Br. David Steindl-Rast OSB

vom worte gotte leben fastenzeitCopyright © - Geli Wald

Unsere Glaubensreise beginnt in leichtem Gelände. Und das ist auch gut so. Der Aufstieg ist schwierig genug. Warum sollten wir nicht dort beginnen, wo es leicht ist?
Aufstieg im Glauben ist Aufstieg im Gebet. Jedes Mal, wenn wir einen Schritt weitergehen, jedes Mal, wenn wir die innere Gebärde des Vertrauens erneuern, dann verlassen wir uns gläubig und rühren so an jene Quelle von Zuverlässigkeit, die uns Kraft gibt weiterzumachen.
Von jener Quelle zu trinken heißt beten: das Gebet des Glaubens. Ein anderer Name dafür ist «Vom Worte Gottes leben».
 
Wenn die Bibel davon spricht, «vom Worte Gottes zu leben», dann bedeutet das mehr als dem Wort Gottes zu gehorchen. Dies ist bloß der moralische Aspekt dieses großen biblischen Gedankens. Der religiöse Aspekt (wie immer in Gefahr, vom moralischen verschluckt zu werden) ist unendlich viel wichtiger. Vom Worte Gottes leben bedeutet, sich von dem Wort zu nähren, jenes Wort zu essen, zu trinken und in sich aufzunehmen. Das «vom Worte Gottes leben» ist in der Bibel gewöhnlich durch das Bild von Speise und Trank ausgedrückt. In der deutschen Sprache kennen wir ähnliche Ausdrücke. Wenn jemand voll konzentriert jedes Wort einer Geschichte verfolgt, dann sagen wir: «Sie sog alles in sich auf». Da haben wir das Trinken. Oder wir sagen etwa von einem Buch: «Ich habe es in einer Nacht verschlungen». Dieses Bild vom Essen eines Buches ist auch ein biblisches. Tatsächlich kommt es sowohl im Alten wie im Neuen Testament vor (Ez 3,1; Offb 10,10).
 
Die Idee dahinter ist eine der tiefsten Einsichten der Bibel: Gott spricht.
Was bedeutet das? Natürlich ist das bildhaft gesprochen. Aber welche Erfahrung steht hinter der Idee, dass Gott spricht? Es ist die Erfahrung, mit unserem Herzen zu hören.
Es gibt aber einen Aspekt jeder Erfahrung, der nur allzu leicht übersehen wird. Horchen wir wirklich mit dem Herzen, dann hören wir nicht bloß etwas, das irgendwo «dort draußen» stattfindet, unabhängig von uns. Nein. Wir stellen fest, dass wir selbst angesprochen sind. Was immer «dort draußen» ist, betrifft uns, weil es mysteriöser Weise «an uns gerichtet» ist. Dies ist nur eine andere Art und Weise, vorsichtig tastend über die «Zuverlässigkeit im Herzen aller Dinge» (Reinhold Niebuhr) zu sprechen. Wenn wir, wie die Bibel, diese letzte Zuverlässigkeit Gottes nennen, dann lautet die prägnanteste Formulierung: Gott spricht.
 
Gott aber ist zu einfach, um mehr als ein einziges Wort zu sprechen. Alles was Gott spricht, ist ‒ so könnte man sagen ‒ in dem einen ewigen Wort der Zuverlässigkeit enthalten.
Dieses eine Wort jedoch ist so unerschöpflich bedeutungsschwanger, dass alles was es gibt, niemals ausreicht, es erschöpfend auszusprechen. Es ist wie bei Liebenden. Alles was sie einander letztlich zu sagen haben, ist: «Ich liebe dich.» Das aber will wiederholt werden. Kein Liebender wird jemals sagen: «Also, ich liebe dich. Habe ich dir das nicht vor Jahren ein für alle Mal gesagt? Möchtest du das wirklich noch einmal hören?» Ja, wir wollen das immer wieder hören. Und die Liebenden werden ihre Treue immer wieder nicht nur in Worten, sondern in Geschenken, in Blumen, in Liedern, in Briefen, in Küssen, auf tausenderlei verschiedene Weisen ein Leben lang zum Ausdruck bringen. Ganz ähnlich will Gottes Treue sich in immer neuen Formen schöpferisch entfalten. Alles Erschaffene hat keinen anderen Sinn, als diese Botschaft von Gottes Zuverlässigkeit zu vermitteln. Im Glauben kann das Herz dieses Geheimnis intuitiv erfassen.

