Text und Audios von Br. David Steindl-Rast OSB

glaube b kraemer titelCopyright © - Barbara Krähmer

«Ich glaube»: Was heißt das eigentlich?

Nur in der Zusammensetzung «Ich glaube» enthüllt jedes dieser beiden Wörter seine volle Bedeutung: Glauben ist für das Ich, um das es hier geht, unendlich mehr als ein Für-wahr-halten; und nur das Ich, das in diesem Vollsinn glaubt, ist unser wahres menschliches Selbst.

Das kleine Ich ‒ unser Ego, das letztlich aus einer Täuschung entspringt ‒ kann bestenfalls etwas als tatsächlich anerkennen; glauben kann es nicht.

Und warum nicht? Weil der Glaube nicht eine Ansammlung von Behauptungen ist, die ein gläubiger Mensch für wahr hält; der Glaube ist vielmehr tiefstes, wagemutiges Vertrauen.

Sein Gegenteil ist nicht Zweifel, sondern Furchtsamkeit.

Angst und Furchtsamkeit aber sind das Lebenselement des Ego, das der Selbsttäuschung des Abgetrenntseins vom Ganzen sein Scheindasein verdankt. Kein Wunder, dass es in seiner Vereinzelung den Rest der Welt als drohend und beängstigend erlebt.

Unser wahres Ich ist im Ganzen des Seins eingebettet ‒ wovor soll es da Angst haben?

Wenn wir also sagen «Ich glaube» und beiden Wörtern ihre volle Bedeutung geben, treten wir damit in die Größe und Tiefe wahren Menschseins ein.

Das Glaubensbekenntnis, das mit den schwerwiegenden Worten «Ich glaube» beginnt, spricht zwar in der Formensprache der christlichen Tradition, jedoch mit der Stimme einer Spiritualität, die Gemeingut aller Menschen ist.

Jede der unterschiedlichen spirituellen Traditionen eröffnet uns ihren je eigenen Zugang zum wahren Menschsein.

Je mehr wir den Weg dahin finden, umso freier werden wir durch die verschiedenen Zugänge ein- und ausgehen, ohne uns an Fremdartigen zu stoßen oder an Vertrautes zu klammern.

Wenn wir in uns gehen und uns fragen, was uns auf dieser Ebene des An-etwas-Glaubens am schwersten fällt, dann werden wohl viele von uns zugeben müssen:

Das Schwierigste ist es, an die Liebe eines anderen Menschen wirklich zu glauben. Ja, es gibt Liebesbeweise und Proben, an denen sich die Liebe eines Anderen zeigt, aber letztlich müssen wir uns doch darauf verlassen. Es kommt alles auf dieses Sich-verlassen an.

Und damit weist die Sprache schon hin auf den entscheidenden Punkt:

Was wir verlassen müssen, ist unser kleines Ich, das sich in die Illusion des Abgetrenntseins verkapselt; und wir verlassen uns auf etwas ‒ bewegen uns auf etwas anderes hin ‒, nämlich auf unser großes Selbst, in dem DU und ICH eins sind, obwohl sie unterschieden bleiben.

«Ich bin durch dich so ich» (E. E. Cummings.)

Nur einem DU gegenüber hat es überhaupt Sinn, Ich zu sagen.

Dass ein DU mir vertraut, macht mein Selbstvertrauen erst möglich.

Die Begegnung von ICH und DU ist der Quellgrund, aus dem gläubiges Vertrauen entspringt.

Ich werde ich, indem ich dir vertraue.

Das ICH, das diesem Vertrauten entstammt, glaubt eben; es ist unser wahres Selbst, das Ich, das im Credo sagt: Ich glaube.

Und du, Leserin oder Leser? Wann und wie bist du diesem Paradoxon begegnet? Krame nicht in deinen Erinnerungen nach äußerlich auffallenden Erlebnissen. Unter denen wirst du kaum finden, worum es hier geht. Vielleicht hat auch dich ein spielerischer Augenblick in deinerer Kindheit jenen tiefen Glauben erleben lassen, den man nie vergisst, oft vernachlässigt, aber doch jederzeit neu erwecken kann. [CG 1-2) [18-24]

[Ergänzend:

1. Orientierung finden (2021), 73-75:

«Das Wesentliche an Religiosität ‒ und daher auch das Herzstück jeder Religion ‒ ist der Glaube.

Glauben ist aber ein häufig missverstandenes Schlüsselwort. Das kommt davon, dass dieses Wort im alltäglichen Sprachgebrauch zwei ganz verschiedene Bedeutungen haben kann.

Einerseits drückt es meine Meinung aus, etwa in dem Satz «Ich glaube, dass es morgen regnen wird.»

Es kann aber auch mein Vertrauen ausdrücken, z. B. wenn ich sage ‹Ich glaube an das Gute im Menschen.›

Im religiösen Sprachgebrauch drückt ‹glauben› nicht meine Meinung aus, sondern mein Vertrauen.

