mit Wissen um meine Wurzeln, mit Glauben, mit Lebensenergie, mit Trost, mit Trauer, mit Kampf, mit vielem anderem. Ich merke, es fällt mir schwer, dafür nicht auch das Wort «Dankbarkeit» zu verwenden. Aber es ist mir dann doch zu dünn, es kann nicht alles fassen, wenn es überhaupt etwas von dem zu fassen vermag, was ich sagen möchte, und mich dabei doch sprachlos fühle ‒ trotz vieler Worte.

Gebet

«Betet ohne Unterlass!»
«Dankt für alles, denn das will Gott von euch!»

Also wieder jemand, der mich dankschuldig zu sein verpflichtet oder zumindest verpflichten will. Wie halte ich es damit? Ganz sicher ist es so, dass mir kaum etwas leichter herauskommt als zu sagen: «Gott sei Dank!» Auch dies hat man mir beigebracht: Gott immer und überall Dank zu sagen, dies sei billig und heilsam.

So leicht trällere ich Lieder mit, danke für diesen guten Morgen und danke für dies und jenes und überhaupt. Ich trällere. Ist das nicht billig, zu billig? Oder halte ich es mit Ihm auch so, dass ich eigentlich glaube, nichts von Ihm zu brauchen und daher auch Ihm nichts verdanken müssen will? Ich, der freie, autonome Mensch der Aufklärung und der französischen Revolution und der Hüterbub auf der Alpe im hintersten Bregenzer-Wald?

Wenn ich mich einfach dieser billigen und heilsamen Pflicht, Gott immer und überall Dank zu sagen, entzöge, deswegen entzöge, weil ich einfach nicht dankbar sein will? Auf jeden Fall, das sehe ich: Entweder entziehe ich mich oder ich mache Ernst, anders Ernst als bislang. Wenn ich keines davon tue, ein bisschen dankbar, ein bisschen undankbar bleibe, dann kann ich nicht mehr in den Spiegel an meiner morgendlichen Waschstelle schauen. Das wäre ja gut, aber ich fürchte, dass ich an meiner morgendlichen Schauerei nichts, gar nichts ändern möchte.

Ich weiß schon, es sind die Konsequenzen, die ich fürchte. Konsequent aus dem Wissen leben, dass ich Ihm dies und jenes, viel, vielleicht sogar alles verdanke, das würde von mir dies und jenes, vielleicht viel oder sogar alles verlangen. Will ich das, kann ich das, muss ich das wirklich?

Da flattert das Herz

Da flattert aber mein Herz, wenn ich so schreibe. Was sollen die Leute von mir denken, die das lesen? Alle tausend Über-Ichs in mir rebellieren auf einmal. Früher war Unkeuschheit das Schlimmste, das ich mir zu denken vorstellen konnte, aber was war das schon im Vergleich zu dem, was jetzt aus den dunklen, verschlungenen Höhlen meines Unterbewusstseins herauskriecht? «Zulassen, was ist», lehrte mich Anselm Grün. Also weichen wir den Fragen, die da herauswollen, nicht aus: Kann man, darf man Gott undankbar sein? Darf man seine Segnungen genießen, einfach genießen und nicht mehr? Könnte es auch sein, dass einfach das Genießen schon die Fülle der Dankbarkeit ist?

Muss man nicht auch Ihn fragen, wie hältst Du es damit? Könnte nicht der Gerechte jetzt schon und nicht bloß als zukünftige Hoffnung Dank für sein gerechtes Leben erwarten, wenn Er schon vom Gerechten Dankbarkeit erwartet?

Wenn man Ihm nicht dankbar sein will oder kann, muss man sich nicht dann sorgen, dass Er jeden Segen entziehen könnte und man dann schon sehen werde? Nie hätten die Bauern bei mir daheim es zugelassen, dass der Pfarrer auf den Wettersegen nach der Messe verzichtete. Und selbstverständlich brachten sie als Dank dafür, dass (fast) alle Kälber und Kühe gesund von der Alpe kamen, dem Pfarrer eine Fuhre Holz, damit er den Winter in der warmen Stube überstehen und im Sommer weiter den Wettersegen beten konnte.

Aus solcher Herkunft ist es mir eigentlich verwehrt, Gedanken der Undankbarkeit zu denken. Man weiß ja nie, wie Er mit offensichtlicher Undankbarkeit umginge. Aber ist das schon genug Antwort, konsequenzenlose Dankbarkeit beim Erntedankfest zu zelebrieren?

Wenn es aber so wäre, dass ich einfach spürte: Entweder bist du von ganzem Herzen, mit Haut und Haar, oder gar nicht dankbar?

Kein Schluss

Darf ich das, was ich schreibe, einfach so offen, einfach ohne Schluss lassen? Bestenfalls spüren lassen: Da sucht einer und will dabei nicht falsch sein? Im Moment steht er an. Er steht an, weil er glaubt, mit Gott könne und dürfe man keine (billigen) Spielchen treiben. Er steht an, weil er immer schon «Gott sei Dank» gesagt hat und jetzt meint, das könne doch nicht weiter so sein, sein Leben müsse sich doch decken mit dem, was er denke, spüre, ahne, fürchte, glaube. Er steht an, weil er zu sehen glaubt, dass Dankbarkeit eine existentielle Haltung ist, eine Weise zu sein und nicht bloß eine höfliche Formel der Erwartung weiteren Segens Gottes für sich und alle Früchte der Erde. Er steht an, weil er zu sehen glaubt und nicht zu gehen weiß.

Er steht aber auch an, weil er nicht weiß, was er jetzt sagen und tun soll. Er steht an, weil er vor der Einladung zu schreiben noch glaubte, schlicht und einfach dankbar zu sein, dankbar vielem und vielen, dankbar schlussendlich auch Gott. Mit dem Schreiben aber ist er in etwas hineingeraten, das nicht bis zum Abgabetermin erledigt werden kann. Sollte er vielleicht dafür wenigstens dankbar sein?

 


Quelle: Die Augen meiner Augen sind geöffnet  – Hommage an Br. David-Steindl-Rast OSB zu seinem 80. Geburtstag, S. 120-123 
© Gustav Schwarzmann (2006)

Gustav Schwarzmann, Prof., *1941, studierte Theologie in Innsbruck, Lehrer an verschiedenen Schulen. 1971 baute er das Tagungshaus Wörgl als Bildungsszentrum aus, das er bis 2004 leitete. Von 1991 bis 2003 Direktor des Ausbildungsinstituts für Mitarbeiterinnen in der Erwachsenenbildung in Salzburg. An der Universität lnnsbruck unterrichtete er in einem Gemeinschaftsprojekt mit dem Land Südtirol Erwachsenenbildung. Zahlreiche öffentliche zum Teil österreichweite Ämter und Aufgaben im kulturellen, pastoralen und pädagogischen Bereich.

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