Gottes Botschaft ist immer die gleiche. Aber die Sprachen, in denen das ewige Wort ausgedrückt wird, sind unendlich vielfältig. Vielleicht hörst du die Botschaft in einem Apfelgarten, der in voller Blüte steht. Doch die gleiche Botschaft spricht sich auch in einem Waldbrand aus. Der Unterschied kann erschreckend sein, aber das gleiche Wort immer wieder in neuen Sprachen zu hören, macht aus dem Leben ein herrliches Spiel, ein göttliches Wortspiel. Das auf der Wiese spielende Pferd spricht Gottes Wort aus, die auf meinem Schoss schlafende Katze tut dasselbe, nur anders. Alles und jedes ist einzigartig und unübertragbar. Gedichte können nicht übersetzt werden, im besten Fall kann man sich ihnen in einer anderen Sprache annähern. In einem Gedicht zählt die Sprache so sehr wie die Botschaft.
Gott ist Dichter
Wenn wir wissen wollen, was Gott in einer Tomate sagt, dann müssen wir uns eine Tomate anschauen, sie fühlen, riechen, in sie hineinbeißen, den Saft und die Samen über uns spritzen lassen, wenn sie platzt. Wir müssen sie auskosten und dieses Tomatengedicht in unser Herz aufnehmen. Was aber Gott zu sagen hat, kann in Tomatensprache nicht erschöpfend zum Ausdruck gebracht werden. Also gibt uns Gott auch Zitronen und spricht auf zitronesisch.
 
«Vom Wort Gottes leben» bedeutet, ein Leben lang Gottes Sprachen eine nach der anderen zu erlernen.

Dies ist die erste, leichteste Form, in der unser Glaube betet. Noch befinden wir uns auf der Ebene bei unserem Aufstieg, der uns jetzt durch kaum ansteigende Wiesen führt.
 
Und doch verlangt auch dieses Stadium Mut
Man schaue sich Hänschens Gesicht an, wenn er zum ersten Mal in eine Tomate beißt. Stück für Stück kann man in seinem Gesicht den Kampf zwischen Furchtsamkeit und Wagemut bei der Erforschung unbekannten Territoriums ablesen. Vom ersten Atemzug an bedeutet jede neue Begegnung mit der Welt, dass wir uns auf die Zuverlässigkeit im Herzen aller Dinge verlassen müssen. Und das verlangt Mut.
 
Gleichgültig wie verborgen oder implizit dieses Weltvertrauen auch sein mag, es ist der Beweis ursprünglicher Gläubigkeit. Es ist der Anfang eines reichen, vollen Glaubens. Und ganz gleich, wie schwach jener Glaube noch sein mag, er wird mit jedem Schritt wachsen. Der Biss in deine erste Tomate verlangte Mut, aber jener Mut wurde belohnt.
 
Ohne Wagemut gibt es keine Abenteuer
Das Abenteuer aber wird der Lohn für unseren Wagemut. Die uralte Treue im Herzen aller Dinge ist immer aufs Neue eine Überraschung. Und jedes Mal, wenn wir uns erneut auf sie verlassen, stärkt diese Verlässlichkeit unseren Glauben. Darin besteht das Gebet des Glaubens: am festlich gedeckten Tisch dieser Welt vom Worte Gotte leben.

Das Festmahl des Lebens erwartet von uns, dass wir unseren Geschmack verfeinern. Zuerst schmeckt uns allen nur das, was wir kennen. Das Leben fordert uns aber auf, Neues zu kosten und unseren Geschmack zu entwickeln. Bei diesem Lernprozess scheitern einige von uns bereits an den einfachsten Übungen. Nehmen wir beispielswiese das Wetter. Mit jedem Wetterwechsel erwartet uns ein neues Abenteuer, jede neue Jahreszeit hat ihre eigenen Rezepte, um uns neue Überraschungen zu servieren. Und wir? Natürlich dürfen wir unsere Vorzüge und Lieblingsgerichte haben. Was aber, wenn uns etwas gar nicht schmeckt?
«Kostet und seht, wie gut der Herr ist» ruft uns der Psalmist zu. Um dies erkennen zu können, muss ich es zuerst wagen zu kosten.
 