Glauben ‒ im spirituellen Sinn ‒ heißt nicht ‹etwas für wahr halten›, sondern sich vertrauend ‹auf etwas oder jemanden verlassen.›

Diese Unterscheidung wird gewöhnlich übersehen, wenn jemand die Frage ‹Glaubst du an Gott?› nicht anders stellt als etwa die Frage ‹Glaubst du an Gespenster?› Gibt es sie oder nicht? Es geht hier um bloße Meinung. Der Glaube an Gott jedoch ist nicht Behauptung einer Meinung, sondern Ausdruck von tiefstem Vertrauen.

Wie wir gesehen haben, drückt das Wort ‹Gott› unsre persönliche Beziehung zum großen Geheimnis aus.

Dass wir mit unsrem ganzen Sein auf das Geheimnis bezogen sind, ist aber nicht Ansichtssache. Als ‹das, was wir nicht erfassen, aber doch verstehen können, wenn es uns ergreift› ‒ das ist ja unsre Definition von Geheimnis ‒, ist das Geheimnis eine Erfahrungstatsache.

Wie könnte also jemand fragen, ob es das Geheimnis ‹gibt›, wenn doch alles, ‹was es gibt›, auf das Geheimnis verweist?

Das Wort ‹Es› im Satz ‹Es gibt ...› steht ja für das Geheimnis, aus dem uns alles zufließt.

Das braucht man nur einzusehen. Aber man kann einen Schritt darüber hinauswagen und sich voll Vertrauen auf das Geheimnis verlassen.

‹Glaubst du an Gott?› heißt: ‹Schenkst du dem Leben und dem Geheimnis des Lebens Vertrauen?›

Diese beiden Fragen bedeuten genau das Gleiche. Aber die zweite Form der Fragestellung macht deutlich, dass es hier nicht um Meinung geht, sondern um Vertrauen.

Wir können dem Leben Vertrauen schenken oder uns fürchten.

Die Wahl zwischen diesen beiden Grundhaltungen steht uns frei.

Zu welcher Option wir neigen, erweist sich ganz praktisch an unsrem Lebensmut im Alltag.

Das Gegenteil von Glauben ist ja nicht Zweifel oder Unglaube, sondern Furchtsamkeit.

Letztendlich läuft alles darauf hinaus, entweder darauf zu bestehen, dass das Leben so sein müsste, wie wir es uns wünschen, oder uns der Strömung des Lebens, wie es ist, anzuvertrauen ‒ nicht aber willenlos wie Treibholz, sondern wie Fische, die mit jeder Bewegung hellwach der Strömung antworten. So wach antwortet der Glaube dem Geheimnis des Lebens.

Um dem Geheimnis des Lebens zu antworten, ist es nicht einmal nötig darüber nachzudenken, dass es da ist und uns trägt. Schließlich antworten wir ja auch mit jeder unsrer Bewegungen auf die Schwerkraft, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht. Wir können aber lernen, immer achtsamer zu werden für die Schwerkraft und uns immer mehr auf sie zu verlassen. Darin liegt der Unterschied zwischen unbeholfenem Stolpern und Tanzen.

So wie das Gleichgewicht ist auch das Vertrauen entwicklungsfähig.

Glauben im spirituellen Sinn heißt also letztlich, sich im alltäglichen Tun mutig zu verlassen auf das unergründliche, unerschöpfliche und unaufhaltsam dynamische Geheimnis des Lebens, das alles durchwirkt.

Es heißt also, sich mit radikalem Vertrauen auf das Abenteuer der Wirklichkeit einzulassen ‒ und zwar der ganzen ‒ sowohl der inneren als auch der äußeren Wirklichkeit. [Orientierung finden (2021), 73-75]

2. Dankbarkeit: Das Herz allen Betens. (2018), 82, 88, [bzw. Fülle und Nichts (2015), 81, 86f.:

«Es mag überraschend sein, aber gerade diese Bedeutung von Glaube wird von der authentischen christlichen Tradition bezeugt. In den Evangelien, so sagen uns die Sprachgelehrten, gibt es keine einzige Stelle, in der das griechische Wort für ‹Glaube› Überzeugungen bedeutet.

Wenn Jesus beispielsweise den ‹Glauben› des römischen Beamten bewundert, dann heißt das, dass er beeindruckt ist von dem tiefen Vertrauen des Mannes, und nicht etwa von dessen religiösen Überzeugungen. Und als Jesus die Jünger für ihren ‹Mangel an Glauben› tadelt, da meint er ihren Mangel an mutigem Vertrauen; es war keine Rüge für den Abfall von einem oder dem anderen Glaubenssatz.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: ein Glaubensbekenntnis existierte noch gar nicht. Glaube bedeutete das mutige Vertrauen auf Jesus und die frohe Botschaft, die er lebte und predigte. Später zwar sollte sich dieses Vertrauen zu expliziten Glaubenssätzen kristallisieren. Der Ausgangspunkt aber ist vertrauender Mut, nicht ein für wahr halten, sondern Glaube schlechthin.»

«Jener ursprüngliche Herzensmut, den wir aus Momenten aufrichtiger Dankbarkeit kennen, kommt vollendetem Glauben im biblischen Sinne näher, als wir erhofft hätten. Es ist jedoch eine Sache, jenen Glauben in einem enthusiastischen Augenblick zu erleben, eine ganz andere aber, unseren Mut im Wellengang des täglichen Lebens ‹seetüchtig› zu erhalten. Dies ist der Punkt, an dem unsere Glaubensüberzeugungen ins Spiel kommen. Sie sollen helfen, unseren Glauben über Wasser zu halten, sollen unseren Mut erneuern. Bedauerlicherweise erfüllen unsere Überzeugungen diese Funktion häufig nicht. Anstatt unseren Glauben wieder aufzurichten, ziehen sie ihn oft in die Tiefe.»

3. Audio-Vorträge:

3.1. Audio-Vorträge Credo ‒ Ein Glaube, der alle verbindet (2010): Im Oktober 2010 stellte Bruder David sein neues Buch «Credo: Ein Glaube, der alle verbindet» in Vorträgen in Freiburg im Breisgau, München und Wien vor. In jedem Vortrag geht es um den einen tiefen, existenziellen Glauben der uns alle verbindet.

Bruder David im Vortrag in Wien am 27. Oktober 2010:

(11:31) «Credo: Das lateinische Wort kommt von zwei Wurzeln her; das eine ist Cor ‒ das Herz ‒, und das andere do, dare ‒ ‹ich gebe› ‒ ‹ich schenke mein Herz.› Wer also Credo sagt, der sagt nicht: ‹Ich glaube an etwas, was man glauben kann oder nicht glauben kann.›

Es heißt: ‹Ich drücke mein tiefstes Vertrauen aus. Ich setzte mein Herz auf das, was ich jetzt da aussprechen werde. Ich verlasse mich vollkommen darauf. Ich verlasse mich.›

Worauf kann ich mich denn wirklich letztlich verlassen? Das ist die Grundfrage, wenn es um den Glauben geht.»

«Wir müssen lernen, unsere Überzeugungen weniger wichtig zu nehmen als die Urgebärde gläubigen Vertrauens. Glaubensüberzeugungen haben die Kraft, uns zu entzweien, Glaube aber hat die noch größere Kraft, uns zu einen (CG 1-2) 31)»

3.2. Audio-Vortrag Die Weisheit, die alle verbindet ‒ Wie die Religionen zusammenfinden können (Mitschrift) (2010), 9:

(43:06) «Die Glaubenssätze sind Sätze, in denen sich der Glaube ausdrückt, im Laufe der Tradition, zu verschiedenen Zeiten, ganz verschieden; die vertragen sich nicht miteinander, da sie sich ganz verschieden voneinander verhalten.

Wir können aber durch diese (Glaubenssätze), weil sie eben Ausdrücke des Urglaubens sind, zu diesem Urglauben durchstoßen.

Und dieser Urglaube ist das Vertrauen auf das Leben.

Das ist uns eingegeben. Das haben wir als Menschen.

Wir vertrauen dem Leben. Ob wir jetzt Buddhisten, Christen, Hindus, Atheisten, Agnostiker sind, alle ‒ jeder Mensch ‒ hat dieses tiefe Vertrauen auf das Leben, als Mitgift.

Und dieses Lebensvertrauen, das ist der Urglaube.

Manchmal wird dieser sehr schwach, wenn wir enttäuscht sind, wenn unser Vertrauen enttäuscht wird, im Laufe des Lebens. Das kann große Schmerzen und Verhärtungen geben.

Aber tief im Innersten haben wir alle diesen Glauben. Und dieser Glaube hat Kraft und Wärme genug, um das Eis der ‹–ismen› (Dogmatismus, Ritualismus, Moralismus) zu schmelzen.»

3.3. Audio-Vortrag Glaube und Glaubenszweifel (2003)
Vortrag:
(38:29) «Unsere Angst und der Zweifel zeigt uns nur, wie hoch wir schon im Glauben gekommen sind, unser Glaube erzeugt den Zweifel wie ein Radfahrer den Gegenwind: Solange der Glaube noch eine Nasenlänge voraus ist, kann der Zweifel gar nicht groß genug sein.»

3.4. Im Eröffnungsvortrag ‚Stärke unsern Glauben‘ (Lk 17,5) im Retreat-Woche in Assisi: weist Bruder David hin, wie glauben innigst verbunden ist mit loben, geloben, bezeugen, tragen und getragen werden ‒ die Wahr-Empfangende Seite des Glaubens. Wir müssen diese Seite des Glaubens wieder entdecken und leben. Sie ist uns verloren gegangen durch die Überbetonung der Seite, die begreifen, wahr-nehmen, besprechen, versprechen, wahr-halten will.]


Quellenangaben

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