Ich muss auch in den sauren Apfel beißen
Jedes Erkennen ist Lohn für den Mut zu kosten. Uns an einem Frühlingsmorgen dem Wind vom Meer hinzugeben ist leicht; mehr Mut verlangt es schon, in den feuchten Nebel eines Wintermorgens hinauszutreten. Doch wenn wir uns dem nicht aussetzen, wie sollen wir dann je die einzigartige Stimmung kennenlernen, die nur der Nebel unserem Herzen vermitteln kann, wenn er Bäume mit tropfenden Zweigen und Menschen in Regenmänteln mit tropfenden Nasen verbirgt und wieder zu Vorschein bringt, sie einhüllt und wieder zeigt. Wieviel Leben geht uns verloren, wenn wir nicht jede Art Wetter auf die ihm eigene Weise genießen können?

Wie können wir erwarten, das Leben in seiner ganzen Fülle zu finden, wenn wir nicht lernen «von jedem Wort zu leben, das aus Gottes Mund kommt».
 
Das ist eine entscheidende Evangelienstelle ‒ entscheidend für alle, die ein Leben in Fülle suchen, entscheidend für alle, die lernen wollen, dankbar zu leben.
 
Was will ich denn?
 
Mir selber das Wort Gottes auswählen, von dem ich leben will?
 
Weiß ich wirklich so gut, was für mich das Beste ist?
 
Oder vertraue ich darauf, dass Gott es besser weiß?
 
Wird Gott nicht das Wort sprechen, das ich brauche, selbst wenn ich es vielleicht gerade jetzt nicht hören möchte?
 
Dankbarer Glaube vertraut auf den Geber
und findet deshalb den Mut zu sagen: «Ich kann von jedem Wort leben, das aus dem Munde Gottes kommt.»

Unser Zitat stammt aus dem Evangelienbericht über die Versuchung Jesu. Jesus hat gerade 40 Tage und Nächte in der Wüste verbracht und die 40 Jahre von Israels Wüstenwanderung nacherlebt. Er hat gerade gefastet, eine Geste totalen Gottvertrauens. Israel vertraute auf Gott, und Gott sorgte für Manna, Brot vom Himmel in der Wüste. Jesus aber ist hungrig, und Gott bietet ihm nichts als Steine. Welcher Vater wird seinen hungrigen Kindern Steine geben, wenn sie um Brot bitten? Wenn Gott mit der Zärtlichkeit eines Vaters für Israel sorgte, warum dann nicht für diesen Israeliten, der Gott mit so tiefem Vertrauen als «Abba», als Vater anruft? Wenn Er wirklich Gottes Sohn ist, wird Er dann nicht alles erhalten, worum Er bittet? Ein verführerischer Gedanke. Jesus aber kehrt den Gedanken um: Meinen Glauben beweise ich nicht, indem ich um das bitte, was ich brauche, sondern indem ich darauf vertraue, dass ich brauche, was ich erhalte. Gott weiß es besser. Wenn Gott «Steine» sagt, dann werde ich nicht darauf bestehen, dass das Wort «Brot» heißen soll Ich kann von jedem Wort leben …

Aber kann ich das wirklich? Hier wird es schwierig. Jetzt haben wir die Wiesen verlassen, und der Aufstieg wird steil. Das sind nicht länger Übungen für Anfänger im Glauben. Hier geht es um Leben oder Tod. Das biblische Bild macht das klar.
 
Brot steht für Leben, Steine für den Tod
Jesus vertraut darauf, dass jedes Wort Gottes lebensspendend ist. Wenn der Sohn im Angesicht von Steinen behauptet, er könne von jedem Wort des Vaters leben, dann heißt das: Ich kann selbst im Sterben leben.


Quelle: Auszug aus Fülle und Nichts  (2015)

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